Die Geschichtenwandler ? Magische Tinte (eBook)
320 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0445-5 (ISBN)
Kristen Perrin stammt ursprünglich aus Seattle, USA, wo sie viele Jahre als Kinderbuchhändlerin tätig war. Sie interessiert sich leidenschaftlich für Kinderliteratur und arbeitet gleichzeitig an Projekten für verschiedene Altersgruppen, von Bilderbüchern bis hin zu Jugendbüchern - alles, was lustig, magisch oder mysteriös zu sein könnte. Sie lebt mit ihrer Familie in Surrey im Süden Englands, wo sie gerne in Antiquariaten stöbert, mit ihren beiden Kindern im Schlamm herumstampft und zu viele Pflanzen sammelt.
Kristen Perrin stammt ursprünglich aus Seattle, USA, wo sie viele Jahre als Kinderbuchhändlerin tätig war. Sie interessiert sich leidenschaftlich für Kinderliteratur und arbeitet gleichzeitig an Projekten für verschiedene Altersgruppen, von Bilderbüchern bis hin zu Jugendbüchern – alles, was lustig, magisch oder mysteriös zu sein könnte. Sie lebt mit ihrer Familie in Surrey im Süden Englands, wo sie gerne in Antiquariaten stöbert, mit ihren beiden Kindern im Schlamm herumstampft und zu viele Pflanzen sammelt. Fabienne Pfeiffer, geboren 1990, studierte Anglistik, Amerikanistik und Germanistik mit Schwerpunkt Kinder- und Jugendliteratur in Frankfurt am Main. Seit 2016 übersetzt sie alles vom Bilderbuch bis zum Jugendroman aus dem Englischen, darunter Werke von Chris Colfer (Land of Stories) und Kelly Oram (Cinder & Ella), Ben Brooks und Lynette Noni sowie Sach- und Mitmachbücher für junge Leser*innen. Helge Vogt wollte als Kind Paläontologe werden. Irgendwann wurde ihm aber klar, dass er die Dinosaurier und Monster lieber zeichnet, als sie auszugraben. Er arbeitet als Illustrator und Comiczeichner für zahlreiche Verlage, unter anderem Disney, Le Lombard und Fischer Sauerländer. Seine preisgekrönte Comic-Serie Alisik ist in zahlreichen Ländern erschienen.
KAPITEL 1
Dies ist eine Geschichte über das Schreiben in Bücher. Nicht über das Schreiben von Büchern – Geschichten darüber gibt es schon so einige, und wer sich dafür interessiert, dem kann ich gern zeigen, wo man sie bei uns im Regal findet. Abteilung Biographien, rechte Ladenseite, hinter der eisernen Wendeltreppe, die hinauf in das gemütliche Dachgeschoss führt, in dem wir die Kinderbücher untergebracht haben.
An jenem Tag, als ich ihn zum ersten Mal sah, stand er mit hochgezogenen Schultern da und kritzelte eifrig in eine seltene Erstausgabe von Große Erwartungen, die mehr wert war als das Auto meiner Mum. Ich hatte bereits einen reichlich merkwürdigen Morgen hinter mir, und dabei war es noch nicht einmal zehn Uhr vormittags. Es war der Tag, an dem Mum mir zum ersten Mal erlaubte, im Laden ans Telefon zu gehen – was damit endete, dass ich mir selbst den Hörer ins Gesicht schlug. Zu meiner Verteidigung: Wir reden hier von einem altmodischen Schrottapparat, und der Hörer allein wiegt mehr als ich. Das ganze Ding steht neben der antiken Kasse und wirkt wie ihr etwas unkomplizierterer Cousin.
Es war außerdem der Tag, an dem ich mit einem angebissenen Bagel beworfen wurde, während ich in der Vorlesestunde aus einem Buch mit dem Titel Doktor Proktors Pupspulver vorlas. Ich verdiene mir mein Taschengeld damit, dass ich Aufgaben wie das Einsortieren von Büchern erledige oder eben den kleinen Kindern vorlese, und Mum sagt, die Kids fühlen sich ohnehin wohler mit jemandem, der erst zwölf ist, als mit einem fremden Erwachsenen. Jetzt habe ich einen halben Bagel, der das Gegenteil beweist.
Und zu guter Letzt war es auch noch einer jener Tage, an denen meine Großmutter in den Laden kam. Ihr Anblick löste in mir das plötzliche Bedürfnis aus, sofort nach dem Telefonhörer zu greifen, auf die unwahrscheinliche Chance hin, dass ich mich noch einmal selbst damit beinahe bewusstlos schlagen könnte.
