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Mein geliehenes Herz (eBook)

Eine mitreißende Geschichte über die Liebe, die Freundschaft und das Leben mit einem neuen Herzen.
eBook Download: EPUB
2020 | 1. Auflage
368 Seiten
Carlsen Verlag Gmbh
978-3-646-93066-5 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Mein geliehenes Herz -  Shivaun Plozza
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Er starrt mich an, erst mit gerunzelter Stirn, dann lächelt er ein bisschen, dann beides. 'Was ist?' 'Ich denke nur nach.' 'Über?' Er schaut auf die zerdellte Mülltonne. 'Darüber, wieso deine Mutter einen Laden neben einer Metzgerei gekauft hat. Wieso dein Bruder sich immer so verrückt anzieht. Wieso du immer so wütend bist. Wieso du dir die Haare abgeschnitten hast.' 'Ich bin nicht wütend.' 'Ich auch nicht. Wieso bist du nicht wütend?' Ich streiche über mein Kleid, doch meine Hände halten in der Bewegung inne. Sie zittern und verharren über meinem Brustbein. Warum bin ich wütend? Erst denke ich, ich könnte endlos Gründe auflisten, aber dann fällt mir auf, dass es eigentlich immer um dasselbe geht und man es nur unterschiedlich ausdrücken kann. 'Mein Herz war kaputt. Und du?'   Ein Herz ist ein Herz ist ein Herz - eine mitreißende Geschichte über die Liebe, die Freundschaft und das Leben mit einem neuen Herzen. Marlowe hat ein neues Herz bekommen und eigentlich sollte jetzt alles gut sein. Doch die Frage, wem sie das zu verdanken hat, lässt sie nicht los. Und so macht Marlowe sich auf die Suche nach der Familie ihres Spenders und findet schließlich seine Schwester. Die beiden freunden sich an, doch Marlowe verschweigt, wer sie wirklich ist. Je länger sie schweigt, desto schwieriger wird es, die Wahrheit zu sagen. Und dann ist da noch Leo von nebenan, der ihr Herz aus einem ganz anderen Grund zum Stolpern bringt. Eine gelungene Organtransplantation nach einer schweren Krankheit heißt noch lange nicht, dass danach alles gut ist. Wer bin ich jetzt? Was will ich vom Leben, wenn ich endlich wieder normal leben kann? Wie gehe ich mit Eltern, Geschwistern und Freunden um und wie mit dem Wissen bzw. dem Nichtwissen, wer mein Spender ist oder war?  Lauter Fragen, die den Blick auf das Leben verändern und denen in diesem ebenso berührenden wie witzigen Roman für Jugendliche ausreichend Raum gegeben wird. Und eine Liebesgeschichte zum Dahinschmelzen fehlt auch nicht. Ein packendes, feinfühliges Buch über das Leben nach einer Organtransplantation.

Shivaun Plozza schreibt Jugendbücher, Kurzgeschichten und Essays. Schon ihr erstes Buch wurde für den Australian Children's Book Award nominiert. Mein geliehenes Herz ist ihr erstes Buch auf Deutsch. Shivaun Plozza lebt und arbeitet in Melbourne, Australien.

Shivaun Plozza schreibt Jugendbücher, Kurzgeschichten und Essays. Schon ihr erstes Buch wurde für den Australian Children's Book Award nominiert. Mein geliehenes Herz ist ihr erstes Buch auf Deutsch. Shivaun Plozza lebt und arbeitet in Melbourne, Australien. Sylke Hachmeister, geboren 1966, studierte Kommunikationswissenschaften, Anglistik und Soziologie. Zunächst arbeitete sie als Lektorin, bevor sie sich als Übersetzerin selbstständig machte. Ihre Bücher wurden bereits vielfach ausgezeichnet.

3


Einen Vorteil hat es, mit meinem Bruder (Schürze, tigermäßig geschminktes Gesicht, riesiges dreidimensionales Schaubild vom Kolosseum in den Händen) und meiner Mutter (Kunstblut bis zu den Ellbogen) in der Schule aufzutauchen: Die meisten sehen mich gar nicht an.

