Die Tierwandler 1: Unser Lehrer ist ein Elch (eBook)
192 Seiten
Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
978-3-522-61123-7 (ISBN)
Martina Baumbach wurde 1969 geboren. Mit ihrer Familie lebt sie in München. Für ihr Erstlingswerk bekam sie das Literaturstipendium der Stadt München, für »Die Tierwandler - Unser Lehrer ist ein Elch« wurde sie in der Kategorie 6-10 Jahre mit dem Leipziger Lesekompass 2021 ausgezeichnet.
Am nächsten Morgen war Merle hundemüde. Sie war noch lange draußen gewesen und hatte über die Begegnung mit der Eule nachgedacht. Wenn ihre Mutter sie nicht dreimal geweckt hätte, hätte sie glatt am ersten Schultag verschlafen.
Sie nahm den Weg am Flussufer entlang. Auf dem ruhig dahinfließenden Wasser dümpelten ein paar Enten und ein Schwan. Um diese Zeit war hier wenig los. Vor einer der Parkbänke flatterten braun-graue Vögel herum und pickten Krümel aus dem Kies. Einem der Vögel fehlte ein Zeh, doch er sprang genauso herum wie die anderen.
»Arme kleine Meise«, sagte Merle mitfühlend. »Du hast dich bestimmt bei einem Kampf verletzt.«
Mit klopfendem Herzen wartete sie. Ob die Meise ihr antworten würde? Doch sie nahm keine Notiz von ihr und pickte einfach weiter.
»Willst du mir nichts sagen?«, fragte Merle hartnäckig. »Zu irgendwas, das mir heute in der Schule passiert?«
Ihr Herz klopfte noch wilder. Doch der Vogel blieb stumm. Scheinbar war heute alles wieder normal. Schade, eigentlich würde sie gerne mit Tieren reden können.
»Ich bin übrigens keine Meise, sondern ein Spatz«, belehrte sie plötzlich der Vogel. »Du hast offenbar nicht viel Ahnung von Tieren.«
Merle erstarrte. Er hatte doch mit ihr gesprochen. Ihr wurde ganz heiß. »Nö … ehrlich gesagt … nicht besonders viel«, stammelte sie aufgeregt. Vorsichtig kniete sie sich zu ihm auf den Boden. War es am Ende doch wahr? Konnte sie mit Tieren reden?
Doch wie auf ein geheimes Zeichen hin flogen plötzlich alle Vögel in die Luft. Merle sah dem Schwarm zu, wie er sich laut lärmend in den Bäumen verteilte. »Was ist mit deinem Zeh passiert?«, rief sie dem Spatz nach.
Da kicherte es hinter ihr.
Merle stöhnte. Das war ja klar. Vor lauter Meisen oder Spatzen hatte sie nicht aufgepasst, was um sie herum passierte. Als sie sich umdrehte, standen da Luzie und ihr Fan-Klub. Die drei kringelten sich vor Lachen. Sie mussten alles mitangehört haben.
»Was ist denn mit der los?«, prustete Elisa.
»Vielleicht sind das ihre Freunde«, spottete Luzie schulterzuckend, als wäre Merle ein hoffnungsloser Fall.
»Arme kleine Meise«, gackerte Alina.
Merle ärgerte sich – am meisten über sich selbst. Ihre Fantasie spielte ihr einen Streich und sie glaubte es auch noch. Menschen und Tiere konnten nicht miteinander sprechen. Das wusste doch jeder. Basta.
In diesem Moment fegte ein klappriges Fahrrad mit Karacho um die Kurve. Es schlingerte einen Augenblick, und bevor Merle aus dem Weg springen konnte, spritzte der Kies in hohen Fontänen auf. Das war eine Vollbremsung in letzter Sekunde. Ein Junge mit strubbeligen haselnussbraunen Haaren hielt genau einen Zentimeter vor ihren Füßen.
»Geht’s noch?«, fragte Merle, obwohl die Aktion ziemlich cool gewesen war. Trotzdem, der Junge hätte sie fast über den Haufen gefahren.
»Alles klar?«, fragte er Merle und zeigte auf Luzie und ihre Freundinnen. »Brauchst du Hilfe?«
Merle schüttelte den Kopf. »Nee«, brummte sie. »Von einem Jungen, der nicht mal Rad fahren kann, schon gar nicht.« Was bildete der sich ein? Gegen die drei kam sie auch alleine an.
