Seawalkers (4). Ein Riese des Meeres (eBook)
288 Seiten
Arena Verlag
978-3-401-80938-0 (ISBN)
Katja Brandis, geb. 1970, studierte Amerikanistik, Anglistik und Germanistik und arbeitete als Journalistin. Sie schreibt seit ihrer Kindheit und hat inzwischen zahlreiche Romane für junge Leser*innen veröffentlicht. Sie lebt mit Mann, Sohn und zwei Katzen in der Nähe von München. www.katja-brandis.de
Katja Brandis, geb. 1970, studierte Amerikanistik, Anglistik und Germanistik und arbeitete als Journalistin. Sie schreibt seit ihrer Kindheit und hat inzwischen zahlreiche Romane für junge Leser*innen veröffentlicht. Sie lebt mit Mann, Sohn und zwei Katzen in der Nähe von München. www.katja-brandis.de
Schreck in der Morgenstunde
Ais der schrille Ton mich um vier Uhr früh aus dem Schlaf riss, wusste ich im ersten Moment nicht, was los war. Während mein Gehirn so gemächlich hochfuhr wie ein sehr, sehr alter Laptop, kapierte ich nach und nach, dass das ein Alarm sein musste. Nur was für einer? Das Geräusch veränderte sich, erst war es hoch und durchdringend gewesen, nun wurde es zirpend und anschließend zu einem dumpfen Wummern, bevor sich das hohe Pfeifen wiederholte. Es kam ganz aus der Nähe!
Unter meinem oberen Stockbett regte sich was. Das braune Schnäuzchen und die gespitzten, blattförmigen Ohren meines Mitbewohners kamen zum Vorschein. Oje, sagte Jasper-das-Gürteltier, er klang nervös. Das habe ich schon lange nicht mehr gehört!
»Was ist das?«, fragte ich und spürte eine Gänsehaut auf meinen bloßen Armen.
Das heißt, dass sich ’n Seawalker im Schlaf versehentlich verwandelt hat, erklärte Jasper aufgeregt, er deutete mit der Nase auf den roten Knopf an der Seite seines Bettes.
Deswegen pennen wir in Zweibettzimmern, damit der Nichtverwandelte den Alarmknopf drücken kann, das weißte doch.
Stimmt, das wusste ich eigentlich. »Schnell, wir müssen helfen!« Hektisch warf ich die Decke von mir herunter und krabbelte zum Rand meines Bettes. Ich angelte mit dem Fuß nach der Leitersprosse, verfehlte sie, stürzte ab und klatschte auf den Boden wie irgendwas Überreifes von einem Obstbaum.
Noch immer gellte der Alarm durch die Nacht. Was war, wenn es Shari passiert war, dem tollsten Delfinmädchen der Welt? Wie lange würde sie außerhalb des Wassers durchhalten? Deutlich länger als zum Beispiel Juna in ihrer zweiten Gestalt als Falterfisch oder Zitteraal Leonora. Mehr als eine Minute hatten die nicht.
Ich stieß die Tür auf, stolperte nach draußen und blickte mich um. Natürlich waren Jasper und ich nicht die Einzigen, die den Alarm gehört hatten. Von allen Seiten strömten aufgeregte Schüler auf die Hütte zu, an deren Seite ein rotes Licht rotierte. Es war die Hütte Nr. 2, genau neben uns! Weil ich noch nicht wirklich wach war, erreichten Mr Clearwater und Mr García die Hütte trotzdem vor mir, sie mussten sofort vom Hauptgebäude losgerannt sein. Instinktiv schaute ich mich nach Miss White um, unserer jungen Lehrerin für Kampf und Überleben und genau die Richtige für so eine Situation. Mist, die war ja nicht mehr da.
»Schnell! Es ist Carmen passiert!« Eine Zweitjahresschülerin mit dunklen Locken – Enya, in zweiter Gestalt ein roter Neon – stand in der geöffneten Tür und winkte uns hektisch heran. »Zum Glück bin ich von den seltsamen Geräuschen aufgewacht, aber ich weiß nicht, wie lange sie schon …«
Unser Schulleiter stürzte an ihr vorbei, dicht gefolgt von zwei Jungs (Chris und Barry), mir und unserem Verwandlungslehrer.
