Heilpädagogische Psychologie (eBook)
384 Seiten
UTB GmbH (Verlag)
978-3-8463-6091-0 (ISBN)
Prof. em. Dr. phil. Konrad Bundschuh war Ordinarius und Inhaber des Lehrstuhls für Verhaltensgestörtenpädagogik und Geistigbehindertenpädagogik am Institut für Sonderpädagogik, Ludwig-Maximilians-Universität München.
Hinweise zur Benutzung dieses Lehrbuches12
Vorwort zur fünften Auflage13
Vorwort zur ersten Auflage16
Einleitung18
1 Die Bedeutung der Heilpädagogischen Psychologie27
1.1 Heilpädagogische Psychologie als multidimensionaler
Wissenschaftsbereich in den Arbeitsfeldern der Sonder- und Heilpädagogik sowie Lerntherapie32
1.2 Die Komplexität Heilpädagogischer Psychologie und das wissenschaftstheoretische Dilemma37
1.3 Heilpädagogische Psychologie und heraus fordernde schulische Erziehungs- und Lernwirklichkeiten46
1.3.1 Überfordernde Störungs- und Behinderungsprozesse im Bereich der Schulen mit
kumulierender und progredienter Tendenz49
1.3.2 Verheerende Auswirkungen überfordernder schulischer Wirklichkeit auf Kinder50
1.3.3 Grundlegende Prinzipien einer edukandenorientierten schulischen Erziehung und Unterrichtung53
1.3.4 Integration und Inklusion59
1.3.5 Intersubjektivität des pädagogischen Bezugs: Heilpädagogische
Beziehungen zwischen Wissenschaftlichkeit und pädagogisch-menschlicher Grundhaltung63
1.4 Lernfragen zur Wiederholung von Kapitel 166
2 Handlungs- und Gegenstandsbereiche Heilpädagogischer Psychologie68
2.1 Heilpädagogische Psychologie unter dem Aspekt Verhalten70
2.1.1 Verhalten beschreiben71
2.1.2 Verhalten erklären74
2.1.3 Verhalten verstehen75
2.1.4 Verhalten vorhersagen77
2.1.5 Verhalten verändern80
2.2 Heilpädagogische Psychologie unter dem Aspekt Erleben81
2.3 Aufgaben-, Handlungs- und Gegenstandsbereiche Heilpädagogischer Psychologie im Überblick87
2.4 Lernfragen zur Wiederholung von Kapitel 290
3 Entwicklung im Rahmen sonder- und heilpädagogischer sowie lerntherapeutischer Fragestellungen92
3.1 Entwicklungstheorien, sonder- und heilpädagogische sowie lerntherapeutische Herausforderungen94
3.1.1 Reifungstheorie96
3.1.2 Milieutheorie97
3.1.3 Interaktionistische Entwicklungstheorien in ihrer Bedeutung für die Sonder- und Heilpädagogik100
3.1.4 Konstruktivistische Stadientheorien oder organismische Theorien103
3.2 Entwicklung im Verständnis Heilpädagogischer Psychologie105
3.3 Grundlegende Entwicklungsprozesse und mögliche Störfaktoren110
3.3.1 Reifung und die Bedeutung der Reflexe in frühester Kindheit110
3.3.2 Differenzierung121
3.3.3 Integrierung und Zentralisierung122
3.3.4 Strukturierung und Selektion124
3.3.5 Herausbildung gefestigter und sicherer Verhaltensformen125
3.4 Prozesshaftigkeit und Dialogisches der menschlichen Entwicklung128
3.5 Die „genetische Erkenntnistheorie“ von Piaget in ihrer Relevanz für die geistige Entwicklung im
Rahmen einer Heilpädagogischen Psychologie132
3.5.1 Zentrale Begriffe und grundlegende Prozesse: Assimilation, Akkommodation, Äquilibration,
Zentrierung, Dezentrierung und Reversibilität135
3.5.2 Kognitive Entwicklung nach Piaget – die vier Stufen der Intelligenzentwicklung145
3.5.3 Folgerungen für die Entwicklung von Kindern mit Behinderungen154
3.5.4 Überlegungen im Hinblick auf Frühförderung159
