Zucker, Vagus, Bulimie (eBook)
252 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-3264-4 (ISBN)
Die Autorin Inke Jochims, geboren 1963, lebt als Therapeutin und Coach in Berlin. Ihr umfangreiches Wissen gibt sie heute in Online-Kursen, Büchern und Meditationen weiter. Weitere Informationen zur Autorin, ihren Büchern und Online-Kursen finden Sie unter www.jochims-buecher.de und www.jochims-methode.de.
NARZISSMUS UND CO-ABHÄNGIGKEIT
In der Einführung hatte ich gezeigt, dass es zwei Einflüsse gibt, die zur Herausbildung einer Essstörung fuhren: Den kontrollierenden Einfluss des narzisstischen “Vaters” und den permissiven (erlaubenden) Einfluss der co-abhängigen “Mutter”.
Um zu verstehen welchen Einflüssen die Betroffenen ausgesetzt sind, muss man die Struktur von Menschen, die wir “Narzissten” nennen, tatsächlich gut kennen. Denn aus dieser Struktur heraus senden “Vater” und “Mutter” die entsprechenden destruktiven Botschaften, die vom Kind dann verinnerlicht werden und zu den späteren Problemen führen. Sie korrumpieren das Über-Ich des Kindes.
Hinzu kommt, Personen, die mit Narzissten interagieren, spiegeln oft unbewusst deren Verhalten wider. Daher müssen wir wissen, um welches Verhalten, welche Strukturen und welche Substrukturen es sich handelt.
Eine Diagnose lt. DSM-5 beispielsweise reicht für das Verständnis narzisstischer Dynamiken nicht aus, ich möchte aber damit beginnen, die Kriterien des DSM-5 darzustellen.
Die Diagnose einer NPD (Narcisstic Personality Disorder) erfolgt derzeit durch Fachleute, die mit Anamnese, Tests und Fragebögen arbeiten. Aber im Kern gilt: Die Diagnose basiert in der Regel auf den Kriterien des (DSM-5)1.
Laut DSM-5 müssen mindestens fünf der folgenden neun Kriterien erfüllt sein:
- Übertriebenes Gefühl der eigenen Wichtigkeit.
- Beschäftigung mit Fantasien von unbegrenztem Erfolg, Macht, Brillanz, Schönheit oder idealer Liebe.
- Glauben, “besonders” und einzigartig zu sein und nur von anderen besonderen oder hochrangigen Menschen verstanden zu werden.
- Verlangen nach übermäßiger Bewunderung.
- Anspruchsdenken (Erwartung einer bevorzugten Behandlung oder automatischer Erfüllung von Erwartungen).
- Ausnutzen von zwischenmenschlichen Beziehungen (um eigene Ziele zu erreichen).
- Mangel an Empathie (Unfähigkeit oder Unwilligkeit, die Gefühle und Bedürfnisse anderer zu erkennen oder zu beachten).
- Neid auf andere oder der Glaube, andere seien neidisch auf einen.
- Arrogantes, hochmütiges Verhalten oder Einstellungen.
Es ist leicht zu erkennen, dass es sich hier um eine reine Aufzählung von Symptomen handelt, die nichts über die innere Struktur einer als “narzisstisch” diagnostizierten Person aussagt. Der hier verfolgte Ansatz des DSM-5 wird als “kategorial” bezeichnet. “Kategorial” bedeutet, dass jede Diagnose als eine Kategorie mit genau definierten Kriterien verstanden wird. Die Diagnose wird gestellt, wenn eine bestimmte Anzahl der Kriterien erfüllt ist, gemessen durch Tests oder durch Beobachtung.
Der kategoriale Ansatz ist jedoch ein sehr primitiver Ansatz. Er ist vergleichbar mit dem Erstellen von Einkaufslisten oder dem Klassifizieren von Pflanzen, wie es Linnaeus2 getan hat. Eine Pflanze, die diese und jene Merkmale hat, definieren wir als “Rose”.
Dieses so genannte taxonomische System ist rein deskriptiv und liefert keine Informationen über die zugrunde liegenden Prozesse, bzw. die Dynamik und somit keine relevanten Informationen über das vollständige Krankheitsbild.
Ich werde also versuchen, eine auf der inneren Dynamik basierenden Beschreibung zu skizzieren, damit die äußere Dynamik narzisstischer Familien und somit die Einflüsse, des später essgestörten Kindes einer solchen Familie besser verständlich wird.
Die narzisstische Fantasie
Narzissten haben eine bestimmte Persönlichkeitsstruktur oder “Substruktur”, die als Abwehrmechanismus dient. Diese Struktur ist defensiv und umfasst Verhaltensweisen wie Verleugnung, Projektion und Sublimierung.
Diese Abwehrmechanismen helfen dem Narzissten, seine wahre Natur zu verbergen und seine Umgebung zu manipulieren.
Der Narzisst ist im Wesentlichen eine Fiktion. Ein Mensch mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung lebt in einer erfundenen Realität, einer Fantasie über sich selbst, die für sein Überleben entscheidend ist. Was wir “narzisstische Zufuhr” nennen, dient dazu, diese Fantasie aufrechtzuerhalten. Diese Fantasie ist grandios und schützt den Narzissten vor einem Grundgefühl überwältigender Scham3.
