Entrüstet euch! (eBook)
208 Seiten
bene! eBook (Verlag)
978-3-96340-250-0 (ISBN)
Margot Käßmann, Jahrgang 1958, ist eine der bekanntesten kirchlichen Persönlichkeiten Deutschlands. In und nach ihrer Zeit als hannoversche Landesbischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland gewann sie mit ihrer offenen und geradlinigen Art die Wertschätzung und Sympathien vieler Menschen. Sie ist Mutter von vier erwachsenen Töchtern und Großmutter von sieben Enkelkindern. Konstantin Wecker, Jahrgang 1947, Poet, Sänger und Komponist, engagiert sich seit Jahrzehnten für Zivilcourage, Pazifismus und Antifaschismus. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Erich-Fromm-Preis (2007), dem Ehrenpreis des Bayerischen Kabarettpreises (2013), dem Erich-Mühsam-Preis (2016), dem Deutschen Kleinkunstpreis - Ehrenpreis des Landes Rheinland-Pfalz (2017), dem Bayerischen Staatspreis für Musik - Sonderpreis (2017) und dem Göttinger Friedenspreis (2018). Von der Universität Landau wurde er mit der Thomas-Nast-Gastprofessur ausgezeichnet. Wenn er nicht gerade auf Tour ist, lebt er in München oder in seinem Haus in der Toskana. www.wecker.de
Margot Käßmann, Jahrgang 1958, ist eine der bekanntesten kirchlichen Persönlichkeiten Deutschlands. In und nach ihrer Zeit als hannoversche Landesbischöfin und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland gewann sie mit ihrer offenen und geradlinigen Art die Wertschätzung und Sympathien vieler Menschen. Sie ist Mutter von vier erwachsenen Töchtern und Großmutter von sieben Enkelkindern. Konstantin Wecker, Jahrgang 1947, Poet, Sänger und Komponist, engagiert sich seit Jahrzehnten für Zivilcourage, Pazifismus und Antifaschismus. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Erich-Fromm-Preis (2007), dem Ehrenpreis des Bayerischen Kabarettpreises (2013), dem Erich-Mühsam-Preis (2016), dem Deutschen Kleinkunstpreis – Ehrenpreis des Landes Rheinland-Pfalz (2017), dem Bayerischen Staatspreis für Musik – Sonderpreis (2017) und dem Göttinger Friedenspreis (2018). Von der Universität Landau wurde er mit der Thomas-Nast-Gastprofessur ausgezeichnet. Wenn er nicht gerade auf Tour ist, lebt er in München oder in seinem Haus in der Toskana. www.wecker.de
Margot Käßmann · Konstantin Wecker
Für eine starke Stimme des Pazifismus
Margot Käßmann und Konstantin Wecker, aus je eigener Perspektive setzen Sie sich seit Jahrzehnten sehr engagiert für den Frieden ein. Nun, im Jahr 2022, haben wir wieder Krieg – mitten in Europa. Wie nehmen Sie als Pazifistin und als Pazifist Putins Angriffskrieg auf die Ukraine wahr?
Wecker: Was geschieht, ist erschütternd. Als Pazifist bin und bleibe ich fest davon überzeugt, dass nur eine internationale Friedens- und Antikriegsbewegung diesen verbrecherischen Angriffskrieg gegen die Ukraine stoppen kann und wird. Dafür müssen wir aufstehen und auf die Straßen und Plätze der Welt ziehen, auch um einen noch viel größeren Krieg zu verhindern!
Käßmann: Ja, es ist ein erschütterndes Gefühl von Ohnmacht, die Bilder der Bombardierungen auf ukrainische Städte zu sehen. Verängstigte Kinder, weinende Menschen, tote Zivilist*innen und Soldat*innen, weil ein Mann es will. Die Politik hat kurzfristig eine Kehrtwende vollzogen: Waffenlieferungen in die Ukraine, 100 Milliarden für die Bundeswehr, Zweiprozentziel der NATO ins Grundgesetz. Da stockt mir der Atem. Was alles ist finanziell angeblich nicht möglich an sozialen Projekten, an Erreichen von Klimazielen. Und dann werden derartige Summen schnell beschlossen? Wahnsinn.
