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Suchttherapie inside (eBook)

Erfahrungswissen für junge Therapeutinnen und Therapeuten

(Autor)

Schattauer (Herausgeber)

eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
144 Seiten
Schattauer (Verlag)
978-3-608-11887-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Suchttherapie inside -  Jens Winkler
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Wissen, das angehenden SuchttherapeutInnen wirklich hilft Alltagsnah: Kompakte Schilderungen, die sich nicht in Theorien verlieren. Schulenübergreifend: Behandlungsleitfaden aus humanistisch-tiefenpsychologischer Perspektive, kann aber für alle Schulen fruchtbar gemacht werden. Die Arbeit in der Suchttherapie ist anspruchsvoll. Sie bietet einige Besonderheiten, Herausforderungen und Fallstricke besonders für angehende TherapeutInnen in diesem Bereich. Der Psychotherapeut Jens Winkler beschreibt in diesem Buch genau das, was er gerne zu Beginn seiner Laufbahn gelesen hätte - aber nicht gefunden hat. Nah am therapeutischen Alltag und den emotionalen Herausforderungen gibt dieses Buch eine griffbereite Orientierung, was Sie wissen sollten, wenn Sie mit Suchterkrankten arbeiten bzw. arbeiten wollen. Hierbei scheut sich der Autor nicht, klare Positionen zu beziehen und mit Ihnen seine Gefühle zu teilen. Ziel ist es, Vorurteile abzubauen, Berührungsängste zu lindern, schwierige Situationen und Gefühle einordnen zu können und die Kompetenz und Freude bei der Arbeit zu vergrößern. Letztendlich muss jede/r eine Haltung entwickeln, die der eigenen Person entspricht und den Anforderungen der Therapie gerecht werden kann - dieses Buch soll Ihnen dabei die größtmögliche Hilfe sein.

Jens Winkler , Psychologischer Psychotherapeut (TP, Zusatzqualifikation Gruppentherapie und EMDR), Psychologe (M. Sc.), Ausbildung an der ZIST-Akademie für Psychotherapie (Institut mit langer humanistischer Tradition), Dozententätigkeit (u. a. im Jung-Institut Zürich), Niederlassung in eigener Praxis in Konstanz, Psychotherapeutische Arbeit im Einzel- und Gruppensetting, diverse Veröffentlichungen. Er lebt mit seiner Familie am Bodensee. 

Jens Winkler , Psychologischer Psychotherapeut (TP, Zusatzqualifikation Gruppentherapie und EMDR), Psychologe (M. Sc.), Ausbildung an der ZIST-Akademie für Psychotherapie (Institut mit langer humanistischer Tradition), Dozententätigkeit (u. a. im Jung-Institut Zürich), Niederlassung in eigener Praxis in Konstanz, Psychotherapeutische Arbeit im Einzel- und Gruppensetting, diverse Veröffentlichungen. Er lebt mit seiner Familie am Bodensee. 

2 Die Psychodynamik der Suchterkrankung


Wenn’s schwierig wird, müssen wir mehr verstehen!

Eine Suchterkrankung ist komplex. Sie ist nicht immer, aber häufig die Antwort auf andere psychische Probleme. Die Sucht koppelt sich jedoch irgendwann von der ursprünglichen Funktion ab und gewinnt eine ganz eigenständige und destruktive Dynamik. Dies führt dann zu Problemen wie z. B. Beziehungskonflikten, Arbeitslosigkeit, psychosozialen und gesundheitlichen Problemen, Schlafstörungen, Selbstwertstörungen, Einsamkeit oder sozialer Isolation. Die Sucht setzt sich wie ein Tintenfisch auf die ursprüngliche Persönlichkeit. Die Tentakel werden auf die »wunden« Punkte wie Ängste, Traumata oder Unsicherheiten gelegt und verhindern von da an eine eigenständige, gesunde Entwicklung. Aus diesem Grund kann man die Sucht nicht einfach beseitigen, ohne alternative Wege aufzuzeigen. Wir müssen verstehen, welche psychischen Funktionen von der Sucht übernommen werden.

Natürlich ist die Entstehung und Aufrechterhaltung der Sucht nicht nur auf psychische Aspekte zurückzuführen. So konsumieren Betroffene im fortschreitenden Verlauf der Erkrankung ganz einfach deshalb, um Entzugssymptome zu bekämpfen. Der bekannte Teufelskreis beginnt. Auch neurobiologische Vorgänge spielen eine entscheidende Rolle. Betroffene fühlen sich häufig ernst genommen und entstigmatisiert, wenn wir diese Perspektive in den Therapien auch vermitteln. Ich möchte mich jedoch hier vorrangig auf die psychodynamischen Aspekte konzentrieren und verweise hinsichtlich der anderen Aspekte auf weiterführende Literatur (z. B. Heinz et al. 2012).

