Eduard Bernstein (1850-1932) (eBook)
1788 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45875-5 (ISBN)
Klaus Leesch, Dr. phil., ist Historiker und lebt in Berlin.
Klaus Leesch, Dr. phil., ist Historiker und lebt in Berlin.
2Herkunft und Familie
Eduard Bernsteins Vorfahren stammten aus jüdischen Familien, väterlicherseits aus Danzig und Umgebung, mütterlicherseits aus Halberstadt. Beide Städte besaßen im 18. und 19. Jahrhundert jüdische Bevölkerungsanteile. Der weitere männliche Stammbaum verweist laut Bernstein nach Polen.
Danzig hatte um 1808 nur etwa 300 jüdische Gemeindemitglieder; diese waren allerdings auf fünf Gemeinden verteilt, so dass es in dieser Zeit in Danzig keine große Synagoge gab.50 Der Großvater Bernsteins väterlicherseits, Aron David Bernstein, betrieb in Danzig ein Ledergeschäft, dem eine Leihbücherei angeschlossen war. J.H. Schoeps spricht von einem Stammbaum, der »angeblich eine Reihe berühmter Gelehrter und Rabbiner« aufweise.51 Einer Legende nach stammte die Familie Bernstein, wie viele andere jüdische Familien, von dem sagenhaften »Eintageskönig« Polens, Saul Wahl,52 ab.53
Bernstein selbst hielt den Großvater für »ein Stück Gelehrter«, der wohl weit mehr Interesse an der Lektüre von Büchern hatte als mit dem Verkauf von Waren aus seinem Laden. Die Bernsteins waren fromme Juden, die sowohl mit Glaubensgenossen als auch mit christlichen Nachbarn verkehrten. Besondere Vorliebe hatten der Großvater und die Großmutter, die mit Mädchennamen Rosenthal hieß, am Schachspiel. Ein Heinrich Joseph Horwitz erinnerte sich an den Großvater Eduard Bernsteins, in dessen Haus er als 15jähriger Junge verkehrt habe und den er nur als Reb David Fordon gekannt habe. Die Großmutter war die Tochter eines Chirurgen und Apothekers aus Fordon, einem Stadtteil von Bromberg [Bydgoszcz] in Kujawien [Woiwodschaft Kujawien-Pommern/Polen]. Damit spricht einiges dafür, dass beide Großeltern Bernsteins väterlicherseits aus dem an der Weichsel gelegenen Ort Fordon gebürtig waren. In späteren Jahren fand der Großvater Arbeit beim Steueramt. Die Großeltern Bernstein hatten neun Kinder, drei Jungen und sechs Mädchen.54
Onkel Aron55
Der älteste Sohn Aron56 (oft auch Aaron oder Aaron David),57 ein Onkel Eduard Bernsteins, geboren 1812 in Danzig, wurde später Schriftsteller und ein sehr renommierter liberaler Journalist und Zeitungsmacher in Berlin. Er sollte zunächst eine Ausbildung zum Rabbiner machen und ging zu diesem Zweck 1825 nach Westpreußen, um erst in Inowrazlaw (Hohensalza)58 und später drei Jahre in dem stark jüdisch geprägten Städtchen Fordon an der Weichsel eine Talmudschule zu besuchen. Von 1830-1832 studierte er jüdische Theologie in Danzig.59
»Nachdem er [Aron B.] sich aus den engen Verhältnissen des jüdisch-orthodoxen Lebens durch Selbststudium freigemacht und den Beruf des Schriftstellers ergriffen hatte, heiratete er mit 24 Jahren bei Gründung des Lesekabinetts.« So beschreibt es der Sohn Arons, der später bekannte Physiologe und Arzt Professor Julius Bernstein.60 Aron hatte wohl in Fordon nicht die obligate Rabbinatsprüfung abgelegt, war nach Danzig zum Studium zurückgekehrt, fand dort keine Arbeit und übersiedelte schließlich 1832 nach Berlin. »Es drängte ihn, Schriftsteller zu werden.«61 Und das gelang ihm sehr gut. Er trat nicht nur bei der Gründung von Zeitungen in Erscheinung; so schuf er während der Revolution von 1848/49 die demokratische »Urwählerzeitung« und 1853 zusammen mit Franz Duncker die »Berliner Volks-Zeitung«, für die er lange Jahre Leitartikel schrieb. Großen Anklang fanden im In- und Ausland seine »Naturwissenschaftlichen Volksbücher.«62 Er war 1845 (Mit-)Gründer der jüdischen Reformgemeinde in Berlin.63
