Vincent und das Großartigste Hotel der Welt (eBook)
240 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-43964-0 (ISBN)
Lisa Nicol ist Schriftstellerin und Dokumentarfilmerin. Ihr erstes Kinderbuch >Dr Boogaloo and The Girl Who Lost Her Laughter< wird gerade verfilmt. Ein Drehbuch für >Vincent und das Großartigste Hotel der Welt< ist ebenfalls in Planung. Sie lebt mit ihren Kindern an der australischen Südküste.
Lisa Nicol ist Schriftstellerin und Dokumentarfilmerin. Ihr erstes Kinderbuch ›Dr Boogaloo and The Girl Who Lost Her Laughter‹ wird gerade verfilmt. Ein Drehbuch für ›Vincent und das Großartigste Hotel der Welt‹ ist ebenfalls in Planung. Sie lebt mit ihren Kindern an der australischen Südküste.
Kapitel 1
Dieser Moment
Und so begab ER sich.
Auf einem geschäftigen Markt, in einer geschäftigen Straße.
Florence und Rupert, der Empfangschef des Hotels, waren auf der Suche nach einem Schuhputzer für ihre Hotelgäste, denn die hatten nicht die Absicht, diese Aufgabe selbst zu erledigen.
An genau diesem Morgen war Vincents Großvater gestorben. Er hatte so gut wie nichts besessen; das Einzige, was er hinterließ, war eine Schuhputzkiste. Er hatte Vincent immer erzählt, dass diese Schuhputzkiste Zauberkraft besaß. »Hat mich um die ganze Welt und zurück gebracht, diese Kiste. Hätte niemals deine Großmutter kennengelernt, wenn dieses gewöhnlich erscheinende Schuhputzzeug nicht gewesen wäre. Und dann, mein lieber Vincent, gäbe es auch dich nicht. Du hättest nie die Chance bekommen, dich dieses wunderbaren Lebens zu erfreuen. Also! Wie lässt sich das anders erklären als durch Zauberkraft?«
Nicht viele Leute würden Vincents Leben als wunderbar bezeichnen, doch so war Vincents Familie. Sie freuten sich an den kleinen Dingen. Es blieb ihnen auch gar nichts anderes übrig. Große Dinge gab es nicht. Weder große Ereignisse noch Abenteuer oder Auszeichnungen. Zumindest nicht bis zu DIESEM MOMENT.
»Hier«, sagte Vincents Vater und überreichte ihm die Schuhputzkiste. »Pa hätte gewollt, dass du sie bekommst. Es würde ihn glücklich machen.«
Er gab Vincent auch noch einen niedrigen Schemel aus Holz – genau die richtige Höhe, um Schuhe zu putzen –, dazu die verbeulte Kiste mit einer Fußstütze auf dem Deckel.
Vincent war begeistert! Er konnte sich nicht erinnern, wann er jemals eine solche Überraschung erlebt hatte. Einfach so, aus heiterem Himmel. Er konnte es überhaupt nicht erwarten, sie auszuprobieren, um zu sehen, ob ein bisschen von Opas Zauberkraft auch auf ihn abfärbte. Natürlich war er traurig, dass sein Großvater gestorben war. Doch Opa hatte ihm mehr als einmal erzählt, dass er genug habe und fünfundachtzig ein stattliches Alter sei. Er sagte, wenn man die eigene Hose nicht mehr hochziehen oder ein schönes Curry mit Bier und ein bisschen Nachtisch genießen kann, ohne dafür büßen zu müssen, dann hätte man keinen Spaß mehr am Leben und solle sich besser vom Acker machen.
Also gab Vincent seinem sonderbar kalten Opa einen Kuss, umarmte ihn und zog mit der neuen, alten Schuhputzkiste los zum Markt unweit des Bahnhofs. Unterwegs überlegte Vincent die ganze Zeit, was er sich von seinem ersten selbst verdienten Schuhputzgeld kaufen würde. Auf jeden Fall eine dicke, fette Tüte Salz-und-Essig-Chips. Und dazu einen dieser blauen Sportdrinks, die eher so aussehen wie das Zeug, das man zum Saubermachen in die Kloschüssel sprüht. Oder vielleicht könnte er ins Kino gehen! Er war noch nie im Kino gewesen.