Bei der Behandlung von Sucht spielen die Folgen und die Ursachen sowie eine Nachreifung unter »nüchternen Bedingungen« gleichermaßen eine Rolle. Wenn ein Patient also auf das Suchtmittel verzichtet, ist er mehr oder weniger nackt und verletzlich. Das kann Angst machen. Immer wieder auftauchende Themen sind Scham, Schuld, Selbstwertprobleme, Zugehörigkeit, Umgang mit Leere und Mangelerleben. Für viele bedeutet die Abstinenz, sich nach und nach wieder als fühlendes Wesen zu entdecken. Sie müssen Schritt für Schritt lernen, die eigene diffus erlebte Erregung auszuhalten und in Gefühle zu übersetzen, die eine wichtige und intelligente Orientierungsfunktion für sie haben.

Die Patienten wollen im Kontakt respektiert und ernst genommen werden. Viele erleben subjektiv das Gefühl einer unsicheren Zugehörigkeit (Kolbe 2020). Sie möchten, dass man sie gerecht und nachvollziehbar behandelt. Meiner Erfahrung nach profitieren Betroffene weniger von einem sehr verständnisvollen, mitschwingend-empathischen Helfer als von klarem, echtem Kontakt mit einem authentischen, sie respektierenden Gegenüber. Viele sind sowohl in ihrem Stolz als auch in ihrer Selbstachtung verletzt. Deshalb sollten wir als Therapeuten nicht in die Falle tappen, als Experten schnelle Lösungen parat zu haben, und sie mit »guten Ratschlägen« und Erklärungen füttern. Wir dürfen nicht in Versuchung geraten, ihre Löcher zu füllen. Das birgt nicht nur die Gefahr, dass wir als Behandler ausbrennen, es kann die Selbstachtung unserer Patienten sogar zusätzlich verringern. Unsere Aufmerksamkeit sollte ermöglichen, dass die Patienten ihre Selbstkontrolle und somit auch ihre Selbstachtung zurückerlangen. Dörner et al. (2007, S. 268) gehen sogar so weit, zu sagen: »Je passiver wir sind, desto besser.«

Die folgenden Ideen über die Dynamik der Sucht passen zu meinen Erfahrungen in der Behandlung und halfen mir, bestimmte Erlebnisse und Wahrnehmungen einzuordnen. Es handelt sich dabei immer um Hypothesen, welche während des therapeutischen Prozesses individuell überprüft werden müssen. Die in diesem Kapitel verwendeten psychoanalytischen Begriffe werden am Ende des Buches in einem Glossar (ab S. 133) näher erläutert. Ich hoffe, dass dieses recht theoretische Kapitel dennoch gut verständlich ist und zum Nachdenken anregt.

Es kann sehr hilfreich sein, eine Vorstellung von der möglichen Psychodynamik der Störung zu haben, um schwierige Gegenübertragungsgefühle im Prozess einordnen zu können. Das erleichtert es uns, als Therapeuten unbefangen und zugewandt in der Beziehung zum Patienten zu bleiben. Meiner Meinung nach ist aber nur so viel Theoretisierung notwendig, wie dem therapeutischen Prozess dienlich ist. Wenn wir zu viel mit Theoriebildung beschäftigt sind, müssen wir ständig unsere unmittelbaren Erfahrungen im Therapieprozess damit abgleichen. Dies entfernt uns jedoch von unserem direkten Erleben und unserem Gegenüber.

Eine Deutung kann nur dann wirksam sein, wenn sie keine rein mentale Operation ist. Eine Deutung ist nie an sich wahr. Theorien ermöglichen uns lediglich die Orientierung an bestimmten Deutungslinien. Eine Deutung sollte sich aus einem spontanen Gefühl der Stimmigkeit innerhalb einer Begegnung ergeben. Die Kunst der Gesprächsführung besteht dann darin, wie wir die Informationen aus dem Kontakt (das Verbale, das Nonverbale und unsere Gegenübertragung) in konstruktiver Art und Weise dialogisieren können. Die psychodynamischen Überlegungen sind genau dann sinnvoll, wenn sie uns in unserem offenen, zugewandten und authentischen Beziehungsangebot unterstützen und einen gemeinsamen Verstehensprozess ermöglichen.

