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Krummer Hund -  Juliane Pickel

Krummer Hund (eBook)

eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
216 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-75876-7 (ISBN)
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Der 15-jährige Daniel ist vor allem eins: wütend. Sein Vater ist weg, seine Mutter schleppt einen Liebhaber nach dem anderen an. Ihr neuer Freund, der Doc, hat Daniels Hund eingeschläfert. Aber trotzdem gewinnt er ihn lieb. Ein tödlicher Unfall verändert für Daniel alles. Auch das Verhältnis zu seinem besten Freund Edgar und zur Klassenschönheit Alina. Kann Daniel seinen Erinnerungen an diese Nacht trauen?

Juliane Pickel, geboren 1971, studierte Erziehungswissenschaften in Münster und Hamburg und arbeitet in der Online-Redaktion des NDR. Für 'Krummer Hund' erhielt sie bereits 2018 den Förderpreis für Literatur der Stadt Hamburg und 2021den Peter-Härtling-Preis.

Hundemörder


Nachdem er meinen Hund umgebracht hat, fragt der Typ meine Mutter, ob sie am Abend mit ihm Sushi essen geht.

»Ich weiß ja gar nichts über Sie«, sagt sie. »Außerdem haben Sie gerade ein Tier getötet. Geht man an so einem Tag in ein Restaurant?« Sie verschränkt die Arme vor der Brust. »Um rohen Fisch zu essen?«

Der Doc lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Ich töte viele Tiere«, sagt er mit einer Stimme, die so tief ist, dass ich seine Worte wie Bassschläge im Magen spüre. »Das ist mein Beruf.« Mit geübten Bewegungen räumt er seine Instrumente weg. »Wenn es danach ginge, könnte ich ja nie wieder etwas essen.«

Meine Mutter betrachtet seine Hände – daran sehe ich, dass sie interessiert ist. Gesichter sind ihr nicht so wichtig, aber die Hände ihrer Männer müssen sauber sein – und groß. In die Pranken des Docs passt der ganze Kopf meines toten Hundes.

»Außerdem habe ich dem Hund einen Gefallen getan«, sagt er jetzt.

Meine Mutter berührt mit der Hand ihr Haar – sie ist sehr interessiert. Vielleicht noch mehr, weil er Arzt ist, wenn auch nur einer für Tiere.

Einen Arzt hatten wir noch nicht. Meist sind es Handwerker oder auch mal welche im Anzug, die irgendwas verkaufen.

Thomas König, Tierarzt steht auf einem Metallschild an der Eingangstür.

Thomas König, Hundemörder, denke ich.

Ich hasse beide dafür, dass sie über Sushi reden, während mein Hund, der gerade noch ein richtiger Hund war, jetzt groß und tot auf dem kalten Metalltisch liegt und seine Hundeseele wie ein aufgescheuchter Vogel durchs Zimmer fliegt und einen Ausgang sucht.

Er hatte Krebs. Wie ein Mensch.

Als wir heute hierherkamen, wusste ich trotzdem nicht, dass er nicht mehr nach Hause zurückkommen würde. Aber der Doc hat mir keine Wahl gelassen: »Bist du einverstanden, wenn ich ihn jetzt erlöse?«

Mir war natürlich klar, dass es darauf nur eine Antwort gibt. Aber dann ging alles so schnell und ich wusste nicht, wie ich mich verabschieden sollte. Wie verabschiedet man einen Hund in den Tod? Als er seufzend in sich zusammengesackt ist, kapitulierend wie nach einer langen Schlacht, hatte ich das Gefühl, auf ganz miese Art reingelegt worden zu sein.

Vorsichtig lege ich meine Hand auf seinen Bauch und mache die Augen zu. Er hieß Ozzy, nach Ozzy Osbourne, dem durchgeknallten Metal-Freak, der angeblich gerne mal irgendwelchen Fledermäusen die Köpfe abbeißt.

Mein Vater stand auf seine Musik, und er fand, dass der Hund dem Typen ähnlich sah. Was irgendwie auch stimmt – er hatte schwarzes zotteliges Fell, und in seinem Blick lag immer eine Spur seliger Dummheit.

Er hat ihn mir geschenkt, kurz bevor er weg ist damals. Da war ich zehn. Er hatte Ozzy aus dem Tierheim geholt. Keiner wusste, wo er herkam oder wie alt er war.

»Er hat eine schwarze Seele«, hat mein Vater gesagt, »aber er wird dich lieben. Hunde können gar nicht anders.«

Und dann ist er in seinen Schrotthaufen von Auto gestiegen und ist weg, auf Nimmerwiedersehen. Wir haben nie wieder was von ihm gehört. Aber wenigstens war Ozzy noch da, stinkend und hungrig und schwarz. Er war der hässlichste Hund der Welt, aber er war mein Hund und jetzt ist er tot und für eine Sekunde denke ich, dass ich es auch gerne wäre.

Meine Mutter hat ihn gehasst – aus denselben Gründen, aus denen ich ihn geliebt habe. Weil er das Einzige war, das von meinem Vater bei uns geblieben ist. Ich glaube, dass sie froh ist, dass er tot ist.

»Kann ich ihn mit nach Hause nehmen?«, frage ich in den Raum hinein, aber meine Mutter und der blöde Doc hören mich gar nicht, also mache ich einfach die Augen zu und atme den beißenden Geruch nach desinfiziertem Tod ein und wieder aus, bis sich das Innere meines Kopfes steril und kalt anfühlt.

