Was begründet das alles?. Eine Einführung in die logische Argumentanalyse (eBook)
210 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-962046-6 (ISBN)
David Löwenstein, geb. 1983, akademischer Rat am Institut für Philosophie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
David Löwenstein, geb. 1983, akademischer Rat am Institut für Philosophie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.
Einleitung
1 Argumente rekonstruieren
1.1 Diskussionen und Argumente
1.2 Erste Argumentrekonstruktionen
1.3 Evaluation und Gültigkeit von Argumenten
1.4 Kontroversen und Argumentbeziehungen
1.5 Zur Rekonstruktion von Argumenten
2 Argumente logisch analysieren
2.1 Argumentformen und Schlussprinzipien
2.2 Die logische Prüfung von Schlussprinzipien
2.3 Prinzipien, Allsätze, Widersprüche und Widerlegungen
2.4 Logisch-semantisches Handwerkszeug
3 Bedingungen und Erkenntnis
3.1 Erfüllte Bedingungen
3.2 Hinreichende und notwendige Bedingungen
3.3 Erkennen und Missverstehen von Bedingungen
3.4 Zusammenhänge zwischen Bedingungen
3.5 Argumentative Voraussetzungen
3.6 Kontrapositionen
4 Alternativen und Willensfreiheit
4.1 Alternativen ausschließen
4.2 Ein deterministisches Argument
4.3 Alternativen und Kombinationen
4.4 Determinismus, Freiheit und Verantwortung
4.5 Verneinte Allsätze und Falsche Alternativen
4.6 Existenzsätze und Gegenbeispiele
Ausblick
Lösungen der Aufgaben
Literaturhinweise
Dank
Register
1.2 Erste Argumentrekonstruktionen
Wenden wir uns nun konkreten Beispielen zu: Wie kann eine solche Rekonstruktion eines Arguments aus einer Textpassage konkret aussehen? Sehen wir uns dazu zwei Passagen direkt zu Beginn des zweiten Kapitels »Woher wissen wir etwas?« an. Dabei handelt es sich um Argumente, die aus der Perspektive des erkenntnistheoretischen Skeptizismus formuliert werden, also aus einer Position, die die Möglichkeit bestimmter Formen von Erkenntnis bezweifelt.
Nagel beginnt mit der folgenden Passage, in der einzig längere Listen von Beispielen ausgelassen sind:
Wenn man recht darüber nachdenkt, so kann man sich nur über das Innere seines eigenen Bewusstseins ganz sicher sein.
Was auch immer man glaubt […], es gründet sich auf die eigenen Erlebnisse und Gedanken, Gefühle und Sinneseindrücke. Das ist alles, wonach man sich unmittelbar richtet […]. Alles andere ist weiter von uns weg als unsere inneren Erlebnisse und Gedanken und erreicht uns nur durch sie.
Für gewöhnlich zweifeln wir nicht an der Existenz [der Dinge, von denen unsere Sinneseindrücke handeln] […]. Ja, die meiste Zeit denken wir noch nicht einmal an die psychischen Zustände, die uns diese Dinge wahrnehmen lassen, sondern scheinen die Welt direkt wahrzunehmen. Woher wissen wir jedoch, ob es diese Dinge auch wirklich gibt? Wäre es denn anders für uns, wenn sie nur in unserem Bewusstsein existierten […]?8
[20]Beginnen wir mit dem ersten Satz: Hier macht das Wörtchen »nur« deutlich, dass dieser Satz im Grunde zwei Aussagen enthält. Einerseits kann man sich über das Innere des eigenen Bewusstseins sicher sein. Andererseits kann man sich über alles andere nicht sicher sein. Nur diese zweite Aussage wird in den nächsten Absätzen begründet. Das lässt sich auch ohne explizite Argumentations-Anzeiger wie ›also‹ oder ›weil‹ unmittelbar am inhaltlichen Aufbau des Texts erkennen.
