Lucullus (eBook)
416 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-12258-9 (ISBN)
Peter Scholz, geboren 1965, ist Professor für Alte Geschichte an der Universität Stuttgart. Von 2003 bis 2005 war er Fellow am Center for Hellenic Studies in Washington, D.C., und am Historischen Kolleg München. Sein Forschungsinteresse gilt der antiken Sozial- und Kulturgeschichte, der römischen Republik sowie der Erziehung und Bildung in der Antike.
Peter Scholz, geboren 1965, ist Professor für Alte Geschichte an der Universität Stuttgart. Von 2003 bis 2005 war er Fellow am Center for Hellenic Studies in Washington, D.C., und am Historischen Kolleg München. Sein Forschungsinteresse gilt der antiken Sozial- und Kulturgeschichte, der römischen Republik sowie der Erziehung und Bildung in der Antike.
Vorwort
Traditionen, Überzeugungen und Werte, Regeln und Gesetze sind für jegliches menschliche Zusammenleben unverzichtbar. Doch die Verbindlichkeit solcher sozialen, ideellen und institutionellen Ordnungs- und Orientierungsrahmen, die Geltung dieser normativen Grundlagen kann in Frage gestellt, allmählich aufgeweicht und schließlich völlig bestritten werden. Innerhalb kurzer Zeit können Werteordnungen verfallen und langbewahrte Traditionen von politischen oder sozialen Umwälzungen oder technologischen Neuerungen erfasst, nivelliert und verworfen werden – die römische Republik bietet hierzu ein Lehrstück, in ihrer Krise lassen sich auch die Verhältnisse der Moderne spiegeln.
Keine andere Epoche der Geschichte war so sehr geprägt vom Ethos und Wertekodex einer so erfolgsgewohnten und so stark professionalisierten Führungsschicht wie derjenigen der römischen Senatsaristokratie. Über große Zeiträume hinweg gelang es ihr, militärische und politische Krisen zu bewältigen, die Republik zu führen, eine weiträumige Herrschaft zu etablieren und den gesellschaftlichen Frieden zu bewahren.
Bekanntermaßen brachte das letzte Jahrhundert der Republik außerordentlich machtbewusste Gegner wie Verteidiger der traditionellen politischen Ordnung hervor. Marius, Sulla, Cicero, Pompeius, Caesar und zuletzt Augustus waren die den Gang der Politik bestimmenden Protagonisten dieser Zeit, die von der antiken Historiographie oder modernen Publizistik entweder zu Verlierern oder zu Siegern in der Geschichte erklärt wurden. Doch greift eine bloß auf die großen Akteure konzentrierte Erzählung vom Ende der Republik zu kurz. Sie verdeutlicht nur die Schwäche eines vom Ende her gedachten Geschichtsbilds, das den historischen Erfolg absolut setzt und die Schärfe der vorangegangenen Debatten und Auseinandersetzungen ausblendet. Daher erscheint es notwendig, die Geschichte der Republik aus einer neuen Perspektive zu erzählen – aus der Sicht eines Aristokraten, der in einer Zeit gewaltiger Umbrüche und Veränderungen für den Fortbestand der Senatsherrschaft kämpfte und die große Tradition der bewährten republikanischen Ordnung fortführen wollte. Um einen Eindruck vom ausgeprägten Führungsanspruch und kultivierten Lebensstil der Senatsaristokratie in den letzten Jahrzehnten der Republik zu gewinnen, bietet es sich an, einen herausragenden Feldherrn und ebenso führenden Politiker wie Lucullus zu wählen und am Beispiel seiner Biographie die Lebens- und Gedankenwelt der Mitglieder der Senatsaristokratie nachzuzeichnen.