3.6 Konstruktivismus und Ko-Konstruktion162
3.6.1 Konstruktivismus als Erkenntnistheorie162
3.6.2 Die Bedeutung von Ko-Konstruktionen im Rahmen von Förderung163
3.7 Begegnung und Erfahrung im Kontext emotionaler Entwicklung167
3.8 Querverbindungen der Entwicklungspsychologie zu anderen psychologischen Bereichen unter
den Aspekten Erziehung und Förderung171
3.9 Lernfragen zur Wiederholung von Kapitel 3174
4 Lernen in sonder- und heilpädagogischen sowie lerntherapeutischen Arbeitsfeldern:
Neurobiologische und neuropsychologische Erkenntnisse176
4.1 Das Gedächtnissystem: Filterung und Speichern von Informationen179
4.1.1 Das Ultrakurzzeitgedächtnis – das Blitzgedächtnis: ein erster Filter für Informationen und Wahrnehmungen180
4.1.2 Das Kurzzeitgedächtnis: zweiter Filter für Wahrnehmungen und Operationsspeicher181
4.1.3 Das Langzeitgedächtnis: Verankerung und Speicherung von Informationen183
4.1.4 Dimensionen und Vernetzungen des Langzeitgedächtnisses184
4.2 Übertragung der Erregung von einer Nervenzelle auf die andere und Störfaktoren185
4.3 Emotionalität, Motivation und Lernen187
4.4 Lernen im Netzwerk194
4.5 Selbstgesteuertes Lernen – zentrales Moment im dynamischen Wissenserwerb195
4.6 Verursachungsmomente von Lern- und Wahrnehmungsstörungen201
4.7 Konsequenzen für Erziehung, Förderung, Unterricht: Lernsituation und basale Lernprozesse203
4.8 Lernen – Querverbindungen und Zusammenhänge208
4.9 Lernfragen zur Wiederholung von Kapitel 4212
5 Heilpädagogische Diagnostik als Förderdiagnostik – Herausforderungen und Leistung213
5.1 Basisüberlegungen, Bezugsrahmen und Begriffsproblematik215
5.2 Entwicklungen diagnostischer Vorgehensweisen: Von der traditionellen zur prozessorientierten Diagnostik222
5.3 Förderdiagnostik als mehrperspektivischer Ansatz228
5.4 Kritische Thesen zum Problembereich Diagnostik – Förderdiagnostik233
5.5 Prozessdiagnostik, Fehler- und Lernprozessanalyse236
5.6 Beratung als wichtiger Bestandteil von Förderdiagnostik241
5.7 Kompetenzen im Bereich Förderdiagnostik als Orientierungs- und Handlungsaspekt242
5.8 Verstehens-, bedürfnis- und handlungsorientierte Diagnose245
5.9 Querverbindungen heilpädagogischer Diagnostik im Kontext von Erziehung und Förderung248
5.10 Lernfragen zur Wiederholung von Kapitel 5250
6 Therapien in sonder- und heilpädagogischen sowie lerntherapeutischen Arbeitsfeldern251
6.1 Grundsätzliche Überlegungen zum Therapieproblem im pädagogisch heilpädagogischen sowie
lerntherapeutischen Bereichen257
6.2 Kenntnisse psychotherapeutischer Ansätze – Möglichkeiten und Grenzen im Rahmen sonder- und
heilpädagogischer sowie lern therapeutischer Fragestellungen258
6.3 Störung, psychische Störung, Auffälligkeit, Normalität262
6.4 Tiefenpsychologische Grundannahmen in ihrer Bedeutung für die Heilpädagogische Psychologie
und Lerntherapie269
6.4.1 Abhängigkeit und Dynamik zwischen Es – Über-Ich – Ich271
6.4.2 Die Individualpsychologie Alfred Adlers276
6.4.3 Möglichkeiten und Herausforderungen im sonder- und heilpädagogischen sowie lerntherapeutischen
Arbeitsfeld: Spiel-, Zeichen- und Gruppentherapien278
6.5 Lerntheoretische und verhaltenstherapeutische Ansätze280
