Upgrade Suburbia (eBook)
Buchschmiede von Dataform Media GmbH (Verlag)
978-3-99152-358-1 (ISBN)
GEBOREN 1956 IN LEOBEN, SEIT 1992 SELBSTÄNDIGER ARCHITEKT IN GRAZ. SCHWERPUNKTE: BILDUNGSBAU, WOHNBAU, URBANE ENTWICKLUNGEN, ZAHLREICHE PRÄMIERTE WETTBEWERBSBEITRÄGE UND REALISIERTE PROJEKTE, KONTINUIERLICHE AUSEINANDERSETZUNG MIT SIEDLUNGSENTWICKLUNG UND STÄDTEBAU UND DER MOBILITÄT IM URBANEN GEFÜGE IM ZUSAMMENHANG MIT DER NUTZUNG DES ÖFFENTLICHEN RAUMS UND DER KLIMAÖKONOMIE.
I. 1.
Das „Unbewusste“ der Stadt
EIN ANALYTISCHER BLICK
Nachdem Kopernikus („Die Erde bewegt sich um die Sonne“), Darwin (wir sind nicht „erschaffen“, sondern Teil der Biologie) und Freud (das „Unbewusste“; wir sind nicht immer „Herr“ im eigenen Haus)3 das Ende der magisch-humanistischen Welt vorbereitet hatten, findet die Dezentrierung des Menschen im „anthropozentrischen“ Zeitalter seine Fortsetzung. Durch den Klimawandel ist uns klar geworden, dass wir mit der Störung der natürlichen Grundlagen den Ast absägen, auf dem wir sitzen. Wenn wir die Ausbeutung des Planeten fortsetzen, werden wir als Zivilisation „untergehen“, denn als „Nutznießer“ der Erde4 können wir die natürlichen Abhängigkeiten und Ressourcen weder durch Zauber noch durch Rationalität ersetzen.
Die Psychologie spricht von einer „kognitiven Dissonanz“5, in der wir mit Wahrnehmungen, Meinungen und Wünschen konfrontiert sind, die wir miteinander nicht vereinbaren können. Das wiederum führt in unserem Bewusstsein zu seltsamen Zuständen, in denen wir wissen, dass wir etwas ändern müssen, und es trotzdem nicht zustande bringen. In einer irrationalen, moralischen „Verschmutzung“ handeln wir gegen besseres Wissen („Akrasia“6). Zur Illustration sei hier erwähnt, dass es weltweit jährlich 1,2 Millionen tödliche Unfälle im Straßenverkehr und 4,5 Millionen Sterbefälle durch Luftverschmutzung gibt7, was wir in der Regel ohne Widerspruch zur Kenntnis nehmen. Als Erklärung für dieses Verhalten kann ich nur die Verdrängung der Bedrohung in den „unbewussten“ Teil unserer Psyche vorbringen, wonach der Widerstand, sich unangenehme Fragen zu stellen, übermächtig wird und daher ins Unbewusste verschoben wird.
In der Entwicklung der Menschheit sind Städte ein relativ „junges“ Phänomen, sehr viel längere Zeiträume haben wir als „Jäger und Sammler“ in frühen Ackerbaukulturen verbracht. Auch in allen folgenden historischen Zivilisationen waren „Städte“ assoziativ immer mit „Fortschritt“ und mit „Verbesserung der Lebenschancen für Menschen“ verbunden. Die negative Kritik am Phänomen „Stadt“ hat erst in der historischen Gegenwart eingesetzt, die „moderne“ Stadt als Alternative zu den historischen Altstädten ist kaum 100 Jahre alt. Aber auch diese alternative „moderne“ Stadt hat beinahe zeitgleich mit der Erfindung des Automobils eine Entwicklung eingeschlagen, die erstmals den urbanen „Fortschritt“ in Frage stellt, sodass die Sehnsucht der Stadtbewohner*innen nach „mehr Grün“ immer stärker wird. Trotz diesem Paradox der Forderung nach mehr Grünfläche kann nur die Effizienz von Städten das Überleben von bald 10 Milliarden Menschen sichern. Unsere Zivilisation ist trotz aller Kritik nicht ohne das Phänomen Stadt und die weitere Entwicklung nur mit einer effizienten Stadt möglich.
Die jahrzehntelange Ignoranz der tradierten Stadtplanung und ungeklärte Fragen rund um die Errichtung eines Kraftwerks haben mich dazu veranlasst, die urbane Entwicklung „meiner“ Stadt zu untersuchen. Bei den Analysen der vielfältigen Rahmenbedingungen ist dabei die städtebaulich- technische Methodik allmählich einer umfassenderen Sichtweise gewichen. Die Eindrücke früherer persönlicher Erfahrungen rückten – zusammen mit den späteren Studien und der Berufspraxis – ins Bewusstsein, sodass mein früheres Bild der „Stadt“ als „gebautes Konstrukt“ nicht mehr adäquat erschien, sondern „die Stadt“ sich mir allmählich als Synthese zivilisatorischer Befindlichkeiten darstellte. Es ist ein zivilisatorischer Siedlungsraum, den wir – psychologisch betrachtet – zwar auf der einen Seite als einen wesentlichen Teil der Städte wahrnehmen wollen, den wir aber zugleich auch gerne aus unserem Bewusstsein und unserer Erinnerung verdrängen, da er mit unserem tradierten Begriffsverständnis von „Stadt“ nicht viel gemein hat.
Abb. 1:
Leoben Lerchenfeld,
Geschoßwohnbau der 50-er Jahre
Abb. 2:
Einfamilienhaus der 60-er Jahre
© office WST
Abb. 3:
„Bald war der Spuk vorbei“.
