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Elektra, die hell Leuchtende (eBook)

Roman | Griechische Mythologie lebendig erzählt

****

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
416 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2810-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Elektra, die hell Leuchtende -  JENNIFER SAINT
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Griechische Mythologie feministisch erzählt  Sehnsüchtig wartet Elektra, Prinzessin von Mykene, auf die Rückkehr ihres Vaters Agamemnon. Nur von ihm hat sie Zuneigung erfahren. Seit er in den trojanischen Krieg zog, leidet sie unter ihrer Mutter, Klytaimnestra. Die liebte ihren Mann, bis er für sein Kriegsglück ihre älteste Tochter Iphigenie opferte. Bei seiner Rückkehr bringt Agamemnon als Beute die Priesterin Kassandra mit. Sie kann vorhersehen, welche Tragödie den Mykenern bevorsteht, aber niemand glaubt ihr. Die Schicksale der drei Frauen - Elektra, Klytaimnestra, Kassandra - sind durch die Launen der Götter und die Untaten der Männer unentrinnbar verbunden. Elektra jedoch beginnt, sich aufzulehnen und ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Auf dem Weg zur Selbstbestimmung muss sie die Götter herausfordern.  »Erzählt auf brillante Weise die starken Emotionen und die Komplexität der Frauen« Leipziger Volkszeitung  »Ebenbürtig mit Madeline Millers Romanen.« Waterstones.com 

Jennifer Saint begeisterte sich schon als Kind für die griechische Mythologie, und während ihres Studiums der Altphilologie am King's College in London hat sie ihre Liebe zu den antiken Sagen vertieft. Als Englischlehrerin versucht sie die Faszination für Geschichten aller Art und die reiche Erzähltradition seit Homer zu vermitteln. Jeder Erzähler hat die antiken Stoffe für sich neu interpretiert. Jennifer Saint stellt die weibliche Heldin in den Mittelpunkt.

Jennifer Saint begeisterte sich schon als Kind für die griechische Mythologie. Während ihres Studiums der Altphilologie am King's College in London hat sie ihre Liebe zu den antiken Sagen vertieft. Als Englischlehrerin versucht sie die Faszination für Geschichten aller Art und die reiche Erzähltradition seit Homer zu vermitteln. Jeder Erzähler hat die antiken Stoffe für sich neu interpretiert. Jennifer Saint stellt die weibliche Heldin in den Mittelpunkt. Simone Jakob lebt und arbeitet in Mülheim an der Ruhr und übersetzt englischsprachige Literatur ins Deutsche, u.a. von David Nicholls, Philip Kerr und Abi Daré.

1


Klytämnestra

Auf dem Haus der Atriden liegt ein Fluch. Und zwar ein besonders grausamer, selbst an den Maßstäben göttlicher Torturen gemessen. Die Familiengeschichte strotzt nur so von brutalen Morden, Ehebruch, monströsem Ehrgeiz und mehr Kannibalismus, als man erwarten würde. Jeder wusste es, doch als die Atriden Agamemnon und Menelaos vor einer halben Ewigkeit in Sparta vor mir und meiner Zwillingsschwester standen, schienen sich die albernen Ammenmärchen, die man uns aufgetischt hatte, zu zerstreuen wie im Sonnenlicht aufglimmende Staubkörner.

Die beiden Brüder strotzten nur so vor Lebenskraft und Elan – sie waren zwar nicht unbedingt gut aussehend, aber auf ihre Art unwiderstehlich. Menelaos’ Bart hatte einen rötlichen Schimmer, während Agamemnons dunkel war wie die dichten Locken auf seinem Kopf. Weit attraktivere Verehrer warben um meine Schwester – tatsächlich barst die große Halle fast vor Männern mit hohen, wie gemeißelten Wangenknochen, feinen Schultern, vorstehenden Kieferknochen und blitzenden Augen. Helena konnte zwischen den besten Männern Griechenlands wählen, doch sie hatte nur Augen für den ungelenken Menelaos, der nicht wusste wohin mit seinem mächtigen Körper und sie nur stumm anstarrte.

Es hieß, Helena sei die Tochter von Zeus. Während ich angesichts der Gewöhnlichkeit und Würdelosigkeit der Geburt schreiend und mit hochrotem Kopf zur Welt kam, war meine Schwester wunderschön und vollkommen aus einem makellosen weißen Ei geschlüpft. Die Legende wurde mit fantastischen Details ausgeschmückt – so war bekannt, dass Zeus viele Gestalten annehmen konnte, und unserer Mutter soll er sich im schneeweißen Federkleid genähert haben und mit unmissverständlicher Zielstrebigkeit über den Fluss auf sie zu geschwommen sein.

