Borderline-Persönlichkeitsstörung (eBook)
378 Seiten
Schattauer (Verlag)
978-3-608-12265-7 (ISBN)
Thorsten Heedt, Dr. med. MHBA, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Zertifizierter EMDR-Therapeut. Leitender Oberarzt der MediClin Klinik am Vogelsang. Klinische und wissenschaftliche Schwerpunkte: Depression, Trauma, insbesondere Behandlung mit EMDR, Borderline-Persönlichkeitsstörung.
Thorsten Heedt, Dr. med. MHBA, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Zertifizierter EMDR-Therapeut. Leitender Oberarzt der MediClin Klinik am Vogelsang. Klinische und wissenschaftliche Schwerpunkte: Depression, Trauma, insbesondere Behandlung mit EMDR, Borderline-Persönlichkeitsstörung.
2 DBT
2.1 Der Glaube an die Patientin
Die DBT dürfte die wohl verbreitetste Borderline-Therapieform sein und hat einen gewaltigen Siegeszug seit ihrer Erfindung, auch in Deutschland, hinter sich und soll daher die Ehre haben, in diesem Buch als erste besprochen zu werden. Der Erfolg fußt wohl darauf, dass sich diese Therapieform so klar (im Gegensatz zur Psychoanalyse) zum Anwalt der Patientinnen macht (neben ihren zahlreichen anderen Vorzügen wie der störungsspezifischen Ausrichtung).
DBT steht für Dialektisch-behaviorale Therapie. »Dialektisch« bezieht sich hier vor allem auf das Nebeneinander von Veränderungswunsch und Akzeptieren des gegenwärtigen Zustands, »behavioral« auf die Ableitung von der Verhaltenstherapie. Marsha Linehan (1996) weist in ihrem Manual auf den zentralen Punkt in der Behandlung hin: Man sollte nicht den Fehler machen, den Opfern (in diesem Fall den Borderline-Patientinnen) ständig die Schuld für das Versagen der Therapie zu geben. Die Zuweisung ist verlockend, und der Fehler unterläuft vielen Therapeuten und Therapeutinnen. Doch sie macht die Angelegenheit noch schlimmer, als sie es ohnehin schon ist: Egal, wie weit man in der Therapie ist, wie viele differenzierte Therapien man auch anwenden mag: Es bleibt die Hilflosigkeit, die sich zwangsläufig an bestimmten Punkten einstellt, wenn man mit dem oft unendlichen Leid der Patientinnen konfrontiert ist. Dies führt dann oft dazu, dass sich der Therapeut besonders ins Zeug legt, was an sich schon anstrengend genug ist. Dennoch kann es dann oft lange Zeit zu keiner Verbesserung kommen. Dann ist der Punkt gekommen, an dem der Therapeut oft dazu neigt, dem Patienten für das Misslingen der Therapie die Schuld zu geben. Offensichtlich macht der Patient etwas falsch, ist nicht engagiert oder motiviert genug – er ist somit selbst schuld am Misslingen. Anstatt also die Patientin zu validieren (also zu bestärken), wird sie zusätzlich invalidiert (also entmutigt). Nicht nur, dass dies der Patientin nicht hilft, es unterminiert auch das zarte Pflänzlein eines gedeihlichen Zusammenarbeitens und eines funktionierenden Arbeitsbündnisses. Es kommt zu einer Distanzierung von Therapeut und Patient, die Patientin fühlt sich alleingelassen und wiederholt somit die oft lebenslange Vorerfahrung, die in genau dieselbe Richtung weist. Linehan geht von einigen Grundannahmen aus: So nimmt sie einfach an, dass Patientinnen
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sich Mühe geben, sich ändern wollen, sich aber vermutlich noch mehr anstrengen müssen als andere, um das Ziel zu erreichen,
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letztlich ihre Probleme selbst lösen müssen,
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das Leben an sich kaum ertragen und sie in verschiedensten Kontexten neues Verhalten erst lernen bzw. aufbauen müssen,
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an sich nicht versagen können, höchstens die Therapie selbst.