»He, ich kann Rad fahren«, wehrte der Junge sich lachend. »Hab ich dich umgefahren oder nicht?«
Merle schnaubte. Mann, der Typ war echt nervig.
»Okay, dann nicht«, sagte der Junge und hob die Hände, als würde er sich ergeben. »Ich muss sowieso weiter.« Er rückte das Rad zurecht, trat in die Pedale und flitzte weiter flussabwärts.
»Auf Nimmerwiedersehen«, brummte Merle, obwohl er vielleicht doch ein winziges bisschen nett war.
Hinter der nächsten Parkbank bog Finn ab und überquerte auf der schmalen Brücke den Fluss. Der Fahrtwind rauschte in den Ohren. Er kannte sich schon ziemlich gut aus hier. Nach dem Rathaus ging es links um den Brunnen und dann gleich rechts in die Hechtseestraße.
Etwas außer Atem stieß Finn das schiefe Gartentor mit der Nummer 22 auf. Er lehnte das Rad an den ebenso schiefen Zaun und lief über die kaputten Steinplatten zum Haus.
»Oma, ich hab Brötchen geholt!«, rief er, als er in den Flur trat.
Niemand antwortete. Bestimmt schlief seine Oma noch. Doch als er in ihr Zimmer guckte, war das Bett leer. Er
suchte weiter und fand sie weder im Bad noch in der Wohnküche. Da hörte er aus dem Keller ein Rumpeln und gleich darauf ein Fauchen. Finn dachte zuerst an Einbrecher. Doch die Geräusche klangen eher wie ein Bär, der nach Vorräten suchte. Was war dort unten los?
Die Tür zum Keller stand offen. Finn drückte den Lichtschalter, aber es blieb dunkel. Finn seufzte, das Kellerlicht musste auch auf die Reparaturliste. Vorsichtig tastete er sich Stufe für Stufe nach unten. Die Geräusche wurden lauter und etwas fiel mit Getöse zu Boden. Im nächsten Augenblick ertönte erneut ein angriffslustiges Schnauben, darauf ein hohes Quieken und schließlich war es still.
»Oma?«, flüsterte Finn und versuchte, im schummrigen Licht, das durch die offene Hintertür fiel, etwas zu erkennen. Ihm war, als ob eben noch ein borstiges Hinterteil mit einem abstehenden Schwänzchen eilig durch die Hintertür verschwunden war.
»Finn!«, erklang erschrocken die Stimme seiner Oma. »Wie lange stehst du schon hier?« Sie tauchte aus dem Schatten neben der Werkbank auf.
»Was ist denn hier los?«, fragte Finn. »Geht’s dir gut?«
»Och, hab nur was gesucht«, sagte seine Oma ausweichend. Sie hob den schweren Gartenspaten vom Boden auf und lehnte ihn gegen die Wand. »Komm, lass uns frühstücken.«
»Etwas gesucht?«, fragte Finn ungläubig. »Das hörte sich an wie ein Kampf auf Leben und Tod.«
»Ach das … das war nur eine Maus.« Finns Oma kicherte leise und stieg die Kellertreppe hinauf. Dabei rieb sie sich unauffällig die Schulter. »Die kommt nicht wieder. Hab ihr gesagt, dass sie woanders nach Futter gucken soll.«
Finn schüttelte verwundert den Kopf und folgte ihr in die Küche. Seine Oma liebte Tiere, das würde sie nie machen. In der früheren Wohnung hatten sie ständig Ärger mit den Nachbarn, weil sie angeblich zu laut waren und es komisch gerochen hätte. Was an den vielen Tieren lag, die seine Oma immer aufpäppelte und später wieder auswilderte. Und jetzt sollte sie eine Maus verjagt haben? Hier stimmte was nicht.
Doch darüber konnte er gerade nicht nachdenken. In drei Minuten fing die Schule an und er wollte zum Gong wenigstens auf dem Schulhof sein. »Ich muss los«, sagte er und schnappte sich ein Brötchen. Gut, dass die Schule nur zwei Straßen entfernt lag.
