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12 Gesetze der Dummheit (eBook)

Spiegel-Bestseller
Denkfehler, die vernünftige Entscheidungen in der Politik und bei uns allen verhindern

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023 | 1. Auflage
256 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-3013-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

12 Gesetze der Dummheit -  Henning Beck
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Wir können mehr, als wir denken Unsere Welt befindet sich in einem gewaltigen Umbruch. Klimakatastrophe, Energiewende, Digitalisierung, die Verteidigung der Demokratie gegen Fake News und Meinungsmanipulation - die Liste der Probleme scheint endlos. Doch warum kommen wir trotz guter Ideen nicht voran? Der Neurowissenschaftler und Bestsellerautor Henning Beck enthüllt die Mechanismen, die uns ausbremsen, und zeigt, wie wir sie überwinden und nachhaltige Lösungen finden. Eine ermutigende Lektüre in Zeiten großer Herausforderungen.

Henning Beck, geboren 1983, studierte Biochemie in Tübingen und wurde im Fach Neurowissenschaften promoviert. Er arbeitete an der University of California in Berkeley, publiziert regelmäßig in der WirtschaftsWoche und für Deutschlandfunk Nova, hält Vorträge zu Themen wie Hirnforschung und Kreativität und ist Autor von Irren ist nützlich, Das neue Lernen und 12 Gesetze der Dummheit. Henning Beck lebt in Frankfurt am Main.

Henning Beck, Jahrgang 1983, studierte Biochemie in Tübingen. Anschließend wurde er an der dortigen Graduate School of Cellular & Molecular Neuroscience promoviert. Er arbeitete an der University of California in Berkeley, publiziert regelmäßig in der »WirtschaftsWoche« und für das »GEO-Magazin«, hält Vorträge zu Themen wie Hirnforschung und Kreativität und ist Autor von »Hirnrissig« (2015), »Irren ist nützlich« (2017) und »Das neue Lernen« (2020) . Henning Beck lebt in Frankfurt am Main.

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Die Sehnsucht nach Einfachheit


Warum wir die Welt immer wieder falsch erklären

Nachdem wir im ersten Kapitel gesehen haben, dass wir allzu leicht unwissenschaftlich denken, kommen wir nun zu den wissenschaftlichen Erklärungen. Doch bevor wir uns an die gewichtigen Welterklärungen machen, fangen wir mit etwas Leichtem an: Wie funktioniert ein Fahrrad? Was denken Sie: Wo läuft die Kette entlang, wo die Rohre des Rahmens, wo sitzen die Pedale? Wenn Sie Lust haben und dieses Buch nicht nur als geistreiches Druckerzeugnis, sondern als praktisches Arbeitsbuch betrachten, nehmen Sie sich einen Stift und versuchen Sie, ein Fahrrad auf ein Blatt Papier zu zeichnen. Viel Glück!

Wenn Sie nun denken, das kann ja nicht so schwer sein, immerhin habe ich schon Tausende Fahrräder gesehen, dann Achtung: Im Detail wird es nämlich schwierig. Immerhin stellte die Psychologin Rebecca Lawson schon 2006 in einer wissenschaftlichen Studie diese Aufgabe, woraufhin knapp die Hälfte der Probanden eine falsche Zeichnung anfertigte.43 Und zwar waren diese Zeichnungen nicht nur ein bisschen falsch, sondern zum Teil groteske zweirädrige Verzerrungen echter Fahrräder – mit Pedalen am Vorderrad oder direkt unter dem Sattel oder mit zwei Ketten (eine am Hinter-, eine am Vorderrad). Zehn Jahre später wiederholte der Designer Gianluca Gimini mit 500 Probanden den Versuch und fand noch Verblüffenderes: Nur 370 Leute wollten überhaupt eine Zeichnung anfertigen, der Rest ärgerte sich so sehr über die eigene Unfähigkeit, dass er vorzeitig abbrach. Von denjenigen, die sich zu einer Zeichnung durchrangen, lag nur etwa ein Viertel richtig. Einige der Zeichnungen übersetzte Gimini anschließend in 3-D-Modelle, die wunderbar lustig und weltfremd anmuten.44 Wohlgemerkt: Die Leute sollten nicht kreativ sein, sondern einfach nur einen technischen Sachverhalt zeichnen, mit anderen Worten: erklären.

