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Du bist nicht allein mit der Angst vor dem Tod -  Claudia Knöllinger

Du bist nicht allein mit der Angst vor dem Tod (eBook)

Mehr Leichtigkeit für ein schweres Thema
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
256 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7597-2650-6 (ISBN)
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Wie gehen Menschen unterschiedlichster Herkunft, Religion und Schicksale mit der Endlichkeit des Lebens und dem Tod um? Der Tod begleitet Claudia Knöllinger schon seit ihrer Kindheit. Einschneidende persönliche Erlebnisse und 25 Jahre Erfahrung als Psychologin in der Bundeswehr und als systemische Therapeutin konfrontieren sie immer wieder mit Sterben und Tod. Mitten in der Pandemie und kurz vor ihrem 50. Geburtstag, traf sie die Angst mit voller Wucht. Fragen drängen sich auf:"Wie viel Zeit bleibt mir noch? War das schon alles? Was kommt nach dem Tod?" Ihre Suche nach Antworten, Erkenntnissen, Inspirationen und Hilfestellungen entwickelt sich zu einer Reise in die Welt der Religion, der Naturwissenschaft, der Spiritualität, der Medizin und Psychologie. Das Buch gibt Einblicke in Hospizarbeit, selbstbestimmtes Sterben sowie Nahtoderfahrungen und erzählt, wie sterbenskranke Menschen und ein ehemaliges Geiselopfer der Taliban mit der Angst vor dem Tod umgehen und sich trotzdem Freude am Leben bewahren. Entstanden ist ein Kaleidoskop ergreifender Geschichten. Ein Buch, so berührend, humorvoll und tröstend, wie ein gutes Gespräch mit einem lieben Freund.

Claudia Knöllingers Start in das Leben war holprig. Direkt nach ihrer Geburt 1971 in Stuttgart musste sie an der Niere operiert werden und erwachte mitten in der Narkose. Ihre erste heftige Begegnung mit dem Tod erfuhr sie 2004 in Bolivien: Sie verlor ihr Kind und wäre bei der Notoperation beinahe selbst gestorben. Es dauerte lange, bis sie sich von diesem Erlebnis erholte. Die Auseinandersetzung mit dem Tod half ihr, das Leben bewusster und intensiver wahrzunehmen und zu gestalten. Claudia Knöllinger ist Diplom-Psychologin, systemische Therapeutin und Hypnotherapeutin. Sie arbeitet bei der Bundeswehr als Betriebspsychologin und ist außerdem in eigener Praxis tätig. Sie unterstützt ihre Klient*innen dabei, einen individuellen Zugang zu diesem schweren Thema zu finden. In Krisenzeiten bewusst mit der Angst vor dem Tod umzugehen und dem Leben wieder einen Sinn zu geben, steht im Mittelpunkt ihrer Arbeit.

1 Dem Tod ganz nah


Vom 31. 10. bis 2. 11. feiert man in Bolivien den Tag der Toten, den Día de los Muertos. Es ist ein fröhliches Fest. An den Gräbern der Toten wird der Verstorbenen gedacht und gebetet. Es wird getanzt, gegessen und gesungen. An diesem Tag wird jeder satt. Die Armen bieten an, beim Schmücken und Säubern der Gräber zu helfen und für die Seelen der Toten zu beten und erhalten dafür Brot.

Das Fest, die ausgelassene Stimmung und vor allem der fröhliche Umgang mit dem Tod faszinierten mich. Nie hätte ich mir träumen lassen, dass ich in Bolivien selbst zur Trauernden werden würde.

Den Tag, an dem ich in Bolivien ankam, werde ich nie vergessen. Es war im Oktober 2003, als ich nach La Paz flog, um meinen Verlobten zu heiraten und dort gemeinsam mit ihm zu leben. Ich hatte geplant, in einem Projekt für sozial benachteiligte Frauen zu arbeiten. Doch dann kam alles anders.

Als mein Flugzeug in Deutschland abhob, war mir nicht klar, auf was ich mich da einließ. Während meiner Zwischenlandung in den USA erfuhr ich, dass der Flughafen von La Paz / El Alto gesperrt war. Bereits vor meiner Abreise hatte ich von den Unruhen in Bolivien gehört, doch wie schlimm es wirklich war, verstand ich nicht. Also flog ich weiter nach Santa Cruz, wo ich eine Woche blieb. Dann bot sich mir die Möglichkeit, mit einer Regierungsmaschine nach La Paz weiterzufliegen. Es war der Tag, an dem Präsident „Goni“ (Gonzalo Sánchez de Lozada) mit dem Hubschrauber in die USA flüchtete.

