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Über nichts schreiben, als was meine Augen sehen (eBook)

Tagebuch aus dem besetzten Warschau 1939 – 1944

(Autor)

Bernhard Hartmann (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
336 Seiten
Aufbau digital (Verlag)
978-3-8412-3651-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Über nichts schreiben, als was meine Augen sehen - Aurelia Wyleżyńska
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Wiederentdeckt: die Kriegschronik einer mutigen polnischen Reporterin.

Vom Überfall Hitlers erfährt Aurelia Wyle?y?ska im malerischen Südosten Polens. Während viele Menschen Warschau fluchtartig verlassen, kehrt die Schriftstellerin und Journalistin am 3. September 1939 dorthin zurück. Tag für Tag streift sie von nun an durch die besetzte Stadt und hält ihre Eindrücke fest, frei von Schwarz-Weiß-Denken, furchtlos und bildhaft: die Helme gefallener Soldaten, die Ghettoisierung der Warschauer Juden, die flehenden Hände eines toten Jungen, das Selbstbild der deutschen Besatzer, die Qualität polnischer Kuchen. Sie stirbt in den ersten Tagen des Warschauer Aufstands im Herbst 1944 und hinterlässt ein Zeugnis von großem historischen und literarischen Wert.

»Ich gehe tiefer in den Park. Säbel, Sporen, Gasmasken liegen chaotisch hingeworfen da. Die Helme möglicherweise Gefallener. Auf einer Bank ein aufgeschlagenes, nicht zu Ende gelesenes Buch.«

Eine große weibliche Stimme der Berichterstattung über den Zweiten Weltkrieg.



Aurelia Wyle?y?ska wurde 1881 in Oknica, im heutigen Moldawien geboren. Sie studierte Literatur und Philosophie in Krakau und lebte danach als Reporterin u.a. in Paris, wo sie einen literarischen Salon führte und für polnische Zeitungen schrieb. Außerdem verfasste sie Romane und Erzählungen. 1937 übersiedelte sie nach Warschau. Während der deutschen Besatzung schrieb Wyle?y?ska für die polnische Untergrundpresse, arbeitete in Krankenhäusern, versorgte jüdische Freunde und veranstaltete Literaturabende. Sie starb am 3. August 1944 an einer Schussverletzung.

Den Zeiten abgerungen


Einleitung

Als Aurelia Wyleżyńska im August 1939 ihre Aufzeichnungen begann, konnte sie bereits auf ein bewegtes, wenngleich jenseits ihres Tagebuchs spärlich dokumentiertes Leben zurückblicken. 1881 in Oknica (heute Ocnița in der Republik Moldau) geboren, wuchs sie in Podolien und später auf dem rund 70 Kilometer südöstlich von Warschau gelegenen Landsitz der Familie in Wielgolas auf. Sie besuchte Schulen in Warschau und Krakau (in dieser Zeit erkrankte sie an den Masern, von denen ihr eine lebenslange Sehschwäche zurückblieb) und studierte von 1907 bis 1911 – als eine der ersten Frauen überhaupt – an der Krakauer Jagiellonen-Universität, wo sie Vorlesungen zu Literatur und Philosophie besuchte. Im Herbst 1913 folgte ein einjähriger Studienaufenthalt in Paris, gemeinsam mit ihrer Schwester Felicja, die im Tagebuch »Fela« genannt wird. Zu diesem Zeitpunkt war Aurelia Wyleżyńska in zweiter Ehe mit dem Krakauer Gymnasiallehrer Adam Kropatsch verheiratet (ihr erster Ehemann war 1910 gestorben). Den Beginn des Ersten Weltkriegs erlebte Wyleżyńska in Polen. Als Ehefrau eines österreich-ungarischen Staatsbürgers wurde sie im Sommer 1915 auf Anordnung der zaristischen Armeeführung interniert und nach Saratow zwangsumgesiedelt. Dort begegnete sie dem ebenfalls von der Deportation betroffenen Lemberger Studenten Jan Parandowski (1895–1978), der später als Schriftsteller und langjähriger Vorsitzender des polnischen PEN-Clubs zu einer wichtigen Figur der polnischen Literatur werden sollte. Die beiden heirateten 1918 nach sowjetischem Recht, ohne dass Wyleżyńskas zweite Ehe geschieden werden musste. Nach Kriegsende übersiedelte das Paar in Parandowskis Heimatstadt Lemberg, wo Wyleżyńska neben ihrer schriftstellerischen und publizistischen Tätigkeit (unter anderem erschien dort ihr erster Roman U złotych wrót [Am goldenen Tor, 1922]) aktiv am literarischen Leben teilnahm und die örtliche Sektion des polnischen Schriftstellerverbands mitbegründete, der nach der wiedererlangten Eigenstaatlichkeit neu entstanden war.

