Anleitung zur Selbstüberlistung (eBook)
368 Seiten
Yes-Verlag
978-3-96905-241-9 (ISBN)
Prof. Dr. Christian Rieck ist Wirtschaftsprofessor und Experte für Spieltheorie. Schon als junger Student hatte er das Glück, in den engen Kreis der damals noch unbekannten Spieltheoretiker zu gelangen. Neben seiner Lehrtätigkeit ist es heute seine Spezialität, diese ursprünglich mathematische Theorie allgemeinverständlich aufzubereiten und auf aktuelle Themen anzuwenden. Unter dem Spitznamen ProfRieck hält er seit einigen Jahren eine seiner Vorlesungsreihen auf YouTube ab und hat so die Spieltheorie in Deutschland allgemein bekannt gemacht. Was als unscheinbares Experiment begann, zog bald Hunderttausende Zuschauer an, die wöchentlich auf seine neue Vorlesung warten und in den Kommentaren intensiv mitdiskutieren. In seinem virtuellen Hörsaal sitzen inzwischen rund 300.000 YouTube-Follower aus allen Schichten und Altersgruppen.
Prof. Dr. Christian Rieck ist Wirtschaftsprofessor und Experte für Spieltheorie. Schon als junger Student hatte er das Glück, in den engen Kreis der damals noch unbekannten Spieltheoretiker zu gelangen. Neben seiner Lehrtätigkeit ist es heute seine Spezialität, diese ursprünglich mathematische Theorie allgemeinverständlich aufzubereiten und auf aktuelle Themen anzuwenden. Unter dem Spitznamen ProfRieck hält er seit einigen Jahren eine seiner Vorlesungsreihen auf YouTube ab und hat so die Spieltheorie in Deutschland allgemein bekannt gemacht. Was als unscheinbares Experiment begann, zog bald Hunderttausende Zuschauer an, die wöchentlich auf seine neue Vorlesung warten und in den Kommentaren intensiv mitdiskutieren. In seinem virtuellen Hörsaal sitzen inzwischen rund 300.000 YouTube-Follower aus allen Schichten und Altersgruppen.
Prolog
Die Prinzipien der Selbstüberlistung
Unter Akrasia (… Handeln wider besseres Wissen) versteht man den Fall,
dass eine Person eine Handlung ausführt, obwohl sie eine alternative
Handlung für besser hält.
Wikipedia
Ich habe eine schlechte Nachricht für Sie: Sie sind ein Spieler mit gespaltener Persönlichkeit. Eine Ihrer Persönlichkeiten ist organisiert, gesund, freundlich und gibt immer rechtzeitig die Steuererklärung ab. Die andere trödelt, ernährt sich schlecht, verplempert die Zeit mit Streaming-Serien oder »Social« Media und bekommt hohen Blutdruck, weil sie sich ständig über die eigenen Unzulänglichkeiten aufregt.
Sie sind nicht die eine Person, die Sie und Ihre Freunde zu kennen glauben, sondern Ihr Kopf ist voller kleiner Ichs, die eigene Pläne haben. Ihr Ich von heute spielt gegen Ihr Ich von morgen; Ihr großes übergeordnetes und immer pünktliches Ich spielt gegen die vielen kleinen Ichs, die die schlauen Ideen des großen Ichs auch umsetzen sollen. Was sie nicht tun. Sondern sie verdrücken sich lieber und trinken in einer Hängematte Piña Colada, während Ihr großes Ich Bluthochdruck bekommt. Diese kleinen Ichs, wir nennen sie im vorliegenden Zusammenhang »Agenten«1, sind gerissen.
Wenn Sie sie anschreien, dass sie endlich mit diesem dämlichen Piña-Colada-Getrinke aufhören und mit der Arbeit anfangen sollen, dann hören sie zwar auf, Piña Colada zu trinken, aber arbeiten werden sie deshalb noch lange nicht. Diese Agenten trinken noch nicht einmal genug Wasser, geschweige denn dass sie Sport machen oder vernünftige Bücher lesen (okay, in diesem Punkt sind zumindest Sie gerade auf einem guten Weg). Am Ende des Tages haben Sie ein Ziepen im Bauch, weil Sie weder Qualitätszeit in der Hängematte verbracht haben noch die Arbeit getan ist. Selbst der Ausflug und die Party fanden nicht statt, die Sie der Arbeit vorgezogen hätten. Stattdessen verläuft das Leben in der Vorhölle zwischen dem Berg unvollrichteter Dinge und nicht genutzter Freizeit.
