Caldera 2: Die Rückkehr der Schattenwandler (eBook)
384 Seiten
Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
978-3-522-65406-7 (ISBN)
Eliot Schrefer ist ein mehrfach ausgezeichneter 'New York Times'-Bestsellerautor, der unter anderem zweimal für den National Book Award nominiert war und bereits den Green Earth Book Award und den Sigurd Olson Nature Writing Award gewonnen hat. Neben dem Schreiben setzt er sich leidenschaftlich für den Erhalt des Regenwalds ein. Er lebt in New York City und ist Kinderbuchrezensent bei 'USA Today'. eliotschrefer.com
Ein knarrender Ast, ein brechender Zweig – es nähert sich ein Eindringling.
Hoch oben im Feigenbaum hält Sorella inne und schnuppert. Ihr Nackenfell sträubt sich.
Falls ein Raubtier sie entdeckt hat, ist das Beste, was das Uakari-Affenmädchen tun kann, so reglos wie möglich zu verharren. Adler und Ozelots reagieren auf Bewegungen.
Als eine ganze Weile ohne ein weiteres Geräusch verstreicht, nimmt Sorella ihre Nahrungssuche wieder auf. Bald darauf hält sie eine Nuss in den Händen und macht sich daran, die harte Schale mit ihren Zähnen aufzubrechen. Uakaris sind die einzigen Affen, die stark genug sind, diese Nüsse zu knacken. Das heißt aber trotzdem nicht, dass es einfach für sie ist. Sie nagt und beißt mit solcher Konzentration auf der Nuss herum, dass sie alles andere um sich herum vergisst.
Wieder erklingt ein Krachen. Doch es kommt nicht von der Nussschale.
Sorella wirbelt herum, lässt ihre Nuss fallen und hangelt sich eilig in die Baumkrone hinauf, bereit, anzugreifen oder zu fliehen, wenn es sein muss. Blätter, kleine Zweige und sogar eine bemitleidenswerte Gottesanbeterin prasseln auf die Lichtung unter ihr herab, während sie sich zu ihrer vollen Größe aufrichtet und ein lautes, warnendes Kreischen ausstößt. Mit gefletschten Zähnen keift sie den Eindringling an – bis sie erkennt, um wen es sich handelt.
Es ist ein Faultier.
Ein Faultier hat es geschafft, sich an Sorella anzuschleichen! Wie peinlich. Ihr haarloses rotes Gesicht wird noch röter, als sie vom Baum springt, ihre schmerzenden Knöchel ausschüttelt und dann rasend schnell den Stamm hinaufkraxelt, um von dort aus Banu anzuknurren, der von einem Ast am benachbarten Feigenbaum hängt. »Hast du sie noch alle? Du kannst dich doch nicht einfach so anschleichen!«
Das Faultier gähnt und blickt ihr ausdruckslos entgegen. Eine Wespe krabbelt durch seine Augenbrauen. »Tut mir leid«, erwidert Banu auf die langsame, bedächtige Art, die typisch für alle Faultiere ist. Dadurch klingen sie entweder unglaublich weise oder unglaublich dumm, je nachdem, wen man fragt. »Ich habe es in meinem ganzen Leben … noch nie geschafft … mich an irgendwen anzuschleichen … Ich weiß gar nicht … ob ein Faultier das überhaupt kann … Vor allem nicht an jemanden … der so wachsam und stark ist … wie eine junge Uakari.«
Sorella schnieft trocken und lässt ihre angespannten Schultern sinken. »Du hast recht. Du hast dich nicht an mich angeschlichen. Das ist unmöglich.«
Banu nickt zufrieden.