Schließlich ist Linehan sicher, dass auch der Therapeut Unterstützung benötigt.
Therapeutische Grundhaltung Im Rahmen der DBT muss auch der Therapeut bestimmten »dialektischen« Anforderungen entsprechen. Linehan (1996) erwähnt folgende zentrale Punkte:
Annehmen versus Veränderung Einerseits müsse der Therapeut den gemeinsamen therapeutischen Prozess so annehmen, wie er sich gerade darstellt, andererseits aber auch wesentliche Veränderungsschritte anstoßen.
Zentriertheit versus Flexibilität Der Therapeut müsse an sich, die Therapie und den Patienten glauben, andererseits im therapeutischen Prozess flexibel bleiben und auch bereit sein, eigene Fehler einzugestehen.
Stützende versus fordernde Haltung Der Therapeut gibt Hilfestellung, wo erforderlich, übernimmt aber nicht Verantwortung für den Patienten, wo er es ebenso gut selbst könnte. (Anm. des Autors: Das erinnert mich fatal an meine Zivildienstzeit, als ich lernte, dass man alten, gebrechlichen Menschen nichts Gutes tut, wenn man ihnen die Tür aufhält, wenn sie sie noch selbst öffnen können.)
2.2 Validieren als Behandlungsprinzip
Von besonderer Bedeutung ist die Basistechnik des Validierens. Dem Prozess förderliche Verhaltensweisen der Patientin werden explizit gelobt und hervorgehoben. Das kann anfänglich für die Patientin verwirrend sein, da sie meist die Auffassung hat, alles falsch zu machen und zu nichts gut zu sein. Es kann zunächst einmal Misstrauen auslösen.
Linehan (1996) unterscheidet zwei Grundformen der Validierung: Zum einen geht es darum, Sinn, Richtigkeit und Wert der Reaktionen der Patientin anzuerkennen (während ja oft in den Familien der Patientin die basalsten Gefühle nicht existieren durften bzw. nicht anerkannt wurden). Die zweite Form des Validierens besteht darin, dass der Therapeut an die Patientin glaubt bzw. an deren Fähigkeit, ihren Zustand zu ändern. Es wird nicht um jeden Preis validiert, sondern ein Gleichgewicht hergestellt zwischen Validierung dessen, was schon jetzt gut funktioniert, und dem Blick auf das, was sich ändern muss. Die Validierung bezieht sich auf aktuelles Verhalten und macht der Patientin begreiflich, dass das nachvollziehbar ist, was sie an Verhalten zeigt. Wenn die Patientin z. B. meint, der Therapeut würde sie jetzt im Stich lassen, macht es keinen Sinn, der Patientin zu spiegeln, dass sie aufgrund ihrer Vergangenheit dies wohl so sehen müsse, sondern es wird zurückgespiegelt, dass man verstehen könne, dass sie sich derzeit im Stich gelassen fühlt.
Das Verhalten wird ihr auch nicht etwa als Projektion oder sonstige Abwehrbemühung gedeutet bzw. interpretiert. Die Validierung ist dreischrittig und besteht aus
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aktiver Beobachtung (dies beinhaltet auch das Lesen zwischen den Zeilen, also dessen, was die Patientin gerade nicht sagt, aber meinen könnte),
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Reflexion bzw. Spiegelung,
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direkter Validierung (der Therapeut erklärt, dass er die Reaktion nachvollziehbar findet, und auch, aufgrund welcher aktuellen Tatsachen er das Verhalten für nachvollziehbar hält).
Linehan vergleicht das Validieren damit, einen am Abgrund einer Steilküste stehenden Patienten wieder in Sicherheit zu ziehen. Das Validieren soll die Balance zwischen Veränderungsstrategie einerseits und die Anerkenntnis des Jetzt-Zustandes andererseits wahren. Ein Zuviel an Veränderung hingegen ängstige die Patientin. Man dürfe nicht über die Widerstände und Unsicherheiten der Patientin hinweggehen, sondern müsse diese zunächst ernstnehmen und Verständnis dafür äußern.