Ich möchte nochmals erwähnen, dass nicht jede Abhängigkeitsentwicklung auf einer früheren Störung beruht (Rost o. J.; Schreiber 2016). Grundsätzlich kann jeder Mensch eine Suchterkrankung entwickeln (Rost o. J., S. 5). Wir müssen bei jedem Klienten individuell prüfen, welche innerpsychische Funktion die Sucht übernommen hat. Rost (o. J.) unterscheidet beispielsweise, ob die Sucht der Selbstheilung oder der Selbstzerstörung dienen soll. Eine pauschale Psychologisierung und Pathologisierung wird dem einzelnen Patienten nie gerecht. Wir sollten in der Beziehung mit dem arbeiten, was für uns im Kontakt spürbar ist.

Die Überlegungen von Voigtel (1996) haben mir bei einem tieferen Verständnis der Dynamik der Sucht sehr geholfen. Er bezeichnet die mögliche Psychodynamik bei einer Sucht als Antwort auf eine sogenannte frühe psychische Störung. Die aufgezeigten Dynamiken sind nicht unbedingt spezifisch für die Ausbildung einer Suchterkrankung (z. B. Heigl-Evers 1991, S. 171). Warum einige Menschen auf dieser Grundlage eine Sucht entwickeln und andere beispielsweise eine Persönlichkeitsstörung oder gar ausreichend gesund bleiben, ist noch nicht hinlänglich geklärt. Ich nehme an, dass hier die Verfügbarkeit des Suchtmittels, die eigene Sozialisierung im Umgang mit Alkohol und die verfügbaren Ressourcen eine Rolle spielen. In Bezug auf eine positive und zugewandte Beziehungsgestaltung waren für mich die Ausführungen von Klaus Dörner und Ursula Plog (Dörner et al. 2007) äußerst wertvoll.

MERKE

Unsere Interventionen sollten in jedem Fall den Patienten stärken und nicht schwächen. Wenn sie uns von unserem Patienten entfernen oder misstrauisch machen, dann sollten wir weniger Theorie bemühen, unsere Hypothesen zeitweise loslassen, uns mehr auf das konkrete Erleben im Kontakt konzentrieren und uns möglicherweise mit unseren eigenen angestoßenen inneren Themen auseinandersetzen.

Suchtbegriff und Suchtkriterien Roland Voigtel weist darauf hin, dass es eine gewisse »Beliebigkeit« in Bezug auf die Verwendung des Suchtbegriffs in der klinischen Praxis gibt (Voigtel 1996, S. 215). Er schlägt zwei Kriterien vor: die »Ausschaltung des Selbst« als »psychischen Zweck« und die »Überlassung an ein unbelebtes Objekt« – also das Suchtmittel – als Mittel (Voigtel 1996, S. 738). Alle Gewohnheiten, welche diese Kriterien nicht erfüllen, weil sie etwa ein aktives Selbst oder mehr Können und (Ich-)Fähigkeiten erfordern, wären also nicht als Sucht einzustufen, z. B. exzessives Lesen oder Musizieren.

Darüber hinaus ist es immer lohnend, die Suchtkriterien nach ICD-10 (Dilling et al. 2015) mit unseren Patienten durchzusprechen:

  • starker Wunsch oder Zwang, zu konsumieren (Craving)

  • reduzierte Kontrollfähigkeit bezüglich Beginn, Menge und Ende der Einnahme

  • körperliche Entzugssymptome

  • ...

Erscheint lt. Verlag 19.3.2022
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Psychologie Allgemeine Psychologie
Medizin / Pharmazie Medizinische Fachgebiete Psychiatrie / Psychotherapie
Schlagworte Abhängigkeitserkrankungen • Abstinenz • Abstinenzparadigma • Abstinenz Vor- und Nachteile • Alkoholabhängigkeit • Alkoholismus • Behandlungsvoraussetzung Suchttherapie • Berufsstart • Besonderheiten Gruppentherapie Sucht • Besonderheiten Suchttherapie • Beziehungsgestaltung Suchttherapie • Einbindung Angehörigen Suchttherapie • Entwöhnungsbehandlung • entzugsbehandlung • Erfahrungswissen Sucht • Gegenübertragung Alkoholpatient • Gegenübertragung Suchttherapie • Gruppentherapie Sucht • Gruppentherapie Suchtbehandlung • Herausforderung Suchttherapie • humanistische Therapie Sucht • junger Suchttherapeut • kritische Betrachtung der stationären Suchttherapie • Psychodynamik der Sucht • Psychohygiene Suchttherapie • stationäre Suchttherapie • Suchtbehandlung • Suchterkrankung • Suchtklinik • Suchtklinik Vor- und Nachteile • Suchttherapeut • Suchttherapie • Suchttherapie Einstieg • Tiefenpsychologische Suchttherapie • TP Sucht
ISBN-10 3-608-11887-X / 360811887X
ISBN-13 978-3-608-11887-2 / 9783608118872
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