Nun gut, kann man sagen, so ein Fahrrad ist ja auch keine triviale Sache. Wer kennt schon den genauen Unterschied zwischen Vorbau und Nachlauf? Doch Menschen sind oft bei noch simpleren Erklärungen aufgeschmissen: Schon 2002 zeigte eine Studie von Leonid Rozenblit und Frank Keil von der Yale University, dass wir selbst die einfachsten Dinge nicht erklären können, obwohl wir fest davon überzeugt sind, zu wissen, wie etwas funktioniert45, zum Beispiel eine Toilette. Jeden Tag sitzen wir drauf – aber was wissen wir schon über diese Vorrichtung, außer dass wir auf eine Taste drücken und dann ein Wasserschwall unser Geschäft wegspült? Warum fließt überhaupt Wasser, wenn wir auf die Taste drücken? Warum ist immer Wasser in der Toilette, warum stinkt sie nicht, warum hört das Wasser plötzlich auf, in den Spülkasten zu fließen?

Fragen über Fragen, über die man sich erst Gedanken macht, wenn man konkret danach gefragt wird. Vorher laufen wir im Glauben durch die Welt, alles um uns herum erklären zu können. Zumindest bilden wir uns ein, zu wissen, wie die Dinge laufen – alles andere würde uns auch in den totalen mentalen Kontrollverlust stoßen. Dabei haben wir meistens keine Ahnung, wie ein Wäschetrockner funktioniert, warum ein Kühlschrank kühlt, geschweige denn, wie Katzenvideos durch die Luft auf unser Handy kommen.

Das wäre alles kein Problem, wenn wir uns nicht so verdammt überheblich selbst einreden würden, dass wir die Welt verstehen. Ehrlicherweise haben wir gar nichts verstanden – und die Art und Weise, wie Menschen vorgehen, um die Welt um sie herum zu erklären, macht die Sache nicht besser, sondern schlimmer. Man schnappt zwei Worte über einen Sachverhalt auf – schon glaubt man, es kapiert zu haben. Dabei ist uns noch nicht mal klar, wie genau eine Toilette das Wasser wegspült.

Genau das ist die große Paradoxie unserer Zeit: Nie standen mehr Informationen zur Verfügung, und noch nie war die Gefahr so groß, genau deswegen weniger zu wissen. Jahrhundertelang kämpften die Menschen mit dem Problem, überhaupt an Informationen zu kommen. Viele Krisen der Menschheit (Seuchen, Kriege bis zu Wirtschaftskrisen) lassen sich mit einem Mangel an rechtzeitigen Informationen erklären. Hätten die Menschen nur eher gewusst, dass Bakterien Tuberkulose auslösen, dass zu viel Geld zu drucken in die Hyperinflation führt, dass CO2-Emissionen den Treibhauseffekt ankurbeln, was wäre uns alles erspart geblieben …

Vielleicht aber auch nicht. Heute besteht die größte Gefahr nicht darin, dass wir zu wenig, sondern dass wir zu viel wissen. Wir haben viel mehr Informationen als früher, doch wirklich ins wissensbasierte Handeln kommen wir trotzdem nicht. Denn unsere Denkmechanismen, die auf ein Zuwenig an Informationen ausgelegt sind, wenden wir immer noch an. Wir manipulieren heute Menschen, indem wir ihnen mehr Informationen anbieten, als sie verkraften können. Eine Technik, die auf dem »Illusory Truth Effect«, der »Wahrheitsillusion«, basiert: Je öfter man etwas hört, desto eher glaubt man es (selbst wenn es gar nicht stimmt). Marketing beeinflusst die Menschen, indem sie mit zu vielen Informationen zugeschüttet werden. Politische Kampagnen gewinnen an Glaubwürdigkeit, wenn sie etwas Grottenfalsches nur oft genug wiederholen. Das funktioniert, denn Menschen reagieren auf ein Überangebot an Informationen sonderbar: Sie glauben auch faktisch Falsches oder legen sich im Angesicht des Informations-Overkills plausible, aber falsche Welterklärungen zurecht. Zudem nutzen wir Informationen zunehmend zu politischen Zwecken und nicht mehr zu einem neutralen, rein faktischen Erkenntnisgewinn. Das hat fatale Folgen. Irgendwann sind wir unfähig, die Welt wirklich zu verstehen, weil unsere Welterklärungen an entscheidenden Stellen fehlerhaft sind.