Validierung von Emotionen
In manchen Familien, besonders in jenen von Borderline-Patientinnen, ist es üblich, die »primären Gefühle« nicht anzuerkennen. Dieser Fehler soll dem Therapeuten nicht passieren, er ist in der DBT angehalten, die Gefühle der Patientin anzunehmen, wahrzunehmen und zu benennen und ihr vermitteln, dass die Gefühle stimmig sind.
Gelegenheit zur Emotionsäußerung geben Zunächst solle man die Gefühle der Patientin anhören und ernstnehmen, dafür auch Raum geben.
Emotionen wahrnehmen und bezeichnen Der Therapeut hat die schwierige Aufgabe, der Patientin zu helfen, ihre Selbstwahrnehmung zu schärfen, Emotionen und die damit verbundenen körperlichen Reaktionen zu spüren und zu benennen, Affekte zu differenzieren und auslösende Ereignisse von Interpretationen zu differenzieren. Das bessere Wahrnehmen von Emotionen hilft der Patientin auch bei der Regulation eigener emotionaler Befindlichkeiten.
Deuten von Emotionen Borderline-Patientinnen haben in der Regel Schwierigkeiten, ihre Emotionen richtig zu deuten. Der Therapeut muss sie dabei anfänglich unterstützen. Linehan bringt als Beispiel, dass Patientinnen mitunter plötzlich angeben, ihnen wäre die Bearbeitung eines bestimmten Themas auf einmal nicht mehr wichtig. Dies kann aber in Wirklichkeit für das Gefühl von Hilflosigkeit stehen. Der Therapeut könnte dies der Patientin deuten und so ein Weiterarbeiten ermöglichen. Geschieht dies aber zu oft, wird die Patientin es auch nicht lernen, ihre eigenen Gefühle richtig zu deuten und dies dem Therapeuten überlassen. Daher sollte der Therapeut beim Deuten der Gefühle nur in der Anfangsphase helfen – so lange, bis eine stabile therapeutische Beziehung entstanden ist und die Fertigkeiten der Patientin bereits so weit angestiegen sind, dass der Patientin die eigene Exploration und Deutung der eigenen Emotionen zumutbar ist. Manchmal kann es auch nützlich sein, bezüglich des Lesens der eigenen Gefühle (»Fühlen Sie sich ärgerlich, traurig, oder …«) wie etwa in der Medizinerprüfung Multiple-choice-Fragen anzubieten (Linehan 1996).
Rückmeldung über Emotionsvalidität Wichtig ist, der Patientin zurückzumelden, dass ihre primären Emotionen verständlich und normal sind. Wenn sich die Patientin z. B. erneut hilfesuchend an den Therapeuten wendet und sich im gleichen Augenblick schuldig fühlt, könnte man der Patientin sagen, dass sie sich nicht schuldig fühlen muss. Das ist aber invalidierend. Stattdessen ist es besser, mitzuteilen, dass das Gefühl nachvollziehbar ist, aber auch, dass man diese Gefühle nicht wegschieben braucht, sondern man im Gegenteil lernen muss, sie auszuhalten. Das ist etwas anderes als die Erfahrung, die Borderline-Patientinnen in ihrem Umfeld normalerweise machen.
Verhaltensvalidierung
Auch das Verhalten muss...
Erscheint lt. Verlag | 13.1.2024 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Borderline • BPS • DBT • Dialektisch Behaviorale Therapie • griffbereit • Integrative Psychotherapie • Integrative Therapie • Jeffrey Young • Kernberg • linehan • MBT • Mentalisierungsbasierte Psychotherapie • Neurobiologie • Persönlichkeitsstörung • Peter Fonagy • Pharmakotherapie • Psychopharmaka • Psychotherapie • Schematherapie • Svenja Taubner • TFP • Übertragungsbasierte Psychotherapie |
ISBN-10 | 3-608-12265-6 / 3608122656 |
ISBN-13 | 978-3-608-12265-7 / 9783608122657 |
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