Ich… krieg… keine… Luft, hörte ich Carmen stöhnen, eine andere Zweitjahresschülerin. Sie war gerade ein großes Hammerhaiweibchen und es war ein krasser Anblick, wie dieses fast drei Meter lange graue Meerestier in der unteren Koje eines Doppelstockbettes zappelte. Carmens Brustflossen ragten bis auf den Boden, ihr T-förmiger Kopf rammte ständig die Querbalken des Bettes und ihre peitschende Schwanzflosse fetzte gerade eins von Enyas abstrakten Aquarellen von der Wand. Stücke eines zerbissenen Kissens flogen herum wie Konfetti.
Obwohl wir wussten, dass Carmen in Lebensgefahr war, zögerten wir. Die Zähne in ihrem panisch schnappenden Maul sahen ganz schön groß aus. Sicher würde es Carmen nachher furchtbar leidtun, wenn sie jemandem eine Hand abbiss. Aber es gibt Situationen, in denen eine Entschuldigung einem nicht so rasend viel bringt.
»Alles gut, Carmen, wir helfen dir«, sagte Jack Clearwater und wagte sich nah genug an sie heran, um die Hand auf ihren Rücken legen zu können. »Halt still und mach das Maul zu, ja?«
Farryn García hastete zu Carmens Kopf, ein Tablet in den Händen, auf dem er ein Bild ihrer stämmigen rotblonden Mädchengestalt aufgerufen hatte. Er hielt es vor eins ihrer Haiaugen, die weit auseinander, sozusagen an den Querbalken des T-Kopfes saßen. »Versuch, dich zu konzentrieren, Carmen. Ich weiß, das ist nicht leicht…«
Genau, weil ich nämlich gerade ersticke!, brüllte Carmen in unsere Köpfe. Bringt mich ins Meer, macht schon!
»Okay. Ganz ruhig, wir haben das gleich«, sagte Jack Clearwater und warf uns Helfern einen Blick zu. »Erst müssen wir sie aus dem Bett auf den Boden kriegen.« Er und Mr García packten Carmen um den Bauch und zogen sie zu sich hin, ich kletterte über ihren Rücken ins Bett und schob von der anderen Seite.
»Es gibt Erfahrungen, die macht man nur einmal im Leben – hoffentlich«, ächzte Chris und packte unsere Mitschülerin an der Rückenflosse, Barry zerrte an der Schwanzwurzel und wurde dadurch hin- und hergeschleudert. Aber er hielt eisern fest und beschwerte sich nicht mal, als er gegen das Bettgestell knallte.
Kurz darauf hatten wir Carmen aus ihrer Koje herausgewälzt und konnten sie tragen. Ein Dutzend Hände packten mit an, darunter die von Finny (gut erkennbar an ihrem Geisternetz-Armband) und von Noah. Eine erschrocken dreinblickende Shari mit verwuschelten blonden Haaren, die wie ein Vogelnest aussahen, hielt die Tür auf. Dann stapften wir durch den Sand, so schnell wir konnten.
Carmen war unglaublich schwer und ihre schleifpapierraue Haut, die ich so auch von mir kannte, schrappte uns die Hände auf. Aber keiner von uns ließ los. Aufgeregt wuselte Jasper vor uns in Richtung Meer und rief Hier entlang, hier entlang!, als hätten wir nicht selbst Augen, die im Dunkeln sehen konnten. Sogar Ella half mit und schob neugierige Schüler weg, die im Weg standen.
Oh bitte, bitte, beeilt euch!, japste Carmen und erleichtert spürte ich die ersten kleinen Wellen über meine Zehen lecken. Wir wateten so weit hinein, bis das Wasser uns bis zum Bauch reichte, dann schoben Barry, unser Rochenmädchen Finny, die anderen Schüler und ich Carmen ins Meer hinein.
Sie ging unter wie ein Stein.
»Hab ich gesagt, ihr sollt loslassen?«, schimpfte Mr García. »Ihre Muskeln sind steif, es dauert noch einen Moment, bis sie wieder schwimmen kann.«
Selbst für mich war es ein nicht allzu tolles Gefühl, mit einem vor Angst durchdrehenden Hai im Meer zu sein. Carmens Hammerkopf war jetzt genau in Höhe meiner Schienbeine. Aber das war mir inzwischen egal und den anderen anscheinend auch, denn niemand flüchtete. Grimmig packten wir sie wieder um den Bauch und schoben sie voran, damit Wasser durch ihre Kiemen strömen konnte. Das Salzwasser brannte auf meinen übel aufgeschürften Händen, aber ich achtete nicht darauf.
