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Verzaubert leben (eBook)

Eine Roadmap zum Heiligen

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
208 Seiten
Gütersloher Verlagshaus
978-3-641-32206-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Verzaubert leben - Klaas Huizing
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Warum es fromm sein kann, der Familie einen Hund zu kaufen
Die Hälfte der Deutschen will mit Religion nichts mehr zu tun haben. Warum eigentlich nicht? Wissen diese Menschen, was ihnen entgeht?

Klaas Huizing lädt ein, es mit der Religion und der lebensorientierenden Kraft, die ihr innewohnt, einmal anders zu probieren. In drei Kurzreisen sucht er Orte auf, die eine leibnahe Erfahrung des Heiligen versprechen. Erfahrungen, die die Lebensrichtung klären und den Lebensweg verändern können. Sie zuzulassen, kann man üben. Den drei Roadtrips zwischengeschaltet sind darum Übungen, die den Leib, der auf Heiligkeitserfahrungen reagiert, zum Sprechen bringen wollen. Damit aber Erfahrungen lebensdienliche Kraft entfalten, muss man sie deuten. Was dabei hilft, entfaltet der letzte Teil dieses Buches - und verharrt dabei nicht im Theologischen, sondern bietet richtungweisende, lebensnahe Anregungen.

Dr. Dr. Klaas Huizing, geb. 1958, ist Professor für Systematische Theologie und theologische Gegenwartsfragen an der Universität Würzburg. Er ist einer der produktivsten Theologen der Gegenwart. Neben zahlreichen theologischen Publikationen hat er mehrere Romane veröffentlicht, die weite, auch internationale Verbreitung fanden. 2003/2004 erhielt er das Jahresstipendium im Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia.

Einleitung

Bigger than me

Dieses Lied besetzte nicht nur meine Ohren. Bigger than me. Präsentiert vom englischen Singer und Songwriter Louis Tomlinson; die Single seines zweiten Studioalbums. Bis heute schaffte das Video über 6,7 Millionen Klicks auf YouTube. Zwar kein Top 1 Hit, aber eine wunderbare, verzaubernde Hymne. Ein junger Mann geht durch eine in zunehmendes Dämmerlicht getauchte, atemberaubende und geheimnisvoll erscheinende Landschaft. Ich meine, ein halb ausgetrocknetes Flussbett zu erkennen, bewacht von einladend bemoosten Klippen, vielleicht auch herrscht Ebbe an einem entlegenen und verwunschenen, sogar einen unwirtlichen Eindruck machenden Küstenstreifen. Der Sänger sammelt Treibholz, ihn lenkt ein stürmischer, energisch brausender Wind hin zu einem Lagerfeuer in der Ferne; er legt Holz auf und schaut konzentriert den Flammen zu, versammelt das Geviert, das »Weltquadrat« (Hermann Timm) von Feuer, Wasser, Luft und Licht.

Singend erzählt er eine, wenn nicht die Schlüsselsituation seines bisherigen Lebens. Wenn ihm jemand sagte, er würde sich ändern, dann versteckte er sich bisher hinter einem Lächeln. Er spricht von Angst, weil die Welt draußen offenbar auch Angst hatte, wie ihm klar wurde. Er hatte die Zeichen bisher nicht gelesen, ging andere Wege, bog links ab, wollte alles richtig machen, die richtigen Entscheidungen treffen, hörte schließlich auch die gut gemeinten und vorwurfsvollen Stimmen nicht mehr. Aber dann ereignet sich plötzlich die befreiende, ergreifende Erfahrung in dieser Landschaft im Dämmerlicht: Bigger than me. Die Intensität dieser Erfahrung transzendiert seine Alltagswirklichkeit. Ein prächtiger, stimmgewaltiger, befreiender Jubelschrei, ein verzücktes Staunen und Erschauern. Das Lied hat Feuer. Etwas ist größer, umgreifender als er. Verspricht Orientierung und vor allem: Hoffnung. Fordert aber auch. Er ist endlich, so singt er in klaren und zugleich hungrig hohen Tönen, die die Zuhörerinnen zu einer Levitation nötigen, aufgewacht und fühlt sich lebendig, neugeboren, bejaht das Leben. Vielleicht ist er jetzt auch bereit, sich mit seiner Lebenskraft und neuer Lebenseinstellung für die Lebenskraft der Welt draußen einzusetzen, die unter bedenklich erhöhter Temperatur leidet. Wahrscheinlich ist er jetzt entschlossen, aus dieser Erfahrung die Motivation für eine eigene Transformation zu schöpfen, sein Lebensmuster zu ändern, um endlich seinen Platz in der Welt zu finden. Der Hoffnungsfunken zündet.

