Lernen, im Regen zu tanzen (eBook)
209 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-621-28949-8 (ISBN)
Dr. theol. Cornelia Faulde ist Diplom-Psychologin, Ehe-, Familien- und Lebensberaterin, Systemische Familientherapeutin (DGSF) und Mediatorin. Sie leitet die Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen Brakel/Höxter/Warburg im Erzbistum Paderborn.
2 Ein Bündnis gegen die Depression schließen
2.1 Mit Bildern Distanz schaffen
Wenn Sie es geschafft haben, sich selbst zu beobachten und auf kleine Veränderungen der Gemütslage im Tagesverlauf oder an verschiedenen Wochentagen zu achten, haben Sie schon ein kleines Stück Distanz zwischen sich selbst und die Krankheit gelegt. Sie haben einen Regenmantel angezogen oder einen Schirm aufgespannt. Sie sind nicht mehr vollkommen eins mit der Krankheit, ihr nicht vollständig ausgeliefert. Sie sind nicht mehr durch und durch depressiv, sondern haben eine Depression als eine sicherlich sehr belastende und schmerzhafte Erfahrung, aber es bleibt Raum für andere Erfahrungen, für andere Teile des Ichs, die noch unabhängig von der Krankheit existieren. Der Beobachter der Gefühle und der Gedankenkontrolleur gehören zum gesunden Teil Ihres Ichs.
Ideal ist es, wenn Sie beide, der gesunde Teil des erkrankten Ichs und der Partner, sich zusammenschließen können zu einem Bündnis, um der schwachen, verletzten Seite des Ichs Schutz und Hilfe zu geben.
Schwarze Hunde und ungebetene Gäste. Um sich auch zu zweit etwas weiter von der Krankheit zu distanzieren, können Sie eine alte Methode ausprobieren, auf die schon die beiden Freunde Charlie Chaplin und Winston Churchill in ihren depressiven Episoden zurückgegriffen haben. Es ist die Methode, sich die Depression als ein eigenes Wesen, z. B. als einen »schwarzen Hund« vorzustellen. Schön beschrieben ist dies in dem Roman »Zwei Herren am Strand« (Köhlmeier, 2014). Das Buch zeigt, welche ungeheuren künstlerischen und politischen Leistungen von Menschen vollbracht werden können, die immer wieder mit einer Depression zu kämpfen haben, aber auch um einen Weg wissen, um mit dieser Einschränkung zu leben.
Dieses Bild des schwarzen Hundes wird auch in den Bilderbüchern von Matthew und Ainsley Johnstone (2005, 2009) aufgegriffen, die es inzwischen z. T. auch als youtube-Videos gibt. Es lohnt sich, die Bücher oder Videos anzusehen, um Parallelen mit dem eigenen Erleben zu entdecken. Der »schwarze Hund« wird immer als eine sehr unangenehme Gestalt dargestellt, die das eigene Leben stört und durcheinanderbringt. Wichtig ist aber, dass die Depression niemals mit der eigenen Person identisch ist. Sie ist ein Störenfried, lässt aber noch Raum für ein anderes Selbst. Das Bild will auch den Partnerinnen von depressiv erkrankten Menschen verdeutlichen, dass nicht ihr Partner ihnen das Leben schwer macht, sondern die Krankheit, die sich in dem »schwarzen Hund« versteckt. Dies macht es leichter, sich ein positives Bild vom Partner zu erhalten, auch wenn seine Verhaltensweisen belastend sind.
Ein ähnlicher Grundgedanke steckt hinter der Möglichkeit, die Depression als einen »ungebetenen Gast« zu sehen, der sich ungefragt bei dem Paar eingenistet hat und den beiden das Leben schwer macht (Cordova & Lee, 2001). Statt die Depression als etwas Trennendes zu sehen, das die Distanz zwischen den Partnern erhöht, sollten Sie beide sich als eine Einheit verstehen, die gegen den »ungebetenen Gast« in Ihrem Leben zusammenhält. Das Bild kann auch dabei helfen zu überlegen, ob der ungebetene Gast manchmal überlistet werden kann und für ein paar Stunden Glück irgendwo zurückgelassen oder ausgesperrt werden kann. Letztlich geht es darum, gemeinsam den »ungebetenen Gast« aus dem Leben zu entfernen.
Ein passendes Bild finden. In der Paartherapie bitte ich die Paare auch oft, ein Bild von sich selbst als Paar und die Krankheit als ein drittes Element zu malen oder mit vorhandenen Materialien zu stellen.
Partnerinnen wählen oft das Bild einer gläsernen Wand, hinter der der andere scheinbar unerreichbar lebt. Betroffene selbst erleben die Depression eher wie einen Stein, der auf ihnen lastet und sie niederdrückt, oder wie eine schwere Kugel, die an ihr Bein gekettet ist und sie in der Beweglichkeit hindert. Eine Frau malte sich und ihren Mann als Wanderer, die gemeinsam ihren Weg durch das Leben gehen, aber ihr Mann hatte dabei einen sehr viel schweren Rucksack zu tragen. Auch die Depression als eine dunkle Wolke, Regen, Schnee oder sogar Eis zu sehen, ist ein häufiges und naheliegendes Bild für die Depression, denn sie besteht oft auch aus dem Gefühl, »dass die Sonne für mich nie mehr lacht«.