»Das wird schon, wir kriegen das hin«, murmelte Barry und tätschelte Carmens Rücken. Verdutzt blickte ich ihn an. Moment mal, das war doch Barry, oder? Der große, dünne Typ mit den kalten Augen und den kackbraunen Haaren, der ständig mit Ella herumhing? Zusammen mit Toco der übelste Typ der Blue Reef Highschool?
Nach und nach erholte sich Carmen und nach ein paar Minuten bewegte sie sich wieder ruhig durchs Wasser. Uff, das fühlt sich gut an – danke, keuchte sie. Meine Pulsrate geht schon wieder runter. Echt peinlich, dass mir das passiert ist, obwohl ich schon im zweiten Jahr bin! Ich … manchmal will ich nicht wahrhaben, dass ich eine Seawalkerin bin, und wäre lieber ganz normal … vielleicht liegt es daran?
»Vielleicht macht sich dein Hai-Ich dann absichtlich bemerkbar und fordert sein Recht, das kann sein«, meinte Mr García. »Wir besprechen es bei Gelegenheit unter vier Augen, okay?«
»Jetzt bin ich erst mal froh, dass wir dich gerettet haben, Carmen.« Jack Clearwater klatschte sich lächelnd mit uns ab und Farryn García schlug uns auf die Schulter. »Toll gemacht, Leute.«
Wir stapften an den Strand zurück. Ich war unfassbar erleichtert, dass Carmen nichts passiert war. Obwohl sie nicht viel mit anderen Leuten zu tun haben wollte und lieber ihre Fitnesszeitschriften las, mochte ich sie irgendwie, seit sie sich bei der Reparatur der Schule nach dem Hurrikan so reingehängt hatte. Dass sie manchmal lieber »normal« wäre, konnte ich gut verstehen. Auch ich war nicht immer glücklich mit meiner Haigestalt.
Chris blickte auf seine blutenden Hände. »Oh Mann, Haie. Hätten sich nicht Olivia oder Enya verwandeln können? Die hätte ich mit einer Hand tragen können.«
»Ich kann mir das mit Enya gut vorstellen«, meinte Shari fröhlich. »Morgens ist das andere Bett leer und in Carmens Wasserglas schwimmt ein kleiner, rotblau gestreifter Fisch, der nervös ›Nicht austrinken, nicht austrinken!‹ ruft.«
»Unrealistisch«, sagte Blue und sah mich von der Seite an. »Bei einem Hai wie Carmen läuft das eher so: Morgens fragt sie jemand: ›Wo ist eigentlich deine Mitbewohnerin?‹, und sie sagt: ›Weiß nicht, aber ich hatte einen ganz komischen Traum!‹«
Ich winkte ab. »Rote Neons sind doch kein ernsthaftes Fressen, die sind nur halb so lang wie mein Daumen.«
»Genau, die sind eher Food-Deko«, meinte Finny.
Immerhin hatten Neons keine Zähne, Dornen, Klingen, Nesselzellen … die meisten Meerestiere fasste man besser nicht an, wie uns Miss White in Kampf und Überleben eingeschärft hatte. Wo war eigentlich unsere neue Lehrerin für dieses Fach, diese Miss Bennett? Schließlich entdeckte ich sie im Pulk der neugierigen Schüler, sie schaute besorgt zu, was wir taten, und wirkte ein bisschen ratlos.
»Na toll«, raunte ich Noah und Shari zu und wies mit dem Kinn in Richtung der neuen...
Erscheint lt. Verlag | 14.1.2021 |
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Reihe/Serie | Seawalkers | Seawalkers |
Illustrationen | Claudia Carls |
Verlagsort | Würzburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Aimée Carter • Animox • Bestseller • Blauer Engel • Caldera • Carag • Delfine • Florida • Freundschaft • Gestaltwandler • Haie • Internat • Katja Brandis • Khyona • Meer • Ozean • Schule • Seawalkers • Tiere • Tierfantasy • Tierschutz • Umweltschutz • Wale • Woodwalkers |
ISBN-10 | 3-401-80938-5 / 3401809385 |
ISBN-13 | 978-3-401-80938-0 / 9783401809380 |
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