Der erste Absatz führt die These aus: »Was auch immer man glaubt« – also jede unserer Überzeugungen – beruht auf Sinneseindrücken. Hier werden zwar auch »Erlebnisse«, »Gedanken« und »Gefühle« genannt, da aber später ja nur noch von Wahrnehmungen die Rede sein wird, genügt hier die Formulierung »gründet sich auf Sinneseindrücken«.
Doch halt! Wirklich »was auch immer man glaubt«? Im Kontext dieser sonst sehr starken Formulierung und im Lichte der genannten Beispiele ist schnell klar, dass es hier gerade nicht um Überzeugungen »über das Innere seines eigenen Bewusstseins« gehen soll. Man sollte also wohlwollend präzisieren: »Unsere Überzeugungen über die Außenwelt beruhen auf Sinneseindrücken.«
Der dann folgende zweite Absatz fragt rhetorisch: Was wäre für unser Empfinden denn anders, wenn all dies falsch wäre? Dadurch soll die Aussage plausibel gemacht werden, dass uns die Sinne durchaus täuschen können. Anders gesagt: Etwas, das auf Sinneseindrücken beruht, kann auch falsch sein. Dessen kann man sich also eben nicht sicher sein.
Diese Interpretationsergebnisse lassen sich wie folgt als eine Argumentrekonstruktion übersichtlich darstellen:
-
P1. Unsere Überzeugungen über die Außenwelt beruhen auf Sinneseindrücken.
-
P2. Alles, was auf Sinneseindrücken beruht, könnte falsch sein.
-
———
-
K. Unsere Überzeugungen über die Außenwelt könnten falsch sein.
Diese bewährte Form zur Darstellung von Argumentrekonstruktionen, d. h. der Ergebnisse von Interpretationsprozessen von Argumenten, bezeichnet man als ›Standarddarstellung‹ oder ›Standardform‹. Was das in allen Details bedeutet, wird in 2.4 herausgearbeitet. Für den Moment genügt das Folgende:
Vorläufige Definition: Eine Standarddarstellung (oder Standardform) einer Argumentrekonstruktion ist eine Liste von Aussagen, deren Aufzählungszeichen passende Kürzel sind: »K.« steht für die Konklusion am Ende und darüber »P1.«, »P2.« usw. für die fortlaufend nummerierten Prämissen. Prämissen und die Konklusion trennt ein Querstrich, der den Begründungs- oder Schlussschritt anzeigt. Die Reihenfolge der Prämissen ist gleichgültig.
Versuchen wir eine solche Rekonstruktion in Standarddarstellung auch gleich in einem weiteren Fall. Im ersten Beispiel haben wir ein längeres Textstück interpretiert und eine deutlich kürzere Rekonstruktion des in diesem Textstück formulierten Arguments erhalten. Doch diese Längenverhältnisse können auch genau andersherum sein. Zwei Seiten später schreibt Nagel:
[22]So ist es sogar möglich, dass wir einen Körper oder ein Gehirn gar nicht haben – schließlich kommt es zu unserem Glauben hieran gleichfalls nur durch das Zeugnis unserer Sinne.9
Anders als im ersten Beispiel findet sich hier ein direkter Argumentations-Anzeiger: Das Wort »schließlich« macht explizit deutlich, dass die Aussage vor ihm durch die Aussage nach ihm begründet werden soll. Doch wie genau soll diese Begründung aussehen? Es scheint, als hätten wir schlicht eine Prämisse und eine Konklusion:
- P.
Dass wir einen Körper oder ein Gehirn haben, glauben wir nur aufgrund unserer Sinneswahrnehmung.
- K.
Es könnte falsch sein, dass wir einen Körper oder ein Gehirn haben.
Den Übergang von dieser Prämisse zur Konklusion versteht man jedoch dann deutlich besser, wenn man den größeren Kontext dieser Passage einbezieht, aus dem wir ja gerade bereits ein Argument rekonstruiert haben. Und Nagel zeigt durch das erste Wort »So« sogar deutlich an, dass dieses Argument an Überlegungen anschließt, die vorher bereits ausgeführt waren. Doch wie genau lässt sich dieser Übergang in einer Argumentrekonstruktion darstellen?