So von Zeus gesegnet zu werden war eine Ehre. Das sagten alle. Wenn Leda, unsere Mutter, vom Herrscher der Götter als so liebreizend angesehen wurde, war das eine große Auszeichnung für unsere Familie. Für unseren Vater war es keine Schande, den Spross einer solchen Verbindung großzuziehen.

Und Helenas Schönheit war in der Tat legendär.

Ihre Verehrer kamen in Scharen. Und wie sie einander anrempelten, um sich vorzudrängen und ihren flatternden Schleier zu beäugen, begierig, einen Blick auf die Frau darunter zu werfen, die als die schönste der Welt galt. Doch irgendwann schlug die Stimmung um, wurde gereizt, angespannt; mir fiel auf, wie sie die Hände nach den Schwertern an ihren Hüften ausstreckten. Auch Helena bemerkte es, und wir warfen uns einen flüchtigen, besorgten Blick zu.

Am Rand der Halle strafften unsere Wachen die Schultern und umklammerten ihre Speere fester. Ich fragte mich, wie schnell die brodelnde Menge uns erreichen würde und wie lange unsere Männer brauchen würden, um sich einen Weg durch den Tumult zu bahnen.

Unser Vater Tyndareos rang die Hände. Der Tag hatte so vielversprechend begonnen; unsere Lagerräume quollen über von prächtigen Geschenken, die die jungen Männer mitgebracht hatten, um ihre Brautwerbung zu unterstützen. Ich hatte gesehen, wie er sich mit den kostbaren Gaben und dem Zugewinn an Status, den ihm dieser Tag einbrachte, gebrüstet hatte. Unbekümmert hatte er all sein Vertrauen in die Fähigkeiten unserer starken Brüder gesetzt, uns zu beschützen, so wie sie es immer getan hatten, aber ich bezweifelte, dass sie genug gegen all die Männer ausrichten konnten, die gekommen waren, um meine Schwester für sich zu gewinnen.

Ich schaute zu Penelope hinüber. Bei unserer stillen, grauäugigen Cousine konnte man sicher sein, dass sie einen kühlen Kopf bewahren würde. Doch Penelope bemerkte meinen panischen Blick nicht, denn sie hatte nur Augen für Odysseus. Die beiden sahen sich an, als würden sie allein über eine duftende Blumenwiese spazieren, statt mit hundert Freiern, deren Temperament mit ihnen durchzugehen drohte, in einer Halle eingesperrt zu sein, in der schon ein Funke genügt hätte, um alles in Flammen aufgehen zu lassen.

Ich verdrehte die Augen. Odysseus war ebenso wie die anderen als Verehrer Helenas gekommen, aber natürlich war nichts, was er tat, das, was es zu sein schien. Wir könnten seine viel gerühmte Klugheit in dieser Situation wirklich gut gebrauchen, dachte ich, frustriert darüber, dass er es stattdessen anscheinend vorzog, sich in romantischen Tagträumen zu verlieren.

Doch was ich für einen verliebten Blickwechsel zwischen meiner Cousine und ihrem Angebeteten gehalten hatte, war in Wirklichkeit das wortlose Ausklügeln eines Plans, denn kurz darauf sprang Odysseus auf das Podest, auf dem wir saßen, und verlangte nach Ruhe. Obwohl er klein und krummbeinig war, besaß er eine natürliche Autorität, und alle im Saal verstummten.

»Bevor die edle Helena ihre Wahl trifft«, rief er mit weithin hörbarerer Stimme, »sollten wir alle einen Eid schwören.«

Sie hörten ihm zu. Er besaß die Gabe, andere seinem Willen zu unterwerfen. Selbst meine kluge Cousine war von ihm bezaubert; ich hätte nie gedacht, dass der Intellekt eines Mannes dem ihren ebenbürtig sein könnte.

»Wir alle sind heute mit demselben Ziel hier«, fuhr er fort. »Wir alle wünschen, die schöne Helena zur Frau zu nehmen, und wir alle haben gute Gründe zu glauben, dass wir ihr ein würdiger Ehemann wären. Sie ist ein Schatz, der jegliche Vorstellungskraft übersteigt, und der Mann, der sie sein Eigen nennen darf, wird große Anstrengungen unternehmen müssen, um sie vor jenen zu beschützen, die sie ihm wieder wegnehmen wollen.«

Ich konnte sehen, wie sich das jeder einzelne Mann ausmalte. Sie alle hatten geglaubt, derjenige zu sein, der sie für sich gewinnen würde, doch Odysseus hatte ihnen den Traum vergällt. Sie blickten ihn wie gebannt an, warteten darauf, dass er ihnen die Lösung des Problems enthüllte.