Als Hörerin oder Hörer kann man sich in dieses befeuernde Jubilieren mitsingend einschwingen, die Füße übernehmen die Führung, vollziehen eine oder mehrere Drehungen um die eigene Achse mit geöffneten Armen. Zusammen heißen wir die Welt willkommen. Eine glückliche Weltbeziehung entsteht, die im Idealfall auch dem Alltag eine freudige Tönung und einen anderen, spielerischen Rhythmus verleiht. Um einen wirkmächtigen Satz von Friedrich Schiller zu variieren: Ein Mensch »ist nur da ganz Mensch, wo er tanzt«. Um mit diesem eingeleibten, spielerischen Schwung dann auch der fiebernden Natur und allem Lebendigen, das leidet, lindernd und nachhaltig beizustehen.

Dieses animierende und Energie verleihende Lied inszeniert, das ist die Pointe, eine Heiligkeitserfahrung. Heiligkeitserfahrungen sind Erfahrungen von Tiefe, die jeweils für mich oder mein Leben mit anderem Leben bedeutsam sind, genauer: Sie gehen mich unbedingt an, wie Paul Tillich (1886-1965) formuliert hat, ein protestantischer Theologe und Philosoph, der Deutschland während der Zeit der braunen Diktatur verlassen musste und dann lange in Amerika sehr erfolgreich lehrte. Es geht letztlich um Leben und Tod. Diese Erfahrungen sind nicht nur irritierende, sondern schockierende Erfahrungen. Rudolf Otto (1869-1937), protestantischer Dogmatiker und Religionswissenschaftler, hat in seinem Bestseller Das Heilige (1917) diese eigenständige Erfahrungsqualität mit einem neuen Wort als »numinos« (von lat. numen: Heiliges/Göttliches) bestimmt, gemeint ist damit: Diese Erfahrungen von Tiefe sind erschreckend und faszinierend zugleich (tremendum et fascinans), erzeugen Gänsehaut und jagen unserem Leib Schauer über den Rücken, packen uns, lassen uns nicht kalt. Im Anschluss an Rudolf Otto hat der Kieler Philosoph Hermann Schmitz (1928-2021), der das lange verwahrloste Thema des spürenden Leibes auf die Agenda setzte, eine Pointe hinzugefügt: Die Erfahrung von Enge und Weite, tremendum et fascinans, wird in jedem Atemzug abgebildet, nämlich im Gezweit von Einatmen (Enge, Angst) und Ausatmen (Weite, Freiheit). Auffällig wird diese alltägliche Struktur, unser primärer Austausch mit der Welt, namentlich in Heiligkeitserfahrungen. Der spürende Leib ist es, an dem zunächst die Welt anstrandet: am Leib als dem »universalen Resonanzboden« (Schmitz, UG 116). Dort kommen wir in Kontakt mit einer umgreifenden Realität, die mit ihrem affektiven Appellcharakter uns herausfordert und eine leibliche, auch handgreifliche Antwort einfordert.

Das Göttliche oder Heilige ist strukturell ambivalent, denn die Erfahrung, dass etwas größer ist als ich, kann auch ängstigen, fasziniert uns aber zugleich und stiftet, soweit das involvierte Ich diese Erfahrung als Lebenssteigerung einstuft, eine Dankbarkeit ein, eine zunächst feierliche und andächtige Ergebenheit, die dann zur Handlung drängt. Und: Es gibt Agenturen, die das erschreckende Element am Heiligen rationalisieren, einhegen, mäßigen und damit geschützt erfahrbar machen: die biblischen Schriftsteller etwa, die vor uns diese Erfahrungen durchgespielt haben und uns Lesenden Zugänge erschließen; zugleich die Künste und, nicht zu vergessen, die Wissenschaft als Praxis der Entdämonisierung und Rationalisierung des auch Ungeheuerlichen etwa im Gewitter, im Hurrikan, im Tsunami, in Pandemien.

