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Ein Muslim auf dem Jakobsweg (eBook)

Pilgererfahrungen der anderen Art
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
160 Seiten
Verlag Herder GmbH
978-3-451-83236-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Ein Muslim auf dem Jakobsweg -  Mouhanad Khorchide
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Pilgern ist im Islam eine Selbstverständlichkeit. Mindestens einmal im Leben sollte jeder Muslim die Kaaba in Mekka umrundet haben. Doch wie sieht es eigentlich im Christentum aus? Um das herauszufinden, will Mouhanad Khorchide den Geheimnissen des Jakobswegs auf die Spur kommen. Er kauft sich ein Paar Wanderschuhe, setzt sich ins Flugzeug und macht erst einmal alles falsch. Denn das Pilgern nach Santiago de Compostela ist etwas ganz anderes als die Hadsch der Muslime. Humorvoll erzählt Mouhanad Khorchide von seinen Wegen und Irrwegen auf dem Camino, von Begegnungen und Gesprächen und davon, wie das Wandern auf dem Jakobsweg eine Reise ins eigene Ich wurde, die ihn nicht nur das Christentum, sondern auch den Islam noch einmal neu erleben ließ.

Mouhanad Khorchide, Prof. Dr., geb. 1971, in Beirut, aufgewachsen in Saudi-Arabien, studierte Islamische Theologie und Soziologie in Beirut und Wien. Seit 2010 Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster und dort inzwischen auch Leiter des Zentrums für Islamische Theologie. Khorchide studierte in Beirut Islamische Theologie und in Wien Soziologie, wo er mit einer Studie über islamische Religionslehrer promovierte. Er hat zudem als Imam und Religionslehrer gearbeitet. Seit 2011 ist er Koordinator des Graduiertenkollegs Islamische Theologie der Stiftung Mercator und seit 2013 Principle Investigator des Exzellenzclusters »Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne« an der Universität Münster.

Mouhanad Khorchide, Prof. Dr., geb. 1971, in Beirut, aufgewachsen in Saudi-Arabien, studierte Islamische Theologie und Soziologie in Beirut und Wien. Seit 2010 Professor für Islamische Religionspädagogik an der Universität Münster und dort inzwischen auch Leiter des Zentrums für Islamische Theologie. Khorchide studierte in Beirut Islamische Theologie und in Wien Soziologie, wo er mit einer Studie über islamische Religionslehrer promovierte. Er hat zudem als Imam und Religionslehrer gearbeitet. Seit 2011 ist er Koordinator des Graduiertenkollegs Islamische Theologie der Stiftung Mercator und seit 2013 Principle Investigator des Exzellenzclusters »Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und Moderne« an der Universität Münster.

Wozu Wanderschuhe?


Ich bin in Saudi-Arabien aufgewachsen und habe meine Eltern, die dort bis vor einigen Jahren lebten, oft besucht. Der Zugang zur Pilgerfahrt nach Mekka war daher für mich sehr leicht. Ich war mehrmals vor Ort, zu verschiedenen Zeiten und unterschiedlichen Anlässen. Und so konnte ich viele Erfahrungen und Eindrücke vom Pilgern im Islam sammeln. Pilgern im Christentum hingegen war für mich als Muslim eine fremde Welt, von der ich hier in Deutschland auch aus den Medien nur sehr wenig mitbekam. Im vergangenen Jahr hat sich das allerdings geändert.

Kurz vor den Pfingstferien erzählte mir eine Bekannte, dass sie vorhabe, zur Kathedrale in Santiago de Compostela zu pilgern. Dort befinde sich das Grab des heiligen Jakobus, eines der wichtigsten christlichen Pilgerziele. Das brachte mich auf eine Idee: Warum nicht mal etwas ganz anderes ausprobieren? Als Muslim an einer christlichen Wallfahrt teilzunehmen, wäre sicherlich ein spannendes Erlebnis. Da ich mich überarbeitet fühlte, könnte mich diese neue Erfahrung, die sicher auch eine große Herausforderung wäre, aus dem Alltagsstress herausholen und mir guttun. Die Pfingstwoche war vorlesungsfrei. Für mich als Dozent an der Universität bedeutete das eine fast terminfreie Woche. Und viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren ohnehin im Urlaub, ich konnte also eine ganze Woche abwesend sein, ohne dass die Arbeit darunter leiden würde.

Und so entschied ich mich, nach Santiago de Compostela zu pilgern. Allerdings hatte ich absolut keine Ahnung, wie eine christliche Pilgerfahrt abläuft. Ich wusste nicht einmal, wo Santiago de Compostela überhaupt liegt. Schnell gegoogelt: Es ist die Hauptstadt der Autonomen Gemeinschaft Galicien und hat rund 96 000 Einwohner. Aha, es geht also nach Spanien. Ich buchte einen Flug dorthin, und zwar über Madrid, was etwa 600 Kilometer von meinem Ziel entfernt liegt – und für eine Woche später einen Rückflug. Ich war so naiv und ahnungslos, was die christliche Pilgerfahrt betraf, dass ich alles, was ich über die islamische Pilgerfahrt nach Mekka wusste, einfach auf mein neues Vorhaben projizierte.