»Deshalb schlage ich vor, wir alle schwören, jenen Mann, den sie erwählt – wer immer es auch sein mag –, gemeinsam zu beschützen. Wir legen einen feierlichen Eid ab, dass wir sein Recht, sie zu bekommen – und zu behalten –, mit unserem Leben verteidigen.«

Unser Vater sprang auf, außer sich vor Freude, dass Odysseus seinen Tag des Triumphes vor der sicheren Katastrophe gerettet hatte. »Und ich opfere mein schönstes Pferd!«, erklärte er. »Und Ihr alle sollt es mir vor den Göttern auf sein Blut schwören.«

So geschah es, dass mein Vater an jenem Tag nur ein Pferd verlor. Nun ja, ein Pferd und eine Tochter, sollte ich sagen, und natürlich eine Nichte, aber es war ein durchaus vorteilhaftes Arrangement. Alle drei wurden ihm auf einen Schlag genommen, denn Helena hatte kaum den Namen »Menelaos« gehaucht, als er schon bei ihr war, ihre Hand nahm und seine Dankbarkeit und Hingabe herausstammelte; im nächsten Atemzug wurde Penelope Odysseus angeboten – doch ich konnte den Blick nicht von dem dunkelhaarigen Bruder wenden, der grüblerisch die Steinfliesen anstarrte. Agamemnon.

»Wieso hast du dich für Menelaos entschieden?«, fragte ich Helena später. Ein Schwarm von Dienerinnen umschwirrte sie, drapierte ihr Gewand, formte ihr Haar zu kunstvollen Locken und schmückte sie mit allem möglichen Tand, der gänzlich überflüssig war.

Helena dachte über meine Frage nach, ehe sie antwortete. Die Menschen sprachen immer nur von ihrer strahlenden Schönheit, fühlten sich manchmal sogar dazu inspiriert, sie in Gedichten oder Liedern zu preisen. Doch niemand erwähnte je, dass sie auch nachdenklich und freundlich war. Ich konnte den einen oder anderen Anflug von Neid nicht leugnen, der sich manchmal kalt und giftig in mir erhob, als ich mit einer Zwillingsschwester heranwuchs, deren Liebreiz mich immer in den Schatten stellen würde. Aber Helena war nie grausam zu mir und schikanierte mich nicht. Sie prahlte noch nicht einmal mit ihrer Schönheit oder machte sich über ihre unterlegene Schwester lustig. Ebenso wenig wie sie die Gezeiten lenken konnte, hatte sie Einfluss darauf, dass sich, wohin sie auch ging, alle nach ihr umdrehten. Ich hatte meinen Frieden damit gemacht, und um ehrlich zu sein, sehnte ich mich nicht danach, die Bürde ihrer legendären Reize zu tragen.

»Menelaos …«, sagte Helena nachdenklich, nahm sich Zeit, um jede einzelne Silbe seines Namens auszusprechen. Sie zuckte die Schultern, wickelte sich eine ihrer glatten Haarsträhnen um den Finger, sichtlich zum Missfallen einer ihrer Dienerinnen, deren hektische Bemühungen nicht annähernd die gleichen glänzenden, schwungvollen Locken hervorbrachten wie Helenas müheloses Geschick. »Die anderen sahen vielleicht besser aus und waren wohlhabender«, sagte sie. »Auf jeden Fall kühner.« Sie verzog leicht die Lippe, vielleicht weil sie sich an die unterschwellige Gewalt erinnerte, die unsichtbar durch den Saal gewogt war, als die Freier einander misstrauisch beäugten. »Aber Menelaos … er war anders.«

Sie brauchte keine Reichtümer; Sparta war wohlhabend genug. Sie brauchte niemanden, der gut aussah; sie selbst brachte alle Schönheit der Welt mit in die Ehe. Jeder Mann war erpicht darauf, sie zur Frau zu...

Erscheint lt. Verlag 19.10.2022
Übersetzer Simone Jakob
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Geschichte Allgemeine Geschichte Altertum / Antike
Schlagworte Agamemnon • Antike • Artemis • Booktok • Elektra • Empowerment • Feminismus • Frauen erzählen • Frauengeschichte • Frauenroman • Geschenk Freundin • girechisch • griechische Mythologie • Griechischer Mythos • Historischer Roman • Iphigenie • Kassandra • klytaimnestra • Liebesgeschichte • Mykene • Mythologie • Mythos • Sagenwelt • Selbstbestimmung • Selbstermächtigung • spanned • Starke Stimmen • Troja
ISBN-10 3-8437-2810-0 / 3843728100
ISBN-13 978-3-8437-2810-2 / 9783843728102
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