Bild: (OÖN, Oberösterreichische Nachrichten) 1974
Der seit den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts entstandene, meist in Zeilenstrukturen errichtete Massenwohnungsbau sowie die großflächigen Bebauungen mit Einfamilienhäusern am Rande von bestehenden Städten und Ortschaften haben ein ungeahntes Maß an zusätzlicher Mobilität verursacht. Diese Transformation von Natur- und Kulturlandschaft in eine künstliche Umgebung von Gebäude- und Mobilitätsstrukturen gilt bis heute einer sozial aufstrebenden Bevölkerung als Zeichen des persönlichen Erfolgs und des erreichten Wohlstands. Die ausufernden „Siedlungsgebiete“ haben als unkontrollierte städtebauliche Wucherungen mit den herkömmlichen Methoden der Ordnungsplanung über Jahrzehnte zu jenen Missständen geführt, die sie vorgeben, bewältigen zu können. Bereits in der Jugendbewegung der 1968er Jahre hat sich ein diffuser Widerstand gegen diese bizarre Siedlungsform formiert, und die riskanten Folgen dieser „verschwenderischen Zivilisation“ wurden 1972 vom „Club of Rome“ im Buch „Die Grenzen des Wachstums“8 beschrieben. Spätestens seit der Energiekrise 1973 aber ist auch der breiten Öffentlichkeit die Kehrseite dieses vermeintlichen „Fortschritts“ bewusst geworden. Doch obwohl den Verantwortungsträger*innen bewusst sein sollte, dass dieser Livestyle keine globale Zukunft hat, bleiben politische Antworten bis heute dem ökonomischen Erfolg untergeordnet.
Der Glaube an positive Veränderungen durch Technik ist noch immer übermächtig, und bis heute stehen technische und digitale Innovationen bei Fragen der Mobilität im Brennpunkt der Forschung und Entwicklung. Ich möchte auf neue Dimensionen der Mobilität und Verkehrswege hinweisen, indem ich den analytischen Blick zunächst auf die „Suburbia“ und die unbewussten Wünsche ihrer Bewohner*Innen richte. Derzeit versucht der „mainstream“ in der Politik die Ideologie des unbegrenzten Wachstums unter Verweis auf die (neuesten) Erkenntnisse der technischen und ökonomischen Wissenschaften in der Realität umzusetzen und oft werden dabei die „volkswirtschaftlichen“ Chancen einer Dekarbonisierung für Wachstum als Argument herangezogen. Diese als „fortschrittlich“ deklarierte Politik ignoriert aber wesentliche geisteswissenschaftliche Erkenntnisse aus Soziologie, Psychologie, Umweltökonomie und anderen Fachgebieten, die einen zivilisatorischen Wandel ohne Einbeziehung der Kritik an der Ideologie des Wachstums als nicht mehr genügend erkannt haben. In den letzten Jahrhunderten haben sich in vielen Wissenschaftsgebieten Bedürfnis-Modelle etabliert, die meist weit über die Sicherung der Lebensgrundlagen hinausgehen. Und in den Wirtschaftswissenschaften ist die Gier als ökonomische Voraussetzung anerkannt. Wir dürfen diese Affekte als „Träume“, als triebhafte, unbewusste Wünsche nicht mehr vernachlässigen, sondern müssen ihre Wirkung auf die realen Lebenswelten unserer Zivilisation anerkennen und deshalb auch verstärkt den Blick auf Erkenntnisse nicht-technologischer Fachgebiete richten.
Demnach ist nach meiner Beobachtung die Wahrnehmung von Wohngebäuden verbreitet von aristokratisch-ländlichen Vorbildern (Schloss und Garten) und der Wunsch nach individueller Mobilität nach wie vor von Bildern gutsherrlicher Kutschen geprägt. Viele Menschen sehen es als Bedrohung, wenn sie auf ihr Automobil verzichten sollen und auf einer „metapsychologischen“ Ebene geht diese unbewusste Verehrung des Automobils als Status und Liebesobjekt verloren. Der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme hat diese Angst vor dem Verlust sogar in eine Nähe zum Fetischismus gerückt und damit Anlass für eine psychoanalytische Betrachtung gesehen. Die Kernaussage Böhmes lautet: „Es gibt keine Dinge, die nur und allein Gebrauchsdinge wären“. Darin kommt die Neigung des Menschen zum Ausdruck, Dinge über ihren rein funktionalen Wert hinaus mit Bedeutung aufzuladen. Für das Auto würde dies bedeuten, „dass es niemals nur ein Auto, sondern stets auch das Medium von Ästhetik, Prestige, Emotionen, Leidenschaften, von sozialen Distinktionen und Status erzeugenden Ausstrahlungen ist, es ist Schmuck, Ich-Ausstattung, Requisit, Accessoire, Schutzraum, Waffe, Geliebte, Gefährte, kurz: eine semantisch höchst variable soziokulturelle Figuration“.9
Das Unbewusste spielt auch im...
Erscheint lt. Verlag | 10.7.2023 |
---|---|
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Geschichte |
ISBN-10 | 3-99152-358-2 / 3991523582 |
ISBN-13 | 978-3-99152-358-1 / 9783991523581 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 6,2 MB
Digital Rights Management: ohne DRM
Dieses eBook enthält kein DRM oder Kopierschutz. Eine Weitergabe an Dritte ist jedoch rechtlich nicht zulässig, weil Sie beim Kauf nur die Rechte an der persönlichen Nutzung erwerben.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich