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Verlangen, leiden, hoffen, lieben (eBook)

13 Geschichten aus der Praxis einer Paartherapeutin

(Autor)

eBook Download: EPUB
2023
272 Seiten
Mosaik (Verlag)
978-3-641-30199-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Verlangen, leiden, hoffen, lieben - Susanna Abse
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Das Leben schreibt die schönsten Geschichten - aber auch die traurigsten. Susanna Abse praktiziert seit mehr als 30 Jahren als psychoanalytische Therapeutin und hat bereits unzählige Menschen durch die tiefsten Täler ihres Lebens, aber eben auch zu den Höhepunkten begleitet. In den allermeisten Fällen geht es um Liebe und Beziehungen und in Verlangen, leiden, hoffen, lieben berichtet sie in 13 Fallgeschichten von allen Facetten der Liebe.

Die Fälle sind so vielseitig wie die Liebe selbst - von der Rückkehr der erwachsenen Kinder ins Paarleben der Eltern, über eine Singlefrau, die sich nach einer Partnerschaft sehnt, aber so gefangen ist in ihren Ängsten vor Abhängigkeit und wahrer Nähe, dass sie eben diese nicht zulassen kann, bis hin zu einem Paar, das seine Beziehung öffnet und sich neuen Freiheiten und Gefühlen stellen muss.

Susanna Abse leitet mit diesen mitreißenden und bewegenden Fällen durch die Therapie und durch die Liebe in jeder Beziehung. Von der Frage ob es 'sich noch lohnt' bis hin zu neuen Rollen innerhalb einer alten Beziehung - sie zeigt, dass das Herz verschlungene Pfade einschlägt, um sich des größten Mysteriums unseres Lebens anzunehmen und sich vor Schmerz zu schützen.

Susanna Abse ist praktizierende psycholanalytische Therapeutin und hat sich auf Paartherapie spezialisiert. Zehn Jahre war sie CEO der gemeinnützigen Organisation 'Tavistock Relationships', die unter anderem kostenlose Therapien anbieten. 2019 hat sie als Gastgeberin für das britische Fernsehen die Reihe 'Britain on the Couch' begleitet.

Als Victoria und Rupert sich weigerten, das Puppenhaus zu verlassen

Manche Paare sind schockierend kindisch. Es wird geschimpft, gestritten und geheult – und sie hätten nichts lieber als ein Publikum, das sie auf die jeweils eigene Seite ziehen können. Ist der Freundeskreis diesbezüglich erschöpft, kommt ein Paartherapeut häufig gerade recht!

Ich kenne Kolleg*innen, die nur noch Einzelpatient*innen aufnehmen, sogar darauf bestehen, nie wieder mit Paaren zusammenzuarbeiten, weil diese Streitereien für sie zu aufreibend sind. Ich erinnere mich, wie ich vor vielen Jahren ein Seminar gab und ein angehender Therapeut sich sehr über den Fall aufregte, den ich zu Demonstrationszwecken in einem Video zeigte. Entnervt fragte er: »Warum um Himmels willen lassen Sie es nicht einfach gut sein, wenn sie nicht weiterkommen?« Das brachte ihm seitens der Studierenden eine kurze Runde Applaus und zustimmendes Nicken ein.

Wir mögen es zwar missbilligen, wenn sich Paare streiten oder sich kindisch benehmen, doch mir scheint, Paare werden auch deswegen zu Paaren, weil die intime Beziehung eine der wenigen Gelegenheiten bietet, bei denen es für Erwachsene vertretbar ist, in kindliche Verhaltensmuster zurückzufallen. Wann sonst können wir mit alberner Stimme sprechen? Jemanden »Käsekrümelchen« nennen oder so genannt werden? Wann sonst können wir jemanden im spielerischen Gerangel mit Wasser oder sogar mit Ketchup bewerfen? Wer würde uns etwas vorlesen? Oder etwas vorsingen? Uns im Arm halten und uns streicheln? Es ist vielleicht einer der großen Widersprüche des Lebens, dass es für Eltern normal ist, sich die Wärme eines Bettes zu teilen, wohingegen Kinder, der frühen Kindheit einmal entwachsen, darauf trainiert werden, allein zu schlafen. Als Paar können wir in die Welt des Spiels und des Berührens zurückkehren, die uns sonst im Erwachsenenleben verwehrt bleibt.

Nahezu alle intimen Liebesbeziehungen weisen kindliche Eigenschaften auf: Wir sprechen in Babysprache miteinander, wir kuscheln, streicheln und spielen. Auch der Sex selbst bietet Paaren die Möglichkeit, auf eine Weise zu streicheln, zu liebkosen, zu saugen, zu kitzeln und zu erkunden, wie es sonst im Leben eines Erwachsenen meist nicht möglich ist. Vor Kurzem beobachtete ich an einem Strand in Griechenland ein Paar, das sich gegenseitig Grashalme in die Nase steckte, um herauszufinden, wie lange sie das aushalten würden. Sie krümmten sich vor Lachen, und ich konnte sehen, wie verliebt sie ineinander waren und wie sehr sie durch dieses kindische Verhalten miteinander verbunden waren.