Wie sein Vater, verehrte und bewunderte Eduard Bernstein seinen Onkel Aron. Aber eine auch im späteren Leben immer wieder zu beobachtende Wesenseigenschaft Bernsteins verhinderte eine größere Nähe zu diesem Mann, dem er »manche Anregung« verdankte: Eduard Bernstein legte sich nach eigenem Bekunden »Leuten von Bedeutung gegenüber« eine große Zurückhaltung auf. »Ich habe als Knabe, wenn ich bei ihm oder er bei uns zu Besuch war, geradezu ängstlich vermieden, ihm aufzufallen, nie gewagt an ihn eine sachliche Frage zu richten, sondern ihn immer nur von weitem bewundert.«64 Diese Scheu vor großen Namen wird Eduard Bernstein, bei allem »Mut vor Königsthronen«, sein ganzes Leben nicht wirklich verlieren. Er benennt dies selbst als eine »Charakteranlage, die mir auch in anderer Hinsicht oft im Wege gewesen ist.« Zwar beschränkt er selbst diese Zurückhaltung auf Personen, mit denen er nicht politisch zu tun hatte. Aber auch bei solchen Persönlichkeiten meint man, hier und da eine gewisse Befangenheit feststellen zu können.65
Die Familien Jakob und Aron Bernstein besuchten sich gelegentlich gegenseitig und es herrschte stets ein freundschaftlicher Ton zwischen ihnen. Eduard berichtet von »schöner Heiterkeit«. Aber die Besucher wirkten auf Eduard und seine Geschwister »wie Gäste aus einer edleren Atmosphäre.« Im Hause Aron Bernsteins verkehrten »vornehmlich Angehörige der geistigen Aristokratie Berlins« und das wirkte sich auf den Umgang innerhalb der aronschen Familie aus. Eduard hätte gerne häufiger Kontakt zu diesem Familienzweig gehabt, aber die Entfernungen zwischen den beiden Wohnungen waren zu groß. Onkel Aron wird von Eduard als von kaum zu übertreffender Freigebigkeit und Hilfsbereitschaft beschrieben, der sein Einkommen zu einem Teil für karikative Zwecke nutzte. Für sich selbst sei er in hohem Grade bedürfnislos gewesen. Und er habe wohl auch seinen Bruder Jakob gelegentlich durch Beiträge zu seinem Haushalt unterstützt.66
Dass Onkel Aron Bernstein ein tatsächliches Interesse an der Entwicklung seines Neffen hatte, bezeugen nicht zuletzt zwei Briefe von ihm aus dem Jahre 1880, in denen er seinen lebhaften Wunsch ausdrückt, Eduard »wieder in Berlin zu wissen und in einer Thätigkeit beschäftigt, welche Dir eine praktische Lebensbahn eröffnet, ohne Dich in Deinem idealen Streben zu stören.«67
Nachdem Aron Bernstein geheiratet hatte, holte er seine beiden Brüder Jakob (oft auch Jacob) und Moritz nach Berlin. Moritz war praktisch zeitlebens im Hause Arons tätig. Dessen Sohn Julius schreibt: »Er [Moritz B.] war und blieb gewissermaßen das Faktotum der Familie und wurde fast vollständig vom Vater unterhalten.«68
Die schnell wachsende Metropole Berlin übte »magnetische Kraft auf so manchen Juden« aus anderen Teilen Deutschlands und auch den östlichen Teilen Europas, in denen Juden in großer Zahl lebten. Sie fanden dort oft leichter eine Arbeitsstelle und sie waren dort in geringerem Maße antisemitischen Ausschreitungen ausgesetzt. 1925 waren rund ein Drittel der deutschen Juden in Berlin beheimatet, das waren 4,3 Prozent der Berliner Gesamtbevölkerung.69
Vater Jakob Bernstein
Der mittlere der drei Brüder Bernstein, Jakob, geboren am 26.12.1814 in Danzig,70 Vater Eduard Bernsteins, hatte in seiner Heimatstadt Klempner gelernt und 1833 die zunftgemäße Wanderung durch Norddeutschland begonnen, die ihn schließlich nach Berlin führte, wo er ab 1838 seinen Beruf als Klempnermeister ausübte.71
Nach Bekunden Eduards war sein Vater Jakob zwar ein guter Handwerker, konnte aber weder mit dem Geld noch mit der Zeit gut haushalten, so dass er bereits nach drei Jahren im Klempnerberuf seine Firma wegen zu großer Außenstände aufgeben musste. Er suchte einen neuen Beruf und konnte ab Mai 1843 bei der jungen Berlin-Anhaltischen Eisenbahn zunächst eine Lehre als Heizer absolvieren und wurde anschließend zum Lokomotivführer ausgebildet. Aus Eduard Bernsteins Sicht war das der Beruf, der genau zu seinem Vater passte: »So wenig er zum Meister getaugt hatte, so sehr war er als Beamter an seinem Platz. ...
Erscheint lt. Verlag | 17.7.2024 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► 1918 bis 1945 |
Schlagworte | Arbeiterbewegung • August Bebel • Demokratischer Sozialismus • Deutsche Geschichte • historische Figur • Judentum • Kaiserreich • Karl Kautsky • Klassenkampf • Marxismus • Reformsozialist Bernstein • Revisionismus • Sozialdemokratische Partei Deutschland • Sozialismus • sozialistische Vordenker • SPD • Verkannter Vordenker • Weimarer Republik |
ISBN-10 | 3-593-45875-6 / 3593458756 |
ISBN-13 | 978-3-593-45875-5 / 9783593458755 |
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