Die Mädchenbibel (eBook)
320 Seiten
Gütersloher Verlagshaus
978-3-641-27303-3 (ISBN)
Nur wenige Mädchen und Frauen kommen in der Bibel namentlich vor, oft sind sie nur die 'Tochter von', 'Frau von', 'Magd von' ohne eigenen Namen. Aber sie hatten alle Namen - nur die Bibel schweigt davon. Die meisten Mädchen aber kommen gar nicht erst in den Blick, weder zu Wort noch zur Erwähnung. Und doch müssen sie dagewesen und dabei gewesen sein, immer und überall und mittendrin. Sie haben die Jungen und die Männer gekannt, von denen die Bibel erzählt. Sie haben sie geliebt und bewundert, gefürchtet und gehasst. Sie haben sich ihren Teil gedacht. Sie haben mitgemacht, beraten, getröstet, gestärkt. Recht und Unrecht getan, Recht und Unrecht verhindert. Schaden angerichtet und Schaden wiedergutgemacht. Herz und Seele gegeben, gezweifelt, geglaubt. An Götter, an das Gute, an Gott.
Es wird Zeit, die Bibel aus ihrer Sicht zu erzählen. Es werden die vertrauten Erzählungen sein, und doch anders. Mehr privat als öffentlich - so wie es der Rolle der Mädchen entsprach in biblischer Zeit; und immer wird es um Beziehungen gehen, zwischen den Menschen und zwischen Gott und Mensch. Denn so entspricht es uns, Mädchen und Frauen zu aller Zeit.
Martina Steinkühler, Dr. phil., geb. 1961, ist Studienleiterin im Arbeitsbereich Religionspädagogik und Medien in der ev.-luth. Kirche Braunschweig, bildet Religionslehrkräfte fort und betreut die Lehrkräfte-Zeitschrift 'Braunschweiger Beiträge'. Sie arbeitete als Lehrerin, Dozentin, Verlagslektorin und in der kirchlichen Öffentlichkeitsarbeit. Außerdem führt sie ihre Forschung weiter, die sie an der Uni Regensburg begonnen hat. Sie verfasst Unterrichtsmaterialien, Bibelgeschichten, Schulbücher und Kinderbibeln. Sie lebt mit ihrer Familie in Göttingen.
Geschichten aus der Zeit der Erzeltern:
1. Abraham und Sara (Genesis 12–25)
Eine von Saras Mägden erzählt
Mägde und Knechte: Hier stand zuerst »Sklavinnen und Sklaven«, weil deutlich werden sollte, dass diese Menschen kein Selbstbestimmungsrecht hatten. Aber »Sklave« passt nicht in den Vorstellungsbereich des alten Israel. Da trifft es Martin Luthers altertümliche Übersetzung besser: Mägde und Knechte waren Hausgenossen, ohne Rechte zwar, jedoch nicht ohne Würde. Die Begriffe können ebenso wertschätzend wie geringschätzig gebraucht werden, der Status kann ehrenvoll sein oder missbraucht werden. Das alles drücken Luthers Begriffe besser aus als das Fremdwort »Sklave«. Zumal das hebräische Wort für »Knecht« auch jeden Menschen meint – vor seinem Gott: Geschöpf in der Hand des Schöpfers und sein Ebenbild.
Seit ich denken kann, lebe ich unter Abrahams Leuten.
Ich habe nie ein anderes Zuhause gehabt. Von klein auf war es meine Pflicht, allabendlich der Herrin einen Trank zur Nacht zu bringen. Ich fand sie stets schlaflos, mit geröteten Augen. Sie weinte Tränen des Zorns. »Ein Kind«, sagte sie. »Ich brauche ein Kind. Keine Frau ist eine gute Frau ohne ein Kind.« Ich an ihrer Stelle, ich wäre traurig gewesen. Sie aber, sie war zornig. »Dein Gott hat mir das angetan«, hörte ich sie einmal zu Abraham sagen. »Und ich weiß nicht, warum.«
Ich dachte viel über diese beiden Sätze nach. Keine Frau ist eine gute Frau ohne ein Kind. Und: Gott hat mir das angetan. Ich fragte mich, wie sie darauf kommt. Warum sie das glaubt. Ich dachte, das mit dem Kind, das hat sie so gelernt. Aber das mit Gott? Wer hat ihr das gesagt? Götter, dachte ich damals, Götter sprechen nicht mit Menschen …
Dann eines Tages kam der große Wandel.