Sorella fängt an, durchs Unterholz zu stöbern. Sie schiebt Blätter beiseite und schnüffelt darunter. »Deinetwegen habe ich allerdings eine dicke, fette Nuss fallen gelassen. Ich hatte sie fast geknackt.«
»Tut mir leid«, wiederholt Banu nickend. »Guck doch mal … da drüben … in der Palme.«
Als Banu seinen Satz beendet, hat Sorella die Palme bereits zweimal durchsucht und taucht gerade wieder zwischen deren Wedeln auf. Triumphierend reckt sie die Hand mit der Nuss darin in die Höhe. Dann sieht sie zu Banu hoch und kneift ihre durchdringenden, dunklen Augen argwöhnisch zusammen. »Und was hat ein netter Faultierjunge wie du mitten im Revier der Uakaris zu suchen?«
Er blickt sie an und blinzelt. »Ich bin auf dem Weg … zur Ruine … Als wir Auriel besiegt haben … und die Ameisenkönigin entkommen ist … haben wir alle versprochen … unseren Familien zu Hause … davon zu erzählen … und uns dann wieder am Tempel … zu versammeln … um zu berichten … was wir herausgefunden haben … Erinnerst du dich? … Oder bist du vom Baum gefallen … und hast dir den Kopf angeschlagen?« Er grinst. Ganz langsam.
»Natürlich erinnere ich mich daran«, brummt Sorella missmutig. »Aber es dauert noch drei volle Mondkreisläufe, bis das Jahr rum ist.«
Banu hebt in gespielter Resignation eine Klaue. »Wenn du so … langsam vorwärtskommst … wie ich … musst du entsprechend … früh aufbrechen. Ich habe … sechs Mondkreisläufe gebraucht … bis ich zu Hause war … und konnte mich dann … gleich wieder auf den Weg machen.«
»Echt doof«, meint Sorella.
Banu zuckt mit den Schultern. »So ist das nun mal … wenn man … ein Faultier ist … Ist nicht gerade praktisch … aber ich kenne es … auch nicht anders … Willst du mich begleiten?«
Sorella schüttelt den Kopf. »Nichts für ungut, aber ich würde verrückt werden, wenn ich mich deinem Tempo anpassen müsste.«
»Ist Gogi … in der Nähe?«, fragt Banu.
»Die Kapuzineraffen leben im Norden, nicht im Westen wie wir Uakaris.«
Banu nickt. »Schade … Ich mag dieses … freundliche kleine Äffchen.«
»Seine Feuermagie ist auch ganz hilfreich«, ergänzt Sorella.
»Ich weiß jetzt … was meine Fähigkeit ist«, berichtet Banu. »Wasser. Ich kann … Wasser bewegen.«
»Klingt irgendwie, äh, langsam«, meint Sorella.
»Na ja, ich sollte … nicht länger … herumtrödeln. Hast du … noch ein paar von … diesen leckeren Nüssen … die ich als Proviant … mitnehmen könnte?«
»Geh schon mal vor. Ich bringe sie dir«, erwidert Sorella trocken. »Ich denke, ich sollte in der Lage sein, dich einzuholen.«
Als Banu zum Ende der Lichtung kommt, hat Sorella bereits vier Nüsse für ihn geknackt. Sie legt ihm die fleischigen weißen Stücke in die Hand. »Wenn du den Stoffwechsel … eines Faultiers hast«, sagt er dankbar, »reicht dir diese Menge Futter … für mehrere Tage … Danke, Sorella.«
Sorella blickt dem langsam verschwindenden Faultier nach. Sie war das wildeste und aggressivste Tier unter den Schattenwandlern, aber nachdem sie während des finalen Angriffs auf den Tempel beinahe ums Leben gekommen wäre, hat sich ihre Einstellung geändert. Es gibt Momente, in denen ein gewisser Kampfgeist durchaus angebracht ist, aber sie kann die Zeit nicht zurückdrehen, um nachträglich nett zu denen zu sein, die diese Schlacht nicht überlebt haben. Wer hätte das gedacht? Selbst ein Uakari kann Herz zeigen … jedenfalls ab und zu.
Sorella spürt ein Kribbeln im Fell an ihrem Knie. Sie streckt die Hand aus und kratzt sich. Ein Knacken, dann das Gefühl von etwas Matschigem. Es war eine Soldatenameise, aber sie hat sie erwischt, bevor das Krabbeltier seine kräftigen Beißwerkzeuge in ihrer Haut versenken konnte. Zum Glück hat sie ein dickes, drahtiges Fell.