Der spätere Narzisst entwickelt diese Fantasie als Kind, während er in einer extrem toxischen Umgebung aufwächst, und verbringt dann den Rest seines Lebens damit, diese Fantasie zu nähren und zu verteidigen. Dies geschieht, indem er sich an andere Menschen bindet, die ihm narzisstische Zufuhr geben. Der Kontakt zu anderen Menschen ist also aus narzisstischer Sicht nur Mittel zum Zweck.
Der Begriff der “narzisstischen Zufuhr”
Der Begriff der “narzisstischen Zufuhr” wurde 1938 von dem österreichischen Psychoanalytiker Otto Fenichel4 geprägt.
Die “narzisstische Zufuhr” beschreibt die Art und Weise, wie Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur von ihrer Umwelt Bestätigung, Anerkennung und Bewunderung suchen, um ihr eigenes Selbstwertgefühl zu stützen. Diese Idee spielt auch heute noch eine zentrale Rolle im Verständnis von narzisstischen Persönlichkeitsstörungen.
Otto Fenichel definierte “narzisstische Zufuhr” (oder narzisstische Bewunderung) als die psychologische Nahrung, die Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur benötigen, um ihr Selbstwertgefühl aufrechtzuerhalten. Diese Art von Zufuhr beinhaltet Aufmerksamkeit, Bewunderung, Anerkennung und Bestätigung von anderen, die das fragile Selbstbild des Narzissten stützt.
Fenichel betonte, dass Menschen mit einem stark ausgeprägten narzisstischen Bedürfnis ständig auf der Suche nach dieser externen Bestätigung sind. Sie sind oft darauf angewiesen, dass andere ihre Grandiosität, Einzigartigkeit und Überlegenheit anerkennen. Wenn diese Zufuhr ausbleibt oder nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist, können sie depressive Verstimmungen, Wut oder andere negative Emotionen entwickeln, da ihr Selbstwertgefühl nicht von innen heraus stabilisiert ist.
Die Idee der “narzisstischen Zufuhr” ist ein zentraler Bestandteil der Theorie der narzisstischen Persönlichkeitsstörung und wurde später von anderen Psychoanalytikern und Psychologen, wie Heinz Kohut, weiterentwickelt. Fenichels Definition legte den Grundstein für das Verständnis, wie Narzissten Beziehungen und soziale Interaktionen gestalten, um ihre Bedürfnisse nach Bestätigung zu befriedigen.
Die Beziehung zwischen einem Narzissten und seiner Umwelt ist nie auf Augenhöhe. Es handelt sich nicht um eine gleichwertige Interaktion zwischen zwei Erwachsenen, in der beide geben und nehmen. Stattdessen ist die Machtdynamik immer vertikal. Der Narzisst muss sich immer über dir befinden.
Die Beziehung ist nie von Erwachsenem zu Erwachsenem, sondern stets vergleichbar mit der zwischen einem Elternteil und einem Kind – wobei der Narzisst immer in der überlegenen Position sein muss. Er möchte die Bedürfnisse seines inneren Kindes erfüllt bekommen, aber der Erfüller soll in der unterworfenen Position sein.
Die narzisstische Fantasie
Diese Bestätigung, diese narzisstische Zufuhr dient – wie wir heute wissen – weniger der Stabilisierung des fragilen Selbst des Narzissten, mehr der Aufrechterhaltung der Fantasie5 des Narzissten, die er über sich selbst entwickelt hat. Diese Fantasie entsteht in der Kindheit des Narzissten.
Spätere Narzissten opfern ihr authentisches Selbst für die Beziehung zu pathologischen Eltern, die selbst ständig narzisstische Zufuhr brauchen und sich wie Götter verhalten.
Das Kind hat nun die Wahl sich zu unterwerfen und die Realität zu sehen, es wird missbraucht. Wie klar das formuliert wird, spielt keine Rolle. Die Erfahrung wäre aber sehr schmerzhaft.
Aber es gibt noch eine weitere Wahl und die ist, das Kind wird zum Gott, der es misshandelt hat, mit anderen Worten, es identifiziert sich mit dem grandiosen, misshandelnden “Gott”. Das Kind will nicht mehr diesem Gott unterworfen, sondern es möchte selbst dieser “Gott” sein. Spätere Narzissten wollen diese Ikone sein, die über allem steht.
Sie entwickeln eine Fantasie über sich selbst, in welcher sie sich erzählen, sie wären bereits dieser “Gott”. Das ist die Fantasie, die mit Hilfe narzisstischer Zufuhr ständig genährt werden möchte.
Gerade weil sie auf andere angewiesen sind, um ihre Fantasien aufrechtzuerhalten, hat jede Transaktion mit einem Narzissten oder einer Narzisstin ein Element der Beherrschung. Sie brauchen Bewunderung. Sie brauchen Bewunderung oder Schrecken.
All dieses Verhalten, diese Kommunikation, die bestätigt: Ich bin niedrig, du bist hoch. Du bist der Kultführer. Ich bin der...
Erscheint lt. Verlag | 24.9.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
ISBN-10 | 3-7597-3264-X / 375973264X |
ISBN-13 | 978-3-7597-3264-4 / 9783759732644 |
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