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Higher Self - Psychedelika in der Psychotherapie (eBook)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
328 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11973-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Higher Self - Psychedelika in der Psychotherapie -  Gregor Hasler
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Sich wieder mit der Welt und sich selbst verbinden Was genau sind Psychedelika und warum spielen sie eine zunehmend wichtige Rolle in den Bereichen Medizin, Resilienz und Spiritualität? Wie Psychedelika die Neuroplastizität verstärken und es dadurch ermöglichen, das Bewusstsein zu erweitern und das Selbst zugleich durchlässiger und widerstandsfähiger zu machen. Psychopharmaka wirken vorwiegend durch Veränderungen der Gehirnchemie. Psychedelika dagegen bedienen einen der stärksten Wirkfaktoren von Psychotherapie: Sie ermöglichen Bewusstseinserweiterung durch direkte Erfahrung. Der Psychiater Gregor Hasler erklärt, wie genau LSD, Psilocybin, MDMA (Ecstasy), Ketamin und Esketamin erlebte Einsicht fördern und wie sie die Neuroplastizität verstärken. Psychedelika-Psychotherapie ist eine Methode, sich der Welt und sich selbst wieder anzunähern. Bei schwer traumatisierten Menschen ist die Annäherung allgemein besonders schwierig und auch gefährlich. Hier kommt der Helioskop-Effekt von Psychedelika zu Hilfe: Sie haben einen Schutzfaktor »eingebaut«, der es erlaubt, mitten in seinen Schmerz zu schauen, ohne dabei wie von der Sonnenhitze der Gefühle verbrannt zu werden. So können Psychedelika als wichtige Katalysatoren psychotherapeutischer Prozesse dienen.

Prof. Dr. med. Gregor Hasler ist ordentlicher Professor für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Freiburg in der Schweiz, Chefarzt und Leiter der psychiatrischen Forschungsabteilung des Freiburger Netzwerks für Psychische Gesundheit. Seine Forschungsschwerpunkte sind neurowissenschaftliche Psychiatrie, bio-psycho-soziale Interaktionen, Stress, Depression und Essstörungen. Haslers vielfältige wissenschaftliche Publikationen wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.

Prof. Dr. med. Gregor Hasler ist ordentlicher Professor für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Freiburg in der Schweiz, Chefarzt und Leiter der psychiatrischen Forschungsabteilung des Freiburger Netzwerks für Psychische Gesundheit. Seine Forschungsschwerpunkte sind neurowissenschaftliche Psychiatrie, bio-psycho-soziale Interaktionen, Stress, Depression und Essstörungen. Haslers vielfältige wissenschaftliche Publikationen wurden mehrfach mit Preisen ausgezeichnet.

Kapitel 1

Die richtige Wahrnehmung: der Weg zur unmittelbaren Erfahrung


Als Kind habe ich die enorme Bedeutung der Wahrnehmung für unser Wohlbefinden direkt erlebt. Meine Großmutter hatte über einige Monate plötzlich einschießende, vernichtende Gesichtsschmerzen. Ein Neurologe diagnostizierte eine Trigeminusneuralgie. Die Medikamente, die man ihr zur Vorbeugung und Linderung der Schmerzen empfahl, lehnte sie jedoch ab. Lieber wollte sie eine radikale Lösung des Problems und meldete sich bei einem Neurochirurgen. Dieser zerstörte einen Teil ihres Trigeminusnervs. Nach diesem Eingriff hatte sie tatsächlich keine Schmerzen mehr, doch ihre Wahrnehmung hatte sich deutlich verändert. Die Speisen im Mund konnte sie nicht mehr als Speisen spüren, sondern nur noch als störende Klöße. Rotwein schmeckte auf einmal so salzig, dass sie ihn ausspucken musste. Der Apfelkuchen, den sie so liebte, schmeckte nach Papier. Ferner hatte sich auch ihr Gehör verschlechtert und kosende Berührungen am Gesicht nahm sie als grobe Behandlung mit Schmirgelpapier wahr. Sprich: Ihre Wahrnehmung hatte sich komplett verändert und damit auch die Dinge, die sie für wahr hielt. Sie kam sich selbst fremd vor und konnte auch die Welt nicht mehr verstehen. In der Folge verschlechterte sich ihr geistiger und körperlicher Gesundheitszustand dramatisch. Sie, die Künstlerin mit überschäumenden Ideen und Plänen, die mit uns Enkeln Kirchenfenster bastelte, weil diese das Licht so schön brachen, begann, träge und lustlos zu werden, bis sie schließlich jegliches Interesse am Leben verlor und nur noch sterben wollte. Ein paar Monate später verschied sie an einer Lungenentzündung.

