Der rebellische Mönch, die entlaufene Nonne und der größte Bestseller aller Zeiten, Martin Luther (eBook)
128 Seiten
Gabriel Verlag
978-3-522-63055-9 (ISBN)
Christian Nürnberger (Jahrgang 1951) ist ein hochkarätiger Autor. Der Journalist studierte Theologie, arbeitete als Reporter bei der Frankfurter Rundschau, als Redakteur bei Capital, und als Textchef bei Hightech. Seit 1990 arbeitet er als freier Autor. Für 'Mutige Menschen - Widerstand im Dritten Reich' wurde er mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2010 ausgezeichnet. Seine Luther-Biografie 'Der rebellische Mönch, die entlaufene Nonne und der größte Bestseller aller Zeiten' stand monatelang auf der Spiegel-Bestsellerliste Der Journalist und Publizist Christian Nürnberger und seine Frau Petra Gerster veröffentlichten zusammen mehrere Bücher zum Thema Erziehung und Bildung, die allesamt zu Bestsellern wurden. Für 'Mutige Menschen - Widerstand im Dritten Reich' wurde Christian Nürnberger mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2010 ausgezeichnet.
- Spiegel Jahres-Bestseller: Sachbuch / Hardcover 2017 — Platz 18
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 36/2017) — Platz 20
- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 33/2017) — Platz 17
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- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 29/2017) — Platz 17
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- Spiegel Bestseller: Sachbuch / Hardcover (Nr. 21/2017) — Platz 8
Ein Jungphilosoph im Gewitter
Wir schreiben den zweiten Juli 1505, und die Welt weiß noch nicht, dass gerade das Mittelalter vergeht und die Neuzeit begonnen hat. Ein frischgebackener Magister der Philosophie, 21 Jahre jung, marschiert auf einsamen Wegen in Richtung Erfurt, wo er an der dortigen Universität Philosophie unterrichtet und ein Zweitstudium, Jura, begonnen hat. Er war bei seinen Eltern zu Besuch in Mansfeld, einem kleinen Ort zwischen Magdeburg und Erfurt.
Gleich wird der Blitz neben ihm einschlagen und seinem Leben eine entscheidende Wende geben. Nur zwölf Jahre später wird diese Wende im Leben des Magisters Martin Luder eine weltgeschichtliche Wende einleiten, und Luder wird sich Luther nennen, was von »Eleutherius« kommt und so viel bedeutet wie »der Befreite«. Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg.
Erfurt dagegen ist jetzt nahe. Sechs Kilometer noch. Den größten Teil seines rund hundert Kilometer langen Fußmarsches hat der Magister Luder hinter sich. Hundert Kilometer Einsamkeit. Hundert Kilometer über Felder und Wiesen, durch die Hitze des Tages und die Kühle der stockdunklen Nacht. Mühsame Wege durch Brachland und Heidelandschaft, vorbei an unbegradigten Bächen und Flüssen, an Sümpfen, Tümpeln und Weihern, über Berge und durch Täler. Viel Wald. Ab und zu eine dem Wald durch Brandrodung abgetrotzte Lichtung. Hier und da ein Weiler, seltener ein Dorf mit einer Gastwirtschaft, die zum Rasten und Essen und Trinken einlädt, noch seltener eine Ansammlung von Häusern, die man Stadt nennen könnte. Weit und breit nur Natur und Wildnis und Gefahr.
Für die Schönheit der Natur hat der junge Mann keinen Blick, denn darin konnte man umkommen. »Extra muros«, außerhalb der sicheren Stadtmauer, lauern Räuber, wilde Tiere, Geister, Hexen und Dämonen. Daher atmet er auf, als er müde, einsam und gedankenversunken in der Ferne die Stadtmauern von Erfurt erblickt. Aber nun zieht ein Gewitter auf. Wieder so eine Gefahr. Er fürchtet Gewitter. Obwohl er doch studiert hat, glaubt er, dass es bei einem Gewitter Gott ist, der donnert. Oder der Teufel. Jedenfalls eine überirdische, außernatürliche Macht, die strafen oder gar töten will.
Es wird noch zwei Jahrhunderte dauern, bis die Menschheit lernt, dass der Blitz eine natürliche Erscheinung ist, hervorgerufen durch den Zusammenstoß kalter und warmer Luftmassen, die sich elektrisch entladen, und nicht durch den Zorn Gottes. Und es ist dieser mittelalterliche, abergläubische Luther, der ohne eigenes Wollen dem menschlichen Denken einen Weg bahnt, an dessen Ende die »Krücke Gott« als Erklärung für die vielfältigen Erscheinungen der Natur nicht mehr gebraucht wird.