Muslimische Pilger fliegen nach Jeddah, einer Stadt im Westen Saudi-Arabiens, und fahren anschließend mit dem Bus in etwa einer Stunde zum etwa neunzig Kilometer entfernten Mekka. In Mekka vollzieht man dann die Rituale der Pilgerfahrt. Diese beginnen mit der siebenmaligen Umrundung der Kaaba, dem schwarzen Würfel, der nach islamischer Überlieferung durch den Propheten Abraham und seinen Sohn Ismail erbaut worden ist.

Ähnliches erwartete ich auch bei der christlichen Pilgerfahrt. Ich würde in der Stadt Santiago de Compostela ankommen und dann zu der Kathedrale gehen, um dort bestimmte Pilgerrituale zu vollziehen – dachte ich zumindest. Ich hatte keine Zeit, mich vorher genauer zu informieren, wusste nicht, welche Rituale mich erwarten würden. Aber egal: »Ich werde mich einfach vor Ort informieren und mich irgendeiner Gruppe anschließen – genauso, wie es viele Pilger in Mekka machen«, sagte ich mir ganz optimistisch. Ich stellte mir vor, man würde zum Beispiel das Grab des heiligen Jakobus ein paarmal umrunden und bestimmte Gebete sprechen. Sollten sich Gebete um die Dreifaltigkeit drehen, würde ich sie für mich als Muslim einfach anders deuten, zum Beispiel im Sinne der unterschiedlichen Seiten von Gott.

Ja, Gott ist zwar nur einer, aber er überrascht uns Menschen mit seinen unterschiedlichen Facetten. Immerhin wird er im Koran als der Erste und dennoch Letzte, der Sichtbarste und dennoch Verborgenste beschrieben. Er ist transzendent, aber uns Menschen näher als die Halsschlagader (Koran 50:16). Trinität ist für mich daher nichts anderes als der symbolische Ausdruck dieser Vielfalt Gottes, sie steht aber auch für sein ewiges Interesse an uns Menschen, an der Beziehung zu uns, denn Vielfalt in Gott bedeutet, dass Gott so etwas wie eine innere Beziehung in sich selbst besitzt. Gott ist, wenn man das so sagen kann, ein Beziehungswesen.

Ich fand auch den christlichen Gedanken sehr interessant, wonach Gott als Mensch in unsere menschliche Welt gekommen ist und sich, indem er Mensch geworden ist, auf uns Menschen eingelassen hat. Wie ein mächtiger König, der aus freien Stücken entscheidet, auf seinen Thron zu verzichten, um als »normaler« Mensch eine Beziehung mit anderen einzugehen. Was für ein bescheidener Gott! Er demonstriert nicht Macht und Kontrolle, sondern Beziehungswillen zu uns Menschen und somit Liebe. Also sah ich absolut keinen Grund, warum ich ein christliches Gebet nicht mitsprechen sollte. Ich kann sogar das Vaterunser genauso gut wiedergeben wie die al-Fatiha, jene Sure, die wir Muslime in jeder Gebetseinheit wiederholen und die fast jeder Muslim auswendig kann.

Etwa eine Woche vor meiner Abreise rief mich meine Mutter aufgeregt an. Sie beklagte, dass ihr die goldfarbene Wolle zum Häkeln ausgegangen sei und sie nun die Tischdecke doch zweifarbig häkeln müsse: »Ob die versprochene Decke deiner Schwester trotzdem gefallen wird?«, wollte sie von mir wissen. Keine geeignete Wolle mehr zu haben, glich für sie einer Katastrophe.

»Mach dir keine Sorgen, Mama, die Tischdecke wird Maya auch zweifarbig sehr gut gefallen.«

»Das sagst du nur, um mich zu beruhigen, das finde ich nicht nett von dir.«

Mit viel Mut unterbrach ich ihren beginnenden Monolog zum Thema Häkeln beim Weltuntergang: »Mama, ich werde nächste Woche pilgern fahren.«

»Was ist los mit dir? Die Hadschzeit ist doch erst im Juli. Das ist erst in zwei Monaten.«

»Ich werde zum heiligen Jakobus pilgern.«

Meine Mutter erwiderte mit erschrockener Stimme: »Herr, vergib uns! Was für ein heiliger Jakobus? Das ist etwas Christliches, oder? Bist du jetzt zum Christentum konvertiert?! O Herr, ich bitte um deine Gnade! Bitte erzähl das deinem herzkranken Vater nicht, das würde ihn umbringen. Und mich bringst du auch gleich um.«

