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Die Rechte der Natur (eBook)

Vom nachhaltigen Eigentum

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
347 Seiten
Suhrkamp (Verlag)
978-3-518-77704-6 (ISBN)

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Die Rechte der Natur -  Tilo Wesche
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Der Natur werden weltweit von Parlamenten, Regierungen und Gerichten zunehmend eigene Rechte verliehen. Was ist dran an den Rechten der Natur? Kann diese Rechtspraxis zur Bewältigung des Klimawandels beitragen? Wie lassen sich solche Rechte begründen? Und wie anwenden? Diesen Fragen geht Tilo Wesche in seinem philosophischen Grundlagenwerk mit Blick auf das Eigentumsrecht nach. Beim Klima-, Arten- und Umweltschutz werden Eigentumsrechte häufig vernachlässigt. Dabei wohnt ihnen selbst eine Vorstellung ökologischer Nachhaltigkeit inne, die zur Überwindung eines extraktiven Naturverhältnisses beitragen kann.



Tilo Wesche ist Professor für Praktische Philosophie an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Im Suhrkamp Verlag erschienen zuletzt: <em>Was ist Kritik?</em> (stw 1885, hg. zus. mit Rahel Jaeggi), <em>Die Rechte der Natur. Vom nachhaltigen Eigentum</em> (stw 2414) und <em>Vernünftige Freiheit. Beiträge zum Spätwerk von Jürgen Habermas</em> (stw 2420, hg. zus. mit Stefan Müller-Doohm und Smail Rapic).

9Einleitung: Wem gehört die Natur?


Ein Fluss gehört sich selbst


Der Whanganui River entspringt im Vulkanmassiv Tongariro der nördlichen Hauptinsel Neuseelands und schlängelt sich durch das dichte Grün dünn besiedelter Landschaften hin zu seiner Mündung im Pazifischen Ozean. Außer als beliebtes Ausflugsziel für Städter aus der Umgebung ist der Fluss weit über die Landesgrenzen hinaus vor allem für eines bekannt: Der Fluss hat eigene Rechte – einschließlich Eigentumsrechte. Seine indigenen Anwohnerinnen, die Māori wi, führten mit der neuseeländischen Regierung einen jahrzehntelangen Rechtsstreit über die Frage, wem der Fluss gehört. In der maorischen Weltanschauung wird er auch Te Awa Tupua (»Fluss als Ahne«) genannt und als Heiligtum verehrt, weil die Ahnen in ihm wohnen. Der Whanganui River ist für Menschen unantastbar und kann deshalb nicht ihnen gehören; er entzieht sich den Eigentumsrechten, die Menschen über leblose Dinge ausüben. Die Regierung hingegen beharrte darauf, dass ein Fluss nicht außerhalb einer staatlichen Rechtsordnung mit entsprechenden Eigentumsrechten stehen könne, die die Nutzung des Flusses, aber auch Weisen und Umfang seiner Verwertung und Übertragung regeln. Wer darf das Wasser nutzen? Wem gehören die Einnahmen aus dem Flusstourismus und dem Fischfang? Wer darf mit Früchten und Holz aus den angrenzenden Wäldern Handel treiben? Usw. Ohne eine Eigentumsordnung ließen sich solche Streitfragen nicht gewaltfrei vor Gericht entscheiden.

Der Rechtsstreit wird mit der Novellierung des Te Awa Tupua Act (Whanganui River Claims Settlement) 2017 No. 7 beigelegt. Dem Whanganui River werden damit eigene Rechte zugestanden. In Artikel 14 (1) heißt es: »Te Awa Tupua ist eine juristische Person und hat alle Rechte, Befugnisse, Pflichten und Verbindlichkeiten einer juristischen Person.«[1]  Der Fluss wird als Träger eigener Rechte anerkannt und gilt als juristisches Subjekt, das durch seine Stell10vertreter (das Te Pou Tupua Office) vor Gericht ziehen und seine Rechte einklagen kann. Eigentumsrechte, bislang Menschen vorbehalten, werden damit auf den Fluss übertragen: Der Fluss gehört sich selbst.[2]  Er ist weder ein eigentumsloses Gut, das niemandem gehört, noch eine eigentumsförmige Sache, über die Menschen verfügen. Der Whanganui River besitzt Eigentumsrechte an seinen Fischen und seinen Pflanzen, an seinem Wasser und seinem Boden. Er verkörpert damit exemplarisch die Vorstellung von einer Natur, die ebenso wie ihre Bestandteile Rechtssubjekt und insbesondere Inhaberin von Eigentumsrechten an den Naturgütern ist.

Solche ökologischen Rechte haben Schule gemacht und sind kein Einzelfall mehr. Weltweit wurden der Natur inzwischen in knapp zweihundert Fällen eigene Rechte zugestanden. Außer in Neuseeland sind sie in den USA, in Ecuador, Kolumbien, Bolivien, Uganda, Spanien etc. anerkannt. Ökologische Rechte sind also keine Traumtänzerei mehr, sondern mittlerweile gelebte Rechtspraxis, die in den Parlamenten, Regierungen und Gerichtshöfen angekommen ist. Mit dieser ökologischen Eigenrechtsidee, wie sie genannt wird, wird klarerweise ein grundlegender Paradigmenwechsel im Rechtsverständnis vollzogen:[3]  Rechte, die bisher Menschen vorbehalten waren, werden einer nichtmenschlichen Entität zugebilligt. Daher lohnt es sich, sie auf den Prüfstand zu stellen, was in diesem Buch geschehen wird.

