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Das Glück ist mit den Realisten (eBook)

Warum positives Denken überbewertet ist
eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
288 Seiten
Piper Verlag
978-3-492-60470-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Glück ist mit den Realisten -  Oliver Burkeman
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Lassen Sie uns über Realismus sprechen Selbsthilfebücher scheinen nicht zu funktionieren, und nur wenige der Vorteile des modernen Lebens sind tatsächlich in der Lage, unsere Stimmung zu heben. Wir können uns nicht einmal darauf einigen, was »Glück« bedeutet. Streben wir also vergeblich danach, oder gehen wir einfach nur den falschen Weg? Oliver Burkeman hinterfragt unser ständiges Bemühen, glücklich zu sein, und zeigt anhand verschiedener Gruppen, die eine überraschende Denkweise teilen, dass es einen alternativen Weg zu Zufriedenheit und Erfolg gibt. Ein kluger Leitfaden, um die missverstandene Idee des Glücks zu verstehen.

Oliver Burkeman, geboren 1975 in Großbritannien, ist ein preisgekrönter Feuilletonist. Für den Guardian schrieb er viele Jahre eine wöchentliche Kolumne. Seine Arbeiten sind darüber hinaus in der New York Times, dem Wall Street Journal, Psychologies und New Philosopher erschienen. Burkeman lebt mit seiner Frau und seinem Sohn in den North York Moors in England.

Oliver Burkeman, geboren 1975 in Großbritannien, ist ein preisgekrönter Feuilletonist. Für den Guardian schrieb er viele Jahre eine wöchentliche Kolumne. Seine Arbeiten sind darüber hinaus in der New York Times, dem Wall Street Journal, Psychologies und New Philosopher erschienen.

2 Was würde Seneca tun?


Die stoische Kunst, sich dem Worst-Case-Szenario zu stellen

»Pessimismus ist, hat man sich erst daran gewöhnt, genauso angenehm wie Optimismus.«

Arnold Bennett, Things That Have Interested Me

 

Es ist ein gewöhnlicher Frühlingsmorgen auf der Central Line der Londoner U-Bahn, das heißt, es gibt die üblichen »kleinen Verspätungen«, und unter den dicht gedrängten Pendlern macht sich ein Gefühl der Verzweiflung breit. Das einzig Außergewöhnliche ist, dass ich mich in wenigen Augenblicken vollkommen freiwillig einer der schrecklichsten Erfahrungen meines Lebens aussetzen werde. Wenn wir uns dem Bahnhof Chancery Lane nähern – aber noch bevor die automatische Stimme der Lautsprecheranlage diese Tatsache verkündet –, werde ich die Stille durchbrechen und laut die Worte »Chancery Lane« rufen. Auf der Weiterfahrt nach Holborn, Tottenham Court Road, Oxford Circus und anderen Stationen möchte ich dies fortsetzen und unterwegs den Namen der jeweiligen Station ansagen.