An dieser Stelle geht Nagel offenbar davon aus, dass uns beim Lesen der kurzen Passage eine weitere Aussage einschlägig bekannt ist. Sie wird zwar nicht explizit genannt, ist aber dennoch für die Begründung der Konklusion wichtig. Und in der Tat bieten die erste Prämisse und die Konklusion bereits einen wichtigen Anhaltspunkt dafür, wie diese Prämisse [23]aussehen müsste: In beiden Thesen wird nämlich von der Aussage gesprochen, dass wir einen Körper oder ein Gehirn haben. Die Prämisse besagt, dass wir diese Aussage nur aufgrund unserer Sinneswahrnehmung glauben. Die Konklusion besagt, dass sie auch falsch sein könnte. Was also offenbar fehlt, ist die These, dass etwas, das wir nur aufgrund unserer Sinneswahrnehmung glauben, auch falsch sein könnte. Diese These wird hier zwar gar nicht genannt, aber so oder so ähnlich bereits vorher formuliert: P2 in Rekonstruktion 1 entspricht dieser These fast genau.
Damit sind wir bei dem folgenden Ergebnis angelangt:
- P1.
Dass wir einen Körper oder ein Gehirn haben, glauben wir nur aufgrund unserer Sinneswahrnehmung.
- P2.
Alles, was wir nur aufgrund unserer Sinneswahrnehmung glauben, könnte falsch sein.
-
———
- K.
Dass wir einen Körper oder ein Gehirn haben, könnte falsch sein.
Für Prämissen wie P2 in diesem Argument gibt es übrigens eine feststehende Bezeichnung:
Eine nicht explizit genannte Prämisse nennt man eine implizite Prämisse, und ein Argument, in dem nicht alle Prämissen explizit genannt sind, nennt man ein Enthymem.
Es gehört zum Alltag unseres Argumentierens, dass gelegentlich relevante Aussagen als selbstverständlich vorausgesetzt und gar nicht erwähnt werden, dass sie erst an anderen Stellen des Texts oder des Gesprächs zu finden sind oder auch schlicht unklar oder unvollständig ausformuliert werden. Das [24]ist auch im Regelfall völlig unproblematisch, ja sogar wichtig, damit wir einander nicht mit unnötigen Wiederholungen von längst Etabliertem langweilen. Doch bei der Rekonstruktion von Argumenten darf man es dabei nicht bewenden lassen. Hier geht es ja darum, Argumente genau und kritisch prüfen zu können. Deswegen muss alles potentiell Kontroverse tatsächlich offen auf dem Tisch liegen und zum Gegenstand der Diskussion gemacht werden können. Wenn eine auf diese Weise explizit gemachte vormals implizite Prämisse in der Sache ganz unproblematisch ist: umso besser. Doch kann es ebenso gut passieren, dass sich eine solche zunächst implizite Prämisse als besonders kontrovers herausstellt. In 1.4 werden wir das genauer betrachten, sogar am Beispiel von Rekonstruktion 2.
So weit zunächst unsere ersten Interpretationsarbeiten und Argumentrekonstruktionen. Was ist von den beiden so rekonstruierten Argumenten zu halten? Und wie und nach welchen Kriterien kann man Argumente überhaupt bewerten bzw. evaluieren? Um uns einer möglichen Beantwortung dieser Fragen zu...