Frau Käßmann, viele hat es irritiert, dass Sie als Kirchenfrau mit dem nicht gerade als religiöser Mensch bekannten Konstantin Wecker auftreten.
Sie sind sich schon im Klaren darüber, auf wen Sie sich da eingelassen haben als Bündnispartner!? Konstantin Wecker ist ein hartgesottener linker Anarchist – außerdem einer, der auf der Bühne am Klavier, bei den Liedtexten, genauso wie in seinen Musikstücken klarmacht, dass in ihm ein sehr männlicher Kämpfer steckt, wenn auch ein friedfertiger. Und dann ist er auch noch aus der Kirche ausgetreten.
Käßmann: Ich habe nie Mühe gehabt, mich mit Menschen zu treffen und zusammenzutun, die ähnliche Ziele verfolgen – wenn auch aus anderen Motiven. Da habe ich keine Berührungsängste.
Umgekehrt gilt natürlich dasselbe, Herr Wecker: Margot Käßmann ist als Ex-Bischöfin der Hannoverschen Landeskirche und als Ex-EKD-Ratsvorsitzende eine Frau des Establishments. Eine Frau, die gezeigt hat, dass die Kirche eine weibliche Seite hat: Erschreckt Sie das alles nicht?
Wecker: Im Gegenteil. Das begeistert mich. Ich habe immer wieder Kommentare von ihr gelesen, etwa damals vor dem Afghanistankrieg. Da habe ich mir gedacht: Mensch, diese Frau hat Mut! Und das steht in einer Linie mit der von mir sehr verehrten Dorothee Sölle, von deren Buch »Mystik und Widerstand« ich völlig hingerissen bin. Dieser Mut beschäftigt mich zurzeit immer mehr. Zur Spiritualität zu stehen, die in einem wohnt, und trotzdem nicht auf das politische Engagement zu verzichten. Sich nicht zurückzuziehen in die Gottessuche, sondern diese zu verbinden mit der Suche nach einer friedlicheren und gerechteren Welt – da gibt es bei mir keine Berührungsängste, sondern ganz im Gegenteil: viel Bewunderung.
Käßmann: Das freut mich. In deinem Buch Mönch und Krieger habe ich dieses spirituelle Moment natürlich auch gefunden. Da gibt es für mich tatsächlich einen inneren Zusammenhang, und da würde ich Dorothee Sölle sehr zustimmen. Sie hat mich früher auch immer ermutigt. Ich habe sie 1983 bei der Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Vancouver erlebt. Die Evangelische Kirche in Deutschland wollte nicht, dass sie da auftritt. Dann stand sie da, diese kleine Frau, und sagte: »Ich komme zu Ihnen aus einem Land mit einer blutigen, nach Gas stinkenden Geschichte«. Die Empörung bei der deutschen Delegation war enorm. Aber sie hat ihre Botschaft rübergebracht.
Wie haben Sie beide denn überhaupt zusammengefunden?
Wecker: Ich hatte mich schon ein paarmal im Internet für Margot Käßmann ausgesprochen, auch im Jahr 2010 nach ihrem Satz: »Nichts ist gut in Afghanistan!« Als sie kurz darauf nach einem SPIEGEL-Interview auf sehr unappetitliche Weise von mehreren Medien angegangen wurde, hat mir das überhaupt nicht gefallen. Ich musste meinem Ärger in einem Blogeintrag Luft machen.
Käßmann: Auf deinen Kommentar bin ich aufmerksam gemacht worden, er hat mich sehr gefreut, weil ich damals viel Spott und Häme erlebt habe. Eigentlich bin ich Shitstorms gewohnt – diesmal fand ich es aber besonders erschreckend, weil die Äußerungen zeigten: Es gibt gar keinen Sinn für Pazifismus mehr, stattdessen bricht sich auf einmal so eine Kriegssprache Bahn. Vor dreißig Jahren haben wir gesagt: »Gewaltfreie Revolution, jetzt muss der Krieg abgeschafft werden, und alles wird ganz anders!« Heute bestücken wir Bürgerkriegsparteien mit Waffen aus Deutschland. Das empört mich wirklich, und da habe ich mich natürlich gefreut, in Konstantin Wecker jemanden zu finden, der seine Linie nie aufgegeben hat.