Das wachsende Interesse an ökologischen Rechten erklärt sich natürlich aus den Ökologiekrisen der Gegenwart und der Ratlosigkeit darüber, wie sie sich auf friedliche, sozialverträgliche und stabilisierende Weise bewältigen lassen. Die Rechte der Natur durchlaufen dabei einen Wandel und entwickeln sich von einer lokalen Maßnahme des Umweltschutzes zu einer globalen Nachhaltigkeitsstrategie. Anfangs dienten sie dem Schutz der Lebensräume von Anwohnerinnen, die durch Land-, Vieh‑, Forst- und Holzwirtschaft sowie Bergbauindustrie und illegalen Rohstoffabbau zer11stört werden. Heutzutage sind sie mit der Erwartung verbunden, nicht nur einzelne Biotope, sondern die Ökosphäre insgesamt vor Übernutzung, Verunreinigung und Zerstörung zu schützen. Ging es zunächst darum, Mülldeponien, Grundwasserverunreinigungen und Abholzungen zu verhindern, so soll nunmehr die Natur im Ganzen vor ihrem Missbrauch als Rohstofflager, Verwertungsquelle und Abfallhalde bewahrt werden. Es liegt auf der Hand, dass globale Ökologiekrisen Gegenmaßnahmen von grenzüberschreitender Reichweite erfordern. Einen solchen weltweiten Wirkungskreis verspricht man sich von der Etablierung ökologischer Eigenrechte, die dazu beitragen soll, vier weltweite Ökologiekrisen einzudämmen: die Erderwärmung, das Artensterben, die Ressourcenerschöpfung und die Globalvermüllung.

Dass es eine menschengemachte Erderwärmung gibt, die auf den Verbrauch von fossilen Energieträgern zurückgeht, ist seit einem halben Jahrhundert bekannt. Klimaschädliche Emissionen von Treibhausgasen wie Kohlendioxid, Methan und Lachgas haben die Temperaturen seit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert durchschnittlich um 1,2 Grad steigen lassen. Um Meeresspiegelanstieg, Wüstenbildung, Dürren, Überflutungen, Ernteausfälle, Gesundheitsbelastungen und die sozialen Auswirkungen wie Migration, Ressourcenkonflikte und Ungleichheiten noch zu begrenzen, müsste die Erderwärmung bei 1,5 Grad gestoppt und müssten Gesellschaften klimaneutral werden.[4]  Dieses Ziel ist zwar mit dem Pariser Abkommen 2015 beschlossen worden und rein theoretisch noch erreichbar. Um aber auf den nötigen Dekarbonisierungspfad zu gelangen, müsste der entsprechende Umbau der Infrastrukturen und die Neuausrichtung der Investitionszyklen in kürzester Zeit vollzogen werden. Die derzeit weltweit weiterhin steigenden Emissionen sprechen nicht unbedingt dafür, dass das gelingt. Aufgrund nachlaufender Effekte des Klimasystems stellen sich Wirkungen von Handlungsveränderungen zudem verzögert ein: Selbst dann, wenn ab sofort keinerlei Treibhausgase mehr ausgestoßen würden, stiegen die Temperaturen um mindestens ein halbes Grad weiter an. Es gibt also einen enormen Zeitdruck, der es nötig macht, neue Wege zu beschreiten.

12Das Zeitfenster, um das Artensterben aufzuhalten, ist ebenfalls sehr klein. Denn täglich verschwinden 150 Tier- und Pflanzenarten unwiederbringlich von unserem Planeten – und mit ihnen auch zahlreiche Ökosystemdienstleistungen, die Menschen für ihr Wohlergehen und Überleben benötigen: ohne Bienen keine Pflanzenbestäubung, ohne Wälder und Moore keine natürliche Bindung von Kohlendioxid etc.[5]  Auch beim Artensterben gibt es Kipppunkte, nach deren Überschreitung sich ganze Ökosysteme, etwa der Regenwald im Amazonasgebiet oder das Mittelmeer, selbst nicht mehr stabilisieren können. Bereits heute führt der Artenschwund auf 60 Prozent der Erdoberfläche zu einem Kollaps von Ökosystemen.[6]  Mit dem Verlust von Biodiversität wird also auch Menschen die Lebensgrundlage entzogen, so dass ein grundsätzliches Umsteuern schon deshalb dringend geboten erscheint.

Weiterhin zugenommen hat auch die Ressourcenerschöpfung, trotz eindringlicher Warnungen. Fakt ist: Bliebe der weltweite Ressourcenverbrauch auf aktuellem Niveau, bräuchte es 1,6 Erden, um ihn dauerhaft zu decken. Auf die Weltbevölkerung hochgerechnet, würde die Wirtschaftsweise und das Konsumverhalten allein des globalen Nordens die Landfläche von mehr als drei Erden erfordern. Diese Übernutzung geht auf Kosten anderer Länder und zukünftiger Generationen. Aber schon gegenwärtig kann der Ressourcenhunger kaum noch gestillt werden. Fruchtbare Nutzflächen, Süßwasser und Wälder werden stärker genutzt, als sie sich regenerieren können; nichterneuerbare Rohstoffe wie Bausand, Kupfer und das als Dünger genutzte Phosphat werden knapper und noch in diesem Jahrhundert versiegen.

Einen gleichermaßen dringenden Handlungsbedarf erzeugt die weltweite Vermüllung insbesondere durch Kunststoffabfälle. Nicht nur schwimmen in den Ozeanen riesige ...

Erscheint lt. Verlag 11.9.2023
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
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ISBN-10 3-518-77704-1 / 3518777041
ISBN-13 978-3-518-77704-6 / 9783518777046
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