6.5.1 Beeinflussung des Verhaltens durch verschiedene Variablen, „kognitive Wende“ und Imitationslernen283
6.5.2 Anwendungsmöglichkeiten verhaltensmodifikatorischer Prinzipien bzw. Techniken im Bereich Erziehung,
Unterricht und Therapie285
6.5.3 Kritische Anmerkungen zur Verhaltenstherapie / -modifikation287
6.6 Klientenzentrierte Verfahren289
6.6.1 Geschichtliches und Menschenbild289
6.6.2 Psychische Störungen, Beziehung und Haltung im Rahmen der Gesprächspsychotherapie291
6.7 Die Kindertherapie nach Virginia M. Axline295
6.8 Gestaltpsychologie und therapeutische Ansätze298
6.9 Systemische Therapie / Familientherapie307
6.9.1 Grundlagen und Vorgehensweise308
6.9.2 Positive Orientierungen, Einstellungen und Wirksamkeit309
6.10. Lerntherapie im Dienst der Persönlichkeitsentfaltung und Beziehungsgestaltung312
6.10.1 Lerntherapie – aktuelle Herausforderungen und Handlungsbedarf312
6.10.2 Lerntherapie – Arbeitsweise und Persönlichkeit des Lernenden315
6.10.3 Lernen, behindernde Bedingungen und das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung316
6.10.4 Grundlagen von Lerntherapie317
6.10.5. Lernschwierigkeiten und Handlungskonzept318
6.10.6 Lerntherapie im Dienst von Kindern und Eltern – Systeme und zukünftige Handlungsmöglichkeiten318
6.10.7 Grundlegende Prinzipien lerntherapeutischen Vorgehens im Kontext Orientierung am Kind319
6.11 Möglichkeiten und Grenzen von Therapien im Rahmen sonder- und heilpädagogischer sowie
lerntherapeutischer Aufgabenfelder320
6.12 Therapien – Querverbindungen und Zusammenhänge323
6.13 Lernfragen zur Wiederholung von Kapitel 6325
7 Sozialpsychologische und soziologische Grundfragen im Rahmen der Heilpädagogischen Psychologie328
7.1 Die Notwendigkeit eines Einbezugs sozialpsychologisch-soziologischer Fragestellungen331
7.2 Sozialpsychologie und Soziologie im Kontext Heilpädagogischer Psychologie338
7.3 Einstellung, Vorurteil, Stigma341
7.3.1 Einstellung343
7.3.2 Einstellung und Vorurteil345
7.3.3 Funktionen von Vorurteilen347
7.3.4 Der Stigmatisierungsansatz351
7.4 Querverbindungen der Sozialpsychologie / Soziologie zu anderen psychologischen Bereichen unter den
Aspekten Erziehung, Förderung und Lerntherapie357
7.5 Lernfragen zur Wiederholung von Kapitel 7360
8 Ausblick362
Literatur 367
Sachregister 380
Einleitung
Praktische und wissenschaftliche Probleme fordern im Zusammenhang mit Störungen in den Bereichen Lernen, Verhalten und speziell auch Emotionen, allgemein Beeinträchtigungen, Behinderungen und behindernden Bedingungen Heilpädagogische Psychologie heraus. Der gesamte schulische Bereich ist von einem Anstieg multidimensionaler und komplexer Fragestellungen im Hinblick auf individuellen Diagnose-, Förder- und Lerntherapiebedarf geprägt. Die bisherigen eher „klassischen“ Arbeitsfelder Lernbehinderungen, Lernstörungen, geistige Behinderung, Verhaltensstörungen, Sprachstörungen und -behinderungen, körperliche Behinderung, Beeinträchtigungen und Behinderung der Sinne (Seh- und Hörbehinderung) haben sich angesichts verstärkter und immer komplexerer Not- und Problemsituationen von Kindern bis in die Bereiche Regelschule und weiterführende Schulen erweitert. Diese aktuellen Problemfelder sind teilweise durch Schüler mit Verhaltens-, Lern- und