Homo migrans
marix Verlag
978-3-7374-1191-2 (ISBN)
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Alexander Rubel ist Inhaber einer Forschungsprofessur am Archäologischen Institut der Rumänischen Akademie in Jassy (Rumänien), dem er seit 2011 als Direktor vorsteht. Neben Arbeiten aus dem engeren Bereich von Archäologie und Alter Geschichte publiziert er regelmäßig zu breiteren kulturgeschichtlichen Themen. Seine Forschungsschwerpunkte sind das klassische Griechenland, antike Religionsgeschichte, Romanisierung in den Provinzen des Römischen Reiches und die Rezeption der Antike in Mittelalter und Moderne. Zuletzt im S. Marix Verlag: Per Anhalter durch die Antike, 2017.
I. Einleitung; I.1. Über dieses Buch; I.2. Hinweise zur Benutzung dieses Buches; I.3. Warum wandern Menschen und wohin? Grundbegriffe der Migration; II. Entwicklungsgeschichtliche Zugänge: Migrationsgeschichte als Menschheitsgeschichte; II.1. Homo sapiens migrans. Die ersten 300.000 Jahre, Vor und Frühgeschichte der Migration; II.2. Migration in der Antike. Vom archaischen Griechenland bis zur Zeit der »Völkerwanderung«; II.3. Das Mittelalter; II.4. Intermezzo: Die Neuzeit, wirklich eine Zäsur in der Migrationsgeschichte?; II.5. Die Neuzeit; II.6. Das kurze 20. Jahrhundert: Ethnische Säuberungen, Zwangsarbeit, Vertreibung, Dekolonialisation; III. Kulturgeschichtliche Zugänge; III.1. Kulturgeschichte und Kulturtransfer; III.2. Von Kaufleuten und Seefahrern. Händler als Wegbeteiter von Migration und Austausch; III.3. Der Kapitalismus als »game changer«? Massenmigration und Kapital in der Neuzeit; III.4. Von der Geschichte ignoriert: Die nomadische Alternative von Dschingis Khan bis Bruce Chatwin; III.5. Die Ideologie der Sesshaftigkeit. Bürgertum und Eigentum; III.6. Die Erfindung des Passes. Grenzregime und Verhinderung von Migration. Von der chinesischen Mauer bis Frontex; III.7. »By the Rivers of Babylon«. Eine kurze Literaturgeschichte der Migration, oder was Gilgamesch, das Alte Testament, Odysseus, Lederstrumpf, Eichendorffs Taugenichts und Vladimir Nabokov gemeinsam haben; IV. Unzeitgemäße Betrachtungen: Migration gestern und heute; IV.1. Nichts Neues unter der Sonne: Migration als historisches »default setting« der Menschheit; IV.2. Das Rätsel der relativen Immobilität: Warum gibt es so wenige Migranten (aus dem globalen Süden)?; IV.3. Schlussbetrachtung: Krise, welche Krise? Politisch wenig korrekte Bemerkungen zu aktuellen Lehren aus der Kulturgeschichte der Migration; Literaturhinweise zu den einzelnen Kapiteln; Literaturverzeichnis; Index
Warum wandern Menschen aus? Oder neutraler: Warum verlassen Menschen ihre Herkunftsorte? Das ist eine Kernfrage der Migrationsforschung. Wie wählen sie die Ziele ihrer Wanderung aus, welches sind die Modalitäten von Migration? Vielleicht hilft uns das als Tierfabel gestaltete Märchen Die Bremer Stadtmusikanten der Gbr. Grimm, gewisse grundlegende Muster von Migration zu entdecken und zu benennen. Zunächst zum »Warum« von Wanderung: Im Falle des Esels ist der Grund seines Aufbruchs offenbar eine wirtschaftliche Notsituation. Der Müller will ihm, da er arbeitsunfähig geworden ist (bzw. wenigstens ein »Minderleister«), die Lebensgrundlage entziehen. Er hat nun kein Auskommen mehr und entscheidet sich dazu, in Bremen als Musikant tätig zu werden. Die Migrationsforschung hat tatsächlich als wichtigstes Motiv für Migration das Verlangen von Menschen beschrieben, ihre Lebenssituation zu verbessern, das betrifft in den meisten Fällen die materiellen Bedingungen. Wenn sogar eine Notsituation vorliegt (Erwerbslosigkeit, Hunger), wie im Falle unseres Esels oder als etwa Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa, besonders in Irland, die Kartoffelfäule über mehrere Jahre