Die meisten.

»Atmen, Marlowe«, sagt meine Mutter. »Durch die Nase ein, durch den Mund aus.«

Ich lächele sie schwach an. »Ich weiß, wie man atmet, Mum.«

»Klar.« Sie nickt. »Ich meine nur … Wenn es dir zu viel wird, denk an deine Leitsätze. Und an die Atemübungen.«

Ich sage ihr, dass alles okay ist.

Es ist okay, dass die anderen mich anstarren.

Es ist okay, nach fast einem Jahr wieder zur Schule zu gehen.

Es ist okay, dass mein Herz – das Herz von jemand anderem – mit tausend Schlägen pro Sekunde in meiner Brust pocht.

Wirklich und unglaublich und völlig okay. (Atmen, Marlowe. Einfach atmen.)

Pip rümpft die Nase und sein Schnurrbart gerät aus der Form. »Alle starren uns an«, sagte er. »Die sind bestimmt neidisch auf mein Schaubild. Es ist maßstabsgetreu.«

Meine Mutter sagt, sein Kolosseum ist so toll, dass alle ausflippen werden, und Pip strahlt. Ich könnte jetzt die Augen verdrehen, aber sein Kolosseum ist wirklich der Hammer. Also schaue ich verstohlen zu den Leuten um uns herum und überprüfe meine Definition von »okay«.

Vor dem Klingeln zur ersten Stunde laufen die meisten kreuz und quer über den Schulhof. An unserer Schule gibt es keine Uniform, deshalb ist es eine Farbexplosion, als hätte ein T-Rex eine Wagenladung Konfetti gefressen und alles über der Schule ausgekotzt. Mit meinem grauen T-Shirt und den hellbraunen Shorts bin ich der einzige trübe Klecks mittendrin.

Ich sehe mich um, kann jedoch kein bekanntes Gesicht entdecken. Mit einem schwachen Herzen verpasst man so viel Unterricht, dass man eine Klasse wiederholen muss. Und dann noch eine. Bis schließlich alle, mit denen man früher mal in einer Klasse war, ihren Abschluss haben und man die einzige Siebzehn-, fast Achtzehnjährige ist, die in die Elfte kommt.

Willkommen in deiner alten Schule, Marlowe McNoFriends.

Die Northside Community School besteht aus einem bunten Gebäude-Mix, von riesigen zauberwürfelartigen Kunsträumen bis zu nierenförmigen Lernzentren; über dem Haupteingang prangt in einer Art Comic-Sans-Schrift das Schulmotto »Seit 1972 fördern wir kreative Köpfe«. Ich hänge mir den Rucksack über die Schulter und murmele einen Abschiedsgruß, dann mache ich mich auf den Weg zum Hauptgebäude, wo mich ein »Willkommensgespräch« mit der Direktorin erwartet.

»Soll ich mit rein?«, ruft meine Mutter.

Ja.

»Nein, schon okay.«

»Nicht vergessen: Nach der Schule hast du einen Termin im Krankenhaus.«

Ich nicke über die Schulter und sehe aus dem Augenwinkel ein blutiges Winken. Dann strubbelt sie Pip durchs Haar und sagt: »Los, auf in den Kampf.«

Mit gesenktem Kopf gehe ich weiter und die anderen machen mir Platz, als wäre ich Moses. Pip rennt hinter mir her und ruft, ich soll auf ihn warten.

Ich kann nicht atmen.

Ich hab vergessen, wie man atmet.

Kann ich zu meiner Mutter zurücklaufen und sie fragen, wie es geht?

Ich gehe ein paar Schritte und bleibe dann hinter dem »Fühlbaum« stehen. Nur einen Augenblick. Vielleicht auch fünf Augenblicke. Vielleicht mehr.