Nichtsdestotrotz muss ich gestehen: Es gibt Paare, deren infantiles Verhalten so regressiv und destruktiv ist, dass es selbst für einen alten Hasen wie mich kaum zu ertragen ist.

Victoria und Rupert waren eine solche Herausforderung. Beide waren Ende 30, schön, reich und intelligent, doch – ich wiederhole – eine echte Herausforderung. Jeder für sich konnte auf eine entwaffnende Art sehr charmant sein, doch zusammen waren sie ein Albtraum. Die vielen ruinierten Dinnerpartys, verpatzten Urlaube und tränenreichen Telefonate zu später Stunde hatten dazu geführt, dass die Freund*innen sie aus dem Adressbuch gestrichen hatten. Und so tauchten sie in meiner Praxis auf, bereit dafür, mich Ähnliches durchmachen zu lassen.

Da ich jedoch schon viele Stunden Paaren zugehört hatte, die sich ähnlich bekriegten, wusste ich, dass hier ein anderer Ansatz vonnöten war. Während unserer Sitzungen kam es zu Wutausbrüchen und vielen Tränen, und zwischen den Terminen erhielt ich hysterische Anrufe und E-Mails, in denen sie mir jeweils Textnachrichten und E-Mails weiterleiteten, die sie einander geschrieben hatten. Manchmal wurde ich bei diesem schriftlichen Wortwechsel auch in cc gesetzt und um ein Urteil gebeten, als wäre ich die rechtsprechende Instanz. Beide waren stets davon überzeugt, im Recht zu sein, und wandten sich mit tränenerfüllten Augen an mich, damit ich ihre Sicht der Dinge bestätigte. Jedes Mal, wenn sie zu mir kamen, sprachen sie bereits seit mehreren Tagen nicht mehr miteinander. Und dann, jeden Donnerstag in meinem Büro, vertrugen sie sich schließlich wieder und verließen kichernd und grinsend den Raum – wie zwei Kinder, die etwas aushecken.

Es gibt Paare, die in einem Streit ihre Empörung zum Ausdruck bringen, wenn sie aus ihrer Sicht unfairen Beschuldigungen und Verzerrungen der Wahrheit seitens des Partners ausgesetzt sind. »Wenn ich das doch nur gefilmt hätte, dann würde es beweisen, dass ich recht habe. So ist es einfach nicht gewesen!«, schreien sie dann. Beide sehen das Geschehene durch die eigene Brille – eine Brille, die durch vergangene Erfahrungen geformt und verzerrt ist, zu denen oft auch Traumata, Vernachlässigung und Missbrauch gehören. Und das stiftet Verwirrung und macht es schwer, Gefühle von Fakten zu unterscheiden. Je wütender und aufgebrachter die Partner*innen werden, desto mehr Mutmaßungen über die Motive und Absichten des anderen stellen sie an.

Ich hoffte, mit Victoria und Rupert behutsam daran arbeiten zu können, aus diesem Teufelskreis auszubrechen und neugierig zu werden. Neugierig auf sich selbst und neugierig auf den anderen. Die Annahmen, die sie über ihren Partner trafen, in Kombination mit der Erregung, die sie erzeugten, um sich nicht traurig fühlen zu müssen, sorgten dafür, dass sie in dieser ewigen Spirale aus Wut, Verrat und leidenschaftlicher Versöhnung feststeckten. Und obwohl es manchmal so schien, als würden sie Freude darüber empfinden, konnte ich hinter all dem Lärm ihre Verzweiflung sehen, sich niemals verstanden oder beschützt zu fühlen. Eines war mir klar: Wenn sich etwas ändern sollte, mussten sie traurig werden. Sie mussten erkennen, dass ihre Beziehung kein Puppenhaus war, in dem man ohne Konsequenzen oder Schäden mit Möbeln um sich werfen und Puppen auf den Kopf stellen konnte. Ich wollte, dass sie fühlten, wie ernst und traurig die Situation ist. Ich wollte, dass sie über ihre Ängste sprachen. Kurz gesagt: Ich wollte, dass sie sich veränderten.

