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Praktische Theologie -  Kristian Fechtner,  Jan Hermelink,  Martina Kumlehn,  Ulrike Wagner-Rau

Praktische Theologie (eBook)

Ein Lehrbuch
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
336 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-042570-5 (ISBN)
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This textbook presents in compact form what one needs to know today in the field of practical theology. It can accompany university courses and can be used to prepare for examinations. It is also useful for further education for ministers and priests. The book starts with four brief survey articles on the prerequisites for contemporary practical theological thinking. The central fields of Christian practice are then developed in a problem-oriented fashion, in each case based on the following structure: marking out current challenges, orientation in the field of action, empirical findings, historical and systematic reference points, basic practical and theological provisions, current debates and issues for the future.

Prof. Kristian Fechtner, University of Mainz; Prof. Jan Hermelink, University of Göttingen; Prof. Martina Kumlehn, University of Rostock; Prof. Ulrike Wagner-Rau, University of Marburg.

Prof. Kristian Fechtner, University of Mainz; Prof. Jan Hermelink, University of Göttingen; Prof. Martina Kumlehn, University of Rostock; Prof. Ulrike Wagner-Rau, University of Marburg.

I.  Querschnittsthemen


I.1  Praktische Theologie als Theorie der christlichen Religionspraxis


Ulrike Wagner-Rau

Die Praktische Theologie ist die jüngste der klassischen theologischen Disziplinen. Sie ist Theorie der christlichen Religionspraxis. Weil diese Praxis sich mit dem Wandel der jeweiligen Zeitumstände verändert, hat die Praktische Theologie ihren Gegenstand, ihre Zugangsweise und ihre Aufgabenstellung je neu zu reflektieren und zu bestimmen.

1  Wandel des theologischen Selbstverständnisses zu Beginn des 19. Jahrhunderts


Die Frage nach dem Verständnis der christlichen Religionspraxis und ihrer Gestaltung gewann in den Jahrzehnten des Übergangs vom 18. zum 19. Jahrhundert, der sogenannten Sattelzeit der Transformationen zwischen früher Neuzeit und beginnender Moderne, eine neue Komplexität. Diese Entwicklungen haben bis heute grundlegende Auswirkungen auf das wissenschaftliche Selbstverständnis der Theologie insgesamt und der Praktischen Theologie im Besonderen.1

• Im Zusammenhang der gesellschaftlichen Ausdifferenzierungsprozesse haben Kirche und Christentum ihre vormals zentrale Stellung in der Gesellschaft verloren. Unterschiedliche religiöse und religionskritische Sichtweisen auf die Wirklichkeit konkurrieren miteinander. Neben das kirchliche Verständnis des Christentums und die institutionelle Religionspraxis treten zunehmend private Formen christlichen Lebens.

• Die religiöse Praxis, so zeigt sich immer deutlicher, ist nicht identisch mit der kirchlichen und dogmatischen Lehrbildung. Im Gefolge Johann Salomo Semlers (1725–1791) wird dieser Tatsache Rechnung getragen, indem Theologie und Religion unterschieden werden. Im Bewusstsein dieser Differenz bildet sich das Selbstverständnis der Theologie um. Sie bezieht sich nun nicht mehr allein auf die kirchliche Praxis im Sinne einer Handlungsanweisung, sondern weitet sich zu einer Theorie der religiösen Praxis.

• Das historische Bewusstsein, das sich in der Aufklärung ausbildet, relativiert den autoritativen Bezug auf die christliche Tradition. Seither bewegt sich die Theologie im Spannungsfeld des Wissens um die historische Veränderbarkeit ihrer Grundlagen auf der einen und der Behauptung ihrer Geltung für die Gegenwart auf der anderen Seite.

Die Veränderungen, die aus diesem Wandel resultieren, bilden sich auch in den einzelnen Kapiteln dieses Buches ab; denn das beginnende 19. Jahrhundert bedeutet in vielen Einzelfragen der Praktischen Theologie und der Orientierung religiöser Praxis einen markanten Einschnitt.