Und wieder war es Abend und wieder ging ich zu ihr. Aber an diesem Abend ist alles anders. »Gut, dass du kommst!«, empfängt sie mich. Keine Spur von roten Augen; gerötet ist stattdessen ihr Gesicht. Ihre Truhen sind geöffnet. Sie steht gebeugt über ihrem Schmuck. »Du kannst mir helfen«, sagt sie. »Wir packen.« Natürlich verstehe ich sie nicht. Aber da es uns nicht erlaubt ist, zu fragen, trete ich vor, den Becher noch in der Hand. »Stell das weg!«, befiehlt sie. »Dafür ist jetzt keine Zeit.« Und während ich ihre Kleider zusammenlege, beginnt sie zu erzählen: Dass Abraham fortgehen will aus unserer Stadt. Und nie mehr wiederkommen. Dass wir kein Haus mehr haben werden, sondern Zelte. Dass wir einen langen, langen Weg vor uns haben, und keine Ahnung vom Ziel.
»Das stimmt nicht, Sara. Und das weißt du!« Abraham ist gekommen, der Herr. Ich sehe ihn nur selten. Er macht mir Angst mit seinem langen weißen Bart und den buschigen Augenbrauen. Sara richtet sich auf und sieht ihn an. »Du sagst es anders, ich weiß«, sagt sie. »Du sprichst von Gottes Befehl und von Gottes Versprechen. Du sprichst von Segen und von Kindern.«
»So ist es«, sagt Abraham, »und so wollen wir es weitersagen: Unser Gott hat mit mir gesprochen. Unser Gott hat zu mir gesagt: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und zieh in ein Land, das ich dir zeigen will. Und siehe, ich will dich zum Vater eines großen Volkes machen. Ich will dich segnen und du sollst ein Segen sein.«1 Abraham sieht mich an, als er diese Worte spricht, feierlich und fest. »So wollen wir es weitersagen«, wiederholt er. »Und das mit dem Land und den Nachkommen wollen wir glauben.« »Ja«, sagt Sara. »Ja, das wollen wir.«
Mir blieb im Sinn, was Abraham sagte. Vor allem diese Worte: Unser Gott hat mit mir gesprochen. Dann sprechen sie also doch, die Götter? Oder nur dieser eine? Wer ist das – unser Gott?
Es wurde so, wie Sara gesagt hatte.
Jedenfalls der Teil mit dem Weggehen und dem langen Weg und dem Zelten. Der andere Teil, das, was wir glauben wollten, das blieb nichts als glauben. Und glauben heißt hoffen, was man nicht sieht. Aber das erfuhr ich erst durch Hagar …
Eine neue Magd kam zu uns. Vom Hof des Pharaos brachte Sara sie mit. Der Pharao ist der König von Ägypten. Denn unser Weg, dieser lange, lange Weg, hatte uns für eine Weile nach Ägypten geführt, weil wir hungerten und es dort Brot gab. Sara hatte dieser Weg in den Harem des Pharaos geführt, weil sie schön war. Aber das ist eine andere Geschichte, die will ich nicht erzählen.
Orientalische Männer heirateten bisweilen mehr als eine Frau. Orientalische Herrscher konnten mehrere Frauen haben; diese Frauen lebten zusammen in einem eigenen Bereich im Inneren des Palastes; das war der Harem.
Die neue Magd, die hatte einen Namen. Hagar.
Eines Abends – in Ägypten hatte ich abends keine Pflichten; ich saß am Feuer und einer von uns spielte Flöte – war Sara wieder da. Und neben ihr, mit ihrem Bündel, stand jene Andere … Ich weiß noch: Feuer und Wasser, dachte ich gleich. Wasser ist Sara. Feuer ist die Neue. Und ich hörte es knistern und zischen. Gewiss, sie senkte vor Sara den Blick. So, wie es uns befohlen ist. Aber ich sah, dass sie es nicht meinte, ich sah, dass sie nur so tat.
Sara sieht uns an. Sie hebt die Hand und zeigt auf mich. »Nimm sie in dein Zelt«, sagt Sara. »Sie muss meine Sprache lernen, so schnell und so gut wie möglich. Sie wird die Erste unter euch sein. Ich sage ihr, was zu tun ist, und sie sagt es euch. Und dazu muss sie mich verstehen.« Natürlich erschrecke ich. Eine Erste hat es bei uns nie gegeben, keine Erste außer Sara. Aber weil wir nicht erschrecken dürfen, stehe ich einfach auf und gehe zum Zelt. Es ist groß genug für drei. Wir sind vier.
Sie folgt mir, die Neue. Ich hebe den Teppich, der die Öffnung verschließt, hebe ihn für sie und lasse sie eintreten. Und da steht sie dann, mitten im Zelt, mit ihrem Bündel. Und sie sagt ein ägyptisches Wort. Ich kann kein Ägyptisch. Aber ich spüre, was sie meint. Sie meint, dass unser Leben so ist wie getrockneter Ziegen-Dung. Ohne Schönheit, ohne Ansehen. Bloß nützlich.
Ich weiß nicht, warum. Aber ich nicke, nicke heftig. Und sie, sie lacht. »Wie heißt du?«, fragt sie in unserer Sprache. Ich antworte nicht. Da sagt sie ein anderes ägyptisches Wort. Und sie fügt hinzu: »Ich heiße Hagar.«
Mit Hagar wurde alles anders.
