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Am Nerv der Beziehung (eBook)

Familientherapie und Polyvagaltheorie
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
232 Seiten
Carl-Auer Verlag
978-3-8497-8499-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Am Nerv der Beziehung -  Michel Ackermann
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Impulse für die Praxis Kaum etwas wird zurzeit in Psychologie und Psychotherapie mit so viel Interesse aufgenommen wie die Polyvagaltheorie. Neben dem Umstand, dass sie nicht ganz einfach zu erfassen ist, liegt das an ihrem unstrittigen Neuigkeitswert. Als neurowissenschaftliche Theorie bringt sie den Körper deutlich konkreter ins Spiel, als das die 'Besänftigungsstrategien' körpertherapeutischer Ansätze bisher getan haben. Michel Ackermann schlägt in diesem Buch die Brücke von der Familientherapie zur Polyvagaltheorie und macht deren wesentliche Neuerungen und Vorzüge erkennbar und verständlich. Als Leser:in lernt man Familie als 'körperliches System' kennen, das sowohl - dysregulierend - für Probleme und Konflikte sorgen als auch - koregulierend - zu deren Lösung beitragen kann. Die Fähigkeit, den physiologischen Zustand des Körpers im sozialen Austausch miteinander, d. h. mittels Kommunikation, zu regulieren, steht im Mittelpunkt der Polyvagaltheorie: Wir können uns gegenseitig ein Gefühl der Sicherheit geben oder wir können uns gegenseitig in Alarmzustand versetzen, uns gegenseitig 'runterbringen' oder 'auf die Palme'. Es ist dieser neurophysiologische Blickwinkel, von dem die besondere Inspiration dieses Buches ausgeht. Der Autor: Michel Ackermann, Dipl.-Musikerzieher (Komposition, Klavier); Systemischer Kinder- und Jugendtherapeut, Systemischer Familientherapeut (SG); Berufsschullehrer im Fach Sozialpädagogik; Dozent an der Polyvagal-Akademie; als Familientherapeut in privater Praxis und für das Berliner Institut für Familientherapie tätig, Schwerpunkt Krisenintervention/KJHG.

Michel Ackermann, Dipl.-Musikerzieher (Komposition, Klavier); Systemischer Kinder- und Jugendtherapeut, Systemischer Familientherapeut (SG); Berufsschullehrer im Fach Sozialpädagogik; Dozent an der Polyvagal-Akademie; als Familientherapeut in privater Praxis und für das Berliner Institut für Familientherapie tätig, Schwerpunkt Krisenintervention/KJHG.

Michel Ackermann, Dipl.-Musikerzieher (Komposition, Klavier); Systemischer Kinder- und Jugendtherapeut, Systemischer Familientherapeut (SG); Berufsschullehrer im Fach Sozialpädagogik; Dozent an der Polyvagal-Akademie; als Familientherapeut in privater Praxis und für das Berliner Institut für Familientherapie tätig, Schwerpunkt Krisenintervention/KJHG.

1 Familie – ein co-regulierendes oder dysregulierendes System


1.1 Familien im Kontext


1.1.1 Familien-Zeit


Im 21. Jahrhundert ein Buch über Familientherapie zu schreiben, schien mir anfangs, drücken wir es mal so aus, kein sehr hippes Projekt zu sein. Als wollte ich über therapeutische Ansätze für den Verbrennermotor berichten, der ja bekanntlich ein Auslaufmodell sein soll. Als wollte ich einen Song im Stil der Rolling Stones produzieren. Beides wären andererseits Projekte, die in einer Recyclingkultur wie der unseren durchaus aktuell sein könnten: Die Frage des Zeitgemäßen oder des Veralteten ist heute eine der Aktualisierung. Es geht nicht um das Schon-da-Gewesene. Es geht um die Frage, wie sich Auslaufmodelle aktualisieren können: zum Beispiel in neuen Antriebsmodellen. Oder in neuen Melodieführungen in einer Instrumentierung im Stones-Stil. Und ja, Familie – sie hat sich in den vergangenen Dekaden vielfach aktualisiert. Sei es in der Normalisierung des sog. Patchwork-Systøems, sei es in der, wenn auch langsamen, Anerkennung von alleinerziehenden Familien. Sei es in der erst kürzlich erfolgten Legalisierung der Homo-Ehe.