Zugleich stellt sich die Frage, inwieweit die gegenwärtigen Transformationen (stark abnehmende Kirchlichkeit, Mediatisierung, religiöse Pluralisierung bzw. Zunahme von Konfessionslosigkeit) einen ähnlich fundamentalen Einschnitt darstellen wie die Entwicklungen der Sattelzeit. Jedenfalls ist die Praktische Theologie in ihrem theoretischen Selbstverständnis vor neue Herausforderungen gestellt, die eine Anknüpfung an die Religionstheorie des frühen 19. Jahrhunderts, die die letzten Jahrzehnte bestimmt hat, weniger selbstverständlich machen und neue Antworten erfordern. Diese Problematik ist als Hintergrund der folgenden Überlegungen mitzulesen. Auch heute gehen Menschen und Gesellschaft mit existenziellen Fragen und Situationen um und zeigen darin nicht selten eine Offenheit für Transzendenz. Dies aber steht nicht notwendigerweise im Zusammenhang eines christlich-religiösen Wirklichkeitsverständnisses, schon gar nicht werden die Kirchen als selbstverständlich zuständig angesehen. Die christliche Religionspraxis ist im zunehmenden »Plausibilisierungsstress«2.

2  Praktische Theologie: Kunstlehre und Praxistheorie


Entscheidende Bedeutung für die Neuorientierung der Theologie als Wissenschaft im frühen 19. Jahrhundert hat der Entwurf einer theologischen Enzyklopädie3 von Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher. Dieser gilt auch als Begründer einer wissenschaftlichen Praktischen Theologie.4 Grundlegend für seinen Entwurf ist das Verständnis der Theologie als einer positiven Wissenschaft. Damit ist gemeint, dass die Theologie bezogen ist auf eine Praxis, die ihr vorausliegt. Diese Praxis zu rekonstruieren, sie zu verstehen und schließlich auch zu ihrer Orientierung beizutragen, stellt den Zweck der Theologie insgesamt dar.5 So wie die Medizin sich auf die Heilungspraxis bzw. die Jurisprudenz sich auf die Praxis der Rechtsprechung bezieht, ist die Theologie auf die Religionspraxis bezogen. Sie dient der »Kirchenleitung«, das heißt im Sinne Schleiermachers der Förderung der christlich-religiösen Kommunikation im umfassenden Sinn. Dieser Zweck erfordert nach Schleiermacher zum einen eine Wesensbestimmung des christlichen Glaubens (Philosophische Theologie, d. h. Fundamentaltheologie in der Form der Apologetik und Polemik), zum anderen die Kenntnis der historischen Genese des Christentums (Historische Theologie, d. h. Exegetische Theologie, Kirchengeschichte, Dogmatik und kirchliche Statistik). Schließlich entwickelt die Praktische Theologie Kunstregeln, um die religiöse Praxis der Gegenwart möglichst förderlich zu gestalten.

Schon bei Schleiermacher selbst findet sich eine gewisse Unschärfe in der Bestimmung der Praktischen Theologie: Zum einen versteht er sie als eine Kunstlehre, die für die kirchliche Praxis umzusetzen lehrt, was in den anderen theologischen Disziplinen erarbeitet wird. Zum anderen aber sieht er die Praktische Theologie als eigenständige Praxistheorie, als eine Theorie also, die das Spannungsverhältnis zwischen empirischer Religionspraxis und theologischer Lehre grundsätzlich reflektiert, um eine theoretische Basis für das kirchliche Handeln in seinem gesellschaftlichen Kontext zu schaffen.6

Bis in die Gegenwart hinein zieht sich diese doppelte Bestimmung im Verständnis der Praktischen Theologie, die – je nach theologischer Positionierung – unterschiedlich akzentuiert wird. Sie wird als eine Praxistheorie begriffen, die gleichberechtigt neben den anderen theologischen Disziplinen steht. Zugleich gehört zu ihr als wesentlicher Reflexions- und Aufgabenbereich die Befähigung der kirchlichen Funktionsträger:innen sowie der Religionslehrkräfte zu einem wissenschaftlich reflektierten beruflichen Handeln auf der Basis breiter theologischer Bildung.