Er selbst bleibt dem Mittelalter verhaftet bis zu seinem Tod. Bis zuletzt ist er von der Vorstellung durchdrungen, dass Gott und der Teufel immer und überall unsichtbar anwesend sind und in das Weltgeschehen und jedes einzelne Leben eingreifen. Deshalb versteht er Blitz und Donner als Sinnbild für Gottes Zorn, aber auch als Warnungen und Drohgebärden, die sich an Einzelne oder Gruppen richten.
Besser so eine Warnung als ewig in der Hölle schmoren – die schlimmste Strafe, vor der sich alle immerzu fürchten. Dass die Guten in den Himmel kommen, die Bösen in die Hölle, und ein großer Teil erst im Fegefeuer für seine Sünden büßen muss, bevor es doch noch den ersehnten Passierschein in den Himmel gibt, glauben zu jener Zeit fast alle. Wer daran zweifelt, tut es heimlich und ist sehr wahrscheinlich ein Fürst, König oder Kaiser, vielleicht auch ein Bischof, Kardinal oder Papst im fernen Rom.
Das normale Volk aber lebt in der Überzeugung, dass sein Erdenleben nur eine kurze, jedoch entscheidende Zwischenstation auf dem Weg in den Himmel oder zur Hölle ist. Die Erde ist eine Scheibe, darunter verbirgt sich die Hölle, und von dort aus versucht der Teufel, möglichst viele Seelen zu sich nach unten zu ziehen. Aber darüber wölbt sich der Himmel, und von dort aus versuchen Gott, Jesus, der Heilige Geist, Maria und alle Engel und Heiligen, die Seelen zu sich nach oben zu ziehen. Der Schauplatz dieses Ringens zwischen Himmel und Hölle um jede einzelne Menschenseele ist diese flache Erdscheibe, sie ist der Ort der Bewährung des Menschen. Hier muss der Mensch sich entscheiden zwischen Gut und Böse, Gott und dem Teufel.
Aber kann er das? Hat er überhaupt einen freien Willen? Was kann denn der Mensch tun, dass er in den Himmel kommt? Viel, sagen die Priester, die Mittler zwischen Gott und Mensch. Gute Werke soll er tun. Gehorsam gegenüber Papst und Kaiser, allen Obrigkeiten und natürlich auch gegenüber jedem Priester soll er seine Pflichten erfüllen. Vater und Mutter ehren, den Feiertag heiligen, Gott fürchten und beten soll er. Nicht stehlen soll er, nicht lügen, nicht betrügen, nicht morden, keine Unzucht treiben, nicht schlecht über andere reden und keine sündigen Gedanken hegen. Aber weil besonders Letzteres fast unmöglich ist, soll er regelmäßig beichten, seine Sünden und seine sündigen Gedanken aufzählen, bereuen, büßen, fasten, sich von seinen Sünden loskaufen und sicherheitshalber auch für seine verstorbenen Angehörigen eine Messe lesen lassen, eine Kerze stiften, einen Ablassbrief kaufen. Der Papst in Rom und die Bischöfe und Kardinäle in ganz Europa leben gut davon.
Aber wenn es hilft? Wenn man sich tatsächlich seine Planstelle im Himmel durch gute Werke auf Erden erarbeiten und, wenn’s nicht ganz reichen sollte, den Rest kaufen könnte, dann wäre ja alles gut.
Wenn es aber nicht hilft? Warum überhaupt sollte es helfen?
Das ist die Frage, die Luther seit seiner Jugend umtreibt und in späteren Jahren immer stärker plagt, oft schier verzweifeln lässt und in eine Frage mündet, die uns heute völlig fremd ist: Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Letztlich ist es diese Frage, aus der sich alles Weitere entwickelt und schließlich in jenen Vorgang mündet, der »Reformation« genannt wird.
Heute tun wir uns so schwer damit, das zu verstehen, weil Luthers Frage schon lange nicht mehr unsere ist. Unsere Frage lautet eher: Gibt es überhaupt einen Gott? Und vielen stellt sich nicht einmal mehr diese Frage. Sie ist ihnen gleichgültig, oder sie haben längst entschieden, dass Gott eine Illusion sei.