Als Finn auf dem Rad saß, drehte er sich noch mal um und winkte seiner Oma. Hätte er es nicht so eilig gehabt, wäre ihm vielleicht das altmodische Motorrad an der Hintertür aufgefallen, das kurz darauf von dort startete.
Merle betrat den Schulhof der Bärenfeldschule. Dort war die Hölle los. Überall begrüßten sich ausgelassen Schüler und Schülerinnen und erzählten sich von ihren Ferienerlebnissen. Man verstand kaum sein eigenes Wort.
Hausmeister Ploschke schwirrte mit wichtiger Miene umher. »In Zweierreihen, bitte!«, rief er ständig. »Nicht schubsen, nicht drängeln.« Aber natürlich hörte niemand auf ihn. Außer vielleicht die neuen Erstklässler, die mit ihren viel zu großen Schulranzen und Schultüten schüchtern dicht bei ihren Eltern standen.
Oskar und Josh winkten Merle zu. Als sie sich zu ihnen durchgekämpft hatte, redeten beide fast gleichzeitig.
»Ich hab Oma und Opa auf dem Bauernhof im Schwarzwald besucht«, erzählte Josh. »Dort durfte ich den dicken Bullen halten.«
»Ich war auf dem Vesuv«, posaunte Oskar. »Ich hab dem Vulkan direkt in sein Feuer spuckendes Maul geschaut.«
Merle lachte. Oskar übertrieb meistens. Bestimmt war er nur wieder in Österreich wandern gewesen. »Ich war mit meinen Eltern im Sporthotel«, berichtete sie und verdrehte die Augen. »Echt anstrengend.«
»Wir haben einen Neuen in unserer Klasse«, tönte Einsteins Stimme über den Hof. Er hatte sich die Schultreppe zu den ausgehängten Klassenlisten hinaufgekämpft.
Eigentlich hieß er Rufus, den Spitznamen hatte er sich selbst gegeben. Als Witz, weil er das krasse Gegenteil von Einstein war. Es war nämlich immer ziemlich unsicher, ob seine Noten gut genug waren für die nächste Klasse.
Merle sah sich um, ob sie den Neuen irgendwo entdecken konnte. Aber das Gewimmel auf dem Schulhof war zu groß.
»Das neue Schuljahr wird obercool!«, verkündete Oskar. »Wir sind endlich in der Vierten.«
»Ja, wir sind die Bosse«, bestätigte Josh und zeigte seine Muskeln, falls jemand daran zweifeln sollte. »Ab heute geht’s rauf ins Balkonzimmer.«
In der Bärenfeldschule war es Tradition, dass die Vierten die beiden Balkonzimmer im Obergeschoss bekamen.
»Wir dürfen eh nicht auf den Balkon«, warf Luzie gelangweilt ein. Mit Alina und Elisa im Schlepptau zog sie an Merle, Josh und Oskar vorbei. Die beiden stimmten ihr zu, wie meistens.
»Dürfen«, schnaubte Oskar grinsend. »Wir sind die Vierten, wir erlauben es uns einfach selbst.«
»Genau!«, bestätigte Merle und dachte einen Augenblick an die Prophezeiung der Eule. Vielleicht war dieses Jahr wirklich alles anders. An der Kastanie in der Mitte des Schulhofs entdeckte sie Tiffy, die Schulkatze. Ein großes weiß-grau-getigertes Tier mit langem seidigem Fell. Tiffy hatte das Treiben beobachtet, sprang nun mit einem geschmeidigen Satz auf den Boden und lief die Stufen zum Haupteingang hinauf. Dort schlüpfte sie durch die Katzenklappe, die in der Eingangstür eingelassen...
Erscheint lt. Verlag | 25.11.2021 |
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Reihe/Serie | Die Tierwandler | Die Tierwandler |
Illustrationen | Imke Sönnichsen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Formwandler • Freundschaft • Geschenk • Illustrierte Bücher • Jungen • Kinderbuch ab 8 • lustige Bücher für Kinder • Mädchen • Magie Buch • Magische Bücher • Tiere • Tiere Geschichten • Tiere Kinderbuch |
ISBN-10 | 3-522-61123-3 / 3522611233 |
ISBN-13 | 978-3-522-61123-7 / 9783522611237 |
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