Märchen rund im die Welt (eBook)
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99152-002-3 (ISBN)
Er wollte Bekannte davon überzeugen, dass es früher im allgemeinen weniger Verbrechen als es heutzutage gab. Dazu musste er in alten Zeitungen in der Vergangenheit recherchieren. Und das Ergebnis war für ihn sehr enttäuschend. Die Größe, Anzahl und Schwere der Verbrechen war damals um keinen Deut besser als in der Gegenwart.
Kleines Aschenbrödel
Ein Märchen aus unseren Tagen von Irma von Bülow
Es war ein Erfolg! Wer das moderne, großstädtische Leben kennt, weiß, was das zu bedeuten hat. Ein bischen Verdienst ist ja immer dabei, soviel als nöthig, um gerade in die richtige Strömung zu gerathen und von der kräftigsten ihrer Wellen nach jener glückseligen Insel getragen zu werden, die Erfolg heißt. Es ist ein verzweifelter Kampf— wie der Schiffbrüchige auf hoher See— Viele, Viele sinken unter, die doch ihr Bester gethan. Einer oder der Andere aber gelangt in den mächtigen Zug, in jene Welle, die nach der glückseligen Insel trägt. Und eines sonnigen Morgens ist er gren zrnlos überrascht, sich da zu finden. Das hat er sich nicht geträumt. Denn man hat keinen Erfolg oder einen großen! Und der große Erfolg gleicht oft einem verwirklichten Märchentraum. So war es Siegfried Blum ergangen. Zehn Jahre hatte er sich abgemüht, in redlichstem Streben, ohne etwas erreichen zu können. Und nun auf einmal war der Erfolg da! „Er hieß „Aschenbrödel", und das war ein Mächtig großes Gemälde, das in der Frühlingsausstellung Sensation machte. Andere Kollegen Siegfried Blum's hatten sich darüber moquirt, daß er „Aschenbrödel" malte. Solch romantischen Stoff . Und nun wurde es ein Erfolg! Das Bild war nicht besser als die drei Dutzend anderer Bilder, die „der Künstler"— jetzt nannte man ihn „den Künstler"— schon ausgestellt, aber es war pikant. Die hochmüthigen Schwestern Aschenbrödels trugen nämlich die reizenden Züge zweier Damen der großen Gesellschaft, die auf dem letzten Künstlerfest in RokokoKostümen aufgefallen wären. Aschenbrödel, eine liebliche Mädchengestalt, war unbekannt. Und das interessirte doppelt. Man wollte erstens die beiden bösen Schwestern mit den leicht erkennbaren Originalen vergleichen. Und zweitens, wer war Aschenbrödel? Doch wohl auch ein bekanntes Modell, aber welches? So wurde es ein Erfolg, wir gesagt. Und nun interessirte man sich auch für den Künstler, für Siegfried Blum! Ein Mann in den besten Jahren und Witwer mit zwei kleinen Kindern. Man erzählte, seine junge Frau sei ein Opfer der Noth in den ersten Jahren der Ehe geworden. Ein großer Schreck habe sie getödtet. Gerichtsvollzieher, Wochenbett. Es war sensationell. Siegfried Blum war rasch eine moderne Berühmtheit geworden. Man sah in illustrirten Zeitschriften neben der Wiederholung von „Aschenbrödel" sein Porträt. Er hatte Aufträge; er wurde umworben. Man fand seinen Namen in der Zeitung bei allen möglichen und unmöglichen Gelegenheiten, sogar als Lösung für Räthsel in den Sonntagsblättern. Genug, Aschenbrödel hat seine Schuldigkeit gethan! In dem Atelier des Künstlers stand ein Paar kleiner goldgestickter Pantöffelchen; sie glichen genau jenen, die „Aschenbrödel" auf dem Bilde anzog. Alle Besucher des Ateliers gloffirten natürlich diese Pantoffel. Sir gehörten dem Urbild des Aschenbrödel— nicht? — Würde man dies Urbild zu Gesicht bekommen, beim Künstlerfest? Siegfried Blum hörte lächelnd zu, er amüsirte sich über die Leute. Ein gewisser melancholischer Ernst wich nicht aus seinem männlichen Gesicht. Vielleicht hatte er schon zu viel durchgemacht, um ganz froh und heiter zu werden, zu tief hatte er in die Abgründe des Lebens geblickt. Der große Erfolg war ja sehr schön, aber Siegfried Blum nahm ihn nicht ganz ernst; er, der Erfolg war nicht ehrlich, nicht künstlerisch genug. Auch hatte sich Siegfried einen mächtigen Feind zugezogen, der Gemahl eines der Modelle zu Aschenbrödel's Schwestern, einen Finanzbaron und Kunstmäzen; der Gemahl, wie gesagt, zürnte, weniger die gnädige Frau, welche mit der Sensation zufrieden war, die ihr Abbild erregt hatte. Die zweite der Damen war anfangs sehr böse gewesen; aber auch sie war jetzt versöhnt Der Erfolg hatte etwas sehr Versöhnliches für Jene, die keinen Grund haben, ihn persönlich zu beneiden. Baronesse Helmine von Grund, so hieß sie, hatte heute kommen wollen, um sich einige kleine Requisiten zu ihrem Coftüm von ihm zu leihen. Dieser Besuch sollte die Versöhnung besiegeln. Siegfried blickte etwas befremdet nach der Uhr. Die Baronesse verspätete sich. Er war an solche