Für Luther aber und seine Zeitgenossen war die Existenz Gottes und auch des Teufels eine selbstverständliche Realität, und auch, dass dieser Gott am Ende aller Tage über jedes einzelne Menschenleben richten und entscheiden wird: ewiges Glück im Himmel oder immerwährende Qualen in der Hölle. Und dieses Ende ist nah. Viele, auch Luther, erwarteten den baldigen Weltuntergang, das Jüngste Gericht, die ewige Höllenqual.
Hieronymus Bosch hat sie gemalt, diese Qualen der Hölle. Sein Weltgerichtstriptychon versetzte die Betrachter in Angst und Schrecken, vor allem auch deshalb, weil der Tod allgegenwärtig, die durchschnittliche Lebenserwartung niedrig war. Krankheiten, Seuchen, eine hohe Kindersterblichkeit, das Kindbettfieber, das viele Mütter umbrachte, aber auch die harte Arbeit, die feuchte Kälte in vielen Wohnungen, das alles schuf ein Bewusstsein für den Tod, der jederzeit an die Tür klopfen konnte.
Was muss ich tun, damit mir das Fegefeuer oder gar die ewigen Qualen der Hölle erspart bleiben? Was kann ich für meine verstorbenen Verwandten tun? Das war die Frage, die alle umtrieb.
Und Luther kam, je länger er darüber nachdachte, umso sicherer zu der niederschmetternden Erkenntnis: Nichts kannst du tun. Jeder landet in der Hölle. Wir sind alle verloren, denn der Kampf gegen das Böse in uns ist von uns nicht zu gewinnen.
Gott sieht doch ins Herz hinein, grübelt Martin Luther, und da sieht er das unstillbare Verlangen nach Sex, Macht, Reichtum, Ehre, Ansehen, Geltung – ein kochendes, mühsam unter dem Deckel gehaltenes Gebräu, das einer mithilfe eines äußerlich tadellosen Lebens gut vor allen anderen und sogar vor sich selber verbergen kann, aber nicht vor Gott. Luther, und das unterscheidet ihn möglicherweise von fast allen seinen Zeitgenossen, blickt offenen Auges in dieses Gebrodel aus unbefriedigten Sehnsüchten, heimlichen Wünschen und Begierden, um zu sehen, was Gott sieht. Wo andere wegsehen, bewusst die Augen schließen oder sogar instinktiv und unwillkürlich den Blick abwenden, da schaut Luther geradezu magisch angezogen hin.
Er erblickt einen Abgrund, über den der Mensch keine Macht hat. Vier Jahrhunderte vor Sigmund Freud entdeckt Luther, was Freud später das »Es« nennen wird, jene Wirklichkeit in uns, die uns nicht bewusst ist und über die wir deshalb keine Kontrolle haben.
Wohl kann einer gute Werke tun, aber die heimliche Freude verhindern, die sich automatisch einstellt, wenn er jemandem begegnet, der kleiner, dümmer, hässlicher, ärmer ist als er selbst, kann er nicht. Schneller als man sich einen schlechten Gedanken verbieten kann, ist er schon da. Unsere Wünsche und Gedanken kommen aus einem Reich, das wir nicht kontrollieren können, und oft münden sie in Taten, die besser nie geschehen wären.
Deshalb braucht es die Polizei, Richter, Henker und das Jüngste Gericht. Ohne sie bräche das ganze widerliche Gebräu aus den Menschen hervor, und sie würden einander belügen und betrügen, berauben, vergewaltigen und umbringen.
Luther erschrickt zutiefst, als er erkennt, dass er den Kampf gegen das Gebrodel nicht gewinnen kann, dass niemand ihn gewinnen kann, also alle verdammt sind, denn Gott, so steht es in der Bibel, ist ein gerechter Gott. Und wenn er wirklich gerecht über jeden Einzelnen...
Erscheint lt. Verlag | 17.10.2016 |
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Illustrationen | Irmela Schautz |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Kinder- / Jugendbuch | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung | |
Schlagworte | Biografie • Biographie • Der Erziehungsnotstand • Evangelisch • Katharina von Bora • Kirchengeschichte • Luther 2017 • Martin Luther • mutige Menschen • Protestantismus • Reformation • Reformationsjubiläum • Reformationstag • Reformation und Gegenreformation • Reformator |
ISBN-10 | 3-522-63055-6 / 3522630556 |
ISBN-13 | 978-3-522-63055-9 / 9783522630559 |
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