Jedenfalls war ich in das neueste Buch von Renée Romanov vertieft, und sobald man mit einem davon anfängt, verfliegen die Stunden nur so, und man spürt kaum etwas davon. Alle sind Mordgeschichten, die im London zur Zeit des Zweiten Weltkriegs spielen, mit einer siebzehnjährigen angehenden Krankenschwester als Hauptfigur, die in Wirklichkeit eine Spionin ist. Als ich hochschaute und Grams’ Gesicht sah, das sich gegen die trübe Scheibe des Schaufensters presste, hätte ich beinahe aufgeschrien, und das Buch glitt mir aus den Händen. Grams hat ein Talent dafür, stumm und doch überfallartig aufzutauchen, ganz wie in diesen mit unheilvoller Musik unterlegten Horrorfilmszenen, in denen jemand einem tadellos ordentlichen Zimmer den Rücken zuwendet, nur um sich Sekunden später wieder umzudrehen und völliges Chaos vorzufinden.
Dazu kommt noch, dass sie auch keineswegs die typische herzige alte Dame ist. Sie hat breite Schultern und trägt einen grauen Pferdeschwanz, aus dem sich immer wieder einzelne Strähnen lösen und um ihr Gesicht streichen. Ich liebe sie von ganzem Herzen. Und zwar ohne jedes Aber! Sie verkörpert eine Million Dinge, die anderen Menschen unsympathisch sind, und für mich fühlt sich das wie Geborgenheit an. Wie ein Zuhause. Sie schreit und flucht und regt sich furchtbar über belanglose Dinge auf, zum Beispiel über die automatischen Ansagen in der U-Bahn oder kleine Ketchuptütchen aus Plastik. Meinen Freunden sind ihre Familien oft peinlich, aber ganz gleich, was meine Großmutter sagt oder tut, ich schäme mich nie für sie. Es gibt eine Menge Sachen, die ich an mir selbst nicht mag, aber was mich nie stören wird, ist, wie leicht es mir fällt, sie liebzuhaben.
Trotzdem weckt sie in mir manchmal den Drang, mir einen Telefonhörer ins Gesicht zu klatschen. Und vielleicht habe ich deshalb den Fremden mit der irren Schreibfeder erst bemerkt, als es bereits zu spät war. Gut möglich, dass das wütende Gezeter meiner Großmutter von draußen die Saiten meines dummen, überfürsorglichen Herzens zum Schwingen gebracht hat und ich deshalb blind war für das, was direkt vor mir passierte.
Bis Grams im Laden war, hatte ihr Geschimpfe sich in ein regelrechtes Wehklagen verwandelt, und ich wartete darauf, dass sie mir eröffnen würde, der Weltuntergang stehe kurz bevor.
»Was ist es heute, Grams?«, fragte ich ruhig, mit einem Stapel Zeitschriften im Arm, den ich in den Drehständer bei der Tür einsortieren wollte. Ich könnte Mum ein paar Pfund zusätzlich aus der Tasche leiern dafür, dass ich sie einräume, aber in Wirklichkeit tue ich gern so, als wäre es mein Buchladen und ich träfe hier alle Entscheidungen.
Ein neues Grüppchen Kunden brachte den Duft der geschäftigen Camden Street herein. Obwohl es noch früh am Tag war, herrschte eine mittsommerliche Hitzewelle, deshalb war es im Laden drückend heiß, und es stank nach muffigem Kebab. Was vermutlich auch daran lag, dass meine Mum versteckt in unserem kleinen Lagerraum einen muffigen Kebab zum Frühstück aß.
»Grams?« Ich zog eine Augenbraue hoch, gespannt auf ihr heutiges Problem: ob ihr der Klettverschluss zu kratzig war oder es um etwas Übleres ging. Meeresfrüchte, zum Beispiel.
»Die Farbe Rot«, sagte Grams, und ihre raue Stimme bebte. Ihr heiseres Organ verdankt sie dem jahrelangen Rauchen. »Es gibt einfach zu viel davon. Bald wird sie überall sein.«
»Nicht schon wieder die Ketchuptütchen«, seufzte ich, nahm sie am Ellenbogen und bugsierte sie in einen der Stühle, die bei uns im Laden stehen – einen rostroten Sessel aus den sechziger Jahren, auf dem sie dann thronte wie die Königin all der schrägen Ideen, die man besser schnell wieder vergisst.
»Mehr als nur die, Enna!«, sagte sie, sprang wieder auf und rüttelte an meinem Arm. »Früher waren sie nie rot! Weiß, sie waren immer weiß. Mit einer kleinen Abbildung einer roten Tomate darauf.« Sie kniff vor mir in der Luft die Finger zusammen, als könnte dazwischen jeden Moment eine winzige Tomate erscheinen.