Haben Sie dann auch weitere Themen gefunden, die Sie beide verbinden?
Wecker: Ja sicher. Religion und Kirche interessieren auch mich. Was darf die Kirche, was darf sie nicht? Ich bin ja aus der katholischen Kirche ausgetreten. Die Wahl von Papst Franziskus hielt ich für großartig. Trotzdem war er kein Grund für mich, wieder einzutreten. Letztlich ist ja auch das meiste beim Alten geblieben. Irgendwann habe ich mal gesagt: Erst wenn eine Frau Papst wird, würde ich wieder in die katholische Kirche eintreten.
Viel wichtiger als das Thema »Kirche« ist doch der Glaube. Über Mystik habe ich viel nachgedacht, über die Notwendigkeit mystischer Elemente. Eigentlich gilt die evangelische Kirche eher als nüchterne, als rationale Kirche. Die Offenheit für Mystik wird eher dem Katholizismus zugesprochen, obwohl vieles daran wohl eher Scheinmystik ist – mehr Weihrauch als Mystik.
Käßmann: Ein spannendes Thema. Für mich ist die evangelische Kirche erst einmal einfach eine Verbindung der Gläubigen und keine Heilsvermittlerin. In der evangelischen Kirche, und das verstehe ich sehr gut, empfinden viele ein Defizit an Spiritualität. Andererseits muss ich sagen: In den letzten Jahren und Jahrzehnten ist Spiritualität auch wieder gewachsen, weil die Menschen Sehnsucht haben nach der Sinnlichkeit des Glaubens. Die Reformatorinnen und Reformatoren haben gesagt: Die Sinnlichkeit des Lebens – dazu gehören auch Familie und Sexualität im weltlichen Alltag – ist gutes Leben vor Gott. Diese Sinnlichkeit haben sie auch gezeigt, indem sie sich entschlossen, den Zölibat hinter sich zu lassen, zu heiraten und Familien zu gründen. Leider ist das Bewusstsein dafür ein bisschen verloren gegangen durch die Konzentration auf das Wort. Aber wir praktizieren in den evangelischen Kirchen auch Schweigen, Meditation und Gebet. Pilgern ist ganz wichtig geworden in den letzten Jahren. Die evangelischen Klöster sind sehr gefragt.
Ich frage noch einmal: Was ist der erste Berührungspunkt gewesen? Wie hatten Sie sich bisher wahrgenommen?
Wecker: Wenn ich an Margot Käßmann denke, dann denke ich an Pazifismus und daran, dass sie den Mund aufmacht. Das sind zwei Punkte, die für mich sehr maßgeblich sind. Margot Käßmann hat es vorhin schon zu Recht gesagt: Wir Pazifisten werden immer weniger. Die Stimme des Pazifismus versiegt. Dabei weiß ich nicht mal, ob ich in jedem Fall mit meiner pazifistischen Einstellung recht habe. Ich weiß auch nicht, ob ich eine pazifistische Haltung wirklich durchhalten könnte, wenn es mir persönlich an den Kragen ginge. Aber eines weiß ich als Künstler: Die Stimme des Pazifismus darf nicht verloren gehen. Wenn es diese Stimme nicht mehr gibt, dann wird auch die Idee verschwinden. Im Endeffekt bewirke ich, indem ich hier sitze und über den Frieden rede, genauso wenig wie Sie, wenn Sie forderten: »Wir müssen jetzt gegen jemanden Gewalt anwenden.« Unsere Meinung wird nicht wirklich gehört. Aber Ihre Stimme wäre eine, die das Gleiche fordert wie 99 Prozent der Menschen, und meine Stimme gehörte zu dem restlichen einen Prozent. Diese Stimme möchte ich wenigstens bewahrt wissen. Sie darf nicht verstummen, das ist mir sehr wichtig. Denn eines ist sicher: Wir werden künftig entweder eine Menschheit haben, die ohne Kriege auskommt, oder eben gar keine Menschheit mehr.
Sie träumen von einer Menschheit ohne Kriege – zeigt der Krieg in der Ukraine nicht, dass das utopisch ist?