»Also?«, fragt der Doc meine Mutter, als ich fast vergessen habe, dass die beiden noch im Raum sind, »Sushi?«

Ich weiß, dass meine Mutter Sushi absolut ekelhaft findet, und ich weiß, dass sie Ja sagen wird. Am Ende sagt sie immer Ja, wenn ein Mann mit ihr essen will, große Hände oder kleine. Und es ist immer die falsche Entscheidung.

Meine Hand beginnt an Ozzys Fell zu schwitzen, aber ich lasse sie auf seinem Bauch liegen und fühle seine Atemzüge. Ganz langsam atmet er ein und aus. Ich bin sicher, dass er die Augen jeden Moment wieder öffnen und mir das Gesicht ablecken wird. Ich weiß, dass ich mir das alles nur einbilde, aber ich fühle es trotzdem.

»Na gut, Sushi«, sagt meine Mutter zum Doc, der sich gerade in einer eleganten Bewegung von seinem Kittel befreit wie ein Zauberkünstler von seinem Umhang, und sie sagt es so, als würde sie ihm einen Gefallen tun.

»Aber bitte nicht so ein billiges Zeug, sondern was Anständiges.«

Der Doc lacht auf und ich weiß, dass er der neue Mann sein wird, und am liebsten würde ich ihm genau so eine Spritze verpassen wie die, die er eben in meinen kranken Hund hineingejagt hat, und ihm dabei zusehen, wie er auf dem kalten Metalltisch krepiert.

Wenn ich das nicht tue, wird Folgendes passieren: Der Herr Doktor wird am nächsten Morgen in unserer Küche sitzen und ich werde Glück haben, wenn er eine Unterhose trägt. Er wird von Herr König zu Thomas werden, auch wenn ich ihn nicht so nennen werde. Er wird versuchen, mit mir über Fußball und Mädchen zu reden. Ich werde ihm nicht antworten und meine Mutter wird mir später sagen, dass ich mit meiner Verschlossenheit die Männer vertreibe. Er wird immer öfter in der Küche sitzen und auf dem Klo und auf dem Sofa, er wird sonntags da sein und an Weihnachten, und wir werden in die Berge fahren und er wird mit meiner Mutter über Bücher reden, obwohl sie am liebsten am Strand liegen und ihre Zeitschriften lesen würde. Nach ein paar Wochen wird er aufhören, sie anzusehen, sie erst versetzen und dann betrügen, und sie wird mir erzählen, dass sie ihn töten wird, nachdem sie ihn gequält hat, nachdem sie ihm gezeigt hat, dass man sie so nicht behandelt, sie wird mir erzählen, dass er aus dem Mund riecht und einen hässlichen Schwanz hat, dass seine Hände doch nicht so groß und sauber sind, wie er immer tut, dass sie grob sind und fleischig und sie an den falschen Stellen anfassen. Sie wird nicht mehr zur Arbeit gehen und stattdessen in der Küche sitzen und mir das alles erzählen, und neben ihr wird ihr Handy liegen, das sie immer wieder kontrolliert, damit sie es nicht verpasst, wenn er anruft. Und eines Tages wird er weg sein, er wird weiterziehen wie ein Gewitter, nur dass der Himmel über meiner Mutter danach nicht blau sein wird, sondern tiefschwarz.

»Du kannst deinen Hund mitnehmen, Daniel«, sagt der Doc jetzt zu mir, und ich bin überrascht, dass er sich meinen Namen gemerkt hat. Aber bevor ich etwas sagen kann, wendet er sich wieder an meine Mutter: »Dann doch gleich heute Abend«, und ich bin mir absolut sicher, dass Ozzy in genau diesem Moment seinen wirklich letzten Atemzug tut.

Während meine Mutter dem Doc mit ungeduldiger Stimme Anweisungen gibt, wann und wo er sie abzuholen hat, nehme ich den Autoschlüssel aus ihrer Handtasche, wickle den toten Ozzy in seine Decke und hebe ihn hoch. Tot ist er viel schwerer als lebendig, er riecht nach Scheiße und nach dem Ende der Welt, und ein beißender Schmerz drückt sich von hinten gegen meine Augen. Als ich sein Gewicht auf meinen Armen fühle, muss ich an meinen Vater denken, und ich frage mich, ob er vielleicht auch längst tot ist. Meine Mutter denkt ja, dass er irgendwo in L.A. in einem riesigen Haus wohnt, in das von jeder Seite die Sonne scheint, und fünf Frauen hat, die den ganzen Tag für ihn kochen und mit ihm schlafen. Aber in meiner Vorstellung ist er immer allein.

Mit schweren Beinen gehe ich zur Tür. Der lange Praxisflur ist ein endloses Sumpfgebiet. Am Ausgang hält mir die Sprechstundenhilfe wortlos die Tür auf.

Vor der Tür steht ein Sportwagen, ein Lotus, schief eingeparkt, er glänzt in metallischem Grün. Mindestens fünfzigtausend muss man für so eine Karre hinlegen, schätze ich, wahrscheinlich mehr. An der Heckscheibe klebt ein Schild: Tierarzt im Dienst. Offensichtlich bringt es ganz schön was ein, Hunde zu killen und Katern die Eier abzuschneiden. Ich schleiche über den Parkplatz zu unserem Auto, lege Ozzy auf den Rücksitz und setze mich auf den Beifahrersitz. Mein Vater sollte doch eigentlich wissen, dass er tot ist, denke ich. Dass seine schwarze Seele jetzt ohne Körper durchs Universum fliegen wird.

Der Lotus steht da drüben feist und glänzend in der Sonne, ich kann...

Erscheint lt. Verlag 10.3.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch
ISBN-10 3-407-75876-6 / 3407758766
ISBN-13 978-3-407-75876-7 / 9783407758767
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