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Hoffnung (eBook)

Über ein kluges Verhältnis zur Welt

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
184 Seiten
Carl Hanser Verlag München
978-3-446-28089-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Hoffnung -  Philipp Blom
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Kann man in diesen Zeiten noch hoffen? Philipp Blom zeigt, wie Hoffnung möglich bleibt.
Es ist noch nicht lange her, da stand die Zukunft für eine bessere Welt. Inzwischen haben wir uns angewöhnt, mit dem Schlimmsten zu rechnen, und mussten oft genug erleben, dass es noch schlimmer kam. Gibt es wirklich keinen vernünftigen Grund mehr, zu hoffen? Philipp Blom findet die Ursprünge der Hoffnung in einem religiösen Weltverständnis, mit dem die Gegenwart nicht mehr viel anfangen kann: Das Dasein war sinnvoll, weil es in ein ewiges Leben münden würde. Heute könnte uns das Bedürfnis nach Hoffnung dazu treiben, ein sinnvolles Leben zu führen, indem wir Ziele für eine bessere Welt verfolgen: Gerechtigkeit etwa oder Nachhaltigkeit. Das wäre das Gegenteil von naivem Optimismus, das wäre eine vernünftige Haltung zur Welt. Sie ist nötiger denn je.

Philipp Blom, geboren 1970, studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford. Er lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u. a. das Stipendium am Getty Research Institute in Los Angeles, den Premis Internacionals Terenci Moix und den NDR Kultur Sachbuchpreis. Bei Hanser erschienen u. a. Die Welt aus den Angeln (2017) , Was auf dem Spiel steht (2017) und Die Unterwerfung (2022). philipp-blom.eu.

Warum noch hoffen?


Den ganzen Tag hat es gedauert, bis ich mich nun endlich hinsetzen kann, um dir zu schreiben. Deine Frage ist mir nicht aus dem Kopf gegangen. In all dem Trubel musste ich dir die Antwort schuldig bleiben. Jetzt bin ich wieder unterwegs, und mein Leben ist auf das reduziert, was in meine Tasche passt, und auf einige Adressen und Telefonnummern in meinem Handy: Hotels, Termine, Kontaktpersonen. Jetzt bewegen sich die Gedanken wieder, nehmen sich den Raum, aus dem sie sonst verscheucht werden.

Also komme ich zurück auf deine Frage. Warum noch hoffen? Kann man überhaupt noch hoffen in dieser Zeit?

Wie kann ich dir darauf antworten? Du fürchtest dich vor Dingen, vor denen man sich fürchten sollte, vor Entwicklungen, die jegliches menschliche Maß übersteigen. Wir leben in einer Zeit, in der eine Ordnung zusammenbricht und eine neue noch nicht entstanden ist und vielleicht so bald nicht entstehen wird. Jede Generation glaubt von sich, einzigartig zu sein und vor dem Ende der Welt zu stehen, vor der Apokalypse, schon immer liefen Propheten umher, die so etwas predigten — aber diesmal ist es wahr.

Ist es also alles nur erbauliches Gerede, wenn die Leute immer noch über Hoffnung sprechen? Ein Teil der großen Illusionsmaschine und ein Trostpflaster für Trottel? Ist es nicht idiotisch, irgendwelchen Hoffnungen hinterherzulaufen, der Idee, dass irgendwie alles sich schon zurechtrütteln wird, dass alle hässlichen Unkenrufe ignoriert werden können und rettende Technologien vor der Tür stehen, dass wir uns zwar Gedanken machen, aber nicht verzweifeln müssen, weil wir innovativ sind und flexibel und bis jetzt noch immer eine Lösung gefunden haben und …

Ich habe irgendwann aufgehört zu zählen, wie oft ich vor meinen Vorträgen (darüber nämlich, was die Klimakrise, das Artensterben und die künstliche Intelligenz für die Zukunft von Demokratien und liberalen Gesellschaften bedeuten werden) darum gebeten werde, doch bitte auch etwas Optimistisches zu sagen, vielleicht mit einer hoffnungsvollen Note zu enden, nicht mit einem Downer. Als hätte man mich für eine garantiert glückliche Zukunft eingeladen. Anscheinend fühlen wir uns in der Kommunikation miteinander zum Optimismus verpflichtet und wollen uns auch angesichts der schrecklichsten Neuigkeiten gerne noch an einem Silberstreif am Horizont erfreuen. Sag doch noch etwas Nettes, Verbindliches. Mach ihnen Hoffnung!

