Reisen im Römischen Reich (eBook)
258 Seiten
De Gruyter (Verlag)
978-3-11-076365-2 (ISBN)
Das Reisen im Römischen Reich fasziniert bis heute: Infrastruktur und Logistik entsprachen den höchsten Ansprüchen vormoderner Mobilität, weshalb sich Erholungs- oder Bildungsreisen bei den Römern großer Beliebtheit erfreuten. Susanne Froehlich stellt Reisemotive, Reisewege und Reiseziele anhand ausgewählter Quellen vor, um zur eigenen Auseinandersetzung einzuladen. Ein konziser Überblick über das Basiswissen wird mit Aufgaben und Lektüreempfehlungen zur selbständigen Weiterarbeit verknüpft.
Susanne Froehlich, Universität Greifswald.
1 Reisen in der Antike
* Mit einem Sternchen gekennzeichnete Begriffe werden im Glossar am Ende dieses Bandes erklärt.
1.1 Historischer Überblick
Archaische und klassische Zeit
Bereits die ältesten antiken Schriften erzählen vom Reisen. So ist Homers Odyssee die Geschichte einer langen Irrfahrt über die Meere, die Periegesis* des Hekataios eine Beschreibung der bekannten Welt, und Herodots Historien berichten von fremden und exotischen Ländern und Völkern. In der frühen griechischen Geschichte spielte vor allem die Schifffahrt eine herausgehobene Rolle für Verkehr und Transport, sei es im Fernhandel über das Mittelmeer oder bei der Gründung der ersten Kolonien seit dem achten Jahrhundert v. Chr. Auch die Phöniker, die ursprünglich entlang der Levanteküste siedelten und dann im ganzen Mittelmeerraum Kolonien gründeten, waren hervorragende Seefahrer. Sie sollen von Karthago aus schon im fünften Jahrhundert v. Chr. Afrika umsegelt haben.1 Fast alle wichtigen griechischen Poleis – etwa Athen, Aigina, Korinth, Syrakus, Milet oder Ephesos – waren Hafenstädte und damit am einfachsten auf dem Seeweg zu erreichen. Aufgrund ihrer Größe war die Stadt Athen bereits in klassischer Zeit von Getreideimporten aus dem Schwarzmeergebiet abhängig und investierte deshalb massiv in die Sicherung der Schiffsrouten.
Von der Mobilität im Zusammenhang mit militärischen Truppenbewegungen einmal abgesehen, reisten Griechen in archaischer und klassischer Zeit ganz überwiegend deshalb, um die großen panhellenischen Festspiele in Olympia, Delphi, Korinth oder Nemeia zu besuchen; sie nahmen dafür weite Anreisen in Kauf. Auch Gesandtschaften zu Orakelstätten, Kontakte zwischen Poleis und Reisen von Händlern, Handwerkern, Söldnern oder Pilgern trugen zum Reiseaufkommen bei.
Hellenistische Zeit
Im Gefolge der großen Eroberungszüge Alexanders bis ins nordwestliche Indien wurden in hellenistischer Zeit zunehmend Fernfahrten unternommen, die eine große Vielfalt an Reiseliteratur hervorbrachten. Seefahrts- und Küstenbeschreibungen, sogenannte Peri-ploi*, berichteten detailliert von Entdeckungsreisen per Schiff: Alexander hatte den Persischen Golf erforschen lassen, seine Nachfolger unter anderem das Kaspische Meer und Südarabien. Der Fernhandel der hellenistischen Reiche erstreckte sich seit dem dritten Jahrhundert v. Chr. entlang der Seidenstraße bis nach China.2
Zugleich nahm dank der zentralen Verwaltungsstrukturen der hellenistischen Reiche und mit zunehmender Anzahl und Popularität von lokalen Festspielen das individuelle und touristische Reisen zu. Erleichtert wurde es auch dadurch, dass sich aus der Vielzahl der griechischen Dialekte die vereinfachte Sprachform der Koin entwickelte, die in den Poleis hellenischer Prägung von Libyen im Westenbis Alexandria am Indus im Osten gesprochen wurde. Das ägyptische Alexandria entwickelte sich zu einem Kultur- und Bildungszentrum, das Forscher und Studenten aus aller Welt anlockte.