Die letzten Jahre meiner Großmutter lassen vermuten, was viele Studien belegen: Die Wahrnehmung ist für unsere psychische Gesundheit von großer Bedeutung. Zum Beispiel führt der Verlust des Sehvermögens nicht selten zu schweren psychischen Störungen. Zu den Folgen von Hörverlust gehören Depression, paranoider Wahn und Demenz. Anhaltende Lärmbelastung und Tinnitus, die Wahrnehmung von Phantomgeräuschen und -tönen, können zu schweren Stressstörungen führen. Gewisse Wahrnehmungsveränderungen treten bei bestimmten Krankheiten besonders häufig auf. Bei der posttraumatischen Belastungsstörung führen komplexe Wahrnehmungsveränderungen zu sensorischer Taubheit, Licht-Überempfindlichkeit und sensorischen Unverträglichkeiten aller Art. Bei schwerer Depression können Geruchshalluzinationen auftreten, sodass die betroffenen Patienten über verdorbenen, verfaulten oder verbrannten Geruch klagen. Ein Mangel an sinnlicher Wahrnehmung ist das weitaus häufigste psychologische Problem in der Allgemeinbevölkerung. Er äußert sich in übermäßig abstraktem und unkonkretem Denken, negativem Gedankenkreisen, Grübeln und Entfremdungsgefühlen. An solchen und ähnlichen Beschwerden leiden große Teile der Bevölkerungen in modernen Industriestaaten.

Die richtige Wahrnehmung ist für unser Wohlbefinden zentral. Kleinkinder entwickeln sehend, hörend und tastend sowie mittels Körperwahrnehmung ein Urvertrauen in sich und ihre Umgebung. Da überrascht es nicht, dass die Psychiatrie eine Reihe von Behandlungen entwickelt hat, um die Wahrnehmung zu verändern.1 Die Bestrahlung mit hellem Licht ist eine Standardtherapie in der Depressionsbehandlung. Hörgeräte und Gehörtrainings haben das Potenzial, Demenzen zu verlangsamen. Die positive Stimulation des Gehörs, etwa durch Musik, löst Ängste und stärkt positive soziale Gefühle. Diese Therapieansätze sind aber nur die Spitze eines Eisbergs von Wahrnehmungsveränderungsmethoden, die jahrtausendetief in die Ursprünge der menschlichen Kultur und Philosophie reichen. Die aktuell einflussreichsten stammen aus der indischen und buddhistischen Psychologie. Vipashyana (oder Vipassana) ist ein zentraler Begriff dieser Psychologie und bedeutet »achtsames Sehen«, »klares Sehen«, »direktes Sehen« oder »einsichtsvolles Sehen«, wobei Sehen in diesem Fall für die gesamte Wahrnehmung steht. Eine Flut wissenschaftlicher Studien zur Wirkung von Achtsamkeit bei Depression, Angst, Schmerz, Sucht und Trauma-Folgestörungen sowie die extreme Beliebtheit dieser Methode in der Psychotherapie und bei Entspannungsübungen weisen darauf hin, dass eine besonders direkte, achtsame, klare und einsichtsvolle Wahrnehmung von uns und der Welt das Wohlbefinden und die psychische Resilienz stärken kann.2

Frühe Psychedelika-Erfahrungen in Indien


Die große Bedeutung der richtigen Wahrnehmung in der östlichen Psychologie hat ihre Wurzeln im Rigveda, dem ältesten Teil der indischen Veden. In Hunderten von Hymnen beschreiben die Autoren die Veränderung der Wahrnehmung durch Soma, ein Psychedelikum, das vermutlich aus dem Fliegenpilz gewonnen wurde. So heißt es dort zum Beispiel:35

  • Soma klärt und reinigt die Wahrnehmung.

  • Soma verleiht ein weites Auge, das alle Seiten sieht.

  • Soma hat tausend Augen.

