Beziehungstraumatisierungen aus der Kindheit mit Imaginationen behandeln (eBook)
260 Seiten
Schattauer (Verlag)
978-3-608-11884-1 (ISBN)
Dipl.-Psych. Beate Steiner, Psychologische Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin (DGPT), Dozentin, Lehranalytikerin und Supervisorin, Spezielle Psychotraumatologie (DeGPT), in eigener Praxis tätig, Leiterin des Instituts 'Arbeitskreis für Psychotraumatologie und Katathym Imaginative Psychotraumatherapie' seit 2002. www.kipt.eu
Dipl.-Psych. Beate Steiner, Psychologische Psychotherapeutin, Psychoanalytikerin (DGPT), Dozentin, Lehranalytikerin und Supervisorin, Spezielle Psychotraumatologie (DeGPT), in eigener Praxis tätig, Leiterin des Instituts "Arbeitskreis für Psychotraumatologie und Katathym Imaginative Psychotraumatherapie" seit 2002. www.kipt.eu
Einleitung
Dieses Buch möchte die Leser mit einer auf Imaginationen beruhenden Methode der Traumabehandlung bekannt machen, der Katathym Imaginativen Psychotraumatherapie (KIPT). Sie wurde 2006 von mir und meinem 2008 verstorbenen Kollegen, Klaus Krippner, als psychodynamische Traumabehandlung erstmals in einem Lehrbuch beschrieben und fortlaufend weiterentwickelt. Gründend auf der Psychoanalyse und ihrem psychodynamischen Verständnis seelischer Erkrankungen stellt die KIPT eine traumazentrierte Spezialisierung und Modifizierung der Methode der Katathym Imaginativen Psychotherapie (KIP) dar. Von Hanscarl Leuner in den 1950er-Jahren entwickelt, wurde sie Katathymes Bilderleben (KB) oder Symboldrama genannt und ist schon lange als tiefenpsychologische Methode der Richtlinien-Psychotherapie anerkannt.
Seit 2002 lehren wir die KIPT curricular vor allem zur Behandlung chronischer und komplexer Traumatisierung, sich manifestierend in vielen Krankheitsbildern als Folge von Beziehungstraumatisierung in der Kindheit. Für uns steht die daraus resultierende beeinträchtigte Beziehung der Patientin2 zu sich selbst und zu anderen Menschen ganz im Zentrum der Behandlung. Da wir alle von der Wiege bis zum Grab auf Beziehung angewiesen sind und damit auf Bindung, Zuwendung, Anerkennung, Respekt, Liebe, angemessene Versorgung und Achtsamkeit, sind wir da, wo wir besonderen Schutzes und der Hilfe bedürfen, auch ausgesprochen verletzlich. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass traumatische Beziehungserfahrungen in der Kindheit als die gravierendste Ursache für psychopathologische und psychosomatische Entwicklungen gelten. Geleitet von einem zentralen psychoanalytischen Grundgedanken, verstehen wir psychische Erkrankungen als psychisch verfestigte und verinnerlichte Beziehungsstörungen, die akut oder in einer bestimmten Lebenssituation Verwundung und Leid erzeugen.