Eigentlich hätte der Lebensweg des Lucius Licinius Lucullus zu einer großen Heldenerzählung getaugt: wie er bereits im Krieg gegen die italischen Bündner aufgrund seiner ausgeprägten militärischen Begabung und enormen geistigen Talente und Interessen Sullas Aufmerksamkeit auf sich zog, wie er sich zum Freund und engsten Vertrauten des Feldherrn entwickelte, an dessen Seite er in Griechenland die Truppen des Mithridates bekämpfte, in dessen Auftrag die schwierige Aufgabe des Aufbaus einer schlagkräftigen römischen Flotte löste und sich im griechischen Osten nicht nur als militärischer Stratege, sondern auch als gewiefter Organisator und diplomatischer Vermittler bewährte, wie er nach Sullas Tod zum Konsul aufstieg, als Proconsul mit wenigen Legionen dem expansionsfreudigen Herrscher von Pontos wagemutig entgegentrat, die Provinz Asia neu ordnete, Mithridates und auch dessen machtpolitisch nicht weniger ehrgeizigen Schwiegersohn Tigranes mehrfach in der Schlacht besiegte und sogar bis tief ins Kernland des armenischen Königreiches vordrang. Sein Lebensweg, bis dahin mit solch glänzenden logistischen, militärischen und politischen Leistungen angefüllt, fand jedoch mit der schrittweise vollzogenen Degradierung des Kommandos ein unwürdiges Ende. Als Lucullus aufgrund von Intrigen von seinem Oberbefehl entbunden wurde, war ihm damit die Möglichkeit genommen, den Feldzug und die Neuordnung der Provinz Asia in gewünschter Weise abzuschließen und seines großen Gegenspielers Mithridates habhaft zu werden. Der gleichfalls militärisch und strategisch hochbegabte Pompeius, der ihn ablöste, hatte ihn um Ruhm und Ehren gebracht und erntete die Früchte der Erfolge des Vorgängers. Wesentlicher Grund für die Ablösung dürfte gewesen sein – soweit sich dies noch nachweisen lässt –, dass Lucullus den finanziellen Interessen seiner Gegner aus der Ritter- und Senatorenschaft allzu sehr im Wege gestanden hatte: den Interessen der vermögenden und einflussreichen ritterlichen Finanziers ebenso wie den machtpolitischen Ambitionen des militärischen »Selfmademan« Pompeius, der im Verbund mit ihm ergebenen Volkstribunen das politische Geschehen in Rom kontrollierte.
Nach seiner Rückkehr aus dem Osten (66 v. Chr.) wurde der Licinier zwar zu einer der wichtigsten Personen des senatorischen Widerstands gegen die Interessen des Crassus, Pompeius und Caesar, dennoch stand er politisch weitgehend im Abseits.[1] Zunächst musste er die Anklagen des Pompeius-Anhängers Gaius Memmius – ein übliches Instrument der politischen Auseinandersetzungen der Zeit – überstehen und drei Jahre lang außerhalb des Pomeriums ausharren, um sein proconsularisches Imperium und seinen Anspruch auf einen Triumph nicht zu verlieren. Danach ist sein Auftreten im Senat zwar nur bei wenigen Gelegenheiten bezeugt, jedoch nahm er an den Sitzungen in der Curia offenbar regel-mäßig teil und zählte in einigen wichtigen Debatten auf jeden Fall zu den Wortführern dieses Gremiums – so etwa im Zusammenhang mit dem Bona Dea-Skandal (Ende 62/Anfang 61 v. Chr.), dann als Gegner des Pompeius bei der Ablehnung mehrerer von dessen Anträgen im Senat (60 v. Chr.), schließlich als Unterstützer des Bibulus und vehementer Gegner der Triumvirn (59 v. Chr.), bevor er wegen der gewalttätigen Umtriebe des Clodius (58 v. Chr.) gezwungen wurde, sich vom politischen Geschehen in der Stadt fernzuhalten.
Wie kaum ein anderer verkörperte Lucullus – geradezu mustergültig – den Habitus, das Ethos und den verfeinerten Lebensstil der Senatsaristokratie der späten Republik. Sein Freiheits- und Unabhängigkeitswille – freilich nur in Bezug auf die Herrschaft der Senatsaristokratie – ließen ihn zu einem der Protagonisten des Widerstands gegen die autokratischen Bestrebungen machthungriger Heerführer werden. Sein unnachgiebiger Kampf um die politische Ordnung und Kultur einer vom Senat geführten Republik war der Grund dafür, dass Cicero in seinen Schriften mehrfach an ihn und seine Mitstreiter erinnerte – als Märtyrer, die bereit gewesen waren, die bewährte politische Ordnung bis zum Tod zu verteidigen und darin aus aristokratischer Sicht ihre besondere Vortrefflichkeit (virtus) unter Beweis zu stellen.