  • Soma schenkt die Weisheit eines Sehers.

  • Soma vermittelt Einsichten, die mutig machen.

  • Soma erlaubt es, Sonnen zu finden und Sonnen zu sehen.

Außerdem wird im Rigveda auch zum ersten Mal ein Asket schriftlich erwähnt. Er hat lange Haare, das künftige Merkmal indischer Asketen und Yogi, und heißt Kesin. Unter dem Einfluss von Soma nimmt Kesin wahr, dass seine Atmung mit den kosmischen Winden zusammenhängt, sein Bewusstsein also mit dem kosmischen Bewusstsein. Diese Erfahrung inspirierte die Entwicklung des indischen Denkens massiv und gipfelte in der Upanischaden-Formel »Atman = Brahman«, wobei Ersteres, das die gleiche Wortwurzel wie das deutsche Verb »atmen« hat, für den atmenden Körper und das Selbst steht, Letzteres für den Kosmos, die letzte Realität (dazu später mehr). Es ist dabei wichtig zu wissen, dass Menschen, die in Rigveda-Traditionen lebten, keine Asketen waren und die von ihnen angepriesenen Wahrnehmungsveränderungen vor allem praktisch-weltlicher und nicht spiritueller Natur: Kühe und Land finden, den passenden Partner wählen, bei Auseinandersetzungen mutig bleiben, zwischenmenschliche Konflikte besser erkennen und den richtigen Weg im Leben einschlagen. Kesin mit seiner kosmischen Wahrnehmung war in dieser Phase des indischen Denkens noch ein sonderbarer Außenseiter.

Aus heutiger Sicht kann man sagen: Die Veränderung der Wahrnehmung durch Soma ließ die indische Psychologie eine wichtige Erkenntnis machen, die zu einem zentralen Thema der modernen Neurowissenschaften, Bewusstseins- und Psychotherapieforschung geworden ist: Unser Hirn ist ein Filter oder ein Ventil. Seine Aufgabe ist es, unser Bewusstsein von allem abzuschirmen, was nicht von praktischem Interesse für uns ist. Das menschliche Bewusstsein ist vergleichbar mit einem Adler, der aus großer Höhe eine Maus oder ein anderes kleines Beutetier erkennen kann. Das Gehör des Adlers allerdings ist schlecht. Diese Art Bewusstsein hat die Tendenz, übermäßig stark zu fokussieren, rational, instrumentell und nutzenorientiert zu sehen und zu denken. Wenn es keinen Nutzen verfolgen kann, ist es schnell gelangweilt und erschöpft. Offenheit ist seine Schwäche. Ferner hat es Mühe, sich seiner selbst bewusst zu werden, dazu ist es zu tunnelartig angelegt und zu sehr nach außen orientiert.

Aus dieser Rolle des Gehirns wird klar, dass wir je nach Art unserer Wahrnehmung besser oder schlechter mit unserer Umwelt und uns selbst verbunden sind. Die Verbindung entsteht durch bewusstes und unbewusstes Filtern und Zusammenführen von Teilinformationen zu sinnvollen Gesamteindrücken. Wahrnehmung ist ein aktiver Prozess, in dem unsere Aufmerksamkeit und unsere Bewegungen im Raum das Wahrgenommene bestimmen. Die moderne Neurowissenschaft zeigt, dass in diesem Prozess unsere vorgefassten Erwartungen und Werturteile das Wahrgenommene massiv beeinflussen und dass das Wahrgenommene laufend mit unseren Vorstellungen von der Welt abgeglichen wird. Dieser Prozess ist für unser Leben von herausragender Bedeutung. Denn wie schon...

Erscheint lt. Verlag 19.11.2022
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte Angsterkrankungen • Bewusstseinserweiterung • Bewusstseinsforschung • Depression • Drogen • Drogen bei psychischen Problemen • Fallbeispiele • Heilsame Wirkung Drogen • mentale Gesundheit • Praxisbuch • Psyche • Psychedelika • psychedelische Substanzen • Psychische Erkrankung • Psychische Gesundheit • Psychische Störung • Psychologie • Sachbuch • Therapie mit Drogen • Traumatherapie
ISBN-10 3-608-11973-6 / 3608119736
ISBN-13 978-3-608-11973-2 / 9783608119732
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