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Wir sind Wölfe (eBook)

Ein berührender Roman über eine Flucht im Zweiten Weltkrieg
eBook Download: EPUB
2022
352 Seiten
cbj (Verlag)
978-3-641-28585-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wir sind Wölfe - Katrina Nannestad
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Manchmal ist es gut, wild zu sein. Manchmal muss man es sogar sein.
Liesl hat ihrer Mama versprochen, auf Otto und Mia aufzupassen. Sie ist die Älteste, sie hat die Verantwortung. Um nicht der Roten Armee in die Hände zu fallen, schlagen sich die drei Geschwister im bitterkalten Winter alleine durch die Wälder und Sümpfe Ostpreußens, immer auf der Suche nach Nahrung und einem Unterschlupf für eine Nacht. Als sie eines Tages auf drei verwahrloste Jungen stoßen, die ihnen vom Kriegsende und dem Tod Hitlers erzählen, sind es auch diese drei, die Liesl die Augen öffnen: »Ihr seid wild, Wölfe wie wir.« Und Liesl muss den Jungen recht geben. In einer Welt, in der Kinder auf sich allein gestellt auf der Flucht sind, müssen sie zu Wölfen werden, um zu überleben. Wölfe lassen sich nicht erwischen. Wölfe geben aber auch nicht auf. Und manchmal geschieht ein Wunder.

Ein spannender Kinderroman über das bewegende Schicksal der Wolfskinder

Katarina Nannestad ist eine preisgekrönte australische Autorin. Sie wuchs im ländlichen New South Wales auf und war als Lehrerin tätig. Am liebsten aber geht sie ihrer Liebe zu Geschichten nach. Das Schicksal der »Wolfskinder« hat sie so tief bewegt, dass sie mit »Wir sind Wölfe« ein Zeichen gegen das Vergessen setzen wollte. Nannestad lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Bendigo.

Kapitel 1


»Hitler ist eine Kröte.«

Unsere gesamte Familie hat sich anlässlich des großen Moments im Salon versammelt – Mama, Papa, Oma, Opa, Otto, Mia und ich – und gerade jetzt muss Otto mal wieder durchdrehen.

»Hitler ist eine Kröte!«, schreit er noch einmal.

Mama springt vor und presst die Hand auf Ottos Mund, aber Otto stößt sie weg und brüllt noch lauter: »Hitler ist eine Kröte! Eine dicke, fette Kröte voller Warzen!«

Jetzt presst sich Mama selbst die Hand auf den Mund.

Papa steht in seiner Uniform mitten zwischen uns. Er ist immer noch Papa, aber von heute an ist er auch Soldat Erich Wolf. Er ist einberufen worden und muss jetzt in der deutschen Wehrmacht dienen. Das kann Otto einfach nicht ertragen.

Wir können es alle nicht ertragen. Aber Otto ist erst sieben und er versteht nicht, warum wir Opfer bringen müssen. Für Deutschland. Für unseren geliebten Führer Adolf Hitler. Und er weiß noch nicht, wie man seine Wut, seine Trauer und seine Angst in sich verschließt.

»Hitler ist eine Kröte!«, schreit er noch einmal.

Papa lässt seinen Rucksack auf den Boden fallen. »Otto!«, schimpft er. »Du darfst Hitler nicht beschimpfen. Niemals!«

»Es ist gefährlich!«, flüstert Mama.

»Schrecklich gefährlich«, zischt Oma.

»Und falsch«, füge ich hinzu. »Wir lieben Adolf Hitler.«

Papa runzelt die Stirn.

Mamas Hand rutscht von ihrem Mund auf ihre Brust.

Opa grunzt verächtlich. In letzter Zeit grunzt er immer öfter so. Vielleicht hat er auch nur eine Erkältung, die nicht weggehen will.

Mia kichert und sagt: »Bu! Bu!« Sie ist erst anderthalb und »Bu« sagt sie im Moment am liebsten. Sie versucht »Bumm! Bumm!« zu sagen – das ist nämlich das Wort, das Otto im Moment am häufigsten benutzt.

Otto spielt andauernd Krieg und tut so, als würde er irgendetwas in die Luft sprengen. Das tun alle Jungs. Otto findet den Krieg und Schlachten und Panzer und Flugzeuge und Soldaten toll. Nur jetzt im Moment nicht. Nicht, wenn unser eigener Papa derjenige ist, der Soldat wird und von zu Hause wegmuss.

Otto stemmt die Hände in die Hüften und funkelt uns an.

