Wenn dir dein eigenes Kind fremd ist (und es deinem Kind mit dir genauso geht) (eBook)
352 Seiten
Mosaik (Verlag)
978-3-641-28790-0 (ISBN)
Wenn ein Kind auf die Welt kommt, haben Eltern die Chance, eine völlig neue Beziehung zu beginnen. Viele wünschen sich das glücklichste Kind der Welt zu Hause. Sie sind bereit, alles dafür zu tun, dass die Kindheit zur schönsten Zeit in seinem Leben wird. Dieser Anspruch begründet zugleich außerordentliche Erwartungen der Eltern an sich selbst. Wenn sich dann Gefühle von Unverstandensein, Zurückweisung oder Enttäuschung einstellen, kann es zu erheblichen Konflikten in der Eltern-Kind-Beziehung kommen. Für manche Eltern ist es die schwerste emotionale Verletzung, wenn ihre Kinder sie nicht so lieben, wie sie es sich ersehnt hatten. Nicht wenige werden darüber krank, körperlich und seelisch. Eltern - und Kinder. Der renommierte Kinder- und Jugendpsychiater Dr. med. Oliver Dierssen zeigt anhand zahlreicher Beispiele aus der Praxis Wege zu einem gelingenden Miteinander: Ohnmachtsgefühle überwinden, seelischen Schmerz wahrnehmen, verstehen und bewältigen und neues Vertrauen wagen.
Dr. med. Oliver Dierssen, 1980 in Hannover geboren, ist als niedergelassener Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Region Hannover tätig. Er engagiert sich in der Patientenarbeit und in sozialen Medien für den Kinderschutz und gewaltfreie, bindungsorientierte Erziehung, ist regelmäßig zu Gast in profilierten Podcasts (»Das gewünschteste Wunschkind«, »Kakadu-Podcast« (Deutschlandfunk Kultur)), meldet sich in seiner ZEIT Leo-Kolumne zu Wort und informiert auf seinem viel gelesenen Twitter-Account zu aktuellen Themen. Für seinen ersten Roman Fledermausland erhielt er 2010 den Deutschen Phantastik Preis. Der vielseitig interessierte Autor von Fachliteratur und Romanen lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in der Nähe von Hannover. Dies ist sein erstes populärwissenschaftliches Sachbuch.
Einleitung
Dass ich einmal ein Buch über Eltern-Kind-Beziehungen schreiben würde, die von Unverständnis, Fremdheit und Abstand geprägt sind – das hatte ich nicht erwartet. Im Zentrum meiner täglichen Arbeit in einer kinderpsychiatrischen und -psychotherapeutischen Praxis stehen ja stets die Bindung und die Stärkung von familiären Beziehungen.
Bindungs- und beziehungsorientiertes Zusammenleben von Kindern und Erwachsenen, ein gleichwürdiges Miteinander, die Berücksichtigung der Bedürfnisse aller Familienmitglieder und das beständige und geduldige Aushandeln von Kompromissen sind die Pfeiler, auf denen mein Verständnis vom Leben mit Kindern ruht. Ich bin der festen Überzeugung, dass der sanftmütige, geduldige und ehrliche Umgang mit Kindern nicht nur deren Leben (und unser Leben als Eltern) verbessert, sondern unsere Gesellschaft an sich.
Kinder, deren Grenzen respektiert werden, werden später zu Erwachsenen, die die Grenzen anderer spüren und ernst nehmen. Kinder, denen man feinfühlig und geduldig begegnet, werden später die Werte von Mitgefühl und Rücksichtnahme leben und weitergeben. Kinder, deren Würde von Anfang an gewahrt wird, nehmen später ihre eigene Würde, ihre eigenen Bedürfnisse und Grenzen ernst. Aus einer solchen Kindheit speist sich die Kraft, sich zu dem erwachsenen Menschen zu entwickeln, der man aufgrund der eigenen Veranlagungen, Sehnsüchte und Träume werden möchte.
Doch wie ist es möglich, harmonisch mit seinen Kindern zusammenzuleben, wenn man vom Temperament scheinbar nicht zueinander passt? Wenn man nicht zueinanderfindet? Wie gehen wir mit dem Gefühl um, vom eigenen Kind infrage gestellt und vielleicht sogar zurückgewiesen zu werden? Wie kann ein harmonisches Zusammenleben gelingen, wenn man mit dem eigenen Kind kaum Interessen und Wesenszüge teilt und nur schwer eine gemeinsame Sprache findet?