Von Hoffnung zu reden hat Konjunktur. Ganze Karrieren setzen auf das Geschäftsmodell, den Leuten zu erzählen, dass eigentlich, dass tatsächlich alles immer besser wird, dass der Mensch gut ist, alle Indikatoren nach oben zeigen, dass (je nachdem, wo du politisch stehst) Solidarität und Verantwortung oder Innovation und Deregulierung oder die Wiedergeburt der Nation bald, sehr bald die Rettung bringen, Wirtschaftswachstum, technologische Innovation, globale Solidarität oder moralische Einsicht endlich unsere Krisen lösen werden.

Diese etwas plattfüßige Auffassung einer Art ewiger Seligkeit ist der zweite Aufguss einer christlichen Idee, nach der die Geschichte auf ein Ziel zugeht, auf die Erlösung, das Himmlische Jerusalem. Wir haben diese christliche Idee geerbt und nennen sie jetzt Fortschritt. Alles wird unaufhörlich immer besser.

Zu diesem Recht auf Optimismus kommt der vermeintliche Anspruch auf das Glück. Viele Menschen meinen heute, dass sie ein Recht darauf haben, in Sicherheit und Wohlstand zu leben. Eine historische Vision von einem guten Leben schrumpft ihnen zu einem Verbraucherrecht. Sie führen ein Leben mit Sicherheitskonzept und Schutzweste, mit Garantie, Rückgaberecht, Kreditplan, Verbraucherschutz, DIN-Normen, Zulassungsprozessen und Zertifizierung. Jede Enttäuschung kann in eine Beschwerde münden, in eine Klage, eine Verurteilung.

Hoffnung als Garantie, die bessere Zukunft als Verbraucherrecht?

Ja, das ist Gewäsch. Verbaler Müll, moralisches Appeasement. Aber das wollen die Leute hören. Sie zahlen gutes Geld dafür. Psychologen und Ratgeberinnen befehlen uns, positiv zu denken und optimistisch zu sein, Religionen bieten uns einen schützenden Raum für unsere Ängste und unsere Erlösung vom Tod, Business Coaches und Management-Konsulenten und Meditations-Apps verdienen mit Phrasen wie diesen ordentliches Geld. Die Leute wollen das. Es gibt einen Markt, also gibt es auch Produkte, um diese Nachfrage zu befriedigen. (Es gibt übrigens natürlich auch einen Markt für Untergangspropheten, aber der würde ja zusammenbrechen, gäbe es nicht die große optimistische Erzählung, an der diese Schwarzseherinnen sich abarbeiten können.)

Und so verbünden sich Menschen, um nichts zu sehen, sich keine Sorgen zu machen, den Schreihälsen nicht zuzuhören, ihre eigenen Fakten zu behaupten. Wenn immer am Ende die gute Nachricht kommt, die Auflösung, die rettende Idee, die tiefe Reflexion über die Natur des Menschen oder die Evolution, die neue Technologie, dann wissen wir, dass am Ende der Geschichte alle Protagonisten, oder zumindest alle wichtigen, unversehrt durchgekommen sind. Manche von ihnen sind gestrauchelt und hätten es fast nicht geschafft und ein oder zwei (oder Millionen, wenn sie weit genug weg sind) sind auch tatsächlich dem Schicksal zum Opfer gefallen, aber sonst ist die Ordnung wiederhergestellt, es kann so weitergehen wie gehabt, Odysseus ist heimgekehrt.