Leistungsstörungen, Ängsten, psychosomatischen Auffälligkeiten (Essprobleme, Bauch- und Kopfschmerzen, Tics, Obstipation, Magenbeschwerden, Einschlafschwierigkeiten etc.) sowie durch die Abhängigkeit von Medikamenten, Drogen und Alkohol gekennzeichnet. Wir haben es in allen Schularten zunehmend auch im Kontext der Corona-Pandemie mit einer Heterogenität der Schülerschaft zu tun, wie sie bisher noch nicht festgestellt wurde. Entwicklung, Schullaufbahn und Leben von ca. 25 % der Kinder in der Regelschule erweisen sich nicht als positiv. Diese Kinder gelten als lern-, leistungs- und / oder sozial-emotional allgemein als verhaltensgestört und damit meist auch als erziehungsschwierig. Es handelt sich dabei um Schüler, die durch das Erleben permanenter Frustrationen und Ängste in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit gefährdet sind. Zu der genannten Anzahl kommen ca. 40 % der Kinder und Jugendlichen, die durch die Corona-Epidemie größtenteils massiv in ihrem Lernen, im Sozial- und Emotionalbereich, ja auch im physischen Bereich gestört wurden und. für längere Zeit darunter mehr oder weniger schwer leiden. Ein kritisches Hinterfragen der Lehrplaninhalte, pädagogischer und didaktischer Methoden, eigentlich eine Diagnostik des Problemfeldes Schule und deren Umfeldbedingungen ist längst überfällig.
Erst recht im Förderschulbereich kann man von einer heterogenen Schülerschaft sprechen, die von geistiger Behinderung und damit Mehrfachbehinderung, von der Sinnesbehinderung bis hin zum überdurchschnittlich intelligenten, aber schwer verhaltensgestörten Kind reicht. Darunter finden sich Schüler mit Wahrnehmungsstörungen unterschiedlicher Art, mit Teilleistungsstörungen, gravierenden Lese- und Schreibproblemen, Dyskalkulie, Erziehungsschwierigkeiten, mit psychischer und physischer Frühdeprivation, mit Ängsten, autistischen Zügen, seelischer Behinderung und Hyperaktivität – allgemein gesehen: Schüler mit kognitiven und emotionalen Strukturierungs- und Verarbeitungsstörungen sowie Schüler, die unter primär behindernden Bedingungen außerschulischer Art aufgewachsen sind und aktuell leben, bei denen eine Kind-Umfeld-Analyse dringend geboten ist. Dabei muss man erkennen und feststellen, dass es diese Störungen und Behinderungen in linearer oder einheitlich-homogener, klar abgrenzbarer Form nicht gibt. Wir haben es sowohl mit den Phänomenen Heterogenität, Individualität, Mehrfachstörung und -behinderung von Schülern als auch in allen Schularten mit teilweise gravierend behindernd wirkenden Umfeldbedingungen wie z. B. Armut, Erziehungsfehlern, -problemen, -notständen und soziokultureller Benachteiligung zu tun.
Daraus erwächst – unter bildungspolitischem Aspekt betrachtet – die Aufgabe, Kindern und Jugendlichen ein von ihrem spezifischen Förderbedarf, von ihren Ressourcen und Kompetenzen bestimmtes, also beobachtungs- und diagnosegeleitetes, vor allem differenziertes Förder- und ggf. Therapieangebot in allen Schularten, speziell im Förderschulwesen, insbesondere auch im lerntherapeutischen Arbeitsfeld bereitzustellen. Zieldifferentes Lernen wird orientiert an den jeweiligen Möglichkeiten bzw. der Entwicklungsstufe des jeweiligen Schülers angestrebt.