»Das haben wir doch schon besprochen. Wahrscheinlich hat die Herstellerfirma einfach das Design verändert.«
»Nein, hat sie nicht. Der Ketchup hat die Verpackung verändert.«
»Ich bin ziemlich sicher, dass Ketchup keinerlei derartigen Kräfte besitzt, Grams. Nicht einmal wenn er von einer total verwirrten radioaktiven Spinne gebissen wurde.«
»Warte nur ab, bald wird alles rot sein, zu viel Rot … warum nicht Blau? Grau ist auch hübsch …« Ihre Stimme verlor sich in einem Murmeln, und sie schüttelte den Kopf, als könnten Farben einem einfach den letzten Nerv rauben.
Ich machte mich daran, die Zeitschriften in den Ständer zu sortieren, und behielt sie dabei mit einem Auge halb im Blick. Selbst an guten Tagen war sie ein bisschen versponnen, doch das hier ging über ihre üblichen Anwandlungen hinaus. Mum hockte mit ihrem höchst ungesunden Frühstück noch immer im Lagerraum und kümmerte sich vermutlich um die Buchhaltung. Würde ich aber rufen, käme sie sofort herausgerauscht, um Grams zu helfen.
»Grams, vielleicht können wir die Ketchuptütchen einfach unter ›Dinge, die dich in letzter Zeit aufregen‹ ablegen? Du weißt schon, zusammen mit all den anderen Sachen, die offenbar nur dir auffallen?«
Sie warf mir einen entnervten Blick zu, sank aber wieder in die Sesselpolster.
»Schau mal!« Ich zog einen Comic aus dem Stapel Zeitschriften, den ich noch im Arm hielt. »Einer der Comics ist hier hineingerutscht …« Ich wedelte damit vor ihrer Nase, ließ den dünnen Band hüpfen und flattern, als wäre er lebendig und wollte unbedingt und um jeden Preis gelesen werden. »Du liebst doch Batman.«
»Oooh, Batman liebe ich wirklich«, meinte sie langsam und nahm ihn mir aus der Hand. Sie wirkte noch immer ein wenig verschnupft, aber ich konnte beobachten, wie ihr Ärger verflog, während die Geschichte sie in ihren Bann zog. Ab und an zuckte ihr Gesicht glücklich beim Lesen, als erinnerte sie sich gerade an etwas. Ich lächelte ebenfalls und wandte mich wieder den restlichen Magazinen zu.
Und in diesem Moment fiel mir der dunkelgrüne Seidenzylinder auf dem Fußboden ins Auge. Er war abgenutzt, als stammte er geradewegs aus einem Roman von Charles Dickens. Nicht dass ich einen davon gelesen hätte. In Oliver Twist habe ich einmal hineingeblättert und dabei festgestellt, dass auf den ersten dreihundert Seiten kaum etwas passiert. So viel Geduld besitze ich nicht. Bei meinem aktuellen Buch von Renée Romanov springt einem der Mordfall auf der ersten Seite ins Gesicht, und ehe man sich’s versieht, hat man die nächsten fünfzig Seiten und gut zwölf überraschende Wendungen durchpflügt. Wer aber seine Kindheit in einem Buchladen verbringt, dem gehen die charakteristischen Motive bestimmter Autoren automatisch in Fleisch und Blut über.
Zuerst dachte ich mir nicht viel dabei, denn ein solcher Hut würde auch auf dem Kopf eines Hipsters aus Camden nicht sonderlich fehl am Platz wirken. Doch als ich eine dunkelgrüne Feder etwa in Hüfthöhe hinter einem Regal hervorragen sah und ein merkwürdiges kratzendes Geräusch hörte, das zu ihren seltsamen geschwungenen Bewegungen zu gehören schien, legte ich die Zeitschriften ab und marschierte darauf zu.
Eine kleine weiße Karte klemmte unter dem Zylinderband, ganz im Stil des verrückten Hutmachers aus Alice im Wunderland, und ich wäre einfach daran vorbeigelaufen, hätte nicht etwas meine Aufmerksamkeit erregt: Auf der Karte prangte eine Aufschrift in geschwungenen grünen Buchstaben, und im Licht glitzerte sie beinahe...
Erscheint lt. Verlag | 15.3.2023 |
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Reihe/Serie | Die Geschichtenwandler | Die Geschichtenwandler |
Illustrationen | Helge Vogt |
Übersetzer | Fabienne Pfeiffer |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Bibliophil • British Library • Camden Town • Clio • Cornelia Funke • Emerald Ink Society • Geheimbund • griechische Mythologie • Hyde Park • London • Magie • Magische Bücher • Muse der Geschichte • Musen • Peter Pan • Tintenfass • Tintenherz • Visitenkarte |
ISBN-10 | 3-7336-0445-8 / 3733604458 |
ISBN-13 | 978-3-7336-0445-5 / 9783733604455 |
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