Im heutigen Bewusstsein jedoch ist Lucullus, wenn überhaupt, nur noch als Schlemmer und Genussmensch präsent. Sein Lebensweg – vom erfolgreichen Feldherrn zum resignierten, zurückgezogen lebenden Gourmet – wurde von der Antike bis in die Moderne immer wieder herangezogen, um den vermeintlich offensichtlichen persönlichen Verfall des Mannes zu belegen, in dem sich das längst überfällige Ende der römischen Republik spiegelte. Weil Lucullus so stark verzerrt und verkürzt in die historische Erinnerung eingegangen ist, hat die Beschäftigung mit seiner Biographie einen besonderen Reiz. Exemplarisch zeigt sie den beharrlichen Willen seiner Person und weiterer führender Vertreter der republikanischen Aristokratie, die lange Tradition der Senatsherrschaft fortzuführen. Die Darstellung der politischen Machtkämpfe in dieser Krisenzeit bringt eine Neubewertung mit sich, die zeigt, warum die Aristokraten so vehement die traditionelle Form der Republik gegen ihre ebenso skrupellos agierenden Gegner verteidigten und sich energisch dem – aus der Rückschau – scheinbar zwangsläufigen Ende der Republik in einer Diktatur entgegenstemmten.
Allerdings verblasste bereits im Urteil der Zeitgenossen der erbitterte Widerstand von Republikanern wie Lucullus gegen die autokratischen Bestrebungen des Pompeius und Caesars rasch und verkehrte sich in das Gegenteil. Auf die Gewalt und den Terror der innenpolitischen Auseinandersetzungen und die Alleinherrschaft Caesars folgten die publizistischen Deutungskämpfe: Sallust und andere Historiker deuteten in ihren Werken den Untergang der alten Republik als historische Notwendigkeit und machten dafür pauschalisierend das politische und moralische Versagen der Führungselite verantwortlich. So wurden aus den besiegten Senatoren gescheiterte, dekadent gewordene und uneinsichtige Verteidiger einer überholten Ordnung. Für die von der popularen Propaganda in die Welt gesetzte Vorstellung von einer genusssüchtigen, moralisch und politisch verkommenen Senatorenschaft waren der luxuriöse Lebensstil, die vermeintliche Bauwut und sonstigen exquisiten Ansprüche und Genüsse eines Lucullus die anschaulichsten Belege für die Richtigkeit ihrer Deutung. Dieses Zerrbild von Lucullus, von seinen politischen Weggefährten und vom Untergang der freien Republik wird von Historikern bis heute fortgeschrieben. Die historische Größe dieser republikanischen Politiker mit ihrer tiefen Bindung an die Tradition der Senatsaristokratie verschwand weitgehend...
Erscheint lt. Verlag | 19.10.2024 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Vor- und Frühgeschichte / Antike |
Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Vor- und Frühgeschichte | |
Schlagworte | Aristokrat • bertold • Biographie • Brecht • Cicero • Clodius • Feldherr • Gärten des Lucullus • Geschenk für Antike Fans • Geschenk für Geschichtsfans • Gnaeus Pompeius Magnus • Hellenismus • Hortensius • Imperium • Imperium Romanum • Julius Caesar • Kleinasien • Lukrez • Marcus Porcius Cato • Marcus Tullius • Marius • mary beard • Mithradates • Mithridates • Neues Sachbuch 2024 • Neues Sachbuch Rom 2024 • Optimaten • Plutarch • Robin Lane Fox • römische Antike • Römische Bürgerkriege • römische Dekadenz • Römische Geschichte • Römische Geschichtsschreibung • Römische Gesellschaft • römische Kriege • römische Kultur • Römischer Bürgerkrieg • Römische Republik • römischer Mittelmeerraum • Römisches Weltreich • Römische Villen • Sallust • Senat • steuerpächter • Sulla • Theodor Mommsen • Tigranes • Tom Holland |
ISBN-10 | 3-608-12258-3 / 3608122583 |
ISBN-13 | 978-3-608-12258-9 / 9783608122589 |
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