Käßmann: Ich sage: Wir brauchen Träumer! Die Menschen, die mich in meinem Leben begeistert haben, waren Träumer. Bundeskanzler Helmut Schmidt soll ja einmal gesagt haben: Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen. Ich dagegen bin überzeugt: Wir brauchen Visionäre. Martin Luther King etwa war der Held meiner Jugend. Ich habe mal ein Austauschjahr als Schülerin in Amerika verbracht. Da habe ich Rassismus erlebt, den ich damals so in Deutschland nicht kannte. Und dann habe ich angefangen, Martin Luther King zu lesen. Der war ein Visionär! Der Rassismus in Amerika ist heute sicher noch nicht überwunden, aber dass es überhaupt möglich ist, dass jemand mit dunkler Hautfarbe Präsident, Vizepräsidentin oder Richterin am Obersten Gericht wird, das hat seinen Ursprung im damaligen Kampf gegen Rassismus. Martin Luther King ist sehr, sehr standhaft...
Erscheint lt. Verlag | 1.7.2022 |
---|---|
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie |
Schlagworte | Abrüsten • Angriffskrieg • Antje Vollmer • Arno Gruen • Atomschlag • Aufrüstung • Bundeswehr • Christen für den Frieden • christlicher Glaube im Alltag • christlicher Glaube in der Politik • christliche Werte • Ende der Gewalt • Eugen Drewermann • frieden durch Krieg • Frieden durch Waffengewalt? • Friedensbewegung • Frieden schaffen ohne Waffen • Friedensgebet • Friedenslieder • Frieden und Religion • friedliche Lösung Ukraine • Friedrich Schorlemmer • Gebete für den Frieden • Gesellschaftskritische Bücher • gewaltloses Handeln • Gewaltlosigkeit • Heiliger Krieg • Irak Krieg • Jörg Zink • Konstantin Wecker • Krieg 20. Jahrhundert • Krieg in Europa • Krieg Ukraine • Krieg und Religion • Lieder zum Frieden • Margot Käßmann • Martin Luther King • Mutige Stimmen gegen den Krieg • Nichts ist gut in Afghanistan • Pazifismus • Pazifismus in Kriegszeiten • pazifistische Bewegung • politische Bücher • Russland Ukraine Konflikt • rüstungsausgaben • Rüstungsindustrie • Schwerter zu Pflugscharen • Spiritualität • Texte zum Frieden • Ukraine Krieg • Verteidigungsausgaben • Waffengewalt mit Waffen stoppen • Waffenhandel • Waffenlieferungen • Waffenlieferung in Kriegsgebiete • was ist pazifismus • Wehretat • Weltfrieden • Wladimir Putin • Zivilcourage |
ISBN-10 | 3-96340-250-4 / 3963402504 |
ISBN-13 | 978-3-96340-250-0 / 9783963402500 |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
Größe: 797 KB
DRM: Digitales Wasserzeichen
Dieses eBook enthält ein digitales Wasserzeichen und ist damit für Sie personalisiert. Bei einer missbräuchlichen Weitergabe des eBooks an Dritte ist eine Rückverfolgung an die Quelle möglich.
Dateiformat: EPUB (Electronic Publication)
EPUB ist ein offener Standard für eBooks und eignet sich besonders zur Darstellung von Belletristik und Sachbüchern. Der Fließtext wird dynamisch an die Display- und Schriftgröße angepasst. Auch für mobile Lesegeräte ist EPUB daher gut geeignet.
Systemvoraussetzungen:
PC/Mac: Mit einem PC oder Mac können Sie dieses eBook lesen. Sie benötigen dafür die kostenlose Software Adobe Digital Editions.
eReader: Dieses eBook kann mit (fast) allen eBook-Readern gelesen werden. Mit dem amazon-Kindle ist es aber nicht kompatibel.
Smartphone/Tablet: Egal ob Apple oder Android, dieses eBook können Sie lesen. Sie benötigen dafür eine kostenlose App.
Geräteliste und zusätzliche Hinweise
Buying eBooks from abroad
For tax law reasons we can sell eBooks just within Germany and Switzerland. Regrettably we cannot fulfill eBook-orders from other countries.
aus dem Bereich