Solche Bilder haben den Vorteil, dass sie die Depression als etwas Drittes darstellen, das unabhängig von den beiden Partnern existiert. Die Partner haben die Gelegenheit, sich gegenüber diesem Dritten in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten. Die Schuld an der schwierigen Situation kann an dieses Dritte abgegeben werden. Sie wird nicht bei sich selbst oder bei dem anderen gesucht und dann zum Anlass für Vorwürfe oder Selbstvorwürfe. Außerdem ermöglichen die Bilder es, über die eigenen Empfindungen in Bezug auf die Depression zu sprechen. Die Bilder bringen aber auch einen schmerzlichen Ist-Zustand zum Ausdruck. Wichtig ist es deshalb, immer auch nach den Handlungsmöglichkeiten zu fragen, die in dem Bild angedeutet sind.
Der Mann, der die Depression als eine gläserne Wand darstellte, hatte das Gefühl, dadurch völlig von seiner depressiven Frau abgeschnitten zu sein. Seine Frau konnte sich gut in dieses Bild einfühlen. Sie bestätigte, dass es ihr in solchen Momenten nicht möglich sei, Nähe herzustellen und auf den Mann zuzugehen. Sie fühlte sich selbst in solchen Situationen wie gefangen. Aber sie sagte auch, dass sie schon sehr genau wahrnahm, was hinter der gläsernen Wand vor sich ging. Für sie war es sehr wichtig, dass da überhaupt jemand anwesend war. Es beruhigte sie auch sehr, zu sehen, dass hinter der gläsernen Wand Essen gekocht und die Kinder betreut wurden. Dies machte ihr den eigenen Zustand des Gefangenseins weniger schmerzlich. Für den Mann war es eine ermutigende Rückmeldung, dass er dazu beitragen konnte, seiner Frau ihre Situation ein wenig erträglicher zu machen. Es stellte sich heraus, dass das Bild der gläsernen Wand das tröstliche Element enthielt, dass die Wand durchsichtig war. Beide hatten sich durchaus im Blick, waren noch verbunden. Dass der Mann nichts davon gewusst hatte, wie wichtig er für seine Frau in diesem Moment war, führte zu Überlegungen, wie dies im Alltag zu ändern wäre. Sie einigten sich darauf, manchmal bewusst Blickkontakt zu suchen, und sich durch ein Zunicken oder kurzes Wort zu bestätigen, dass sie verbunden waren.
Die Frau, die ihren depressiven Partner mit dem schweren Rucksack gemalt hatte, äußerte den Wunsch, ihm diesen Rucksack abnehmen oder seine Last erleichtern zu können. Er konnte diese Vorstellung gut mit seinem eigenen Bild der Depression als eines Steins, der auf ihm lastete, verbinden, sagte aber, dass diese Last zu ihm gehöre und außerhalb des Einflussbereichs seiner Frau sei. Sie könne ihm diese Last nicht abnehmen, und selbst wenn dies möglich wäre, wolle er es auch nicht, da er es als seine eigene Aufgabe sah, sich der Last seiner Kindheit zu stellen. Das Bild des Rucksacks spann er so weiter, dass die Steine, die darin enthalten seien, nicht nach außen sichtbar sein sollten. Es solle vielmehr seinen Therapiestunden vorbehalten sein, in den Rucksack hineinzuschauen, und möglichst viele der darin enthaltenen Steinen zu entfernen. Es beruhigte die Frau zu hören, dass er seine Therapie so hoffnungsvoll betrachtete, und es fiel ihr dadurch leichter, sich aus diesem Prozess herauszuhalten. Ihr Mann äußerte umgekehrt die Sorge, dass er sie durch seine Last daran hinderte, so schnell und frei durch das Leben zu gehen, wie es ihr ohne ihn möglich wäre. Sie gab ihm zu verstehen, dass die Vorstellung, allein ohne ihn durch das Leben gehen zu müssen, für sie viel unerträglicher wäre, als die Notwendigkeit, sich an seine Möglichkeiten anzupassen. Sie vereinbarten, dass er deutlich sagen sollte, wenn er eine Ruhepause brauchte oder wenn ein bestimmter Weg ihm zu anstrengend vorkäme. Sehr anstrengende Wege seien für ihn z. B. immer weite Urlaubsreisen, da ihm in der Ferne das Gefühl der Sicherheit fehle, das er in ihrer eigenen Umgebung hätte. Sie nahmen sich vor, nach Kompromissen zu suchen, die ihrem Wunsch nach Abwechslung und seinem Wunsch nach Sicherheit entsprechen. Insgesamt war er aber durch ihre Aussage beruhigt, dass sie die Gemeinsamkeit höher schätzte als mögliche Einschränkungen.
Wenn die Depression als eine dunkle regnerische Wolke gesehen wird, bringt dies die Frage auf, wie Sie sich vor dem Regen schützen können. Brauchen Sie einen Schirm oder regenfeste Kleidung? Gibt es vielleicht eine Schutzhütte, um sich unterzustellen? Können Sie sich als Partner gemeinsam Hand in Hand durch den Regen bewegen? Einen Schirm über dem anderen...
Erscheint lt. Verlag | 13.4.2022 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
ISBN-10 | 3-621-28949-6 / 3621289496 |
ISBN-13 | 978-3-621-28949-8 / 9783621289498 |
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