Mit diesen Fragen beschäftigt sich dieses Buch. Es handelt weniger vom einfühlsamen Verstehen des Kindes als vom Sich-fremd-Fühlen, von Missverständnissen, Kränkungen und Enttäuschungen, an einigen Stellen sogar von Gewalt und vielleicht Hass zwischen Kindern und ihren Eltern. Es ist ein Buch über das Missverstehen und Augenrollen, über Schweigen und Brüllen, über die Sehnsucht nach Nähe und nach Abstand. Es geht um Störungen im Beziehungsgeflecht zwischen Eltern und ihren Kindern. Meine Beobachtung ist, dass Familien, die von solchen Beziehungsstörungen betroffen sind, sich in ein Netz aus Machtkämpfen, Ehrverletzungen und Bestrafungen verstricken. Ausgangspunkt ist hierbei das Nicht-Verstehen, das Scheitern beim Versuch, eine gemeinsame Basis herzustellen, die auf Ähnlichkeit und Einverständnis beruht.
In diesem Buch geht es um das Elternsein. Es nimmt nicht für sich in Anspruch, die Entwicklung der kindlichen Seele vollständig darzustellen. Es ist insofern ein Elternbuch, als es von den Wünschen und Bedürfnissen handelt, die wir an unsere Kinder richten, von den Hoffnungen, Träumen und Enttäuschungen, die sich an die Elternschaft knüpfen. Wir werden Eltern-Kind-Beziehungen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und auch die Beziehung zu unseren eigenen Eltern unter die Lupe nehmen. Es wird um Momente gehen, in denen sich Eltern ihren Kindern fremd fühlen, zurückgewiesen und abgelehnt. Ich versuche, einen Weg aufzuzeigen, wie Sie das Anderssein Ihres Kindes akzeptieren, es vielleicht sogar als Kraftquelle und Inspiration nutzen und die Momente von Glück und Zusammenhalt ganz besonders wertschätzen.
Was mich vor allem zu diesem Buch bewogen hat, sind Gespräche mit verletzten Eltern. Die meisten Mütter und Väter, die ich täglich in der Praxis kennenlerne, geben sich große Mühe. Sie kämpfen sich durch den Alltag und versuchen, ihre Paarbeziehungen und das Berufsleben mit dem liebevollen Zusammensein und dem erfolgreichen »Großziehen« ihrer Kinder unter einen Hut zu kriegen. Einige haben sehr hohe Ansprüche an sich selbst und andere; viele sind sich selbst die strengsten Kritiker und Lehrmeister – und ihren Kindern dabei manchmal auch. In einigen dieser Familien kommt es zu massiven täglichen Konflikten, wobei die Familienmitglieder oft nur Gutes wollen und sich nach Harmonie und Glück sehnen. Doch wenn das familiäre Miteinander in dieser Weise überschattet wird, ist es schwer, zusammen ein glückliches Leben zu führen.
Jene Eltern, die daran scheitern, die schließlich entmutigt oder sogar schwer krank aufgeben, die sich grollend zurückziehen oder sich sogar räumlich von ihren Kindern trennen, scheitern oft nach unglaublichen Anstrengungen. Hinter ihnen und ihren Kindern liegen unendliche Bemühungen, bittere Machtkämpfe, schlaflose Nächte, gebrochene Versprechen und leere Drohungen. Die Mitglieder dieser Familien empfinden Scham und Verzweiflung und sind einsam. Diese Familien benötigen Trost und Hoffnung, dass es einen Weg »zurück« gibt: in ein Familienleben, in dem jeder und jede seinen sicheren Platz finden und in Frieden leben kann.
Dieses Buch soll die Bemühungen jener Eltern nachzeichnen, die um Liebe und Bindung zu ihren Kindern ringen und doch immer wieder an deren »Fremdheit« scheitern. Es soll einen Weg aufzeigen, wie wir es aushalten können, uns unseren Kindern manchmal fremd zu fühlen, vielleicht auch unverstanden und mitunter zurückgewiesen – und sie dennoch zu lieben.
Gebrauchsanweisung
Dieses Buch ist ein Elternratgeber, es möchte Sie aber auch auf eine »therapeutische Reise« mitnehmen. Es ist sinnvoll, aber nicht zwingend notwendig, die Kapitel in der vorliegenden Reihenfolge zu lesen.
Jedes Kapitel ist in sieben Abschnitte gegliedert:
- Fallbeispiel – Hier finden Sie einen Fallbericht, der aus Sicht eines Elternteils, eines Kindes oder einer Jugendlichen geschildert ist. Schon aus Gründen der ärztlichen Schweigepflicht sind alle Beispiele stark verfremdet. Keine der Personen, die in diesen Fallgeschichten zitiert werden, existiert. Dennoch lege ich den fiktiven Menschen in den Mund, was ich von vielen Eltern so oder ähnlich gehört und im Kontakt mit ihnen erlebt habe.