Erscheint lt. Verlag | 6.9.2022 |
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Reihe/Serie | Reclams Universal-Bibliothek | Reclams Universal-Bibliothek |
Verlagsort | Ditzingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Philosophie der Neuzeit |
Schlagworte | Analyse • Auszüge • Basiswissen Argumentieren • Basiswissen Aussagenlogik • Basiswissen Logik • Basiswissen logische Argumentanalyse • Basiswissen logische Argumente • Basiswissen Philosophie • Basiswissen philosophische Argumente • Basiswissen Prädikatenlogik • Buch Argumentieren • Buch Argumentieren lernen • Buch Argumentstruktur • Buch Aussagenlogik • Buch denXte • Bücher Philosophie • Buch Ethikunterricht • Buch Logische Argumentanalyse • Buch Logische Argumente • Buch Philosophiedidaktik • Buch Philosophieunterricht • Buch philosophische Argumente • Buch Prädikatenlogik • Buch Sprachphilosophie • Buch Theoretische Philosophie • Buch Was sind Argumente • Buch Wie funktionieren philosophische Argumente • David Löwenstein Argumentieren • David Löwenstein Argumentieren lernen • David Löwenstein Argumentstruktur • David Löwenstein Aussagenlogik • David Löwenstein denXte • David Löwenstein Ethikunterricht • David Löwenstein Logik • David Löwenstein Logische Argumentanalyse • David Löwenstein Logische Argumente • David Löwenstein Philosophie • David Löwenstein Philosophiedidaktik • David Löwenstein Philosophieunterricht • David Löwenstein philosophische Argumente • David Löwenstein Prädikatenlogik • David Löwenstein Sprachphilosophie • David Löwenstein Theoretische Philosophie • David Löwenstein Was sind Argumente • David Löwenstein Wie funktionieren philosophische Argumente • Einführung Argumentieren • Einführung Argumentieren lernen • Einführung Argumentstruktur • Einführung Aussagenlogik • Einführung denXte • Einführung Ethikunterricht • Einführung Logik • Einführung Logische Argumentanalyse • Einführung Logische Argumente • Einführung Philosophie • Einführung Philosophiedidaktik • Einführung Philosophieunterricht • Einführung philosophische Argumente • Einführung Prädikatenlogik • Einführungsbuch Argumentieren • Einführungsbuch Aussagenlogik • Einführungsbuch Logik • Einführungsbuch logische Argumentanalyse • Einführungsbuch logische Argumente • Einführungsbuch Philosophie • Einführungsbuch philosophische Argumente • Einführungsbuch Prädikatenlogik • Einführung Sprachphilosophie • Einführung Theoretische Philosophie • Einführung Was sind Argumente • Einführung Wie funktionieren philosophische Argumente • Erklärung Argumentieren • Erklärung Aussagenlogik • Erklärung Logik • Erklärung logische Argumentanalyse • Erklärung logische Argumente • Erklärung Philosophie • Erklärung philosophische Argumente • Erklärung Prädikatenlogik • Erläuterung • Erläuterung Argumentieren • Erläuterung Aussagenlogik • Erläuterung Logik • Erläuterung logische Argumentanalyse • Erläuterung logische Argumente • Erläuterung Philosophie • Erläuterung philosophische Argumente • Erläuterung Prädikatenlogik • Ethik • Ethik-Unterricht • Geisteswissenschaft • gelb • Grundlagen • Grundlagen Argumentieren • Grundlagen Aussagenlogik • Grundlagen Logik • Grundlagen logische Argumentanalyse • Grundlagen logische Argumente • Grundlagen Philosophie • Grundlagen philosophische Argumente • Grundlagen Prädikatenlogik • Hilfe Argumentieren • Hilfe Argumentieren lernen • Hilfe Argumentstruktur • Hilfe Aussagenlogik • Hilfe Ethikunterricht • Hilfe Logische Argumentanalyse • Hilfe Logische Argumente • Hilfe Philosophiedidaktik • Hilfe Philosophieunterricht • Hilfe Prädikatenlogik • Ideengeschichte • Lektüre • Philosophie • philosophie texte • Philosophie-Unterricht • philosophische Bücher • Reclam Hefte • Textanalyse • Textsammlung • Wissen • Wissenschaft • Wissenschaftstheorie |
ISBN-10 | 3-15-962046-8 / 3159620468 |
ISBN-13 | 978-3-15-962046-6 / 9783159620466 |
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