»Wenn Hitler so toll ist, warum hängt denn dann sein Foto mit dem Gesicht zur Wand?«

Ich werfe einen Blick auf die Stelle an der Wand über dem Esstisch, an der Hitlers Foto hängt. Otto hat recht! Unser geliebter Führer sieht die Tapete an! Er sollte doch voller Güte und Liebe in unseren Salon blicken, wie bei allen anderen Familien auch. Tut er aber nicht. Er ist zur Wand gedreht. Wer macht denn so etwas?

Otto und ich sehen Papa an. Papa sieht Opa an.

Opa zuckt mit seinen mageren alten Schultern und gesteht: »Ich habe Hitlers Porträt zur Wand gedreht.«

»Aber warum?«, frage ich.

»Weil …«, fängt Opa an.

Mama und Oma funkeln ihn an.

»Weil …«, Opa kratzt sich im Nacken, »weil ihr Kinder die schlechtesten Tischmanieren in ganz Ostpreußen habt!«

Otto runzelt die Stirn.

»Otto!«, ruft Opa. »Du lässt beim Kauen den Mund so weit offen stehen, dass ich deinem Essen nachschauen kann, bis es dir in den Magen gerutscht ist. Ein grauenvoller Anblick! Ich möchte nicht, dass unser geliebter Führer Adolf Hitler das erdulden muss. Schlimm genug, dass deine Mama und deine Oma es aushalten müssen.«

»Das stimmt«, sagt Oma. »Dein Papa war genauso, als er ein kleiner Junge war.«

Otto errötet, aber seine Mundwinkel zucken.

»Und Mia!«, seufzt Opa. »Meine Güte! Ich habe noch nie ein Baby gesehen, das sich so viel Haferbrei und Kartoffelpüree in die Haare geschmiert hat. Adolf Hitler sollte nicht zusehen müssen, wie sich ein wunderhübsches kleines Mädchen in etwas verwandelt, das so aussieht, als käme es aus dem Schweinetrog!«

Mia sieht auf, als sie ihren Namen hört: »Mia!«

»Und Liesl!«, grollt Opa. Er verdreht die Augen und schlägt sich mit der Hand auf die Stirn. »Wenn du dein Essen schneidest, spreizt du die Arme ab und wedelst so heftig mit den Ellbogen, dass du wie ein Huhn aussiehst. Ich fürchte jedes Mal, du könntest losfliegen. Eine Elfjährige, die sich wie ein albernes Huhn benimmt. Sollen wir unserem geliebten Führer wirklich einen so unschönen Anblick zumuten?«

Jetzt kichern Otto und ich.

Mama nickt Opa zu. Opa geht zu dem Bild und dreht es wieder nach vorn. Jetzt blickt Adolf Hitler wieder auf uns herunter.

»Also, Kinder«, sagt Papa mit ernster Miene. »Vorbildliches Benehmen, solange ich weg bin. Achtet auf eure Manieren. Wascht euch hinter den Ohren. Und keine unhöflichen Bemerkungen mehr über den Führer.«

Opa grunzt wieder.

»Papa«, gurrt Mia.

Papas Strenge schmilzt sofort dahin. Er sinkt in die Knie und breitet die Arme aus. Otto und ich laufen auf ihn zu. Mia taumelt hinterher. Selbst Mama schließt sich an. Papa legt die Arme um uns, bis wir ein Papa-Liesl-Otto-Mia-Mama-Knäuel sind. Das sind wir am allerliebsten: ein einziges Knäuel.

Ich presse meine Nase in Papas Mantel und atme tief ein. Ich liebe Papas Geruch. Er riecht nach Seife und Schnaps und Muskatnuss. Aber jetzt, in diesem Moment, mischt sich etwas Neues in den Geruch, etwas Bitteres, wie Essigzwiebeln. Papa riecht nach Kummer.

»Wir kommen zurecht, Papa«, murmle ich gegen seine Brust. »Wir werden uns vorbildlich benehmen.«

»Ja, Papa«, flüstert Otto. »Ich werde Hitler nicht beschimpfen und ich werde von jetzt an beim Kauen den Mund zulassen.«

Mia kichert – ein blubberndes Babykichern, in das ich gerne einstimmen würde.

Aber Papa riecht noch immer nach Essigzwiebeln.

»Bitte, Papa«, flehe ich, »sei nicht traurig. Bald ist der Krieg zu Ende und dann kommst du nach Hause und wir feiern ein riesiges Fest.«

»Ja. Ja!«, stimmt Papa zu.

Das Knäuel zerfällt. Papa küsst Mama auf beide Augenlider. Sein Mund streift Omas Stirn. Und zuletzt schüttelt er seinem Vater die Hand.

Opa reicht das offenbar nicht, denn er zieht Papa an der Hand näher heran, bis sie sich in den Armen liegen und ihre Wangen aneinanderschmiegen, sodass ihre Tränen sich vermischen.

Und dann ist Papa weg.