Die Aktualisierungen betreffen aber nicht nur formale Bereiche, die lediglich vereinzelt erforschte Umwertungen zur Folge haben können.1 Sie betreffen auch die Verschränkungen des Systems Familie mit dem System Gesellschaft, ihrer Politik und Kultur. In Letzterer geht es auch um die omnipräsente Dominanz der Medien als Kulturmittler, die eine über Jahrhunderte währende Vorherrschaft der Familie in diesem Bereich in wenigen Dekaden aufgeweicht haben. Der Zeitspeicher Familie kann durch die Terabytes der Datenspeicher in Handys und Rechnern ergänzt oder gar ersetzt werden. »Verdrängt« oder »entwertet« wären an dieser Stelle vielleicht auch angemessene Vokabeln. Andererseits wissen wir über diese Prozesse noch zu wenig, um sie vorschnell bewerten zu können.2

Statt aber zu fragen, was Familie im Jahr 2024 sein kann, wäre es im Sinne der beschriebenen Aktualisierungstendenz erhellender zu fragen: Welche gesellschaftlichen und kulturellen, welche sozialen und psychischen Informationen sind heutzutage im System Familie codiert? Weniger technisch und in einem »Schnittstellenwort« aus Medien und systemischer Therapie ausgedrückt: Welche gesellschaftlichen Narrative [→ Narrativ] aktualisieren heute die inneren und äußeren Bilder der diversen Familien-Modelle? Begnügen wir uns beim Antworten an dieser Stelle mit ideengebenden Stichwörtern, die uns im Verlaufe unserer familientherapeutischen Reise wieder begegnen könnten:

Familie als analoger Anker – in ablösender Auflösung – als Oase innerhalb der Medien-Großfamilie – als retroromantisches Understatement – als vergessene Demut – als »enträumlichte« Schatztruhe des Privaten – als Spiegelkabinett ohne Bilder (aber mit Handy-Pics) – als Babylon neuer Generationensprachen – als weltweite Seelenwanderung – als Indikator von veränderten Lebenswelten – als Hafen zur angebundenen Freiheit.

Und es ließen sich wohl noch viele andere (poetisch) veranlagte Wortpaare finden, die ein System beschreiben, welches sich in der unaufhaltsamen Aktualisierungstendenz der Kulturtechniken zwischen Anpassung, Rückzug, Auflösung und/oder Erweiterung einrichtet. Der Zeitspeicher Familie, unser kulturelles und familiäres Gedächtnis, kann uns als narrativ angelegtes System helfen, in diesen Einrichtungs-, Anpassungs- oder Veränderungsvorgängen Hinweise und Ideen zu finden, um sie als Ressourcen auch familientherapeutisch nutzen zu können.

1.1.2 Familien-Bilder


Bevor wir uns den co-regulierenden und dysregulierenden Wirkmechanismen des Systems Familie unter der Perspektive der Polyvagaltheorie (PVT) zuwenden, gestatten wir uns einen Blick auf das, was Familie im Sinne einer Metapher bedeuten kann. Dies erscheint mir wichtig, weil bildhafte Sprache [→ Sprache] nicht nur in Therapien ein wichtiger systemischer [→ systemisch/System] Teil unserer Erfassung von Wirklichkeit ist. Die Doppelfunktion jeglichen Bildes (Konkretion und Verallgemeinerbarkeit) hilft, den immer lauernden Fallen einer zu großen Vereinfachung oder auch der unnötigen Verkomplizierung zu entgehen. Das heißt: Wir wollen Familie nicht nur irgendwie als System verstehen. Wir wollen viel genauer verstehen, auf welche Weise Familie ein hochspezifisches Beziehungssystem im Zwischenraum vieler weiterer Systeme ist – und was das für unsere Selbstregulation (im Sinne der PVT) bedeuten kann.

Familie wurde einst (durchaus weltanschaulich konnotiert, s. u.) als »Keimzelle der Gesellschaft« bezeichnet.3 Wir könnten heute auch von der (lebensweltlich, an Identität [→ Identität] ausgerichteten und sozial unter Druck stehenden) »DNA« der Gesellschaft sprechen. Und bedienen damit einen Zeitgeist, der Menschen wieder stärker als (neuro)biologisch veranlagte Wesen betrachtet, anders als im vergangenen Jahrhundert, als der psychologisch-analytische Blick, neben den systemischen [→ systemisch/System] Ausgleichsversuchen, ein bestimmender war (ein Blick, dessen prägende Kraft weiterhin stark in uns allen wirkt). Das dem Diktum der »Keimzelle« zugrunde liegende Weltbild geht bis auf das 18. Jahrhundert zurück, welches den Menschen als biologische Maschine begriff, begleitet von philosophischen Ansätzen, die diesen verengenden Blick auf ihre Weise zu erweitern oder zu bestätigen suchten.4