Die Bedeutung, ja dringende Notwendigkeit der Heilpädagogischen Psychologie in den Arbeitsfeldern Sonder- und Heilpädagogik, Allgemeinpädagogik, Psychologie sowie Lerntherapie ist unbestritten.
Durch den immer umfangreicheren Einbezug psychologischer Inhalte in das sonder- und heilpädagogische sowie lerntherapeutische Arbeitsfeld und die damit verbundenen Herausforderungen hat die Heilpädagogische Psychologie in den vergangenen Jahren weiter an Bedeutung gewonnen. Es besteht die dringende Notwendigkeit, hierzu eine Informationsbasis zu schaffen. Gefragt ist auch Orientierungswissen nicht nur im Zusammenhang mit der Zunahme wissenschaftlicher Fragen und Erkenntnisse, sondern auch im Hinblick auf Wert- und Sinnorientierung im Kontext sonder- und heilpädagogischen Denkens und Handelns. Angesichts der doch über 7 % Kinder und Jugendlichen, die – im Zusammenhang mit vorgegebenen Curricula in den allgemeinen Schulen – hohen bis sehr hohen Förderbedarf und weiteren ca. 20 %, die einen zeitweiligen Förderbedarf in den Bereichen Lernen und Verhalten, geistige sowie soziale und emotionale Entwicklung aufweisen, wird die strukturierte und systematische Darstellung psychologischer Teildisziplinen und der damit verbundenen Handlungsfelder notwendig.
Ein wichtiges Motiv für dieses Buch liegt also in der Notwendigkeit, eine informative Grundlage für eine kritische Auseinandersetzung angesichts wachsender Lern- und Verhaltensprobleme bei Kindern und Jugendlichen zu schaffen. Entwicklung, Lernen, Diagnostik, therapiewirksame Prozesse, soziale Problemstellungen und das Zusammenleben von Menschen mit und ohne Behinderung bilden die Brennpunkte in den Bereichen Sonder- und Heilpädagogik sowie Lerntherapie, integriert in die Frage nach bestmöglicher Erziehung, Förderung, Unterrichtung und ggf. Therapie.
Die Defekt- und Defizitorientiertheit traditioneller diagnostischer Ansätze könnte zur Grenze der Erziehung von Kindern mit Behinderungen werden, vielleicht die Legitimation für die langfristige Aufnahme in eine mehr oder weniger gut geführte Institution oder Einrichtung bedeuten. Wie sicher erweisen sich schon die Diagnosen von Ärzten, Psychologen, Lehrern und Sonderschullehrern hinsichtlich einer bestimmten Ätiologie oder eines Erscheinungsbildes? Was wissen wir wirklich genau über die organischen, sozialen und sonstigen Bedingungen, die z. B. für Wahrnehmungsstörungen, geistige Behinderung, Lernbehinderung, Teilleistungsstörung oder Autismus als verantwortlich gelten? Sind solche Diagnosen nicht häufig geradezu fixiert auf die Behinderung mit dem Ziel einer noch exakteren, differenzierteren, fokussierteren Beschreibung ohne Berücksichtigung des ganzen Kindes und seiner Familie mit all den Sorgen und Nöten in einer problemvollen Situation, die durch die Corona-Pandemie noch verschärft wurde und wird? Ging nicht aus Theorien und damit zusammenhängenden Diagnosen z. B. die ganz spezielle Konzeption „geistige Behinderung“, „Lernbehinderung“ sowie „Behinderung“ im Allgemeinen hervor?