Ich bin mir darüber im Klaren, dass dies nicht gerade das Schlimmste ist, was man sich vorstellen kann. Leser, die schon einmal von Piraten als Geisel genommen oder lebendig begraben wurden – oder auch nur eine besonders turbulente Flugreise hinter sich haben –, werden das alles vielleicht etwas dramatisierend finden. Doch Tatsache ist, dass meine Handflächen schwitzen und mein Pulsschlag immer schneller wird. Ich konnte noch nie gut mit Peinlichkeiten umgehen, und jetzt ärgere ich mich darüber, dass ich jemals auf den Gedanken verfallen bin, absichtlich eine solche Situation herbeizuführen. Ich führe dieses Ritual der vorsätzlichen Selbsterniedrigung nach den Anweisungen eines modernen Psychologen durch, des 2007 verstorbenen Albert Ellis. Er wollte damit eine uralte Philosophie anschaulich demonstrieren, nämlich die der Stoiker, die unter den Ersten waren, die den Weg zum Glück vom Negativen abhängig machten. Ellis empfahl die »U-Bahn-Übung«, die er ursprünglich seinen Therapiepatienten in New York verordnet hatte, um zu demonstrieren, wie irrational wir selbst an leicht unangenehme Erfahrungen herangehen – und welch ungeahnte Vorteile sich darin entdecken ließen, wenn wir uns nur dazu durchringen könnten, hinzusehen. Der Stoizismus, der in Griechenland entstand und in Rom heranreifte, sollte nicht mit dem »Stoizismus« verwechselt werden, wie das Wort heute üblicherweise verwendet wird – einer müden, klaglosen Resignation, mit der sich eher die Haltung meiner Mitreisenden in der U-Bahn beschreiben lässt. Echter Stoizismus ist viel härter im Nehmen und umfasst die Herausbildung einer Art muskulärer Ruhe im Angesicht schwieriger Umstände. Das ist auch der Zweck von Ellis’ qualvoller Übung, die mich direkt mit all dem konfrontieren soll, was ich insgeheim über Peinlichkeiten, Hemmungen und meine eigene Außenwirkung denke. Sie wird mich dazu zwingen, die Unannehmlichkeiten zu erleben, die ich befürchte, und dabei etwas zu erkennen, was psychologisch faszinierend ist: dass meine Ängste, wenn sie real und damit überprüfbar werden, offenbar schlicht nicht den Tatsachen entsprechen.

Wenn Sie nicht gerade zu den Menschen gehören, denen überhaupt nichts peinlich ist, können Sie wahrscheinlich nachempfinden, wie ich mich fühle. Wenn man darüber nachdenkt, ist es allerdings schon etwas seltsam, in dieser Situation überhaupt negative Gefühle zu haben. Schließlich kenne ich niemanden im Waggon persönlich, ich habe also nichts zu verlieren, wenn man mich für verrückt hält. Außerdem weiß ich aus früherer Erfahrung in der U-Bahn, dass ich, wenn andere Leute anfangen, laut mit sich selbst zu reden, sie ebenso ignoriere wie alle anderen; das ist mit großer Wahrscheinlichkeit das Schlimmste, was mir passieren kann. Außerdem reden die anderen Leute, die laut sprechen, oft Kauderwelsch, während ich immerhin die Namen der Stationen ansagen werde. Man könnte fast behaupten, dass ich einen Dienst an der Öffentlichkeit leiste. Auf jeden Fall wird das viel weniger nervig sein als die ganzen undichten iPod-Kopfhörer in meiner Nähe.

Warum also habe ich das Gefühl, dass ich mich gleich übergeben muss, als der Zug vor der Einfahrt in Chancery Lane seine Geschwindigkeit zunächst beinahe unmerklich drosselt?

 

Hinter vielen der beliebtesten Ansätze zum Glücklichsein verbirgt sich die simple Philosophie, sich darauf zu konzentrieren, dass alles gut läuft. In der Welt der Selbsthilfe ist der offenkundigste Ausdruck dieser Sichtweise die Technik der »Positiven Visualisierung«: Wenn man sich in Gedanken vorstellt, dass sich alles zum Guten wendet, so die Überlegung, ist die Wahrscheinlichkeit viel größer, dass dies auch eintritt. Das modische New-Age-Konzept des »Gesetzes der Anziehung« geht noch einen Schritt weiter und besagt, dass Visualisierung das Einzige ist, was man braucht, um Reichtum, gute Beziehungen und Gesundheit zu erlangen. »Es liegt tief in der menschlichen Natur, genau das zu werden, was man sich vorstellt«, sagte Norman Vincent Peale, der Autor von Die Kraft positiven Denkens, in einer Rede, die er Mitte der 1980er-Jahre vor Führungskräften der Investmentbank Merrill Lynch hielt.[26] »Wenn Sie sich selbst als angespannt, nervös und frustriert wahrnehmen, dann sind Sie mit Sicherheit auch so. Wenn Sie sich in irgendeiner Weise als minderwertig sehen und dieses Bild in Ihrem Bewusstsein verankern, wird es durch den Prozess der gedanklichen Osmose ins Unbewusste übergehen, und dann werden Sie so sein, wie Sie es sich vorstellen. Wenn Sie sich dagegen als organisiert, kontrolliert, fleißig, als Denker und Arbeiter sehen und an Ihr Talent und Ihre Fähigkeiten und an sich selbst glauben, dann werden Sie genau das sein.« Merrill Lynch ging in der Finanzkrise 2008 pleite und musste von der Bank of America gerettet werden; die Leserinnen und Leser sind gehalten, ihre eigenen Schlüsse zu ziehen.