Späte Republik und römische Kaiserzeit
Durch die Unterwerfung aller ans Mittelmeer grenzenden Länder schufen die Römer einen politisch und kulturell zusammengehörigen Raum, der den antiken Zeitgenossen geradezu grenzenlos erschien und seit der ausgehenden Republik intensiv bereist wurde. Diese Hochphase der antiken Reisetätigkeit fällt mit dem Zeitrahmen des vorliegenden Bandes zusammen: Seit dem ersten Jahrhundert v. Chr. und in der römischen Kaiserzeit erleichterten die Zurückdrängung der Piraterie, der Ausbau eines reichsweiten Netzes öffentlicher Straßen (viae publicae*) und die Etablierung von Sicherheitsposten an Überlandwegen den Reiseverkehr durch die Provinzen des Reichs (einen Überblick bietet die Karte in Abb. 1.1 und 1.2). Die Kaiser bauten mit den Hafenanlagen von Puteoli, Ostia/Portus, Ancona und Centumcellae auch die maritime Infrastruktur in Italien bedeutend aus.
Zur Zeit der größten Ausdehnung des Imperium Romanum unter Kaiser Trajan (98–117 n. Chr.) hatten die Römer etwa 80 000 bis 100 000 Kilometer Straßennetz ausgebaut. Unterwegs auf einer via publica kam man in regelmäßigem Abstand an stationes* (Sicherheitsposten), mutationes* (Wechselstationen) und mansiones* (Raststätten) vorbei. Dass man sich reichsweit auf die gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen verlassen konnte, mit den zwei Sprachen Latein und Griechisch zurechtkam und in einer einzigen Währungzahlte, machte das Reisen vergleichsweise attraktiv. Staatlich beauftragte Reisende wie Beamte konnten kostenlos den cursus publicus* nutzen, das öffentliche Transportwesen mit Wechselstationen für Reit- und Zugtiere. Dienstliche Reisen und selbst militärische Einsätze wurden gern mit touristischen Abstechern zu bedeutenden Erinnerungsorten oder Sehenswürdigkeiten verbunden.3 Wie in Kapitel 3 zu sehen sein wird, waren Neugier und Vergnügen jedoch in der Regel nicht das primäre Motiv dafür, auf Reisen zu gehen.4 Die Menschen verreisten aus beruflichen oder geschäftlichen Gründen, aber auch um Heilstätten oder Orakel aufzusuchen, um ihre Güter zu inspizieren und sich auf dem Land vom Geschäftsalltag in der Großstadt zu erholen, ferner um Studien zu betreiben, um an Festivals teilzunehmen oder um ihre Verwandten zu besuchen.
Die Quellen zum Reisen in der späten Republik und der Kaiserzeit sind vergleichsweise vielfältig, differenziert und detailreich. Besonders gut dokumentiert sind in dieser Zeit die Reisen senatorischer Amtsträger und die der Kaiser.
3.–5. Jh. n. Chr.
Ab dem dritten Jahrhundert ging das Reiseaufkommen deutlich zurück, da zum einen geänderte Verwaltungsstrukturen die Zahl und Reichweite notwendiger Dienstreisen signifikant verringerten und zum anderen die sicherheitspolitischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen schlechter wurden.5 Dennoch gab es bestimmte Bevölkerungsgruppen, die sich nach wie vor durch eine sehr hohe Mobilität auszeichneten, insbesondere Studenten und Gelehrte6 sowie in christlicher Zeit die Bischöfe und die Pilgerinnen und Pilger. Erstmals werden auch Frauen als reisende Individuen in größerer Zahl für uns quellenmäßig fassbar.