Die im Gefolge des Deutschen Bildungsrates entstandenen Publikationen der 1970er Jahre, speziell Handbücher mit ihren zahlreichen und unübersehbaren Systematisierungsversuchen über „Behinderte“ mit ihren Auswirkungen auf wissenschaftliches Denken, Lehre und die Praxis, haben es nicht gerade gefördert, Menschen mit Behinderungen und ihre unmittelbaren Bezugspersonen zu Handlungs- und Aktivitätsträgern ihrer eigenen Belange, d. h. autonom werden zu lassen. Insofern wirken traditionelle Aussagen im Zusammenhang mit Behinderungen im wissenschaftlichen Bereich auch kontraproduktiv.
Deshalb ergeben sich gerade für Wissenschaftler der Gegenwart Aufforderung und Notwendigkeit zur Befreiung von einer verengten defektorientierten Sichtweise und die Aufforderung zur Suche nach einer neuen Wahrnehmung von Kindern mit Behinderungen in Richtung Ressourcen, Kompetenzen, Möglichkeiten und Können. Befreiung tut Not, will man die Fragen und Probleme wieder ursprünglich und neu zugleich sehen.
Wissenschaft des Aufbruchs
Sonderpädagogik war einst die Wissenschaft des Aufbruchs, der Unruhe, – der eingestandenen – ungelösten und an sich häufig unlösbaren Probleme einer menschlichen Wirklichkeit voller Verletzbarkeiten. Sie stand damit der Wirklichkeit einer von Zerstörung und Zerfall bedrohten, noch von Menschen bevölkerten Umwelt, dem Leben näher als manche anderen – „unanfechtbaren“ – Wissenschaften, die in nahezu atemberaubendem Tempo und mit vielleicht präzisesten Technologien die Welt, und damit den Menschen, perfektionieren möchten. Sie verdrängen dabei ihre eigene Vulnerabilität und Vergänglichkeit, haben in Wirklichkeit durch ihre Perfektion den Hebel für die totale Zerstörung bereits angesetzt. Die Millionen Kinder, die täglich hungern, verhungern, an heilbaren Krankheiten sterben, keine Schulen besuchen können, in Deutschland auch die enorme Zunahme von Ängsten, psychischen Störungen sowie Lernblockaden und der drastische Anstieg von Armut, sind der eigentliche Ausdruck des Behindert-Seins von Menschen.
Erst wenn wir sogenannten „Nichtbehinderten“ lernen, den Aspekt der Menschlichkeit, des Gestört- und Behindert-Seins sowie Vulnerabilität allgemein als zum Wesen des Menschen gehörend zu begreifen, unsere zahlreichen Behinderungen und Grenzen bewusst wahrzunehmen, können wir den Weg zum Kind und zum Menschen mit seinen speziellen Problemen in seiner besonderen Situation finden.
Sonder- und Heilpädagogische Psychologie markierte bisher wie ein roter Faden sonder- und...
Erscheint lt. Verlag | 17.7.2023 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | Behinderungsprozesse • Diagnostik • Emotion • Emotionale Entwicklung • Entwicklung • Entwicklungspsychologie • Familientherapie • Förderdiagnostik • Förderschule • Frühförderung • Frühkindliche Bildung • Geistige Entwicklung • Gesprächspsychotherapie • Heilerzieher • Heilpädagogik • Heilpädagogische Diagnostik • Individualpsychologie • Inklusion • Kindertherapie • Klientenzentrierte Verfahren • Kompetenzorientierung • Kurzzeitgedächtnis • Langzeitgedächtnis • Lehramt für Sonderschulen • Lehrbuch • Lernen • Lernschwierigkeiten • Lerntherapie • Milieutheorie • Pädagogische Psychologie • Piaget • Psychische Störung • Psychologie • Psychotherapie • Reifungstheorie • Schulische Erziehung • Schulunterricht • Sonderpädagogik • Sonderschulpädagogik • Sozialpsychologie • Stigma • Stigmatisierung • Störungsprozesse • Systemische Therapie • Tiefenpsychologie • Verhaltenstherapie • Vorurteil • Wahrnehmungsstörung |
ISBN-10 | 3-8463-6091-0 / 3846360910 |
ISBN-13 | 978-3-8463-6091-0 / 9783846360910 |
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