Otto und ich rennen ans Fenster und ich schlüpfe hinter den Vorhang. Wir stützen uns auf den Fenstersims und sehen zu, wie Papa die Straße hinuntergeht. Sein frisch geschnittenes Haar sträubt sich unter der Soldatenmütze. Der rechte Fuß, den er hinter sich herzieht, bleibt immer wieder an einem Pflasterstein hängen. Schuld ist Papas kaputtes Bein – er ist damit unter ein Pferd geraten, als er noch ein kleiner Junge war. Wegen dieses Beins ist er nicht Soldat geworden. Jedenfalls bis heute: Oktober 1944. Nach so vielen Kriegsjahren.

Otto lehnt sich an mich, wie er es immer tut, wenn er traurig ist. Ich lege meinen Arm um ihn und drücke ihn an mich.

Wir beobachten, dass Papa mitten auf der Straße stehen bleibt. Andere Dorfbewohner schließen sich ihm an – all diejenigen, die jetzt doch noch einberufen wurden und der glorreichen deutschen Wehrmacht dienen sollen: Es sind Herr Wagner, dem an einer Hand drei Finger fehlen, Herr Schmidt mit dem Glasauge und Jakob, der drei Häuser weiter wohnt. Jakobs Uniform ist zu groß. Sie ist für einen erwachsenen Mann angefertigt, aber Jakob ist ein magerer Sechzehnjähriger. Mit seinen flatternden Ärmeln, die ihm bis über die Fingerspitzen reichen, sieht er aus wie eine Vogelscheuche.

»Vier neue Soldaten«, sage ich. »Schau!«

»Nein, fünf!«, ruft Otto. »Sieh mal, Hitler möchte sogar Herrn Beck in seiner Armee haben!« Otto wendet sich mir mit weit aufgerissenen blauen Augen zu. »Herr Beck ist uralt, Liesl – fast so alt wie Opa! Und stocktaub!«

Otto hat recht. Herr Beck ist Uhrmacher und ich vermute, all das Ticken und Läuten hat sein Trommelfell abgenutzt. Vor ein paar Tagen habe ich ihn gegrüßt, als ich an seinem Laden vorbeigekommen bin, und er hat erwidert: »Ja, ja, das Geschäft läuft schlecht.«

Wir sehen zu, wie Herr Beck Papa keuchend und schnaufend einholt. Papa stützt den alten Mann, bis er wieder Luft bekommt. Und dann verschwinden Hitlers fünf neue Soldaten am Ende der Straße – drei alte Männer, ein Junge und ein humpelnder Papa. Bald werden sie alle Helden sein – wenn Deutschland den Krieg erst einmal gewonnen hat.

»Hans und Wolfgang spielen draußen«, ruft Otto. Er schlüpft durch die flatternden Vorhänge hindurch wieder ins Schlafzimmer. »Mama! Mama! Darf ich draußen spielen?« Ottos Traurigkeit kann so schnell in Fröhlichkeit umschlagen.

Mama blinzelt, als müsste sie sich erst daran erinnern, wo sie überhaupt ist. »Natürlich«, sagt sie mit belegter Stimme. »Nimm Mia mit. Ihr Wagen steht neben der Tür. Ein bisschen frische Luft wird euch beiden guttun.«

Otto reißt Mia vom Boden hoch und rennt mit ihr in den Flur. Mia quiekt vor Freude und vor Schreck, als er sie in ihren Wagen stopft und mit ihr die Treppen zur Straße hinunterpoltert. Ich bleibe am Fenster stehen und sehe zu, wie er zu Hans und Wolfgang hinüberläuft und dabei den Kinderwagen vor sich herschiebt und Panzergeräusche macht.

»Tschack, tschack, tschack!«, schreit er. »Bumm! Bumm! Bumm!«

Mia kichert und kreischt: »Bu! Bu! Bu!«

Ich trete hinter dem Vorhang hervor. Mama und Oma sind in der Küche verschwunden. Sie machen Mittagessen. Opa ist in den Keller gegangen, um...

Erscheint lt. Verlag 21.2.2022
Illustrationen Martina Heiduczek
Übersetzer Bettina Obrecht
Sprache deutsch
Original-Titel We are Wolves
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Kinderbücher bis 11 Jahre
Schlagworte 2022 • 2. Weltkrieg • ab 10 • Der Junge im gestreiften Pyjama • eBooks • Flucht • Heimatlos • Hitler • Hoffnung • Kinderbuch • Kinderbücher • Litauen • Mitmenschlichkeit • Neuerscheinung • Ostpreußen • Rote Armee • Vertreibung • Waisenkinder • Weltkrieg • Wolfskinder • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-641-28585-2 / 3641285852
ISBN-13 978-3-641-28585-2 / 9783641285852
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