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2020/2021 (eBook)

Holger Hof, Stephan Kraft (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2021
267 Seiten
De Gruyter (Verlag)
978-3-11-072983-2 (ISBN)

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2020/2021 -
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Das Benn Forum erscheint im Zweijahresrhythmus in Verbindung mit der Gottfried Benn-Gesellschaft. Es bietet wissenschaftliche Beiträge zu Leben und Werk Gottfried Benns und zum literarischen Kontext seiner Zeit. Jeder Band präsentiert Aufsätze zu einem speziellen Themenschwerpunkt sowie neue Forschungen zur Biographie Benns und zu Text-Neufunden, außerdem Rezensionen zu wichtigen Neuerscheinungen und eine fortgeschriebene, systematisch angelegte Personalbibliographie. Das Benn Forum stellt damit das zentrale Periodikum der internationalen Benn-Forschung dar.



Holger Hof, Berlin; Stephan Kraft, Universität Würzburg.

Weitere Beiträge


„Schweigen hütet gegenseitiges Geheimnis“. Gottfried Benn und Ilse Molzahn


Thomas Ehrsam (Feldberg, MV)

Abstract

In einer schweren Lebenskrise schreibt die zu Unrecht vergessene Schriftstellerin Ilse Molzahn 1951 einen Brief der Verehrung an Benn. Es entspinnt sich ein lockerer, vom Schweigen Benns gelegentlich unterbrochener und bisher unbekannter Briefwechsel, und es kommt zu persönlichen Begegnungen. Benn fühlt sich von Molzahn und ihrer emphatischen Betonung des Worts und seinem Bezug zur Transzendenz verstanden – und er lobt ihre Gedichte. Er bittet sie sogar, mit Paul Fechter einen Stammtisch einzurichten, an dem man sich regelmäßig treffen könnte. Die schwierige, verschlossene Persönlichkeit Benns wird in Berichten Molzahns an andere plastisch sichtbar. Für sie ist er der Dichter der Zeit, der einzige, der um das Absolute wisse. Werk und Person bedeuten ihr Halt in Leben und Arbeit.

Im April 1951 erhält Gottfried Benn folgenden Brief einer ihm unbekannten Frau, der Schriftstellerin Ilse Molzahn:

Kleinmachnow im April 1951.

Sehr verehrter Herr Dr. Benn!

Dieses sollte ein richtiges „Osterei“ werden, aber – wie es so geht – selbst der Auferstehungsmorgen zerbrach unter Schneegestöber und halbe[m] Eisgeklirre. Jetzt scheint es Frühling zu werden, wenigstens draussen.

Und gerade eben fällt mir der hundertste oder tausendste Brief an Sie ein (die anderen blieben ungeschrieben). Ob dieser nun abgesandt wird, steht auch noch in den Sternen.

Es ist gut, wenn man schwerfällig ist, dann werden die Worte weniger, die sich so einschmuggeln und so bleibt zuletzt vielleicht doch nur das übrig, was man sagen darf oder besser sagen soll: ohne Ihre Bücher, Ihre Gedichte wäre die Welt leer! Was heisst schon Pessimismus, es ist gut sagen zu können, was ist, es ist gut den dunklen Engel anzurennen, immer wieder, und das tun Sie ja für uns alle, die wir Lachen und Weinen gleichermassen verlernt haben.

Man sagt mir oft, dass es so schwer sei Ihre Worte zu verstehen, aber es gehört keine Klugheit dazu, nein, ich bin von Haus ganz und gar dämlich, habe niemals Mathematik begriffen, niemals Dinge der Bildung mir einprägen können, aber ein Satz von Ihnen macht mich hellwach. Ich lese und lese und kann niemals aufhören zu lesen, wenn ich „Ptolemäer“ oder „drei alte Männer“ oder „Doppelleben“ angefangen habe. Und ich fange immer wieder von vorn an.

Es ist das WORT! Man kann ihm ebenso wenig entrinnen, wie man Gott entrinnen kann (so meine ich) „ich lasse Dich nicht, Du segnetest mich denn“. Das ist, glaube ich, das ganze Geheimnis! Das bleibt – das Einzige, das bleiben wird, so habe ich es für mich (durch Sie) begriffen.

Vielleicht bin ich mit Ihren Augen betrachtet sehr anmassend: Welch ein Hochmut für eine Frau. Sie ist doch chthonisch und nicht geistig, Aber wenn ich auf dieser Welt an niemanden und an nichts mehr glaube, so glaube ich doch dem, was durch Sie gesagt wird.

Mit dem Kopf habe ich es nicht begriffen, mit dem Herzen? – das ist mit meinen Söhnen in Russland geblieben – also mit meiner Existenz, die noch da ist, vielleicht mit meinem „Sonnengeflecht“, das oftmals greint – dann lese ich Benn – es ist gut – weil es dieses Entzücken gibt, die Gedichte, diese Hochzeit von Himmel und Erde!

Ueber ein Jahr lang drehen sich die Gespräche (die richtigen) um Gottfried Benn, ob mit Paul Fechter, oder (seltener) Karl Henssel, oder brieflich mit Hans Erich Nossack und noch anderen „gemeinsamen“, bloss Muschelkalk, die mir nach dem Weltuntergang auch einen „Tauben“-Gruss sandte, sprach ich noch nicht wieder, obwohl sie ganz in meiner Nähe wohnt, bloss ich – hinter dem Stacheldraht!