Außendienstmitarbeiter des Heiligen sind traditionell die Theolog*innen, die diese Rationalisierung, die dem Heiligen partiell den Schrecken, aber beileibe nicht den Zauber nimmt, weiter vorantreiben und im Idealfall im Innendienst in eine schöne Ordnung bringen, früher gerne Dogmatik genannt; aber dieser wenig anziehende Begriff wird heute oft zurecht verschwiegen – Systematische Theologie ist der angestrengt neue, ebenfalls etwas hüftsteife Begriff. Ich spreche lieber von einer vitalen, pulsierenden Lebenslehre, die sich am Spüren orientiert. Gesucht wird eine Theologie des Spürens.

Es geht in diesem Essay um Schlüsselsituationen, um Heiligkeits- Erfahrungen, die eine Lebensorientierung bieten. In sechzehn Kurzreisen suche ich Orte auf, die leibnahe Erfahrungen des Heiligen versprechen und Hoffnung machen: eine Roadmap, die bequem in der Lektüre mitvollzogen werden kann. Es geht um die Vermessung des Heiligen im Außen- und Innenbereich. Ich spüre Eilande des Heiligen in der Natur und in der Kultur auf. Knappe Stippvisiten. Schnappschuss-Augenblicke. Es geht ins Watt, dann auf die Klippen der normannischen Steilküste, ich erinnere an ungeheure Wettererlebnisse, lade einen Neffen ins Fußballstadion ein, besuche Friedhöfe und lost places, kaufe nach Überzeugungsarbeit meiner älteren Tochter mit der Familie einen Hund, mache Visiten im Museum, im Studierzimmer, im Labor, der Bibliothek, dem Kino, dem Theater, in der Kirche und erinnere Seligkeitsdinge, »geliebte Objekte« (Tilmann Habermas), die zum Tagträumen mit überschießender Fantasie einladen. Ich suche belebende Begegnungen (vgl. Pépin, 2022) mit Menschen, Freunden, Tieren, Pflanzen, Liebespaaren, wie sie in Filmen und Büchern vor Augen gemalt werden. Dieses Buch ist eine Einladung zum Transzendieren, zum spielfreudigen, intensiven Übersteigen des Alltags, hin zu Orten und Situationen, die Erfahrungen von Neuheit, Kreativität und Entwicklungsfähigkeit erlauben. Die Pointe ist: Nachhaltige Heiligkeitserfahrungen bieten tragende Orientierung für den eigenen Lebensentwurf, versprechen Lebensgewinn und Lebensenergie, zeigen die Lebensrichtung auf, die dann in der Lebensführung handelnd, in Situationen mit anderem Leben verstrickt, eingeschlagen wird. Klug handeln, um ein gutes Leben zu führen, kann ich nur, wenn mir zunächst die Lebensrichtung klar geworden ist und ich meinen Platz in der Gesellschaft gefunden habe.

Die Orte, die ich nenne, sind lose mit meiner Biographie verknüpft, denn es ist mein spürender Leib und es sind meine subjektiv gespürten Tatsachen, die mir als Folie dienen. Die phänomenologische Beschreibung, Stilisierungen eingeschlossen, damit die Erfahrungen verdichtet werden, hofft auf intersubjektive Anschlüsse, Wiedererkennungsblitze, die eine Übersetzung in Ihre eigene Biographie als Leserin und Leser ermöglichen. Auffallend häufig knüpfen die beschriebenen Erfahrungen an Begegnungen aus Kindheit, Jugend und frühem Erwachsenenalter an, einfach deshalb, weil in diesen Jahren das Andringen von Welt besonders nachhaltig gespürt wird – so auch im oben inszenierten YouTube-Video. In späteren Jahren verlieren wir häufig diese Fähigkeit und müssen sie neu, in zweiter, mündiger Naivität einüben, wenn wir erneut in die Rolle des Gotteskindes hineinschlüpfen. »Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder«, lautet die Redewendung, die sich an einen Spruch aus dem Matthäusevangelium (Mt 18,3) anlehnt, »werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.«

Den drei Blöcken...

Erscheint lt. Verlag 25.9.2024
Zusatzinfo durchgehend vierfarbig mit zahlreichen Abbildungen
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte 2024 • Aby Warburg • Alltagsspiritualität • christliche Lebenshaltung • eBooks • Erleuchtung • Gelingendes Leben • Gotteserfahrung • Hartmut Rosa • Heilige Orte • Heiliger Geist • heiligkeit erfahren • Hermann Schmitz • Martin Seligman • Neuerscheinung • Religiöse Erfahrung • Resonanz • Rudolf Otto
ISBN-10 3-641-32206-5 / 3641322065
ISBN-13 978-3-641-32206-9 / 9783641322069
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