Sie stöbert weiter durch das Buschwerk, auf der Suche nach Futter. Sie genießt das leise Pfeifen, mit dem ihr Atem zwischen ihren scharfen Zähnen hindurchstreicht. Nach und nach ändert das Licht die Farbe: Die gleißende Helligkeit der Mittagssonne weicht einem gedämpfteren Orangeton, je weiter der Nachmittag voranschreitet. Gleichzeitig werden die Ameisen immer aufdringlicher. Inzwischen strömen sie in Scharen über die federnden rötlich braunen Laubhaufen am Boden. Sorella klettert hinauf ins Blätterdach, doch auch hier oben ist alles voller Ameisenstraßen. Sie versucht, sich davon nicht beunruhigen zu lassen – vielleicht gab es irgendwo in der Umgebung einen heftigen Regenschauer, und die Ameisen suchen hier Zuflucht.
Dann hört sie ein weiteres Knacken und erstarrt.
Vielleicht war das Banu, der doch noch eine Nuss haben möchte?
Die Baumstämme um sie herum beginnen zu flimmern, doch Sorella, die angespannt nach der Quelle der Geräusche Ausschau hält, hat gerade keine Zeit, sich näher damit zu befassen.
Ein Zittern geht durch einen der riesigen Farne, und kurz darauf teilen sich die Blätter. Was auch immer da auf sie zukommt, es ist groß.
Als Erstes erblickt Sorella die Antennen, dann den glatten flachen Kopf mit den gigantischen Beißwerkzeugen, die mühelos einen Uakari aufspießen könnten.
Die Ameisenkönigin.
Sie ist groß wie ein ausgewachsener Büffel, und ihr Körper besteht aus glänzenden, undurchdringlichen Platten, die in schmalen, spitzen Gelenken münden. Auf ihrer Oberfläche spiegelt sich das rötliche Licht der Nachmittagssonne. Der braunviolette Panzer der Königin ist nahezu makellos, bis auf die starren gelben Härchen, die aus den breiten Platten sprießen.
Oben im Baum macht sich Sorella ganz klein und versucht, keinen Mucks von sich zu geben, während die Ameisenkönigin näher und näher kommt. Als das riesige Insekt hinter der Palme hervortritt, sind die Schritte seiner vielen Beine so leise wie die eines Panthers. Das einzige Geräusch, das sie erzeugen, ist das sanfte Rascheln nasser Blätter, die unter dem Gewicht des Ungeheuers zusammengedrückt werden.
Schlagartig wird Sorella klar, dass es jetzt Wichtigeres gibt, als unbemerkt zu bleiben. Sie stößt einen schrillen Schrei aus, um den Rest ihrer Truppe vor dem herannahenden Feind zu warnen. Es gibt keinen speziellen Ruf für jahrhundertealte Ameisenherrscher, deswegen nimmt sie den für Adler und Ozelots, nur viel, viel lauter. Hoffentlich hört jemand aus ihrer Familie sie.
Unten auf der Lichtung zuckt die Ameisenkönigin mit ihren Antennen. Ist sie verärgert? Oder steckt vielleicht irgendeine andere unbekannte Ameisenemotion dahinter? Dann hebt sie den Kopf, bis sie Sorella dort oben auf dem Baum direkt ansieht. Das Uakarimädchen schnappt nach Luft. Sie hat vergessen, wie entsetzlich es sich anfühlt, die Ameisenkönigin anzublicken: In ihren glänzenden schwarzen Augen liegt eine unendliche Tiefe, aber kein...
Erscheint lt. Verlag | 15.3.2019 |
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Reihe/Serie | Caldera | Caldera |
Illustrationen | Emilia Dziubak |
Übersetzer | Ulrike Köbele |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Lost Rainforest: Gogis Gambit |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Abenteuer • Das Dschungelbuch • Die Legende der Wächter • Erin Hunter • Kinderbuch ab • Seekers • Spirit Animals • Tiere • Warrior Cats • Woodwalkers |
ISBN-10 | 3-522-65406-4 / 3522654064 |
ISBN-13 | 978-3-522-65406-7 / 9783522654067 |
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