Am Ziel angelangt, beschloss Vincent, direkt neben dem Eingang zum Bahnhof Stellung zu beziehen, dort, wo der Markt begann. Auf diese Weise, so überlegte er, könnte er sowohl die Marktbesucher als auch die Reisenden als Kunden gewinnen. Gleich darauf entdeckte er ein stilles Eckchen neben dem Snack-Automaten, der, wie es der Zufall wollte, Salz-und-Essig-Chips und Sportdrinks im Angebot hatte. Ist hier vielleicht schon Zauberkraft im Spiel?, fragte sich Vincent. Er setzte sich auf den Schemel und stellte die Kiste vor sich hin. Dann arrangierte er die Bürste und ein paar Tuben Schuhwichse sorgfältig neben der Fußstütze. So würden die Leute gleich sehen, dass er ein Schuhputzjunge war.
Vincent war SO aufgeregt.
Er konnte noch gar nicht glauben, dass er jetzt einen Job hatte … praktisch ein eigenes Unternehmen! Keines der Kinder in der Schule hatte so etwas. Vermutlich war er der einzige elfjährige Unternehmer in Barry.
Vincent ordnete seine Bürste und die Tuben neu, damit sie optimal zur Geltung kamen. Mit den Fingern und ein wenig Spucke strich er sein gewöhnliches braunes Haar zurecht. Und während er dasaß und auf Kundschaft wartete, fielen ihm zum ersten Mal die Schuhe der Passanten auf. Die hätten ein bisschen Wichse dringend nötig! Ich hoffe, der geht nicht so zur Arbeit! Diese Stöckelschuhe sind ganz schön wackelig! Hoffentlich stürzt sie nicht, die Arme … der müssen ja ganz schön die Füße wehtun. Es müsste doch möglich sein, solche Schuhe bequemer zu machen.
Sofort hatte er ein paar Ideen für neue, komfortablere Schuhdesigns im Kopf. Und in genau diesem Moment begann Vincents Liebe zu den Schuhen. (Entschuldigung, aber dieser Moment ist nicht DER Moment, von dem ich vorhin sprach. Zu DEM kommen wir gleich. Mein Co-Autor hat mich nur eben darauf hingewiesen, dass ich den Kuddelmuddel mit den Momenten klären müsste, denn sonst würde selbst ein begabter, findiger Leser nicht mehr durchblicken.)
Bald darauf kam Vincents erster Kunde. Ein dicker Mann mit einem großen, perfekt gerundeten Bauch, so als hätte er einen Hüpfball verschluckt. Vermutlich konnte er die eigenen Schuhe überhaupt nicht sehen, geschweige denn putzen.
»Wie viel kostet eine Runde, Junge?«, fragte der dicke Mann.
»Äh, hmm.« Vincent hatte sich bisher keine Gedanken gemacht, wie viel er verlangen wollte. Er zögerte. »Wie wär’s mit einem Dollar?«
»Da will ich aber vorher sehen, wie gut du bist. Wenn ich zufrieden bin, zahle ich dir einen Dollar, wenn nicht, gibt’s weniger.«
Vincent war einverstanden. Er brauchte die Übung ebenso dringend wie den Dollar. Der dicke Mann stellte einen Schuh auf das Podest. Vincent suchte herum, fand die schwarze Schuhwichse und legte los. Nachdem er ordentlich nachpoliert hatte, inspizierte er noch einmal beide Schuhe, ob er auch keine Stelle übersehen hatte.
»Gut«, sagte er. »Ich glaube, jetzt sind sie fertig.«
Der dicke Mann hielt sich an dem Snack-Automaten fest und hob vorsichtig einen Fuß, um Vincents Arbeit zu begutachten.
»Sehr schön!«, erklärte er lächelnd, während sein drittes Kinn im vierten verschwand und das vierte im fünften. »Sehen aus wie neu!«
Vincent spürte ein wunderbares Prickeln im ganzen Körper.
»Hier.« Der dicke Mann zog zwei Dollarmünzen aus der Hosentasche und warf sie Vincent zu. Funkelnd wirbelten sie durch die Luft und landeten – Pling! Pling! – auf dem Gehsteig.
Vincent bedankte sich und sammelte sie ein. Er konnte sein Glück kaum fassen. Das war bereits die Hälfte eines Sportdrinks!