hinweg für Missernten und drückende Hungersnot sorgte, dann ist der sogenannte »push-Faktor«, der Auswanderung begünstigt, besonders hoch. Von »freiwilliger Wanderung« kann man dann kaum noch sprechen. Auch klimatische Veränderungen, die in der Vorgeschichte bis zur letzten Eiszeit (im Pleistozän, Höhepunkt vor ca. 21 000–18 000 Jahren, mit dem Beginn des Holozän vor ca. 12 000 Jahren endet sie) viel abrupter und auch viel häufiger stattfanden, können solche push-Faktoren sein und haben sicher bei der Wanderung unserer urzeitlichen Vorfahren eine entscheidende Rolle gespielt. Auch wenn derartige »push-Faktoren« eine hohe Bereitschaft zur Migration generieren können, erfolgt Migration gemäß der empirischen Daten der Sozialwissenschaftler doch in aller Regel freiwillig. Ihre Entscheidungen, dazubleiben oder abzuwandern, treffen Menschen aufgrund widriger oder gar inakzeptabler Lebensbedingungen, das heißt im Bewusstsein vielfältiger durchaus sehr unterschiedlicher »push Faktoren« (Hoerder 2016). Kommt jedoch der Faktor Gewalt hinzu, spricht man von »Zwangs-« oder »Gewaltmigration«. Dieser Sachverhalt scheint im Falle des Hundes, der Katze und auch des Hahns zuzutreffen, die allesamt konkret und unmittelbar mit dem Tode bedroht wurden und sich diesem Schicksal nur durch rasche Flucht entziehen konnten. Gewaltmigration ist in historischer Perspektive am häufigsten als Flucht vor Krieg und Bürgerkrieg zu beobachten, in der jüngeren Geschichte auch als Folge restriktiver Maßnahmen autoritärer Regime und der Durchsetzung von Vorstellungen ethnisch homogener Nationalstaatlichkeit durch Vertreibung von Minderheiten. Dabei kann noch weiter unterschieden werden, ob diese Zwangsmigration den Betroffenen die Möglichkeit lässt, das Ziel ihrer Wanderung – im Rahmen der situationsbedingen oft beschränkten Möglichkeiten – selbst zu bestimmen, oder ob es sich um Formen organisierter Umsiedlung oder Deportation handelt, wie etwa im Falle der auf den amerikanischen Kontinent gegen ihren Willen verbrachten afrikanischen Sklaven zwischen dem 17. und dem 19. Jahrhundert oder bei modernem Menschenhandel. Ähnliches gilt für den »Bevölkerungstausch« (ein sehr euphemistischer Begriff) zwischen Griechenland und der Türkei (1923), der die jeweiligen Minderheiten durch Zwangsumsiedlung in die vermeintlichen »Ursprungsländer« verbrachte und somit das seit dem 8. Jahrhundert v. Chr. als griechische Stadt bekannte Smyrna in die türkische Metropole Izmir verwandelte, deren griechische Vergangenheit heute nur noch durch Ruinen und die Archäologie weiterlebt (die gesamte Zwangsumsiedlung betraf etwa 1,2 Millionen Griechen und ca. 400 000 Türken). Im Falle der mit dem Tode bedrohten Möchtegernmusikanten, die sich dem Esel auf dem Weg nach Bremen anschließen, handelt es sich ziemlich offensichtlich um einen klassischen Fall von Flucht, also um das Ausweichen vor einer lebensbedrohenden Zwangslage aufgrund von Gewalt, welche drei der »Landesflüchtigen« vereint.
Erscheinungsdatum | 20.09.2022 |
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Reihe/Serie | Neue Reihe Sachbuch ; 7 |
Verlagsort | Wiesbaden |
Sprache | deutsch |
Maße | 140 x 210 mm |
Einbandart | gebunden |
Themenwelt | Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Allgemeines / Lexika |
Geschichte ► Teilgebiete der Geschichte ► Kulturgeschichte | |
Schlagworte | Altertum • Antike • Bevölkerungstransfer • Bodenständigkeit • Frühgeschichte • Kulturgeschichte • Massenmigration • Menschheitsgeschichte • Mittelalter • Mobilität • Neuzeit • Sesshaftigkeit • Völkerwanderung • Vorgesschichte • Wanderungen |
ISBN-10 | 3-7374-1191-3 / 3737411913 |
ISBN-13 | 978-3-7374-1191-2 / 9783737411912 |
Zustand | Neuware |
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