Sie werden es schon bemerkt haben, aber zur Sicherheit sage ich es Ihnen besser noch mal: Sie können Ihren Agenten nicht mit Vernunftargumenten kommen. Versuchen Sie mal, Ihrem Agenten, der gerade ein großes Stück Schokolade in Ihren Mund stopft, zu erklären, wie großartig Sie sich in einem Jahr fühlen würden, wenn Sie ab jetzt keine großen Stücke Schokolade mehr in sich hineinstopfen würden.
»Das stimmt«, antwortet Ihr Agent mit vollem Mund, »aber was habe ich davon?«
»Na, du wärst gesünder und hättest einen dünnen Bauch! Wieso muss ich dir solche Selbstverständlichkeiten erklären?«
»Nein, mein Lieber« (bricht ein weiteres Stück Schokolade ab und sucht den Raum nach der Chipstüte ab), »du hättest einen dünnen Bauch, nicht ich. Ich bin fürs Jetzt zuständig, und jetzt ist dieses Stück Schokolade das, was mir Vergnügen bereitet. So viel Dopamin musst du mir erst mal besorgen, und das schafft dein blöder Bauch im nächsten Jahr ganz bestimmt nicht. Über ein TikTok-Video könnten wir mal nachdenken, aber die Sache mit der Steuererklärung kannst du vergessen.« (Die rechte Hand greift nach dem Handy und öffnet die TikTok-App, die linke nimmt sich das letzte Stück der Schokolade.)
»Man kann mit dir einfach nicht vernünftig reden! Ich bitte dich, wenigstens dieses eine Mal …« (hier wiederholt Ihr Agent »dieses eine Mal« mit verdrehten Augen) »… keine Schokolade zu essen, und du machst gleich das Fass mit der Steuerklärung und TikTok auf! Sei doch ein einziges Mal vernünftig!«
»Also gut«, sagt Ihr Agent, »ich versuche vernünftig zu sein. Was würdest du denn tun, wenn du ich wärst?«
An dieser Stelle fällt Ihnen etwas auf. Sie selbst sind ja dieses Ich. Und es hat völlig recht. Hier und jetzt ist eine Schokolade mit TikTok sehr viel angenehmer als eine Steuererklärung. Den Bauch sieht man frühestens im nächsten Frühjahr; bis dahin ist noch viel Zeit abzunehmen, Sport zu treiben und Deadlines einzuhalten. Die Schokolade ist inzwischen aufgegessen, aber es gibt ja noch die Chips, und außerdem könnte man diese tolle Serie weiterschauen, die auf Netflix läuft.
Wie gesagt, Sie können Ihren Agenten nicht mit Vernunftargumenten kommen, denn die Vernunft ist auf deren Seite. Je rationaler Sie zu argumentieren versuchen, desto stärker geraten Sie ins Hintertreffen. Wenn wir einmal akzeptiert haben, dass es diese Agenten gibt, dann müssen wir zähneknirschend akzeptieren, dass sie andere Interessen haben als unser Ich in seiner Gesamtheit. Deshalb versuchen Sie gar nicht erst, sich (denn niemand anderes sind ja Ihre Agenten) mit Rationalargumenten zu überzeugen. Es gibt nur einen erfolgreichen Weg, Ihre Agenten endlich dazu zu bringen, etwas Sinnvolles zu tun: Sie müssen sie überlisten.
Deshalb sind Sie hier. Um zu lernen, sich selbst zu überlisten.
Sie sind umgeben von Nichtsnutzen
Lassen Sie uns kurz nochmals über Ihr Selbstbild sprechen. Ich hoffe, Sie sind mir bereits so weit gefolgt zu akzeptieren, dass Sie nicht der eine adrette Erdenbewohner mit ausschließlich edlen Absichten und höchster Disziplin sind. Stattdessen bestehen Sie aus einer Belegschaft katastrophaler Angestellter, die Sie (das ist der adrette Erdenbewohner) irgendwie unter Kontrolle bekommen wollen. Wenn es irgendwelche negativ besetzten Eigenschaften gibt, dann haben Ihre Angestellten sie auch. Sie sind faul, egoistisch, verfressen und kurzsichtig, denken also nur bis zur Nasenspitze.