Schauen wir uns deswegen in diesem Kapitel an, welche drei Grundfehler man beim Welterklären macht – und wie man sie verhindert. Denn nicht alle Dinge sind so einfach zu verstehen wie eine Toilette.

Die Illusion der eigenen Stärke


Die genannten Beispiele (eine Toilette oder ein Fahrrad zu erklären) mögen lustig anmuten, aber sie zeigen ein ganz grundsätzliches Problem, das sich auch auf politische Welterklärungen übertragen lässt: das Problem des »Oberflächenwissens«. Der psychologische Fachbegriff für diese Denkschwäche lautet »illusion of explanatory depth«. Gemeint ist damit dasselbe: Je eher Menschen glauben, etwas zu verstehen, desto größer ist die Gefahr, dass sie es eben nicht tun. Oder anders gesagt: Dummheit nimmt zu, je mehr man glaubt, schlau zu sein.

Was für Fahrräder und Klospülungen gilt, konnte Philip Fernbach in einer Studie aus dem Jahr 2013 auf die großen politischen Fragen übertragen.46 Der Ansatz war ähnlich, nur sollten die Testteilnehmer diesmal politische Position beziehen und erklären, ob sie eher für oder gegen einen CO2-Zertifikatehandel waren, ob sie eine Einheitssteuer für alle gut finden oder ob Lehrer nach Leistung bezahlt werden sollten. Anschließend wurden sie nach den Gründen für ihre Haltung gefragt und konnten dann einen kleinen Geldbetrag an eine Organisation spenden, die ihre Ansichten vertrat. Das Ergebnis war erwartbar: Je fester die Leute von ihrer Haltung überzeugt waren, desto eher spendeten sie. Von den Radikalsten taten dies immerhin knapp drei Viertel.

Anders sah es jedoch aus, wenn die Leute nicht nur begründen sollten, warum sie einer Position anhingen, sondern wenn sie diese auch erklären sollten. Bevor man also spenden konnte, musste man ins Detail gehen: Wie funktioniert ein CO2-Zertifikatehandel? Wie sieht eine leistungsabhängige Bezahlung für Lehrer genau aus? In diesem Fall brach die Spendenbereitschaft ein: Nur noch ein Viertel der radikalsten Anhänger einer Idee war dazu bereit.

Begründungen sind etwas anderes als Erklärungen. Das Problem in der heutigen Welt ist, dass politische Haltungen oftmals gut begründet, aber schlecht erklärt werden. In der gesellschaftlichen Debatte zählt das beste Argument, die beste Begründung für eine Maßnahme. Niemand wählt einen Erklärbären, sondern denjenigen, der am überzeugtesten von seiner Haltung ist oder diese am besten begründen kann. Die Forschung zeigt jedoch: Genau das führt dazu, dass sich Fronten verhärten oder Menschen mit radikalen politischen Positionen identifizieren. Was in einer politischen Debatte wirklich zählen sollte, ist die bessere Erklärung, nicht das bessere Argument. Denn interessanterweise bringt man die Überzeugungen von Menschen eher ins Wanken, indem man ihnen die Dinge erklärt, nicht indem man seine eigene Position begründet.

Nebenbei: In der Wissenschaft wird man genau zu diesem selbstkritischen Denken erzogen. Je mehr man weiß, desto mehr kennt man auch die Grenzen seines Wissens. Eine Studie im Wissenschaftsmagazin Nature konnte 2022 sogar zeigen: Wissenschaftler werden mit zunehmendem Wissen bescheidener. Nicht-Wissenschaftler hingegen tendieren dazu, mit zunehmendem Pseudowissen immer selbstbewusster zu werden.47 Leider kommt in der öffentlichen Wahrnehmung derjenige zu Wort, der von seiner eigenen Stärke überzeugt ist. Niemand setzt einen selbstzweifelnden Sokrates in eine Talkshow. Wie soll der auch ein knackiges Statement raushauen, wenn...

Erscheint lt. Verlag 31.8.2023
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte Denkfehler • Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigen • Hirnforscher • Hirnforschung • kluge Lösungen • Lösungen finden • Mut • Neurobiologe • Neurobiologie • richtige Entscheidungen • Umbruch • Umbruchprozess • Welt verändern • Zukunft
ISBN-10 3-8437-3013-X / 384373013X
ISBN-13 978-3-8437-3013-6 / 9783843730136
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