Viele Tage lang hatte ich keine andere Aufgabe mehr, als mich um Hagar zu kümmern. Sie muss unsere Sprache lernen. Saras Befehl war deutlich gewesen: so rasch und so gut wie möglich. Aber wie sollte ich das machen? Und was, wenn sie nicht wollte? Hagar hatte nicht nur einen Namen. Sie hatte auch einen eigenen Willen. (Ich hätte das damals nicht so ausdrücken können. Aber gewusst habe ich es, von Anfang an.) »Tuch«, sage ich. »Wolle«. »Schaf.« Sie lacht und sagt: »Du – Schaf.«
»Ich weiß, dass du mich verstehst«, sage ich. »Bitte: Du musst es zeigen. Sonst wird die Herrin zornig.« Hagar nickt. Sie streckt die Hand aus und streicht mir Haar aus dem Gesicht. »Noch nicht«, sagt sie mit ihrer fremden Stimme. »Es darf eine Weile dauern.«
Sie lässt sich Zeit damit, Worte zu lernen, die sie in Wahrheit längst kann. Wir reden. Nie habe ich viel geredet. Hagar lässt mich Worte sagen wie »Tuch« und »Wolle«, »Frau« und »Mann« und »Gott«. Was ist das?«, fragt sie dumm. Und wenn ich es erkläre, fragt sie weiter. Sie fragt mehr, als ich weiß. Mehr, als ich dachte, dass ich weiß. »Gott«, sage ich, »ist unsichtbar. Er ist Abrahams Gott. Oder, wie Abraham sagt: unser Gott. Für Abraham ist Gott ein Wegweiser und ein Begleiter. Sara sagt, Gott ist gegen sie. Ich denke: Vielleicht hat Gott einen Grund. Er kann nicht einfach ungerecht sein, denke ich.«
»Du denkst viel«, sagt Hagar. »Hast du auch schon einmal darüber nachgedacht, warum euer Gott nur einer ist? Genügt das denn?« Hagar erzählt von den vielen ägyptischen Göttern. Ich höre ihr zu und ich denke nach. »Abraham hat nur einen Gott«, sage ich. »Das ist gut, denke ich. Sonst kommt man durcheinander.« Hagar macht so ein Geräusch – fast wie unser Esel. »Unsinn«, sagt sie. »Du bist keine, die leicht durcheinanderkommt. Und außerdem: Warum ist er ER?« Ich starre sie wortlos an. Sie starrt zurück. Und dann beginnt es, mir zu dämmern. »Siehst du?«, sagt Hagar. »Du – Schaf!«
Sara kommt und fragt: »Was macht ihr? Wie geht es?« Und Hagar senkt den Blick und sagt »gut«. Sie deutet auf mich und nickt und sagt: »Sehr – gut.«
Als Hagar zu uns kam, hatte sie Farbe im Gesicht.
Sie hatte schwarze Striche um die Augen, außen hochgezogen fast bis zu den Schläfen. Blau waren ihre Lider, mit Grün und Gold, und ihre Lippen rot. Am nächsten Tag war die Farbe verschwunden. Ich dachte, dass Sara keine Farbe erlaubte.
Hagar zeigt mir, was sie hat: Farbe für das Gesicht, die Fingernägel, die Fußnägel, und Salben und Öle für die Haut. »Ihr – Brot«, sagt sie. »Ägypten – Kuchen.« Ich verstehe sie nicht. Oder doch? »Ziegen-Dung«, sage ich. Sie lacht und sagt das ägyptische Wort, mit dem sie mich ruft. Ich weiß noch immer nicht, was es bedeutet.
Nach und nach wurde alles so, wie Sara wollte: Sara sagte Hagar, was getan werden musste. Und Hagar sagte es uns. Hagar war die Erste bei uns. Sie war es ohne Mühe. Und wir hatten keine Mühe mit Hagar. Wir lernten von ihr. Wir bekamen...
Erscheint lt. Verlag | 27.9.2021 |
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Illustrationen | Angela Gstalter |
Zusatzinfo | durchgehend 4-farbig gestaltet |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Sachbücher ► Religion / Philosophie / Psychologie |
Schlagworte | ab 12 • Abenteuer • Angela Gstalter • Bibel • Bibel für Mädchen • Bibel in gerechter Sprache • Biblische Frauen • buchgeschenk weihnachten • Die Bibel • Die neue Erzählbibel • Die Rolle der Mädchen in biblischer Zeit • eBooks • Feministische Theologie • Geschenk Weihnachten • Jugendbuch • Jugendbücher • Konfirmationsgeschenk • Mädchen • Mädchen in der Bibel • Mädchen sind großartig • Pubertät • religiöse Geschenke • Teenager • Weihnachtsgeschenk • Young Adult |
ISBN-10 | 3-641-27303-X / 364127303X |
ISBN-13 | 978-3-641-27303-3 / 9783641273033 |
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