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Versteckt - Verbrannt - Verschenkt (eBook)

Kleine Geschichten ums Geld. Mit begleitenden Essays von Horst Fritz

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
194 Seiten
BoD - Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-5671-8 (ISBN)

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Versteckt - Verbrannt - Verschenkt - Horst Fritz
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Wer sich aufs Geld versteht, Versteht sich auf die Zeit, Sehr auf die Zeit! Goethe, Zahme Xenien

Horst Fritz, Professor (i. R.) für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

Ludwig Bechstein
Der beherzte Flötenspieler


Es war einmal ein lustiger Musikant, der die Flöte meisterhaft spielte; er reiste daher in der Welt herum, spielte auf seiner Flöte in Dörfern und Städten und erwarb sich dadurch seinen Unterhalt. So kam er auch eines Abends auf einen Pachterhof und übernachtete da, weil er das nächste Dorf vor einbrechender Nacht nicht erreichen konnte. Er wurde von dem Pachter freundlich aufgenommen, mußte mit ihm speisen und nach geendigter Mahlzeit einige Stücklein auf seiner Flöte vorspielen. Als dieses der Musikant getan hatte, schaute er zum Fenster hinaus und gewahrte in kurzer Entfernung bei dem Scheine des Mondes eine alte Burg, die teilweise in Trümmern zu liegen schien. „Was ist das für ein altes Schloß?“ fragte er den Pachter, „und wem hat es gehört?“ Der Pachter erzählte, daß vor vielen, vielen Jahren ein Graf da gewohnt hätte, der sehr reich, aber auch sehr geizig gewesen wäre. Er hätte seine Untertanen sehr geplagt, keinem armen Menschen ein Almosen gegeben und sei endlich ohne Erben (weil er aus Geiz sich nicht einmal verheiratet habe) gestorben. Darauf hätten seine nächsten Anverwandten die Erbschaft in Besitz nehmen wollen, hätten aber nicht das geringste Geld gefunden. Man behauptete daher, er müsse den Schatz vergraben haben und dieser möge heute noch in dem alten Schloß verborgen liegen. Schon viele Menschen wären des Schatzes wegen in die alte Burg gegangen, aber keiner wäre wieder zum Vorschein gekommen. Daher habe die Obrigkeit den Eintritt in dies alte Schloß untersagt und alle Menschen im ganzen Lande ernstlich davor gewarnt. – Der Musikant hatte aufmerksam zugehört und als der Pachter seinen Bericht geendigt hatte, äußerte er, daß er großes Verlangen habe, auch einmal hinein zu gehen, denn er sei beherzt und kenne keine Furcht. Der Pachter bat ihn aufs dringenste und endlich schier fußfällig, doch ja sein junges Leben zu schonen und nicht in das Schloß zu gehen. Aber es half kein Bitten und Flehen, der Musikant war unerschütterlich.

Zwei Knechte des Pachters mußten ein Paar Laternen anzünden und den beherzten Musikanten bis an das alte schaurige Schloß begleiten. Dann schickte er sie mit einer Laterne wieder zurück, er aber nahm die zweite in die Hand und stieg mutig eine hohe Treppe hinan. Als er diese erstiegen hatte, kam er in einen großen Saal, um den ringsherum Türen waren. Er öffnete die erste und ging hinein, setzte sich an einen darin befindlichen altväterlichen Tisch, stellte sein Licht darauf und spielte Flöte. Der Pachter aber konnte die ganze Nacht vor lauter Sorgen nicht schlafen und sah öfters zum Fenster hinaus. Er freute sich jedesmal unaussprechlich, wenn er drüben den Gast noch musizieren hörte. Doch als seine Wanduhr elf schlug und das Flötenspiel verstummte, erschrak er heftig und glaubte nun nicht anders, als der Geist und der Teufel, oder wer sonst in diesem Schlosse hauste, habe dem schönen Burschen nun ganz gewiß den Hals umgedreht. Doch der Musikant hatte ohne Furcht sein Flötenspiel abgewartet und gepflegt; als aber sich endlich Hunger bei ihm regte, weil er nicht viel bei dem Pachter gegessen hatte, so ging er in dem Zimmer auf und nieder und sah sich um. Da erblickte er einen Topf voll ungekochter Linsen stehen, auf einem anderen Tische stand ein Gefäß voll Wasser, eines voll Salz und eine Flasche Wein. Er goß geschwind Wasser über die Linsen, tat Salz daran, machte Feuer in dem Ofen an, weil auch Holz dabei lag, und kochte sich eine Linsensuppe. Während die Linsen kochten, trank er die Flasche Wein leer und dann spielte er wieder Flöte. Als die Linsen gekocht waren, rückte er sie vom Feuer, schüttete sie in die auf dem Tische schon bereit stehende Schüssel und aß frisch darauf los. Jetzt sah er nach seiner Uhr und es war um die zwölfte Stunde. Da ging plötzlich die Türe auf, zwei lange schwarze Männer traten herein und trugen eine Totenbahre, auf der ein Sarg stand. Diesen stellten sie, ohne ein Wort zu sagen, vor den Musikanten, der sich keineswegs im Essen stören ließ, und gingen ebenso lautlos, wie sie gekommen waren, wieder zur Türe hinaus. Als sie sich nun entfernt hatten, stand der Musikant hastig auf und öffnete den Sarg. Ein altes Männchen, klein und verhutzelt, mit grauen Haaren und grauem Barte lag darinnen; aber der Bursche fürchtete sich nicht, nahm es heraus, setzte es an den Ofen und kaum schien es erwärmt zu sein, als sich schon Leben in ihm regte. Er gab ihm hierauf Linsen zu essen und war ganz mit dem Männchen beschäftigt, ja fütterte es wie eine Mutter ihr Kind. Da wurde das Männchen ganz lebhaft und sprach zu ihm:„Folge mir!“ Das Männchen ging voraus, der Bursche aber nahm seine Laterne und folgte ihm sonder Zagen. Es führte ihn nun eine hohe verfallene Treppe hinab und so gelangten endlich beide in ein tiefes schauerliches Gewölbe.

