Grüner wird's nicht (eBook)
320 Seiten
arsEdition GmbH (Verlag)
978-3-8458-5432-8 (ISBN)
William Sutcliffe ist der Autor von zwölf Romanen, darunter der internationale Bestseller 'Are You Experienced?' Seine Bücher wurden in 28 Sprachen übersetzt und sein Roman 'Whatever Makes You Happy'wurde 2019 von Netflix unter dem Titel 'Otherhood' als Feelgood-Komödie mit Starbesetzung (Patricia Arquette, Felicity Huffman und Angela Bassett) verfilmt. Sein vielbeachteter Jugendroman 'Auf der richtigen Seite' war 2015 für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert und stand auf der Shortlist für die die renommierte Carnegie Medal. Er lebt mit seiner Familie in Edinburgh.
Der Weltuntergang ist nicht unsere Schuld
Weshalb das ganze Drama um eine Siebzehnjährige, die mit einem Koffer und einem Schlafsack nach gegenüber geht?
Tja, die langweilige Straße in dem langweiligen Vorort, wo mein langweiliges Elternhaus steht, ist nicht mehr so langweilig und spießig, wie sie einmal war. Denn das Haus gegenüber, das früher sogar noch langweiliger als unseres war, ist eine Anlaufstelle für Klimakämpfer, Antikapitalisten, Naturschutzaktivisten, Außenseiter und Aussteiger aller Art geworden.
Wie das?
Na ja, um das auszuführen, müssen wir ein paar Jahre zurückgehen. Es scheint sich niemand mehr richtig erinnern zu können, wann die ersten Gerüchte über eine neue Startbahn für den Flughafen in der Nähe die Runde machten. Solange ich denken kann, wurde der Bau dieser Startbahn geplant, abgeblasen und dann doch wieder geplant. Es gab ständig irgendwelche endlosen Besprechungs- und Beratungsmarathons wegen drohender Abrissarbeiten, die zwischendurch aber auch nur nach unbedeutendem Dauerhintergrundrauschen klangen.
Rund ein Jahr vor dem bizarren Sommer, von dem ich berichten will, bekam die Startbahn schließlich grünes Licht. Eines Morgens – der zunächst wie jeder andere Morgen wirkte – schlenderte der Briefträger unbemerkt seine übliche Strecke entlang und stellte einen kleinen Stapel unauffälliger brauner Umschläge zu, die unsere Straße für immer verändern sollten.
An jenem Tag landeten zwanzig Briefe in zwanzig Briefkästen und teilten den Empfängerfamilien mit, dass man ihnen die Häuser abkaufen werde, ob sie wollten oder nicht, und dass diese anschließend abgerissen würden. Unser Haus blieb verschont. Die ganze gegenüberliegende Straßenseite war dem Abriss geweiht.
Während sich die andere Straßenseite nach und nach leerte und die Fenster mit Brettern vernagelt wurden, wuchs die öffentliche Empörung über das Vorgehen. Die Geschichte kam sogar in den Nachrichten, woraufhin sich das verlassene Haus gegenüber von unserem plötzlich wieder füllte. Und zwar mit Hausbesetzern: mit Flughafengegnern, Klimaaktivisten und – laut meinen Eltern – allen möglichen Leuten, die anscheinend dachten, es könnte ganz witzig sein, den lieben langen Tag in einem Abbruchhaus abzuhängen, statt loszuziehen und sich eine Arbeit zu suchen.
Es gibt da eine alte Redewendung: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. In meiner Straße sieht es bislang so aus, als wäre an dem Spruch in Wahrheit nichts dran. Die zutreffendere Version wäre wohl eher: Der Feind meines Feindes ist noch schlimmer als mein Feind, wenn er komische Klamotten trägt und aussieht, als würde er sich nicht waschen und bis spätnachts Krach machen.