In Bolivien tobte ein Gaskrieg zwischen überwiegend indigenen Demonstranten und dem bolivianischen Militär. Es kam zu Ausschreitungen, im Zuge derer mindestens 60 Menschen getötet und mehrere Hundert schwer verletzt wurden. Die Proteste sollten als „schwarzer Oktober“ in die bolivianische Geschichte eingehen.

Mitten in diese Unruhen landete ich – gemeinsam mit wenigen Regierungsmitgliedern – in der einzigen Maschine mit Landeerlaubnis am Flughafen von La Paz.

Ich hörte Schüsse – oder waren es Explosionen? Ich weiß es nicht, für mich klang alles ähnlich. Doch ich erinnere mich, dass ich mir die Augen rieb und mein Kopf pochte. Irgendjemand reichte mir ein nasses Tuch, um mich vor dem Tränengas zu schützen.

Es war seltsam: Ich hätte mich verkriechen sollen, hätte versuchen sollen, das Land so schnell wie möglich wieder zu verlassen, doch ich spürte keine Angst – ein Teil von mir fand es sogar aufregend und spannend.

Also schloss ich mein Gepäck am Flughafen ein und setzte mich auf den Gepäckträger eines Fahrradtaxis – das einzig verbliebene Transportmittel – und fuhr mitten hinein in den Bürgerkrieg.

Um mich herum fielen Schüsse, Menschen schrien und Tränengas brannte in meinen Augen. Die aufgeheizte und angespannte Stimmung war überall spürbar. Wir passierten Straßenblockaden und fuhren mitten durch den Tumult von Soldaten und Demonstranten. Ich sah Bilder, die ich bisher nur aus dem Fernsehen kannte.

Ich realisierte nicht, in welcher Gefahr ich mich befand und welcher Gefahr die Menschen dort ausgesetzt waren. Ich dachte nicht mehr strukturiert. Ich war wie in einer anderen Welt – fühlte mich wie in einem Kokon.

Ein Kokon, in dem jemand immer stärker, wie mit einem Hammer gegen meine Schädeldecke schlug. Es zerriss mir fast den Kopf, denn die Höhe machte mir zusätzlich zu schaffen. Auf fast 4.000 Metern Höhe ist die Luft ganz schön dünn. Ich wollte mich nur noch hinlegen.

Ich bekam nicht mehr mit, dass der Präsident an diesem Tag aus Bolivien floh. Die Menschen feierten auf den Straßen, während der Schlaf meiner Migräne dämpfte.

In den nächsten Wochen lebte ich mich mehr und mehr ein, engagierte mich ehrenamtlich bei der Gefängnisseelsorge der Caritas, in der Psychiatrie und hatte eine kleine psychologische Praxis. Ich war fasziniert von der Freundlichkeit der Menschen und von der Landschaft und genoss das Leben in meiner neuen Wahlheimat. Auch an das Klima gewöhnte ich mich schnell. Jedenfalls dachte ich das.

Am 16. 4. 2004 bemerkte ich, dass ich schwanger war. Einerseits war ich überglücklich, andererseits aber auch ängstlich. Ich fühlte mich körperlich schlecht und hatte Sorge, ob es „richtig“ war, denn unsere Beziehung war eher „schwierig“.

Eine liebe Freundin begleitete mich zunächst in eine staatliche Klinik, in der ich während der Schwangerschaft kostenlos ärztlich versorgt wurde. Die ersten Untersuchungen waren sehr unangenehm. Ich lag auf einem kalten gynäkologischen Stuhl, um mich herum ein Arzt und zehn Studierende. Das war mir so unangenehm, dass ich mir einen anderen Frauenarzt suchte. Empfohlen wurde mir Dr. K., er hatte in Deutschland studiert und besaß eine Praxis mit mehr Privatsphäre als im Krankenhaus. Er war nett und ich hatte Vertrauen zu ihm.

Nach ein paar Wochen bekam ich auf einmal hohen Blutdruck. Ich merkte es daran, dass ich kurzatmiger wurde und immer wieder Herzrasen hatte. Obwohl ich mich mit der Höhe arrangiert hatte, dachte ich zu Beginn, dass mein steigender Blutdruck vielleicht etwas damit zu tun haben könnte und beschloss, dass das wieder vorbeigeht.