Wir können heute die Familie auch als emotional veranlagten »Körperbau« der Gesellschaft beschreiben. Und würden hoffen, damit weniger »biologistische« Assoziationen zu bewirken, als einen augenzwinkernden Verweis auf unsere körperkultliebende Gesellschaft zu geben, die sich im »optimierten« Körper zeigt, in Tattoos, der Fitness oder gar dem glutenfreien Brötchen.

Und wir nehmen damit Bezug auf den Umstand, dass Systeme verkörperte Systeme sind. Verkörperte Emotionen könnten eine Brücke zu menschlichem Bewusstsein bilden (mindestens aber zu menschlichem Selbstausdruck in ihm) oder auch zu einer wie auch immer zu verstehenden Seele. Der Körper, Emotionen in und aus ihm heraus und das autonome Nervensystem können als eigenes, kognitiv veranlagtes System aufgefasst werden – ein System mit komplexen Relationen zu unserer sozialen Kognitionsfähigkeit im Kortex des Gehirns und unserem »Verhalten« [→ Verhalten]. Dieser »Körper« begegnet uns später wieder in der Polyvagaltheorie, die uns neue Erkenntnisse und Ansätze für die (Familien-)Therapie ermöglichen kann.

Beziehe ich wiederum meine Metaphern-Lust auf eine technische Funktion von Familiensystemen, stellt sich das Bild der »Schnittstelle« ein. Wikipedia [12.6.2024] beschreibt diesen schönen Begriff, der in Berlin auch einem Friseurgeschäft als Namen dient, so:

»Eine Schnittstelle (englisch Interface […]) ist ein Teil eines Systems, das der Kommunikation dient. Der Begriff stammt aus der Naturwissenschaft und bezeichnet die physikalische Phasengrenze zweier Zustände eines Mediums. Er beschreibt bildhaft die Eigenschaft eines Systems als Black Box, von der nur die ›Oberfläche‹ sichtbar ist; nur über diese ist eine Kommunikation möglich. Zwei benachbarte Black Boxes können nur miteinander kommunizieren, wenn ihre Oberflächen ›zusammenpassen‹.«

Das Liebespaar lernt sich kennen – und kann zunächst (leider auch: ziemlich lange) nur die Oberfläche des Gegenübers wahrnehmen. Wir können nur schwer von außen nach innen schauen, weil schon das Konzept von innen und außen ein kompliziertes ist. Beim Übergang von der begonnenen Paarbeziehung zum System Familie passieren konsequenterweise die ersten größeren Verwerfungen im neuen System, welches im Grunde noch aus zwei vorherigen Systemen besteht und sich nicht als neu zu erkundende »Schnittstelle« zu begreifen gelernt hat. Aber hören wir noch mal Wikipedia [12.6.2024] zu:

»Daneben bedeutet das Wort ›Zwischenschicht‹: Für die beiden beteiligten Boxes ist es ohne Belang, wie die jeweils andere intern mit den Botschaften umgeht, und wie die Antworten darauf zustande kommen. Die Beschreibung der Grenze ist Teil ihrer selbst, und die Black Boxes brauchen nur die ihnen zugewandte Seite zu kennen, um die Kommunikation zu gewährleisten [leider meistens nicht mehr als das; Anm. M. A.]. Das entspricht der lateinischen Wortherkunft inter ›zwischen‹ und facies ›Aussehen‹, ›Form‹ für englisch face ›Gesicht‹.«

Ich sehe die streitenden Gesichter eines Elternpaars vor mir, das nur die jeweils zugewandte Seite der Kommunikation mit dem anderen kennt, ohne genauere Kenntnis darüber, dass diese riskante...

Erscheint lt. Verlag 29.11.2024
Reihe/Serie Systemische Therapie
Verlagsort Heidelberg
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte Bindung • Biopsychologie • Emotionen • Familie • Gesellschaft • KJHG-Therapie • Neurobiologie • Neurowissenschaften • Polyvagal-Theorie • Sicherheit • Sozialpsychologie • Sprache • Systeme • systemisch • Therapie
ISBN-10 3-8497-8499-1 / 3849784991
ISBN-13 978-3-8497-8499-7 / 9783849784997
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