Wenn Sie das jetzt für sich akzeptiert haben, dann können Sie den nächsten Schritt gehen und sich vergegenwärtigen, dass jede Organisation aus einer Zusammenstellung solch katastrophaler Mitglieder besteht. Das große Ganze entsteht, indem diese vielen kleinen Flachpfeifen, Nervgeigen, Müßiggänger und Herumposauner so orchestriert werden, dass ein Gesamtkunstwerk auf höherer Ebene entsteht. Sehen Sie sich die großen Leistungen der Menschheit an: Fast immer entstehen sie durch das Zusammen-Spiel vieler einzelner Individuen, die für sich allein genommen in der Regel faul, egoistisch und kurzsichtig sind. Und verfressen.
Aber mit der richtigen gemeinschaftlichen Ausrichtung entstehen die Wunder der Welt. Zugegeben, es gibt meist eine Person, die für die Ausrichtung und die Organisation sorgt; aber diese wäre nichts ohne die vielen kleinen Agenten, die die großen Ideen schließlich umsetzen. Ein Orchester besteht nicht nur aus einem Dirigenten. Dieser hat zwar eine herausragende Rolle, weil er die Leistungen aller anderen koordiniert und damit überhaupt erst zu einer Gemeinschaftsleistung macht. Er hat auch mehr Möglichkeiten, eine Richtung vorzugeben. Aber letztlich ist auch seine Rolle nur eine der vielen Spezialaufgaben, die ein Orchester braucht, um ein Orchester zu sein.
Ich habe eben nicht umsonst vom Zusammen-Spiel gesprochen. Das Kunstwerk entsteht aus dem Zusammenwirken der vielen Bestandteile. Aber dieses Zusammenwirken funktioniert nicht wie eine Maschine, in der Hebel und Zahnrädchen deterministisch ineinandergreifen und sich zu 100 Prozent dem einen großen Plan unterordnen. Vielmehr entsteht dieses Zusammenwirken, indem alle Mitglieder lokal für sich arbeiten und optimieren, kleine Probleme aus dem Weg räumen, das tun, was für sie am besten ist, und am Ende dennoch im Sinne des großen Ganzen handeln. Ein solches System aus lokalen Entscheidern ist dem Uhrwerk fast immer überlegen – zumindest in einer komplexen und variablen Umwelt. Denn das mechanische Getriebe ist viel zu starr, um sich auch nur an die kleinsten Abweichungen vom Plan anzupassen. Ein einzelnes Sandkorn bringt das Zahnradgetriebe zum Stillstand; ein lebender Organismus hingegen kann ganze Berge aus dem Weg räumen.
Das letzte Jahrhundert war das Jahrhundert der Maschinen; dieses ist das der Organismen.
Wie so etwas funktioniert, das untersucht die Spieltheorie. Ich möchte Sie an dieser Stelle nicht mit den technischen Details dazu langweilen, aber die Theorie ist keineswegs so verspielt, wie ihr Name nahelegt, denn ursprünglich war sie eine mathematische Theorie. Schon die verwendeten Bezeichnungen sind für Uneingeweihte abschreckend und unverständlich, weil sie oft genug aus deutsch ausgesprochenen englischen Wörtern bestehen. Nehmen wir als Beispiel den Begriff principal agent theory, dessen ungelenke Eindeutschung zu Prinzipal-Agenten-Theorie mehr zur Verschleierung als zur Aufklärung beiträgt. Kaum nehmen wir aber geeignete Übersetzungen, wie gleich in der folgenden Zwischenüberschrift, schon hellt sich das Bild auf.
Die Direktorin-Angestellten-Theorie
Wir definieren eine Agency-Beziehung als einen Vertrag, unter dem […] die Direktorin eine andere Person (den Agenten) anstellt, um in ihrem Auftrag eine Aufgabe auszuführen, und dabei die Freiheit...
Erscheint lt. Verlag | 19.11.2023 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Gesundheit / Leben / Psychologie ► Lebenshilfe / Lebensführung |
Geisteswissenschaften ► Psychologie | |
Schlagworte | Allgemeinwissen • Bestseller • Bildung • Christian Rieck • Denken • Effizienz • Erfolg • Gedanke • Karriere • Krise • Lernen • Life Hacks • Logik • Nobelpreis • Philosophie • Professor • Psychologie • rationales Denken • Sachbuch • Spiel • Spieltheorie • Strategem • Wissen • youtube |
ISBN-10 | 3-96905-241-6 / 3969052416 |
ISBN-13 | 978-3-96905-241-9 / 9783969052419 |
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