Aber irgendwann ließ sich mein Blutdruck einfach nicht mehr einfangen. Nachdem Dr. K. mich untersucht hatte, erklärte er mir, dass theoretisch die Gefahr einer Schwangerschaftsvergiftung (Präeklampsie) bestehen könnte, sollten sich meine Werte nicht verbessern. Doch aus seinem Mund klang das sehr „theoretisch“. Er schien sich jedenfalls keine ernsthaften Gedanken um mich zu machen. Da ich gleichzeitig Wasser in den Beinen eingelagert hatte, riet er mir zu einem „Reis-Tag“ zur Entwässerung und schickte mich mit den Worten nach Hause: „Machen Sie sich mal keine Sorgen!“ Also aß ich einen Tag Reis und machte mir keine Sorgen.

Doch das Wasser in den Beinen blieb und mein Blutdruck stieg. Einmal ließ ich ihn in einer Apotheke messen (220 zu 280 – normal sind etwa 120 zu 80). Die Apothekerin warnte mich: „Das sollten Sie abklären lassen!“. Aber ich war mir sicher: Eine Schwangerschaftsvergiftung ist so selten, warum sollte ausgerechnet ich diejenige sein, die den Dachziegel auf den Kopf bekommt? Schließlich war ich unkaputtbar!

Heute frage ich mich, wie ich nur so unbedarft und naiv sein konnte.

Dann kam der Tag, der mein Leben für immer verändern sollte.

Es war der 24. August 2004 – 20. Schwangerschaftswoche. Ich wollte mich gerade ins Bett legen, als ich zum ersten Mal diesen ekelhaften, vernichtenden Schmerz im Oberbauch spürte. Ich kann mich nicht erinnern, jemals zuvor solche Schmerzen gehabt zu haben. Ich konnte nicht mehr klar denken. Es war so schlimm, dass es mir buchstäblich die Sinne vernebelte.

Zu dieser Zeit streikten gerade die Busfahrer und so konnte Dr. K. nicht zu uns nach Hause kommen und wir nicht zu ihm fahren. „Es ist vermutlich eine Entzündung der Magenschleimhaut,“ meinte der Arzt am Telefon und schickte meinen Mann los, um Magentropfen zu kaufen. Wie lange er weg war, weiß ich nicht, aber es fühlte sich endlos an... Irgendwann fiel ich in einen unruhigen Schlaf. Als ich am nächsten Morgen erwachte, hatte ich einen Krampfanfall. Mein Mann trug mich ins nächste Krankenhaus. Ich habe nur noch sehr vage Erinnerungen daran, aber ich weiß noch, dass sie dort mit meinem Fall überfordert waren und mich in eine andere Klinik überwiesen. „Hilf mir, rette mich!“ flehte ich meinen Mann an.

Die furchtbare Angst vor dem Tod ist das Letzte, an das ich mich erinnere: Irgendwo zwischen der ersten und der zweiten Klinik, zwischen dem ersten und dem zweiten Krampfanfall, verlor ich das Bewusstsein.

Was dann passierte, weiß ich nur aus Erzählungen:

Die Ärzte kämpften um mein Leben und um das meines Kindes. Es war die 20. Schwangerschaftswoche und ich litt unter einer Schwangerschaftsvergiftung. Die Ärzte fragten meinen Mann „Sollen wir Ihre Frau oder Ihr Kind retten.“ Ich bin meinem Mann noch heute dankbar, dass er zu meinen Gunsten entschied.

Während er panisch umherlief und um das Leben seiner kleinen Familie bangte, kämpften die Ärzte um mein Leben und um das meines Kindes. Erst versagte meine Niere. Dann meine Leber. Anschließend schnitten sie mir den Bauch auf. Notkaiserschnitt, um zumindest mein Leben zu retten. Dann schaltete sich mein Gehirn ab – Encephalopathie. Ich fiel ins Koma. Schwarz. Aus. Nichts mehr.

Zumindest muss es für meinen Mann und die Ärzte so ausgehen haben. Ich aber erinnere mich an Bilder. Verschwommene Abbildungen oder auch Projektionen meines Gehirns? Da standen Ärzt*innen, Nachbarn, Freund*innen um mich herum. Und ich erinnere mich, dass mich das beunruhigte. Diese Erinnerung war so eindrücklich, dass ich daraufhin meine Patientenverfügung änderte.

Abgeschaltet werden? Nein, das möchte ich heute nicht mehr.

Drei Tage später war ich außer Lebensgefahr und wachte langsam wieder auf. Ich erwachte in einem Zimmer, das ich nicht kannte. In einem Bett mit weißen Laken. Grelles Sonnenlicht schien durch das Fenster....

Erscheint lt. Verlag 23.5.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie
ISBN-10 3-7597-2650-X / 375972650X
ISBN-13 978-3-7597-2650-6 / 9783759726506
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