Nach dem Scheitern der Ehe mit Jan Parandowski zog Aurelia Wyleżyńska 1924 nach Paris, ein emanzipatorischer Schritt, den sie in ihrem Roman Czarodziejskie miasto (Die Zauberstadt, 1928) verarbeitete. Dort engagierte sie sich wie schon in der Saratower Zeit in exilpolnischen Organisationen und führte einen literarischen Salon. In polnischen Kulturzeitschriften und Illustrierten berichtete sie regelmäßig über ihre Reisen nach Italien, Spanien, Österreich und Deutschland. Außerdem entstanden weitere Romane und ein Band mit Texten zu polnischen Spuren in Paris sowie die an ein französisches Publikum adressierten Bände Jeunes poètes polonais (1926) und L’émigration polonaise en France (1931). 1937 kehrte sie nach Polen zurück und ließ sich in Warschau nieder.

Während in Wyleżyńskas Romanen meist individuelle Frauenfiguren im Mittelpunkt stehen, die versuchen, sich aus überkommenen Rollenmustern zu lösen und eigene Wege zu gehen, zeugen ihre publizistischen Texte von einem Interesse nicht nur an Literatur, Kunst und Geschichte, sondern auch an gesellschaftlichen Fragen. In Warschau sammelte sie nach ihrer Rückkehr aus Paris zusammen mit dem Lemberger Dichter, Literaturwissenschaftler und Übersetzer Karol Dresdner (1908–1943) Material für einen Dokumentarfilm, der unbekannte Aspekte der Geschichte und Kunst sowie des Sittenlebens der polnischen Hauptstadt beleuchten sollte. Den Sommerurlaub 1939 verbrachte sie mit zwei Freundinnen in einem Zeltlager des syndikalistischen Stefan-Żeromski-Arbeiterinstituts für Bildung und Kultur in Horodnica am Dnister, weil sie diese »noch recht unbekannte Form des Nachkriegszusammenlebens« (Eintrag vom 15. August 1939) kennenlernen wollte. Die Schilderung dieses Aufenthalts stellt sie im Tagebuch unter den Titel »Sonniger Auftakt«.

Vom deutschen Einmarsch erfuhr Aurelia Wyleżyńska am 1. September 1939 bei einem Ausflug ins damals an der polnisch-rumänischen Grenze gelegene Zaleszczyki (heute Salischtschyky in der Ukraine). Wenig später kehrte sie unter dramatischen Umständen in das von deutschen Truppen bombardierte und belagerte Warschau zurück. Getrieben von der »Gier nach Eindrücken« (15. August 1939) durchstreifte sie die Stadt auf der Suche nach Informationen. Dabei interessierten sie die Veränderungen im äußeren Stadtbild ebenso wie die mentalen Auswirkungen der Besatzung auf die polnische Gesellschaft und das Auftreten der deutschen Besatzer. Ihre Neugier brachte die Autorin mitunter in Gefahr: In einem Tagebucheintrag vom 27. September 1939 schildert sie, wie sie um ein Haar von Soldaten der polnischen Armee als vermeintliche Spionin standrechtlich erschossen worden wäre – Rettung brachte in letzter Sekunde ein Offizier, der die Schriftstellerin und Journalistin wiedererkannte. Doch auch solche Erlebnisse hielten Wyleżyńska nicht von ihrer Mission ab: »Ich habe beschlossen, die Chronistin dieser von barbarischen Horden zerstörten Stadt zu sein, und muss Dokumente sammeln, wo ich nur kann.«1