Der Fühlbaum ist eine baumförmige Skulptur aus Holz, an deren Ästen Stifte hängen für den Fall, dass ein verzweifelter junger Mensch sich seine Sorgen von der Seele schreiben will. In Wirklichkeit benutzen die Jungs die Stifte, um Penisse zu zeichnen. Jede Menge Penisse.

Ironischerweise ist der Fühlbaum in diesem Moment echt genau das Richtige.

Denn ich habe Gefühle.

Und ich kann kaum atmen.

Pip bleibt neben mir stehen und sieht mit seinem Tigergesicht zu mir hoch. »Hast du vergessen, wo das Büro ist?« Er versucht sich mit der Schulter an der Nase zu kratzen. Die Farbe in seinem Gesicht verschmiert. »Soll ich dir den Weg zeigen?«

»Ich komm schon klar, Pip. Zisch ab.«

»Warum bist du so gemein zu mir?«

Pip ist der süßeste Junge der Welt und für einen kleinen Bruder ist er echt toll, aber ich versuche grad unsichtbar zu sein und da ist es ungünstig direkt neben Dschungel-Anne auf Green Gables zu stehen. Deshalb ignoriere ich ihn, bis er sich zu einer Gang gleichaltriger Jungs trollt. Er setzt sein typisches Grinsen auf und erzählt ihnen in allen Einzelheiten von seinem Schaubild – wie genau er gearbeitet hat und wie maßstabsgetreu es ist. »Guckt mal, die kleine Toga, die ich genäht hab«, sagt er.

Meine fünf oder mehr Augenblicke sind um, aber ich stehe immer noch wie angewurzelt da und schaue rüber zu der Rasenfläche, wo die anderen in Grüppchen zusammenstehen und quatschen, die Schultaschen wie Mauern um sie herum am Boden. Undurchdringliche Mauern.

Mein Herz drückt mir gegen die Rippen, als wäre es zu groß für meine Brust. Noch zwei Jahre. Zwei Jahre, in denen ich mich hinter dem Fühlbaum verstecken werde, weil ich niemanden kenne. Die Gruppen stehen seit dem Kindergarten fest, es sei denn, man ist jemand, der die große Freundschaftsmauer einfach durchbrechen kann. Und so jemand bin ich nicht.

Als ich noch das sterbende Mädchen war, da war ich natürlich der Star des Monats. Nichts macht einen so interessant wie der drohende Tod. Ihr hättet die Blumen sehen sollen, die Karten, die Stände, an denen man spenden konnte, und die überkonfessionellen Gebetskreise, die es gab, als ich die Schule endgültig verlassen musste.

Aber dann hat jemand Pech gehabt und ich konnte mein schwaches Herz gegen ein neues eintauschen und hier bin ich wieder. Und wie sich jetzt zeigt, bedeutet »Star des Monats«, dass man genau einen Monat bekommt. Wenn der Monat um ist, ist man wieder ein Niemand. Und wenn ich nicht das sterbende Mädchen bin, wer bin ich dann?

Offenbar hat sich keiner – auch ich nicht – gefragt, was passiert, wenn ich nicht sterbe.

Stellt euch vor, ihr wärt Figuren in einem Katastrophenfilm. Ihr seid gerade im Supermarkt, als auf einmal das Licht flackert, die Erde bebt und alles aus den Regalen fällt. Über euch taucht ein außerirdisches Raumschiff auf und feuert Laserstrahlen ab. Alle um euch herum schreien und ihr denkt, das war’s jetzt. Das Ende der Welt. Also umarmt ihr euch, die zehn Leute, die da zufällig im Supermarkt sind, sagt euch, dass ihr euch liebt und was für ein Mist es ist, dass ihr nie ein Croissant in Paris gegessen habt oder mit Haien geschwommen seid, und ihr versprecht euch, dass ihr das alles tun werdet, falls ihr lebendig hier rauskommt, und dann fangt ihr an mit dem erstbesten Jungen rumzuknutschen, weil ihr einfach noch ein bisschen Spaß haben wollt, bevor ihr sterbt. Aber dann geht das Licht wieder an und das UFO fliegt weg, weil Will Smith die Situation gerettet hat.