Fertig ist das nachträgliche Osterei, bunt und (wahrscheinlich) dumm. Aber ich bin doch auch von dort (noch östlicher, als Sie, noch verlorener, die Heimat, als die Ihrige) wo es die Kargheit gibt, die blauen Augen der Seen, den Sand und am Auferstehungsmorgen den feierlichen, brüderlich-schwesterlichen Osterkuss.

Haben Sie Dank!               

[hs.:] Ihre Ilse Molzahn1

Als die heute zu Unrecht vergessene Schriftstellerin Ilse Molzahn (1895 – 1981) diesen Brief schrieb, hatte sie viele Verluste erleben müssen: Ihr Leben lag in Scherben. Auf dem Landgut Kowalewo in der Provinz Posen geboren, musste sie dieses im Alter von sechs Jahren verlassen, weil der Vater wegen Missernten gezwungen war, das Gut aufzugeben. Die Schulen besuchte sie dann in Soest, Hannover und schließlich Kempen, wiederum in Posen. Schon als Kind hatte sie Dichterin werden wollen, die Eltern bestanden aber auf einer praktischen Ausbildung. An der Fröbel-Frauenschule in Leipzig absolvierte sie den damals neuen Lehrgang zur Kindergärtnerin und -hortnerin und übernahm danach, der Erste Weltkrieg war ausgebrochen, eine Kleinkinderschule und Krankenstation auf dem Majorat Laski in Posen, unweit der russischen Grenze. Danach arbeitete sie in einer Munitionsfabrik und nach Kriegsende in der Erwerbsfürsorge in Hannover, bis man den Frauen das Arbeiten verbot. 1919 lernte sie in Weimar am Bauhaus, das eben gegründet worden war, bei einer Dichterlesung – sie muss damals schon als Schriftstellerin aufgetreten sein – den expressionistisch-futuristischen Maler Johannes Molzahn kennen, den sie Ende des Jahres heiratete. Das mittellose Paar zog in das großväterliche Haus in Soest, wo Ilse Molzahn Mutter von zwei Söhnen wurde. Johannes Molzahn, avantgardistisch in der Kunst, aber konservativ in der Lebenspraxis, hielt nichts von schreibenden Frauen, so dass sie sich zunächst mit der Mutterrolle begnügen musste. Der Maler wurde 1923 nach Magdeburg und 1928 an die moderne Kunstakademie Breslau unter Oskar Moll berufen, die Familie zog natürlich mit. Die Schriftstellerin Oda Schaefer erinnert sich in ihren Memoiren „an die Frau mit den dunklen Haaren und den schmalen, grünen Augen, die sich selbst als Zigeunerin empfand“ und die „durch die Breslauer Tauentzienstraße und das Café Fahrig in modisch kurzen Kleidern und Russenstiefeln“ ging: „eine elegante, auffallende Erscheinung in diesem östlichen Paris“.2 Sie war nun Teil der von den Nazis schon bedrohten Moderne und unterstützte sie durch journalistische Arbeit, denn ihr Mann hatte den Widerstand gegen ihr Schreiben schon in Magdeburg aufgegeben. Sie schrieb Feuilletons für die „Vossische“ und andere Zeitungen und Theaterkritiken für die „Deutsche Allgemeine Zeitung“. Für das „Neue Bauen“ nahm sie während der Werkbundausstellung „Wohnung und Werkraum WuWa“ von 1929 in Breslau, an der Architekten wie Hans Scharoun und Adolf Rading beteiligt waren, dezidiert und unterhaltsam Stellung.3

In Breslau begann sie auch mit der Arbeit an ihrem ersten und schönsten Roman: „Der schwarze Storch“, der 1936 bei Rowohlt erschien. Er ist stark autobiographisch und beschreibt das letzte Jahr in Kowalewo konsequent aus der Sicht – und das ist das Besondere und Reizvolle – eines kleinen Mädchens, das allein in der Welt der Erwachsenen steht und viel sieht, aber wenig versteht: Der Leser muss sich selbst einen Reim auf das Geschilderte machen.

Die Weltwirtschaftskrise führte schon 1932 zur Schließung der Kunstakademie Breslau, den Rest besorgten die Nazis. Johannes Molzahn verlor seine Stellung und jede Verdienstmöglichkeit. Seine Frau musste, nun in Berlin, mit Journalismus allein für die Familie aufkommen. 1938 emigrierte Johannes Molzahn in die USA. Ilse ging nicht mit. Für sie kam eine Emigration nicht in Frage, zudem war die Ehe mit dem verbissenen Maler, der kaum Zeit fand für sie, schwierig. Sie blieb ihm aber zeitlebens brieflich eng verbunden. In Berlin schrieb sie den Breslau-Roman „Nymphen und Hirten tanzen nicht mehr“ (1938) und in Kleinmachnow den Familienroman „Töchter der Erde“, der 1941 bei Goverts erschien und eine Auflage von 60.000 Exemplaren erreichte. Beide von Friedo Lampe lektorierten Romane leiden für den heutigen Leser trotz sehr eindringlicher Passagen und Schilderungen an einer gewissen Überinstrumentierung im Sprachlichen und Metaphorischen.

Ilse Molzahn – Fotografie von Madeline Winkler aus dem Jahr 1940

Seit 1935 war sie mit dem (verheirateten) Literaturhistoriker und Journalisten Paul Fechter liiert, den sie vergeblich zu heiraten hoffte. Die Liebe zum...

Erscheint lt. Verlag 8.11.2021
Zusatzinfo 10 b/w ill.
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Germanistik
Schlagworte Benn, Gottfried
ISBN-10 3-11-072983-0 / 3110729830
ISBN-13 978-3-11-072983-2 / 9783110729832
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