Wenn dir diese Erklärung reicht, kannst du dir den Rest dieses Briefes sparen, aber ich weiß, sie reicht dir nicht, sonst hättest du dieses Gespräch nicht angefangen. Ich war nicht überrascht, dass du mich angesprochen hast. Oft steht nach einem Vortrag plötzlich ein Mensch in deinem Alter vor mir, und fast immer ist es dieselbe Frage, in verschiedenen Variationen, als ob ich darauf eine Antwort wüsste, nämlich ob es jenseits der Lügen noch Hoffnung gibt. Überrascht war ich nur, als wir uns wiedergesehen haben am nächsten Tag, dass du gekommen bist, um noch mehr zu fragen. Ich muss gestehen, dass ich deiner freundlichen Beharrlichkeit nichts entgegenzusetzen hatte. Du hast mich nach dem Hoffen gefragt und warst nicht zufrieden mit Plattitüden und Standardantworten, und ich musste dir eine bessere Antwort schuldig bleiben, weil der nächste Termin drängte.

Ich war dankbar für deine Geistesgegenwart, mir zumindest deine E-Mail-Adresse aufzuschreiben, und seitdem haben mich deine Fragen nicht losgelassen. Ich habe noch keine Antwort für dich, aber ich habe mich auf den Weg gemacht, und wir können diesen Weg ein Stück weit gemeinsam gehen, wenn du willst — und wenn es auch nur schriftlich ist.

Also, abseits von der Rhetorik, ist Hoffnung heute noch möglich? Ist es nicht zynisch, sich oder anderen abzuverlangen, angesichts des allgemeinen Zusammenbruchs eine glückliche Miene aufzusetzen und von Hoffnung zu faseln? Ist das alles, was uns dazu einfällt?

Wenn du aber darauf bestehst, nicht Teil dieser Verschwörung des Nichtwissens zu sein, und danach fragst, wie die nächsten Jahrzehnte aussehen werden, dann ist die Antwort der besten naturwissenschaftlichen Modelle ausgesprochen ernüchternd. Du hast ganz recht, wenn du Angst hast und tief besorgt in die Zukunft blickst.

Um es kurz zu machen: Wir befinden uns, die Menschheit befindet sich in einer dreifachen existenziellen Krise, die sich in zahllose kleinere zersplittert, die sich vielfach überlappen. Die drei ineinandergreifenden Arme dieser Krise sind die Erderhitzung, der Zusammenbruch der Artenvielfalt und die Risiken von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz. Jede davon hat das Potenzial, einen Großteil des Lebens auf diesem Planeten auszulöschen oder zumindest zutiefst zu beschädigen oder zu vermindern. Jede von ihnen hat bereits heute immense Ausmaße und unabschätzbare, unvorstellbare Konsequenzen.

Hier sind sie, unsere apokalyptischen Reiter:

Ein Temperaturanstieg um drei Grad (und darauf läuft noch immer alles hinaus) könnte einen großen Teil der Menschheit zur Flucht aus ihrer angestammten Heimat zwingen, verheerende Kriege um Wasser und Land verursachen, die Küstenlinien der Welt verändern, Ozeanströmungen und Wettersysteme umkehren, enorme Landstriche versteppen lassen, immense Mengen von Methan freisetzen und die globale Wirtschaft wie auch moderne Staaten zusammenbrechen lassen, ganz abgesehen von ihrem Effekt auf natürliche Organismen und ganze Ökosysteme, die ohne ausreichend Zeit zur Anpassung...

Erscheint lt. Verlag 23.9.2024
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Allgemeines / Lexika
Schlagworte 21. Jahrhundert • Klimakatastrophe • Ökologie • Philosophie • Polykrise • Zukunft
ISBN-10 3-446-28089-8 / 3446280898
ISBN-13 978-3-446-28089-2 / 9783446280892
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