Hier lag ein großer Haufen Geld. Da gebot das Männchen dem Burschen: „Diesen Haufen teile mir in zwei ganz gleiche Teile, aber daß nichts übrig bleibt, sonst bringe ich dich ums Leben!“ Der Bursche lächelte bloß, fing sogleich an zu zählen auf zwei große Tische herüber und hinüber und brachte so das Geld in kurzer Zeit in zwei gleiche Teile, doch zuletzt – war nur noch ein Kreuzer übrig. Der Musikant aber besann sich kurz, nahm sein Taschenmesser heraus, setzte es auf den Kreuzer mit der Schneide und schlug ihn mit einem dabei liegenden Hammer entzwei. Als er nun die eine Hälfte auf diesen, die andere auf jenen Haufen warf, wurde das Männlein ganz heiter und sprach: „Du himmlischer Mann, du hast mich erlöst! Schon hundert Jahre muß ich meinen Schatz bewachen, den ich aus Geiz zusammengescharrt habe, bis einem gelingen würde, das Geld in zwei gleiche Teile zu teilen. Noch nie ist es einem gelungen und ich habe sie alle erwürgen müssen. Der eine Haufe Geld ist nun dein, den andern aber teile unter die Armen. Göttlicher Mensch, du hast mich erlöst!“ Darauf verschwand das Männchen. Der Bursche aber stieg die Treppe hinan und spielte in seinem vorigen Zimmer lustige Stücklein auf seiner Flöte.

Da freute sich der Pachter, daß er ihn wieder spielen hörte und mit dem frühesten Morgen ging er auf das Schloß (denn am Tage durfte man hinein) und empfing den Burschen voller Freude. Dieser erzählte ihm die Geschichte, dann ging er hinunter zu seinem Schatz, tat wie ihm das Männchen befohlen hatte und verteilte die eine Hälfte unter die Armen. Das alte Schloß aber ließ er niederreißen und bald stand an der vorigen Stelle ein neues, wo nun der Musikant als reicher Mann wohnte.

Erlösung dem Erlös


Der Held dieses Geldmärchens ist Musiker, ein virtuoser Flötenspieler, der sein Instrument meisterhaft beherrscht. Ein fahrender Geselle, der öffentlich auftritt und damit seinen Unterhalt sicherstellt. Man kann vermuten, daß es sich bei dem eingespielten Erlös zumeist um Geld handelt. Und doch mag es zuweilen geschehen, daß künstlerische Darbietungen auf eine Resonanz stoßen, bei der Monetäres keine Rolle spielt. Der abendliche Aufenthalt im Pachterhof stellt einen solch exponierten Moment vor Augen. Der für die Nacht vom Pachter freundlich aufgenommene und beköstigte Musiker begleicht die ihm erwiesene Wohltat mit einigen Stücklein auf seiner Flöte. Man zögert, hier von einem Bezahlvorgang zu sprechen. Zwar erfolgt ein entgeltähnlicher Tausch, doch dieser hat noch das Gepräge freiwilligen Gebens und Nehmens. Er erfüllt die Bedingungen dessen, was Aristoteles den „gerechten Tausch“ nennt: Ein wechselseitiger Transfer, der frei bleibt von pekuniären Interessen. Kunst wird zum Medium des Entgelts, ohne daß dabei ihre Integrität Schaden nähme. Ein zwangloses do ut des, dessen Unbefangenheit noch nicht durchs Geldprinzip angetastet wurde. Der Anfang des Märchens berichtet von einem Gabentausch, der gleichsam im Stande der Unschuld verharrt, weil er noch nicht dem latenten Egoismus monetär begründeter Transaktionen gehorcht. Die Musikstücke, die der Flöter dem Pachter zu Ohren bringt, bedürfen nicht des ökonomischen Äquivalents der Geldstücke.

Der Flötenspieler tritt ans Fenster und schaut in die Nacht hinaus. Seine Blickgebärde stellt sich in eine zentrale Motivtradition der Romantik. Der Fensterblick, der aus der Enge der bürgerlichen Stube hinausschweift ins Weite und Offene einer unendlichen Landschaft, die verheißungsvoll lockt und Sehnsüchte weckt nach abenteuerlichen Schauplätzen und Begebenheiten. Dessen schönste Ausprägung bietet wohl Eichendorffs Gedicht „Sehnsucht“: Der aus dem offenen Fenster in die sternenklare Sommernacht Hinausschauende, den das Fernweh ergreift, der sich hinausträumt in magische Gefilde einer südlichen Phantasiewelt. Auch dem Flötenspieler bietet sich das charakteristische Setting des romantischen Blicks. Zunächst der...

Erscheint lt. Verlag 29.7.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Germanistik
Schlagworte Geldwirtschaft • Kapitalismus • Komparatistik • Kritik • Moderne
ISBN-10 3-7597-5671-9 / 3759756719
ISBN-13 978-3-7597-5671-8 / 9783759756718
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