Ja, seit die Hausbesetzer gegenüber eingezogen sind, wissen all die braven, langweiligen Leute auf meiner Straßenseite einfach nicht mehr, wen sie mehr hassen sollen. Einerseits wollen sie nicht, dass die Häuser ihrer Nachbarn abgerissen werden, damit dort der Zubringer zum neuen Frachtterminal gebaut werden kann. Andererseits wollen sie noch weniger, dass irgendwelche Spinner sie nachts mit Bongotrommeln wecken. Und erst recht wollen sie nicht, dass die eigene Tochter eine antikapitalistische Kommune besucht und dann womöglich feststellt, dass sie es dort ziemlich gut findet.
Deshalb sorgte der Umstand, dass ich meinen Schlafsack verliehen hatte (was ich zu jenem Zeitpunkt ehrlich gesagt tatsächlich nicht voll durchdacht hatte), für mehr als ein bisschen Verstimmung. Und deshalb hatte Mum auch Tränen in den Augen, als sie Dad mit stummer Erschütterung ansah – nur weil meine Schwester mit einem Koffer die Straße überquert hatte.
»Ich gehe da jetzt rüber«, beschließt Mum.
»Und was sagst du zu ihr?«, will Dad wissen.
»Was glaubst du wohl, was ich zu ihr sage? Ich sage ihr, dass sie wieder heimkommen soll.«
Dad macht ein skeptisches Gesicht.
»Hast du vielleicht eine bessere Idee?«
Er zuckt mit den Schultern.
»Du zuckst mit den Schultern? Wie kannst du in so einer Situation mit den Schultern zucken?«
»Ich bin einfach … Ich bin mir nicht sicher, ob das mit dem Heimkommen funktioniert.«
»Soll das heißen, dass wir sie dortlassen sollen?«
»Nein«, sagt Dad, »ich glaube einfach nur, dass es im Augenblick wohl nicht sehr wirksam wäre, ihr zu erzählen, was sie tun darf und was nicht.«
»Was schlägst du vor? Aufgeben und sie tun lassen, was sie will?«
»Nein, ich … Na ja, versuch dein Glück. Dann sehen wir ja, wie es läuft.«
»Danke für dein Vertrauen«, sagt Mum, marschiert durch die Haustür und schmettert sie hinter sich zu.
Sobald Mum weg ist, laufe ich nach oben und tue so, als würde ich schlafen gehen, lausche aber in Wirklichkeit auf das Geräusch der Haustür. Und als Mum wiederkommt – was überraschend schnell der Fall ist –, düse ich wieder nach unten, um mir anzuhören, was sie zu berichten hat.
»Und?«, fragt Dad, der vom Sofa aufgesprungen ist und ihr im Flur entgegengeht.
Mum hängt den Schlüssel an den Haken hinter der Tür und dreht sich langsam zu uns um. Sie ist kreidebleich, und die Nasenspitze ist weiß, wie immer, wenn sie versucht, so zu tun, als wäre sie nicht wütend.
Sie sieht uns an, als wären wir unendlich weit weg und kaum zu erkennen, und holt einmal tief Luft. »Es lief nicht gut.«
»Was ist passiert?«, fragt Dad.
»Also … Sie war ziemlich resolut. Ich habe es auf die nette Tour versucht und zu ihr gesagt, dass ich sie dafür bewundere, wie aufgeschlossen sie ist, und dass ich es gut finde, wenn sie sich auch mit Leuten aus anderen Gesellschaftsschichten anfreundet, dass sie sogar jederzeit rübergehen darf, zu ihrer eigenen Sicherheit aber zu Hause schlafen muss.«
»Und …?«
»Sie hat bloß gefragt, was ich denn mit ›anderen Gesellschaftsschichten‹ meine, und ich habe versucht, es ihr zu erklären. Allerdings hat ihr meine Erklärung nicht gefallen. Und dann hat sie mir einen Vortrag gehalten: warum ich ein Snob wäre und wie ignorant und blind ich wäre, weil ich keinen Schimmer hätte, wer diese Klimaaktivisten sind und worauf sie abzielen, und dass sie die Einzigen sind, die sich mit der größten Krise der Menschheitsgeschichte auseinandersetzen. Ich habe noch versucht, ihr klarzumachen, dass es mir nicht um das Ende der Welt geht, sondern nur darum, dass sie zu Hause übernachtet. Und daraufhin ist sie ausgerastet: weil ich ihr nicht zuhören würde und dass diese Unterhaltung das perfekte Beispiel dafür wäre, warum sie ausziehen musste. Als ich sie gefragt habe, was das denn bedeuten soll, hat sie nur gesagt, dass man mit mir nicht reden könnte. Ist das zu glauben? Als wäre ich diejenige, mit der man nicht reden kann!«
»Und was hast du dann gemacht?«, will Dad wissen.