Was macht ihr dann? Verkauft ihr wirklich alles und fliegt nach Kapstadt, um mit den Haien zu schwimmen? Wollt ihr immer noch mit dem Kassierer knutschen und mit diesem zufällig zusammengewürfelten Grüppchen befreundet sein? Oder zahlt ihr eure Cola und verschwindet?

Atmen, Marlowe. Einfach atmen.

Und gehen.

Ich laufe in Richtung Büro, aber nach zwei Schritten schließen mich drei honigblonde Mädchen in einem Kreis aus Lächeln und Winken ein. »Marley!«, quieken sie.

Fast richtig.

Außerdem können sie mich nennen, wie sie wollen, denn es sind echte Mädchen aus Fleisch und Blut, die mit mir reden! Vielleicht wird es gar nicht so schlimm, wie ich dachte.

»Mein Gott, Marley. Du bist wieder da.«

»Du hast gar nicht gesagt, dass du wiederkommst.«

»Das hättest du sagen sollen.«

Ich weiß, dass sie keine Schwestern sind, aber sie sehen alle gleich aus – die gleiche Frisur, die gleichen Jeans, die gleichen weißen Sneaker. Ich weiß nur nicht mehr, wie sie heißen, denn bisher bestand unsere Beziehung aus fünf Sekunden Unterhaltung und einer Karte mit Genesungswünschen. Es ist auch nicht gerade hilfreich, dass ich sie in Gedanken immer Zerberus genannt habe. Aber sie sind ein ganz netter Zerberus. Na ja, soweit ein dreiköpfiger Hund nett sein kann.

»Du musst uns alles erzählen«, sagt Kopf Nummer eins.

»In allen Einzelheiten«, sagt Kopf Nummer zwei.

»Du bist eine Berühmtheit«, sagt Kopf Nummer drei. »Alle reden über dich.«

Die Wahrheit trifft mich wie ein Schlag in die Magengrube – wenn ich nicht weiter das sterbenden Mädchen gebe (auch bekannt als das Mädchen mit der Herztransplantation), habe ich keine Chance, mir ihre Aufmerksamkeit zu erhalten.

»Da gibt es nichts zu erzählen«, sage ich. »Ich hab ein neues Herz bekommen. Es geht mir besser.«

Sie sehen mich erwartungsvoll an – sie wollen all die schmutzigen Details hören, aber ich lasse sie schmoren. Wie viele Knochen muss man einem dreiköpfigen Hundemonster hinwerfen, damit es zufrieden ist? Ich weiß es nicht, aber von mir kriegen sie nichts.

»Ihr habt tolle … Schuhe«, sage ich und zeige auf die drei Paar weißen Sneaker.

»Ah.«

»Ja.«

»Danke.«

Kopf Nummer eins hält über meine Schulter hinweg nach einer neuen Zerstreuung Ausschau, einer besseren Zerstreuung, nach etwas, in das ein dreiköpfiges Hundemonster wirklich seine Zähne schlagen kann.

»Hat eine von euch auch Englisch bei Mr Laidlaw?«, frage ich.

Die drei wechseln einen...

Erscheint lt. Verlag 5.3.2020
Übersetzer Sylke Hachmeister
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Kinder- / Jugendbuch Sachbücher
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Chirurgie
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Innere Medizin
Schlagworte Außenseiiter • Bücher ab 14 • Coming of Age • Erste Liebe • Familie • Feminismus • Freundschaft • Geheimnis • Geschwisterbeziehung • Herzkrankheit • Highschool • Jugendbuch Drama • Jugendbuch Humor • Jugendbuch Mädchen • Junge Erwachsene • Krankheit • Krankheiten für Jugendliche • Liebe • Mobbing • Organspende • Organtransplantation • Schule • Schwierige Themen für Jugendliche • Tod • Vegan • Verliebtheit • Verlust
ISBN-10 3-646-93066-7 / 3646930667
ISBN-13 978-3-646-93066-5 / 9783646930665
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