- Was macht es gerade so schwierig? – In diesem Abschnitt wird das Problem umrissen. Checklisten sollen Ihnen bei der Einschätzung helfen, wie ausgeprägt eine Problemlage in Ihrer Familie vorliegt.
- Sie sind nicht allein – Hier finden Sie theoretische Hintergründe zur Fragestellung des Kapitels und erfahren, wie die Problematik in einen fachlich fundierten Hintergrund einzuordnen ist.
- Was wir zurücklassen können – Wir sind mit nützlichen, aber auch unpassendem Gepäck in die Elternschaft gestartet. In diesem Kapitel finden Sie Hinweise darauf, welche Ideen und Haltungen Sie ohne schlechtes Gewissen hinter sich lassen können.
- Neue Ideen – Sie finden in diesem Buch kaum konkrete »Erziehungstipps«, stattdessen versuche ich, neue elterliche Haltungen zu vermitteln und Ihnen dabei zu helfen, alte Muster zu durchbrechen.
- Zusammenfassung – Dieser Abschnitt liefert einen Überblick über das Kapitel, der Ihnen auch dabei helfen soll, besser in die abschließende Übung einzusteigen, auch wenn Sie das Kapitel vielleicht noch nicht gelesen oder das Buch lange nicht mehr in der Hand gehabt haben.
- Übung –Im psychologischen und pädagogischen Arbeitsbereich sind solche Übungen weit verbreitet. Wenn Sie der Begriff »Übung« abschreckt, nennen Sie sie Gedankenexperimente oder Veranschaulichungen. Probieren Sie aus, welche davon zu Ihnen passen und sich gut anfühlen. Die anderen lassen Sie einfach weg.
Überblick über die Kapitel
Wenn Eltern sich von ihren Kindern nicht geliebt fühlen, kann dies eine der schwersten Enttäuschungen im Leben sein. Im 1. Kapitel: »Wie Sie Enttäuschung überwinden und die Liebe Ihres Kindes neu entdecken« schauen wir uns an, wie kindliche Liebe aussieht und was sie nicht zu leisten vermag. Im Übungsteil geht es darum, die elterliche Fähigkeit zur Selbstliebe zu stärken.
Viele Eltern verausgaben sich und haben das Gefühl, ihre elterlichen Bemühungen seien nie richtig ausreichend. Sie geben sich die Schuld für vieles, das nicht gut läuft. Häufig lässt sich der Leitsatz »Du strengst dich nie genug an« in die eigene Kindheit zurückverfolgen. Im 2. Kapitel: »Wie Sie mit Schuldgefühlen und Undankbarkeit umgehen lernen« wird eine Vorstellung von Beziehungen umrissen, in denen Schuld und Dankbarkeit keine große Rolle mehr spielen. Im Übungsteil geht es darum, Probleme zwischen Eltern und Kindern ohne Vorwürfe zu besprechen und die gegenseitigen Gefühle vorbehaltlos zu akzeptieren.
Gegenseitige Ablehnung entsteht häufig aus dem Gefühl von Unterschiedlichkeit – man passt scheinbar nicht zusammen. Manche Kinder reagieren auf diese Unterschiedlichkeit mit anstrengender Überanpassung, andere mit Rebellion gegen die Eltern. Beides belastet die Eltern-Kind-Beziehung. Im 3. Kapitel: »Wie Sie mit Zurückweisung und Ablehnung umgehen lernen« versuche ich einen Weg aufzuzeigen, Unterschiedlichkeit in der Beziehung besser zu akzeptieren. Im Übungsteil bekommen Eltern eine Anleitung, wie sie »unpassende« Eigenschaften ihres Kindes neu entdecken und wertschätzen können.
Wenn es zwischen Eltern und Kindern schwierig ist, kann dies...
Erscheint lt. Verlag | 13.10.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | 2022 • Ablehnung Eltern • Das gewünschteste Wunschkind • eBooks • Eltern • Eltern Buch Kind • Eltern Kind Beziehung • Eltern-Kind-Bindung • Eltern Kind Konfliktlösung • Erwartungen und Ansprüche • Erziehen ohne Schimpfen • Erziehungsstress • Familiendrama • Gesundheit • Kindererziehung • Kinder Kontakt abbrechen • mein Kind verstehen • Neuerscheinung • Psychologie • Ratgeber • Schuldgefühle und Selbstvorwürfe • Wut und Verzweiflung |
ISBN-10 | 3-641-28790-1 / 3641287901 |
ISBN-13 | 978-3-641-28790-0 / 9783641287900 |
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