Es dauerte nicht lange, bis der zweite Kunde kam und gleich darauf ein weiterer. Doch eine Stunde später, nachdem sich die Masse der Pendler durch die Bahnhofssperre gedrängt hatte, ließ der Kundenstrom allmählich nach.
Vincent wollte gerade seine Tuben neu ordnen, als Florence und Rupert, der Empfangschef des Hotels, auftauchten. (Sollte sich jemand fragen, was der Empfangschef eines Luxushotels zu tun hat, so sei gesagt, dass er den Gästen zu helfen und ihre Probleme zu lösen hat. Beispielsweise um drei Uhr früh ein Taxi finden oder dreitausend rosa Rosenblütenblätter und achtzig Liter Yakmilch auftreiben, weil irgendein vornehmer Pinkel darin baden will.)
»Wie wär’s mit ihm?«, fragte Rupert und deutete auf Vincent.
»Na ja, er hat eine Bürste und Wichse, nichts Großartiges, aber fürs Großartige sind schließlich wir zuständig. Also kein Problem«, sagte Florence.
»Genau, genau, genau!«, bestätigte Rupert mit Nachdruck.
Florence ging auf Vincent zu.
»Entschuldigung«, begann sie. »Ich bin vom Hotel oben in den Bergen. Wir suchen jemanden, der den Sommer über die Schuhe unserer Gäste putzt. Da ist am meisten los. Hättest du vielleicht Interesse?«
Vincent stand auf.
»I-I-Ich? … J-J-Ja, hätte ich«, stammelte er, während seine Gedanken bereits zu dem Hotel in den Bergen flogen, von dem er schon so viel gehört hatte. Kann nicht sein … Das ist doch nicht möglich, oder?
»Was für ein Glück, dass wir dich so schnell gefunden haben. Ich dachte, wir bräuchten den ganzen Morgen dazu. Ich bin übrigens Florence.«
»Vincent.«
»Freut mich.« Florence streckte ihm die Hand entgegen. Doch Vincent, noch immer in einem Zustand milden Schocks, ließ sie in der Luft hängen.
»Hier ist unsere Adresse«, sagte Florence und gab ihm eine Visitenkarte. »Könntest du vielleicht morgen schon anfangen?«
Vincent sagte nichts. Stattdessen las er vier Mal, was auf der Karte stand. Nur um vierfach sicherzugehen, dass das, was da stand, auch wirklich da stand.
Das Großartigste Hotel der Welt
1708 Mountain View Road
Mount Mandalay
Mabombo Ranges
Offenbar tat es das. Eine andere Erklärung gab es nicht. Endlich dämmerte es Vincent, dass er tatsächlich eingeladen war, im Großartigsten Hotel der Welt Schuhe zu putzen!
Florence war an solche Reaktionen gewöhnt. Geduldig wartete sie, bis Vincent sich so weit erholt hatte, dass er antworten konnte. Beim Warten tippte sie leise mit der Fußspitze auf, während ihr türkisfarbener Stiefel Bachs Cellosuite Nr. 1 in G-Dur spielte – eine Melodie, die das Herz erhebt, als wäre es ein Heißluftballon. Jedes Mal wenn die Stiefelspitze den Gehweg berührte, blinkten an den Rändern kleine Lichter wie Sterne.
Vincent sah auf die musikalischen, türkisfarbenen Stiefel hinunter. »Bach?«
»Ja!«, erwiderte Florence verblüfft, aber nun umso sicherer, dass sie den richtigen Schuhputzer für das Großartigste Hotel der Welt ausgesucht...
Erscheint lt. Verlag | 17.9.2021 |
---|---|
Reihe/Serie | Reihe Hanser |
Übersetzer | Susanne Hornfeck |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Abenteuer • Abenteuergeschichten für Kinder • Charly und die Schokoladenfabrik • Freundschaft • Grand Budapest Hotel • Happy End • Kinderbuch ab 10 Jahren • Krankheit • Magie • magische Geschichte ab 10 • magisches Hotel • Roald Dahl • Träume • Wess Anderson • Zukunft |
ISBN-10 | 3-423-43964-5 / 3423439645 |
ISBN-13 | 978-3-423-43964-0 / 9783423439640 |
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