»Nein, Mama! Ich bin nicht zum Christentum konvertiert.«

Ich nuschelte leise, damit meine Mutter meinen frechen Kommentar nicht hörte: »Außerdem, selbst wenn, wo ist das Problem?«

Mit lauter Stimme fuhr ich fort: »Ich will als Muslim eine christliche Pilgerfahrt erleben.«

»Also bist du noch Muslim?«

»Ja, Mama, ich bin noch Muslim.«

»Gott sei Dank! Und du kommst auch als Muslim zurück! Bitte versprich mir das!«

»Ja, ja, ich werde mir Mühe geben.«

»Du weißt, Jesus ist ein Prophet und kein Gott!«

»Ja, Mama, Jesus ist nicht Gott.«

»Außerdem wurde er nicht gekreuzigt.«

»Okay, von mir aus, dann wurde er eben nicht gekreuzigt.«

»Mouhanad, ich meine das ernst, der Mann wurde wirklich nicht gekreuzigt!«

Wieder nuschelte ich leise: »Du warst nicht dabei, Mama, keiner von uns war dabei, woher willst du wissen, was wirklich Sache ist?!«

»Und Mouhanad! Noch etwas …«

Ich unterbrach an dieser Stelle das Telefonat, bevor ich durchdrehte: »Mama, wir hören uns, wenn ich zurück bin. Salam.«

»Salam, aber versprich mir …«

»Ja, Mama, ich bleibe ein Muslim.«

»Aber …«

Nichts aber. Ich habe nicht mehr gehört, was meine Mutter sagte. Irgendwie können meine Eltern es nicht richtig begreifen, dass ihr Sohn seit fast fünfzehn Jahren Professor der islamischen Theologie ist und sich seit dreißig Jahren intensiv mit dem Islam auseinandersetzt, weshalb er wohl doch ein bisschen Ahnung von dem Ganzen hat. Nein, Professor Khorchide ist und bleibt für immer der junge unbeholfene Mouhanad. Mein Vater denkt bis heute, dass meine Arbeit nur darin bestehe, Menschen zum Islam zu konvertieren. Jedes Mal heißt es am Telefon: »Bitte schau, dass du den Menschen erzählst, wie wunderbar der Islam ist, und dass er die einzig richtige Religion ist. Sie sollen den Islam annehmen, sonst werden sie in der ewigen Hölle landen. Und solltest du Fragen haben oder Hilfe benötigen, dann melde dich bei mir.« Das sagt ausgerechnet mein Vater, der kaum ein Buch über den Islam und auch den Koran nicht komplett gelesen hat.

Als vor etwa fünf Jahren mein gemeinsames Buch mit dem katholischen Theologen Klaus von Stosch zum Thema Jesus im Koran erschienen war, verstrickte ich mich unglücklicherweise in eine unangenehme Diskussion mit meinem Vater. Für ihn war klar: »Der Koran kritisiert ganz eindeutig und ohne Wenn und Aber den Glauben der Christen.«

»Aber Papa, so pauschal kann man das nicht sagen. Den Christen wird im Koran sogar die ewige Glückseligkeit versprochen. Was der Koran kritisiert, sind meist Dinge, die die Christen selbst kritisieren würden, zum Beispiel ein Drei-Gott-Glaube. Oder dass Jesus der biologische Sohn Gottes sei. Diese koranische Kritik hat nichts mit dem christlichen Glauben zu tun.«

»Doch, doch, Christen glauben an drei Götter, sie sind Polytheisten, das sagt der Koran und kritisiert es zugleich. Ja, und der Koran sagt, dass Gott keine Frau hat, wie kann er dann ein Kind gezeugt haben?«

»Siehst du, der Koran spricht von einem biologischen Zeugungsakt. Das entspricht doch nicht dem christlichen Glauben.«

»Doch, doch, der Koran irrt sich nicht, du hast nur keine Ahnung vom Christentum, Mouhanad.«

»Der Koran spricht offensichtlich von irgendwelchen christlichen Sekten oder von Fehlentwicklungen bei einigen christlichen Gruppierungen. Aber er macht sicher keine allgemeinen Aussagen über das Christentum und betreibt schon gar keine Pauschalkritik. Ich kenne keinen Christen, der an drei Götter glaubt. Schau mal, Vater, ich gebe dir ein anderes Beispiel: In Sure 9 Vers 30 heißt es, dass...

Erscheint lt. Verlag 12.8.2024
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie
Schlagworte Islam • Jakobsweg • Pilgern
ISBN-10 3-451-83236-4 / 3451832364
ISBN-13 978-3-451-83236-9 / 9783451832369
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