Doch selbst diejenigen, die sich über Peales Predigten lustig machen, dürften sich wohl schwertun, die zugrunde liegende Sichtweise zu bestreiten: dass es, sofern es einem gelingt, im Allgemeinen das Beste ist, optimistisch in die Zukunft zu blicken. Sich darauf zu konzentrieren, wie man sich die Dinge erhofft, und nicht, wie man sie nicht erhofft, erscheint als vernünftige Methode zur Selbstmotivation und Maximierung der eigenen Erfolgschancen. Wenn Sie zu einem Vorstellungsgespräch gehen, ist es sicher besser, davon auszugehen, dass Sie erfolgreich sein werden. Wenn Sie sich mit jemandem verabreden wollen, sollten Sie davon ausgehen, dass sie oder er tatsächlich »Ja« sagen könnte. Die Bereitschaft, positiv zu denken, ist möglicherweise so eng mit dem menschlichen Überleben verknüpft, dass die Evolution uns in diese Richtung gelenkt hat. In ihrem 2011 (deutsch 2013) erschienenen Buch Das optimistische Gehirn trägt die Neurowissenschaftlerin Tali Sharot die zunehmenden Beweise dafür zusammen, dass ein gut funktionierender Verstand möglicherweise so angelegt ist, dass er Erfolgschancen höher einschätzt, als sie tatsächlich sind. Gesunde und glückliche Menschen, so legt die Forschung nahe, haben im Allgemeinen ein weniger genaues, übermäßig optimistisches Verständnis ihrer tatsächlichen Fähigkeit, Ereignisse zu beeinflussen, als diejenigen, die unter Depressionen leiden.[27] Doch diese Sichtweise birgt Probleme, die über die bloße Enttäuschung hinausgehen, wenn sich die Dinge nicht positiv entwickeln. Im Falle der positiven Visualisierung sind diese Probleme besonders akut.

In den letzten Jahren haben die in Deutschland geborene Psychologin Gabriele Oettingen und ihre Kollegen eine Reihe von Experimenten durchgeführt, um die Wahrheit über »positive Zukunftsfantasien« herauszufinden. Die Ergebnisse sind verblüffend: Je mehr Zeit und Energie man darauf verwendet, darüber nachzudenken, wie gut die Dinge laufen könnten, desto geringer ist die Motivation der meisten Menschen, diese Ziele zu erreichen. Versuchspersonen, die aufgefordert wurden, darüber nachzudenken, wie sie eine besonders erfolgreiche Arbeitswoche absolvieren könnten, erreichten am Ende weniger als diejenigen, die zwar aufgefordert wurden, über die kommende Woche nachzudenken, denen aber keine weiteren Hinweise gegeben wurden, in welche Richtung dies gehen sollte.[28]

In einem genialen Experiment ließ Oettingen einen Teil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer leicht...

Erscheint lt. Verlag 28.9.2023
Übersetzer Henning Dedekind, Heide Lutosch
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Antidote. Happiness for people who can't stand positive thinking
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte 4000 Wochen • Buch negatives Denken • buch positives denken • Buddhismus • Experimentelle Psychologie • Glückskult • Glückszwang • Lebenseinstellung • Meditation • Negatives Denken • Optimismus • Pessimismus • Positives Denken • Realismus • Stoiker • Streben nach Glück • Suche nach dem Glück • Weg zum Glück • zufrieden leben
ISBN-10 3-492-60470-6 / 3492604706
ISBN-13 978-3-492-60470-3 / 9783492604703
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