kleine Lässigkeiten gar nicht mehr gewöhnt; man hielt die Empfangsstunde, die er bestimmt hatte, gewissenhaft ein. „Nun, sie wird schon kommen", sagte er zuversichtlich, und wirklich, sie kam, wenn auch etwas spät. Nun freute er sich doch, denn die Dame war ihm sympathisch. Sie stand im Anfang der Zwanzig, war eine pikante, sehr bewegliche Brünette, gescheidt und natürlich. Vielgefeiert, war sie doch immer noch frei, denn ihre Mitgift war unbedeutend, und die junge Dame zeigte sich zudem wählerisch. Sie hatte ein seltenes Verständniß für bildende Künste. Gerne nannte sie sich die „böse Schwester", wenn sie mit Blum plauderte. Er führte den reizenden Gast vor sein an gefangenes Bild und sie sprachen wie gute, ehrliche Kameraden über die Arbeit. Dann wählte sie sich etwas antiken Schmuck für ihr heutiges Costüm. Und dann— endlich— kam die Rede auf die Goldpantöffelchen. Die Gesellschafterin, die mitgekommen war, blieb stumm und passiv. Baronesie Helmine nahm jetzt die Schuhe zur Hand. „Ich habe sie gleich gesehen, aber ich wollte nicht indiscret sein." „Wenn es sich um eine Sache der Discretion handelte, gnädiges Fräulein, so würden doch die Dinger nicht hierstehen. Es war nur ein dummer Spaß von mir." Sie blickte ihn forschend an. „Nichts weiter als ein dummer Spaß? Und ich glaubte, die Geschichte dieser Pantoffel genau zu kennen." „In der That!" rief er lebhaft. „So sehr beschäftigt man sich mit meiner Wenigkeit? Und darf ich weiter fragen?" „Vielmehr darf ich weitersprechen? Werde ich Ihnen nicht als unangenehme Klatschbase er scheinen, als wirklich böse Schwester?" Er sah es ihr am pikanten Gesichtchen an, daß sie doch sehr gerne sprechen wollte. Und er drang in sie, obgleich ihm mäßig viel daran lag, zu hören. „Man glaubt das Urbild Ihres Aschen brödel zu kennen", sagte die junge Dame nun herzhaft. „Es ist die Bonne (Anm: veralteten Ausdruck für Kindermädchen) oder Gouvernante Ihrer Kinder." „Das stimmt. Das „Fräulein" ist jedoch ein wenig idealisirt, ich mache übrigens unter Freunden kein Geheimniß aus der Sachlage. Vor unnützem Gerede allerdings wollte ich die junge Dame schützen." Helmine machte eine zustimmende Handbewegung. Ob sie nun wirklich weiter berichtete oder weiter dichtete, vermochte Siegfried nicht zu unterscheiden. Gegen eine leichte Befangenheit ankämpfend, fuhr sie fort, indem sie die Goldpantöffelchen über ihre hübschen schlanken Hände zog. „Diese Märchenschuhe sind für Ihr Aschenbrödel bestimmt und Sie wollen Ihr Modell heute zum Künstlerfest bringen— als Ihre Braut."— Er sprang auf und verrieth durch diese hastige Bewegung, daß er sich getroffen fühle. Gezwungen lachte er auf. „Es ist sonderbar, wenn man etwas, was man unbestimmt dachte —" Sie unterbrach ihn. „Ich wußte, daß Sie mir grollen würden, ich Thörin hätte schweigen sollen." Rasch zog sie ihre Handschuhe an und stellte die Pantoffel auf ihren Platz. „Seien Sie nicht böse." sagte sie wieder unbefangen, „und ich würde mich freuen, Ihnen gratuliren zu können. Ein so süßes, sanftes, bescheidenes Wesen, das zudem schon Ihre Kinder betreut, das wird Sie vielleicht ganz glücklich zu machen vermögen. Denn noch sind Sie es nicht, trotz ihres großen Erfolges." Wie gut sie ihn verstand, sie, die so ganz Weltdame schien! Trotzdem, trotz alledem fühlte er sich ein wenig verletzt und beschämt, daß sie mehr von ihm wußte, als er selbst. Und sie schieden ein wenig kühl. Tief verstimmt blieb er zurück. Die Unklarheit seiner Lage war ihm schwer aus's Herz gefallen. In seiner mißlichen Lage hatte er kein Weib an sich binden wollen. Nun aber dachte er, es sei Zeit, seinem kleinen Mädchen eine Mutter zu geben. Aber sein Herz hatte nicht deutlich gesprochen. Zwar jenes stille, hübsche Mädchen, das die Kleinen erzog, hatte ihm sein Aschenbrödelbild eingegeben. Aber noch war zwischen ihm und ihr kein Wort von Liebe gefallen, kein Blick, keine Regung hatte ihre Seelen verbunden. Doch sagte er sich, sie müßte es sein, die schlechte Zeiten mit ihm durchgemacht und ihm jetzt, wenn auch ohne persönliches Verdienst zu besseren verholfen! Ihre überaus zierlichen Füßchen hatten ihm die AschenbrödelAnregung geboten. Er hatte die Goldpantöffelchen eingesteckt und lief jetzt rastlos in den dunkeln Straßen umher. Man erwartete ihn im Comite des Künstlerfestes; er dachte kaum daran, was der Festzug...
Erscheint lt. Verlag | 22.2.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch |
ISBN-10 | 3-99152-002-8 / 3991520028 |
ISBN-13 | 978-3-99152-002-3 / 9783991520023 |
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