Abb. 1.1: Die Provinzen des Imperium Romanum von Augustus bis Septimius Severus (27 v. Chr. bis 211 n. Chr.), westlicher Teil
Abb. 1.2: Die Provinzen des Imperium Romanum von Augustus bis Septimius Severus (27 v. Chr. bis 211 n. Chr.), östlicher Teil
1.2 Rahmenbedingungen
Die Mobilität der Gesamtbevölkerung
Angesichts einer aus moderner Sicht erstaunlich hohen Mobilität in der Antike ist zu betonen, dass es aufgrund der vorwiegend agrarischen Prägung der Gesellschaft insgesamt nur ein kleiner Teil der Bevölkerung war, der überhaupt reiste. Bei allem, was im vorliegenden Band an Quellen zum Reisen präsentiert wird, ist also immer die Gruppe derjenigen mitzudenken, die nur im nächsten Umfeld mobil waren: Haussklaven beispielsweise, die kaum einmal das Anwesen verließen, auf dem sie arbeiteten, Landarbeiter und Bauern, die sich im engen Radius ihrer dörflichen Umgebung bewegten, arme Stadtbewohner, denen die materiellen Ressourcen selbst für kleinere Ausflüge fehlten. Mit Greg Woolf lässt sich daher in der römischen Bevölkerung zwischen movers und stayers unterscheiden – den wenigen, die sich aus verschiedensten Motiven auf den Weg machten, um das Imperium Romanum zu bereisen, und den vielen, die in einem eng abgesteckten Umfeld blieben und die große weite Welt nur vom Hörensagen kannten. Nach Woolfs Berechnungen war es im Laufe eines Kalenderjahres vielleicht ein Promille der Gesamtbevölkerung, das Fernreisen unternahm.7
Reisegebiete
Das Hauptreisegebiet in der griechisch-römischen Antike war der Mittelmeerraum, wobei einzelne Reisen weit darüber hinaus bis nach Mesopotamien, ans Rote Meer, ans Schwarze Meer und nach Nordeuropa führen konnten. Das touristische Interesse antiker Reisender galt neben Rom selbst, Süditalien und Sizilien vor allem Zielen im östlichen Mittelmeerraum: Griechenland, Kleinasien und ganz besonders Ägypten, das mit seiner uralten Kultur, seinen Weltwundern und einer exotischen Flora und Fauna bereits seit Herodot das Reiseziel par excellence war.
Ein Großteil der Reisen spielte sich freilich in mittleren Distanzen von ein bis drei Tagesreisen Entfernung zur jeweiligen Heimatstadt ab. Cicero etwa war vom 21. April bis zum 1. Juni 59 v. Chr. mehrere Wochen unterwegs, um einige seiner Landgüter zu inspizieren und mit seiner Tochter Tullia die Festspiele in Antium zu besuchen. Dabei reiste er von Rom nach Formiae (118 km), von dort weiter nach Antium (86 km), nach Tusculum (40 km), nach Arpinum (77 km) und schließlich zurück nach Rom (99 km).8
Geographie und Klima
Die naturräumlichen und klimatischen Rahmenbedingungen antiker Reisen waren ausgesprochen vielfältig:
Zum einen gab es verschiedene Extremzonen, wie die Sumpf- und Waldlandschaften des...
Erscheint lt. Verlag | 8.5.2023 |
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Reihe/Serie | De Gruyter Studium | De Gruyter Studium |
Zusatzinfo | 7 b/w and 37 col. ill., 3 b/w tbl. |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Altertum / Antike |
Schlagworte | Geschichte des Reisens • History of Travel • Lehrbuch • Quellen • Roman Antiquity • römische Antike • Sources • Textbook |
ISBN-10 | 3-11-076365-6 / 3110763656 |
ISBN-13 | 978-3-11-076365-2 / 9783110763652 |
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