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Juden, Hexen & Häretiker -  Christoph Schweiger

Juden, Hexen & Häretiker (eBook)

Verfolgte Gruppen im Spätmittelalter
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
270 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7568-7058-5 (ISBN)
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Die Gesellschaft des späten Mittelalters war in erheblichem Maße durch Werte, Normen und Verhaltensregeln geprägt, die unter anderem durch die Kirche vorgegeben wurden. Andersdenkenden wurde meist keinerlei Toleranz entgegengebracht. Es kam zu Verfolgungen und Vertreibungen, welche oft die Auslöschung der jeweiligen Gruppe zum Ziel hatten. Im Spätmittelalter waren es vor allem Juden, Ketzer und Hexen, die Opfer solcher Gewaltausbrüche wurden. Auf diesen verfolgten Gruppen liegt der Fokus dieses Buches, das einen Einblick in die Geschichte der Verfolgung von gesellschaftlichen Außenseitern im ausgehenden Mittelalter liefern soll.

Christoph Schweiger, geboren 1990, studierte an der Universität Klagenfurt Geschichte und promovierte über die chronikalische Darstellung sozialer Außenseiter im Spätmittelalter. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Alltags- und Sozialgeschichte des Mittelalters sowie in der musealen Geschichtsvermittlung.

2. Antijüdische Gewalt

2.1 Erste Verfolgungen

Zu ersten Judenverfolgungen kam es, wie bereits erwähnt, im Vorfeld des Ersten Kreuzzuges im Jahre 1096. Nachdem viele Menschen dem Aufruf Papst Urbans II. gefolgt waren und sich der Kreuzzugsbewegung angeschlossen hatten, wurden bald Stimmen laut, die darauf hinwiesen, dass man nicht gegen die Feinde des wahren Glaubens zu Felde ziehen könne, während die Mörder Christi in der Heimat verschont blieben. Es kam zu ersten Gewaltexzesse in Frankreich und Deutschland.61 Die Kreuzfahrer stellten die Juden vielerorts vor die Wahl, sich entweder taufen zu lassen oder getötet zu werden. In den meisten Fällen entschieden sie sich für den Tod, wobei sie den Suizid „zur Heiligung des Namen Gottes“ - Quiddusch Haschem vorzogen.62 Dieser drastische Schritt sollte sich in späteren Pogromen noch unzählige Male wiederholen.

Betrachtet man die Verfolgungswelle von 1096 genauer, so findet man hier bereits viele Grundzüge auf, die auch in den darauffolgenden Pogromen zum Tragen kommen sollten. So wandte sich die Gewalt einerseits nicht gegen einzelne Personen, sondern vielmehr gegen alle Mitglieder der jüdischen Religionsgemeinschaft und andererseits kam es zu einer Kombination aus Mord, Plünderungen und Hass.63

Letzterer wird auch in den Chroniken der Zeit mehrmals spürbar. Ottokar aus der Gaal kritisiert die Verfolgungen durch die Kreuzfahrer beispielsweise keineswegs. Er ruft vielmehr zum Kampf gegen das Judentum auf. Für ihn steht fest, dass man die Juden als Gottesmörder betrachten und für ihre Gräueltaten gegenüber dem von ihnen missachteten Messias bestrafen müsse:

wolden die kristen rechen den tôt und die arbeit, die er [Christus] ze Jerusalem leit, daz soldens an den Juden tuon.64

Als Hauptmotiv der Kreuzfahrer galt neben religiösen Motiven und einer allgemeinen Gewaltbereitschaft vor allem der Neid auf jüdische Händler und Gläubiger. Dementsprechend traten besonders im deutschen Raum bis ins 14. Jahrhundert primär sozial Unterprivilegierte wie Bauern, Handwerker und Knechte als Träger der Judenverfolgungen in Erscheinung.65