3  Die Aufgabe: Reflexion einer komplexen Religionspraxis


Es ist also nicht angemessen, die Praktische Theologie auf Fragen der Handlungsanweisung für die kirchliche Praxis zu reduzieren. Zwar stellen sich ihre Vorläufer im 18. Jahrhundert als Formen einer auf die pastoralen Aufgaben bezogenen Pastoraltheologie bzw. Pastoralweisheit dar, die im Wesentlichen konkrete Anleitungen für die berufliche Praxis anbot. Solche Anleitungen haben den Zweck, bewährte Handlungsweisen erfahrener Praktiker für die jüngere Generation nachvollziehbar zu machen. Ihre Anwendung setzt jedoch voraus, dass sich die Bedingungen des Handelns über die Generationen hinweg wenig ändern. Mit wachsender Komplexität und Dynamik der Gesellschaft, der religiösen Lage und der kirchlichen Situation können bloße Handlungsanweisungen den Erfordernissen nicht genügen. Denn nunmehr braucht das kirchliche Handeln theoretisch gebildete Subjekte, die unterschiedliche Situationen und Anforderungen der Praxis eigenständig wahrnehmen, reflektieren und gestalten können. Weil es nicht eindeutig ist, wie die richtige Art des Handelns aussieht, entsteht der Bedarf nach Theorie. D. h. man braucht Reflexionsformen, die dazu befähigen, über die religiöse Praxis in kritischer Distanz und methodisch geordnet nachzudenken, um sie mit guten Gründen je neu zu gestalten.

So ist zum Beispiel die Anleitung, wie man einen Gottesdienst hält, als Ausbildung für diese Tätigkeit ausreichend, solange nicht strittig ist, warum und auf welche Weise der Gottesdienst zu begehen sei. Mit wachsender Komplexität der Gottesdienstkultur in einer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft aber werden Reflexionsperspektiven erforderlich, die eine grundsätzliche Orientierung der Verantwortlichen ermöglichen. Die Praxis muss in ihren gegenwärtigen Bedingungen empirisch wahrgenommen, aus ihrer historischen Genese heraus verstanden und im systematischen Kontext bedacht werden, um eine Theorie des Gottesdienstes zu entwickeln, die ein Bedenken gottesdienstlicher Praxis ermöglicht.

Neue theoretische Bezugshorizonte erfordern gegenwärtig die Formen der Religionspraxis im digitalen Raum, die sich so dynamisch entwickeln, dass die Forschung nur mit Mühe folgen kann.

Immer bleibt die Praktische Theologie bezogen auf die zeitgenössische religiöse Praxis, ist auf sie hin orientiert und durch sie bestimmt. Aber sie folgt einer wissenschaftlichen Methodik, die ihr einen Abstand vom praktischen Handeln und damit einen reflexiven Freiraum erlaubt. In Forschung und Bildung befähigt sie dazu, Bedingungen und Erscheinungsformen christlich-religiöser Praxis im Kontext der Gegenwart zu rekonstruieren und sie zu den Lehrbeständen der christlichen Tradition in Beziehung zu setzen. Für ihr wissenschaftliches Nachdenken ist die Praktische Theologie auf soziologische, psychologische, pädagogische und andere sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven angewiesen. Sie ist darauf ausgerichtet, das Handeln zu unterbrechen, zu reflektieren und damit die Chance zu eröffnen, dass es im besten Fall sachgerechter werden kann. D. h. sie ist intentional, aber nicht unmittelbar auf das praktische Handeln bezogen, also – aus gutem Grund – theoretisch.

Die Religionspraxis gestaltet sich in...

Erscheint lt. Verlag 11.9.2024
Mitarbeit Herausgeber (Serie): Traugott Jähnichen, Adolf Martin Ritter, Udo Rüterswörden, Ulrich Schwab, Loren T. Stuckenbruck
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte Diakonie • Frömmigkeit • Gemeindepädagogik • Homiletik • Kasualien • Liturgik • Medien • Pastoraltheologie • Religionspädagogik • Seelsorge
ISBN-10 3-17-042570-6 / 3170425706
ISBN-13 978-3-17-042570-5 / 9783170425705
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