Ob es richtig von mir war, all dies zu wollen, ist höchst fragwürdig. Sollte eine Psychotherapeutin solch klare Ziele für ihre Patient*innen haben? Ist es nicht unsere Aufgabe, das zu ermöglichen, was unsere Patient*innen wollen, und nicht das, was wir uns für sie wünschen? Natürlich war mir das damals bewusst. Doch wie sollte ich mit diesem Frust umgehen, den die Arbeit mit Victoria und Rupert in mir auslöste? Wie sollte ich die endlos langen Sitzungen mit diesen kleinlichen Streitereien und stürmischen Versöhnungen ertragen? Und wann, wie mein entnervter Student so treffend gefragt hatte, war die Zeit gekommen, um es gut sein zu lassen?

Ich dachte an ein anderes Paar zurück, das ich viele Jahre zuvor bei mir in der Therapie hatte. Roly und Clive waren noch sehr jung, als sie zu mir kamen, gerade mal 23 und 24 Jahre alt. Auch ihre Beziehung war von leidenschaftlichen Höhen und Tiefen geprägt. Wiederholt machten sie Schluss und versöhnten sich dann wieder. Die kleinste Kleinigkeit führte zur gegenseitigen Drohung, die Beziehung zu beenden, und ich wusste nie, was ich in der darauffolgenden Woche zu erwarten hatte. Ich riet ihnen eindringlich, die Arbeit mit mir ernst zu nehmen, doch das schien ihnen unmöglich zu sein. Nach mehreren Wochen mit verpassten Sitzungen, unbezahlten Rechnungen und chaotischen Nachrichten schrieb ich in einer E-Mail, dass sie für eine Therapie noch nicht bereit seien und mich doch kontaktieren sollten, wenn sie das Gefühl hätten, sich darauf einlassen zu können.

Welch Ironie! Verbindlichkeit war natürlich genau das, womit Roly und Clive zu kämpfen hatten. Beide hatten zu viel Angst, um sich wirklich an den anderen zu binden, und beiden war es unmöglich, sich zu einer Therapie zu verpflichten.

War das vielleicht, so fragte ich mich, auch Victorias und Ruperts Problem? Sie waren um einiges älter als Roly und Clive, daher stand viel mehr auf dem Spiel. Allerdings verfügten sie auch über die finanziellen Mittel, um diese Spiele miteinander spielen zu können, und zwar auf immer dramatischere Weise.

Eines grauen Morgens im Februar schleppte ich mich mit einem fiesen Schnupfen zur Arbeit. Victoria und Rupert waren an jenem Tag meine letzten Patient*innen und ich, so erschöpft wie ich war, hoffte insgeheim, sie würden absagen, damit ich zu Hause in meinen Schlafanzug schlüpfen konnte. Ich war schon im Begriff, meinen Mantel zu holen, als es 15 Minuten zu spät an der Tür klingelte. Aufgeregt und hektisch kamen sie herein, zogen ihre zueinander passenden, sehr teuren Daunenjacken aus und warfen sich, ohne auch nur einmal Luft zu holen, in ihr neuestes Drama.

Offenbar hatten sie ein langes Skiwochenende in Zermatt verbracht. Am zweiten Tag hatte sich Victoria über Ruperts provokativen Kommentar geärgert, dass ihr Hintern in der Skihose wirklich groß aussehe, woraufhin sie sich sofort ein Auto gemietet hatte und fünf Stunden nach St. Moritz gefahren war, um dort mit Freund*innen Ski zu fahren. Normalsterbliche hätten an Ort und Stelle bleiben müssen, um die Sache zu klären, doch sie war impulsgesteuert und reich, daher musste sie das nicht. Sie konnte auf dramatischste Art ihren Standpunkt klarmachen, indem sie Rupert am Hang des Berges stehen ließ.

Diese Art des »Auslebens« von Gefühlen ist äußerst kontraproduktiv. Bei einer Therapie geht es darum, Dinge auf sich wirken zu lassen, Gefühle auszuhalten, Unbehagen zu akzeptieren und sich seinen Ängsten zu stellen. Victoria und Rupert schienen allerdings fest entschlossen, sich nicht auf diesen Prozess einzulassen.

Es gab jedoch eine Sache, die sie beide mehr wollten als alles...

Erscheint lt. Verlag 22.3.2023
Übersetzer Angelica Bahlke
Sprache deutsch
Original-Titel Tell me the truth about love
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie
Schlagworte 2023 • Betrug • Beziehung • Beziehungsratgeber • Distanz • eBooks • Gesprächstherapie • Gesundheit • Liebe • Lori Gottlieb • Nähe • Neuerscheinung • paartherapie buch • Philippa Perry • Psychologie • Scheidung • Sex • sex life • Stefanie Stahl • Tavistock Relationships • Three women Drei Frauen • Trennung • Vielleicht solltest du mal mit jemandem darüber ede • Zärtlichkeit
ISBN-10 3-641-30199-8 / 3641301998
ISBN-13 978-3-641-30199-6 / 9783641301996
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