»Ich habe ihr gesagt, dass sie noch nicht alt genug ist, um so eine Entscheidung allein zu treffen, und dass sie jetzt mit mir nach Hause kommen wird, ob sie will oder nicht.«
»Und …?«
»Na ja, ab da wurde es ein bisschen hitzig … Mal ehrlich, von wem hat sie dieses Temperament?«
Dad und ich weichen ihrem Blick aus.
»Dann … seid ihr jetzt wie verblieben?«, bohrt Dad weiter und geht schlichtweg über Mums Frage hinweg. »Dass es doch ihre Entscheidung ist?«
»Nein! Aber ich kann sie ja schlecht hinter mir herschleifen! Was hätte ich denn machen sollen? Ich weiß nicht, was mit ihr los ist. Sie ist so wütend.«
»Und weshalb?«
»Keine Ahnung! Wegen der weltweiten Klimakrise oder wegen uns – weil wir ihr alles vorschreiben? Über beides hat sie sich aufgeregt, aber ich glaube, das Hauptproblem sind wir.«
»Was haben wir denn verbrochen? Der Weltuntergang ist doch nicht unsere Schuld.«
»Tja, das scheint Rose anders zu sehen.«
»Wie soll das denn unsere Schuld sein?«
»Na ja, nicht unsere, aber die Schuld von Leuten wie uns.«
»Von Leuten wie uns?«
»Von unserer Generation. Wir sind anscheinend selbstgefällig und egoistisch und wir zerstören den Planeten.«
»Das ist doch lächerlich!«
»Da ist schon was dran«, werfe ich ein. »Ich meine, ganz unrecht hat sie ja wohl nicht?«
Mum und Dad starren mich an.
»Wir sind nicht selbstgefällig«, tut Dad es ab.
»Unternehmt ihr denn irgendwas? Gegen den Klimawandel?«, hake ich nach.
»Wir trennen Müll«, sagt Dad.
Ich applaudiere betont langsam.
»Hier geht es doch nicht um den Weltuntergang«, wiederholt Mum. »Den Planeten zu retten, ist nicht unsere Aufgabe. Unsere Aufgabe ist, unsere Tochter zu retten!«
»Wovor denn?«, frage ich sie. »Vor den Leuten gegenüber?«
»Ganz genau!«
»Was glaubst du denn, was sie ihr antun?«
»Sie ist zu jung«, wirft Dad ein. »Man zieht nicht einfach mit siebzehn aus einer spontanen Laune heraus bei den Eltern aus, und das auch noch, ohne sich zu verabschieden.«
»Wer sagt denn, dass es eine spontane Laune war?«, entgegne ich.
»Wir hätten erst darüber reden müssen«, sagt Mum.
»Und du glaubst, du hättest sie so davon abgebracht?«
»Ich hätte es zumindest versuchen können. Warum redet sie mit uns nicht darüber?« Mum dreht sich zu Dad um.
»Weil sie vielleicht dachte, ihr würdet nicht zuhören«, sage ich. »Sie dachte vielleicht, ihr würdet es ihr verbieten. Woher wisst ihr überhaupt, dass sie ausgezogen ist?«
»Das hast du uns doch selbst erzählt«, sagt Mum. »Sie hatte einen Koffer dabei.«
»Wisst ihr gar nicht, was für ein Tag heute...
Erscheint lt. Verlag | 27.2.2023 |
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Übersetzer | Leena Flegler |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch |
ISBN-10 | 3-8458-5432-4 / 3845854324 |
ISBN-13 | 978-3-8458-5432-8 / 9783845854328 |
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