Die frühen Verfolgungen waren also Bewegungen, die hauptsächlich vom einfachen Volk getragen wurden. Die Obrigkeit trat hierbei meist noch als Beschützer ihrer Kreditgeber auf. Erst als ihre Abhängigkeit vom jüdischen Kapital im 15. Jahrhundert abzunehmen begann, änderte sich dies zunehmend. Die Übergriffe auf Juden gingen von da an auch von den Herrschenden selbst aus, die durch Raub und Erpressung ihre Eigentumsrechte deutlich machen wollten.66

Auch das erstarkte Bürgertum übernahm in dieser Zeit zunehmend die Initiative bei Judenverfolgungen.67 Solche Übergriffe dienten bald als willkommene Gelegenheiten, jüdische Besitztümer zu beschlagnahmen und die eigene finanzielle Situation aufzubessern. Auch etwaige Unzufriedenheitstendenzen im Volk ließen sich in antijüdischen Gewaltexzessen kanalisieren.

In den spätmittelalterlichen Chroniken finden sich zahlreiche Beispiele für Auseinandersetzungen zwischen den Städten und den jeweiligen Landesherren hinsichtlich des Umgangs mit den Juden, die oft zum Spielball unterschiedlicher Interessen wurden. Vor allem Verfolgungsverbote oder die Forderung nach Strafzahlungen durch die Landesherren nach Pogromen rufen bei den Geschichtsschreibern regelmäßig Empörung hervor, insbesondere wenn ihre eigene Stadt von einer solchen Intervention betroffen war.

In den süddeutschen Chroniken wird beispielsweise Herzog Heinrich XVI. von Bayern-Landshut für seine liberale Judenpolitik kritisiert. Der Landshuter Ratschronik zufolge befahl Herzog Heinrich der Reiche den Landshutern 1449 einen Prediger namens Heinrich Feuchtwanger auszuweisen, da dieser das Volk gegen die jüdischen Einwohner aufzuhetzen versucht habe:

Item Anno domini 1449 belab der alt Rath und ward nicht gesetzt, was es was ain Lesmaister zu den Predigern, der vast wider die Juden prediget, der hieß Brueder Hainrich Feichtwanger, also das er mit seiner Predig das Volck in der Stat und auf dem Landt zumal fast wider die Juden erwecket, das man in nicht Fleisch gab, nicht padet und umb Wuecher nicht recht sprach, darumb wolt mein Herr den Rath nicht setzen, es käm dann die Sach von der Juden wegen widerumb in den altn Standt, wan solches bei in geschehen wär. Derselb Prediger wardt durch meines Herrn Genaden Geschafft und Schreiben geurlaubt auß seinem Lande an Sant Maria Magdalena Tag 1449 und am achten Tag darnach zog er also von dannen.68

Erst nach dem Tod Herzog Heinrichs 1450 konnte die von den Landshuter Ständen lange angestrebte Vertreibung der Juden in die Tat umgesetzt werden.69 Heinrichs Sohn Ludwig der Reiche suchte dadurch wohl den Ausgleich mit den Landständen zu erreichen, möglicherweise wandte er sich auch bewusst gegen die Politik seines Vaters.70

In Augsburg sorgte vor allem der Konflikt des Stadtrates mit Kaiser Karl IV. für Aufsehen. 1373 erhob Karl von den Städten Sondersteuern, um den Erwerb der Markgrafschaft Brandenburg finanzieren zu können. Dem damit verbundenen Aufruf, die Augsburger sollten ihre Judengemeinde pfänden, um die Forderungen von 10.000 Gulden leisten zu können, widersetzte sich der Rat zunächst. In Burkard Zinks Augsburger Chronik wird die Weigerung der Augsburger, die ansässigen Juden ihrer Güter zu berauben ebenso überliefert, wie der den Juden abgenommene Schwur, die Stadt nicht zu verlassen:

Auf Montag vor sant Affrantag da sant graf Eberhart her Ulrich von Mansperg und her Cunrat von Reussen, baid ritter, geen Augspurg von kaiser Karls wegen und wurben an die burger, sie sollten die juden fahen und sich ir leib und irs guets underziehen. des wollten aber die burger nit tuen, doch muesten die juden schweren, ir leib und ir guet nir zu verkeren noch verendern und hie beleiben.71