Ihre Vorkriegswohnung in der ul. Karowa 5 gab sie noch im September 1939 wegen Konflikten mit den überwiegend nationalistisch-frömmlerischen und antisemitisch gesinnten Hausbewohnerinnen auf. Zusammen mit ihrer Schwester Felicja bezog sie ein Zimmer in der Wohnung ihrer Nichte Halina in der ul. 6 Sierpnia 8 (heute Nowowiejska). Es folgten mindestens zwei weitere Umzüge: Ab spätestens Februar 1941 wohnten die Schwestern in der ul. Grójecka 40a, bevor sie Anfang April 1942 in die ul. Lipowa 7 umzogen. In allen Wohnungen lebten neben den Inhaberinnen weitere Parteien. Wyleżyńska kommentiert das am 22. März 1940 mit den Worten: »Etwas, wofür ich kämpfte, als Teil des Daseins für mich und andere, die eigenen vier Wände hier auf Erden, wichtiger als ein Grab nach dem Tod – es ging verloren wie vieles andere.« Der weitgehende Verlust der Privatsphäre bedeutete nicht nur eine schmerzliche persönliche Einschränkung, sondern auch ein deutlich höheres Risiko bei allen Aktivitäten, die gemäß den Verboten und Anordnungen der deutschen Besatzer als illegal galten. Dazu gehörten unter anderem der Besitz einer nicht registrierten Schreibmaschine und das Anfertigen von Aufzeichnungen. Trotzdem schrieb Aurelia Wyleżyńska nicht nur Tagebuch, sondern verfasste zeitweilig auch Beiträge für die Untergrundpresse, vor allem für »Nowy Dzień« (Der neue Tag), eine von der Demokratischen Partei herausgegebene Tageszeitung, die in den Jahren 1941 bis 1944 in Warschau erschien.

Eine wichtige Anlaufstelle für Aurelia Wyleżyńska war der Sitz des Polnischen Schriftstellerverbandes und des polnischen PEN-Clubs in der ul. Pierackiego (heute Foksal). In den Tagen der Belagerung fungierte der Verband als »Literarische Bereitschaft«, die Propagandatexte für das Radio lieferte, Vermisstenmeldungen sammelte und sich sozial engagierte. Nach der Einnahme Warschaus und der Auflösung des Verbands durch die Besatzungsbehörden entstand dort unter dem Namen »Literarische Küche« eine Suppenküche für die Mitglieder; im engeren Sinne literarische Zusammenkünfte mit Vorträgen und Lesungen fanden ab 1941 illegal als »Bridgerunden« getarnt in Privatwohnungen statt. Informationen über das Kriegsgeschehen außerhalb Polens suchte Wyleżyńska in den ersten Kriegsjahren im Zeitschriftenlesesaal der von den deutschen Besatzungsbehörden konzessionierten Schriftstellergenossenschaft in der ul. Mazowiecka, wo gegen eine geringe Gebühr ausgewählte fremdsprachige Zeitungen und Magazine zugänglich waren.

Einen wesentlichen Bestandteil von Wyleżyńskas Alltag bildete die Unterstützung für Freunde und Bekannte, die wegen ihrer jüdischen Herkunft oder aus politischen Gründen von Verfolgung und Tod bedroht waren. Trotz der schwierigen Wohnsituation und wiederkehrender gesundheitlicher Probleme gewährte sie Verfolgten Unterschlupf oder verwahrte ihre persönliche Habe. In einigen Fällen agierte sie als Bevollmächtigte, etwa für den Verkauf von Gegenständen, mit denen die Untergetauchten ihr Leben im Untergrund finanzierten. Sie besuchte Freunde und Bekannte in Verstecken oder Behelfsunterkünften und traf sich, solange es ging, mit ihren jüdischen Bekannten. Außerdem versorgte sie ihre »Schützlinge« mit Lebensmittelpaketen, die sie in Gefängnisse brachte, ins Warschauer Ghetto oder nach Lemberg schickte. Auf Anregung der Dichterin Anna Świrszczyńska (1909–1984) ...

Erscheint lt. Verlag 15.10.2024
Übersetzer Bernhard Hartmann
Sprache deutsch
Original-Titel Kroniki wojenne 1939-1944
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik 20. Jahrhundert bis 1945
Geschichte Allgemeine Geschichte 1918 bis 1945
Schlagworte Augenzeugin • Holocaust • Jüdische Geschichte • NS-Verbrechen • Überfall auf Polen • Warschauer Aufstand • Warschauer Ghetto • Zweiter Weltkrieg
ISBN-10 3-8412-3651-0 / 3841236510
ISBN-13 978-3-8412-3651-7 / 9783841236517
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