Nachdem sich der Rat dem steigenden Druck des Kaisers nicht mehr widersetzen konnte, kam es 1374 dennoch zur Einkerkerung der Augsburger Juden. Die Zahlung der Sondersteuer wurde durch die Konfiskation jüdischer Güter finanziert. Da man schon 1355 ein kaiserliches Privileg erhalten hatte, das den Augsburgern für die Dauer von 12 Jahren erlaubte, die Juden zu besteuern und aufzunehmen, wurde dieser Akt von den Stadtoberen als große Ungerechtigkeit gesehen.72 Schließlich wären die Juden der Stadt Augsburg untergeben gewesen und nicht dem Kaiser. Dementsprechend fällt auch das Urteil des Chronisten aus:

In den zeiten da fiengen die von Augspurg alle ire juden und legten sie in fanknus und beschatzten sie umb 10.000 fl.; die juden wasen der stat und hetten auch des kaisers brief, daß sie die juden wol möchten beschatzen, aber der kaiser brach den von Augspurg iren brief, den er in geben hett, und darzu prach er in auch ander freihaitbrief. Und muesten im die von Augspurg geben die zehen tausend guldin, darumb sie die juden beschetzt hetten. der kaiser tett den von Augsburg unrecht, er was ain rechter durchächter der christenhait und aller frommen mentschen.73

1456 kam es zum erneuten Konflikt um die Oberherrschaft über die Augsburger Juden, als Kaiser Friedrich III. vom Rat 13.000 Gulden als Entschädigung für die Judenvertreibung von 1440 forderte. In diesem Falle äußern sich die Historiographen jedoch wesentlich weniger kritisch. Dies liegt wohl daran, dass die Vertreibung von 1440 selbst aus Sicht der Chronisten ein widerrechtlicher Akt war. Bereits 1438 hatte man vonseiten des Augsburger Rates bei Albrecht II. um Erlaubnis der Ausweisung angefragt, diese jedoch nicht erhalten.74

Dennoch wurden die Augsburger Juden vertrieben, was Albrechts Nachfolger Friedrich III. auf den Plan rief. Burkard Zink schreibt, dass Albrecht den Augsburgern die Erlaubnis zwar gerne erteilt hätte, doch habe sein Tod dies verhindert. Mangels eines schriftlichen Nachweises sei das Verhalten Friedrichs III. nachvollziehbar gewesen:

es geschach auch in dem jar bei künig Albrechten zeiten von Österreich, der vergunt es auch den von Augspurg und gab in gewalt, daß sie die juden außtreiben möchten. er hett auch geren brief darumb geben, die wurden versampt; wann als man zu im rait und wolt brief genommen han, da starb er. als hatt man kain brief von derselben geschicht wegen, des muest man seider kaiser Fridrich von Österreich über etwa vil jar geben 12000 fl. darumb, daß man die juden außgetrieben hett und kain urkund noch brief darumb zeigen mocht.75

Zink geht auch auf die städtischen Baumaßnahmen nach der Vertreibung ein. Als man daran ging das Rathaus neu zu gestalten, habe man sogar die jüdischen Grabsteine als Baumaterial verwendet, nachdem man den jüdischen Friedhof zuvor zerstört hatte. Sowohl bei der Treppe, dem Erker und dem Turm des Neubaus seien Grabsteine verbaut worden. Wenngleich Zink dieses Ereignis auf die unmittelbare Zeit nach der Vertreibung der jüdischen Gemeinde datiert, ist dennoch anzunehmen, dass der Umbau des Augsburger Rathauses erst um 1449 begonnen wurde, zumal auch...

Erscheint lt. Verlag 12.12.2022
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Geschichte Regional- / Ländergeschichte
ISBN-10 3-7568-7058-8 / 3756870588
ISBN-13 978-3-7568-7058-5 / 9783756870585
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