Von diesen vor allem durch Beziehungstraumatisierung verursachten Wunden und dem damit einhergehenden Leid sowie seiner Milderung in einer Sicherheit, Halt und Resonanz gebenden psychotherapeutischen Begegnung handelt dieses Buch. Es legt dar, wie – angereichert durch Imaginationen – eingefrorene Lebendigkeit und Kreativität zurückgewonnen, das eigene Gewordensein verstanden und in die Lebensgeschichte integriert werden können. Wir verstehen uns, um nur einige Väter der Psychoanalyse und Psychotraumatherapie zu nennen, in der Tradition des frühen Freud und seines Verständnisses der Traumagenese der Neurosen, Ferenczis Traumakonzeption, seiner Definition des traumatischen Introjekts und der Bedeutung der Wendung der Aggression gegen das Selbst, Balints Ausführungen zur Grundstörung und primären Liebe sowie Winnicotts Verständnis der Bedeutung der »good enough mother«. Diese Pioniere der Psychotraumatherapie haben uns gezeigt, dass das, was in einem Menschen heute leidvoll ist, einmal in Beziehung mit einem anderen Menschen leidvoll war, da unsere innere Welt und, wie wir heute wissen, auch unsere neuronalen Netzwerke in wesentlichen Teilen durch unsere Beziehungserfahrungen geprägt werden. Indem die KIPT besonders die Folgen von Beziehungstraumatisierung in der Kindheit in den Mittelpunkt der Behandlung stellt, verlangt unser psychoanalytisch fundiertes Konzept, die Untersuchungen und Ergebnisse der Selbstpsychologie, Säuglings- und Kleinkindforschung und somit besonders auch der Bindungsforschung und -theorie sowie die relevanten Ergebnisse der Neurowissenschaften in unsere Überlegungen und unser Handeln einzubinden. Sie alle zeigen uns: Traumatische Beziehungserfahrungen beeinträchtigen die Bindungssicherheit und Bindungsfähigkeit des Kindes oder zerstören sie gar. Denn die Seele eines Kindes und auch eines Erwachsenen ist etwas sehr Verletzliches, etwas, das durch Missachtung, Kälte, Ablehnung oder gewaltsame Einwirkung geschädigt, ja sogar zerstört werden kann. So sehen wir dann in der klinischen Praxis Patientinnen mit verschiedensten Symptomen als Reaktion auf frühes Leid und Verwundung im Säuglings- und Kleinkindalter, aber auch Kindesalter. Denn da, wo die Seelennahrung von Bindung, Bezogenheit, Gesehenwerden und Resonanz von Eltern gegenüber ihren Kinder, aus welchen Gründen auch immer, nur unzureichend gegeben ist, ausbleibt oder absichtlich verweigert wird, entstehen tote Zonen im Selbst, Todeslandschaften der Seele (Benedetti 1987, S. 51). Wenn wir Erkrankungen der Seele so verstehen und nicht immer nur von »Störungen« sprechen, sehen wir in diesen Erkrankungen bereits einen Versuch, sich gegen ein Nichtsein, gegen ein Von-allen-Seiten-tot-Sein zu behaupten, um nicht in einem Abgrund des Grauens zu versinken.
Wir müssen uns als Klinikerinnen bewusst sein, dass die Auswirkungen schwerer Traumatisierung im Kindesalter auf die seelische Gesundheit und auf neurobiologische Strukturen weit über das hinausgehen, was Traumatisierung bei Erwachsenen anzurichten vermag. Wiederholte Traumatisierung greift bei Erwachsenen eine bereits geformte Persönlichkeit mit vorhandenen Kompensationsmöglichkeiten an, bei Kindern dagegen prägen und deformieren wiederholte Traumatisierungen die Persönlichkeit. Kumulative Beziehungstraumatisierung3 verhindert nicht zuletzt auch die Möglichkeit, Resilienz zu entwickeln, d. h. sie reduziert unsere Widerstandsfähigkeit, potenziell traumatische Stressoren auch im späteren Leben zu bewältigen.
Anhand eines kurzen Beispiels möchte ich demonstrieren, wie es auf symbolischer Ebene einer Patientin gelang, Zugang zu ihrer Lebendigkeit zu finden, ein weiterer Schritt, um sie sich in der Begegnung mit ihrem inneren, verletzten Kind immer mehr anzueignen.
FALLBEISPIEL Bettina
In einer Imagination begegnete die Patientin in einem Haus einem kleinen, in einer Zinkwanne liegenden Kind, das von einer Eisschicht bedeckt war und tot zu sein schien. Sie erschrak sich zutiefst, weinte verzweifelte, aber auch erlösende Tränen, die auf das Eis fielen und nach und nach dazu führten, dass die Eisschicht schmolz und sie das Kindchen befreien konnte. Sie nahm es in ihre Arme, zog ihm das nasse Hemdchen aus und begann es vorsichtig zu wärmen, ihm die Brust zu geben, es einfach nur zu halten und weiter mit weichen Decken zu umfassen, zu wärmen und zu wiegen.
Zum Aufbau des Buches: In Kapitel 1 »Beziehung, Gewalt und Trauma« kläre ich zunächst, wie Aggression und Gewalt sowie der Begriff der Beziehungstraumatisierung psychologisch verstanden werden. Es folgt ein Blick zurück in die Geschichte der Kindheit, überleitend zur Bedeutung transgenerationaler Traumatisierung als wesentlichem Faktor bei der Weitergabe von Gewalt. Nachfolgend beleuchte ich, wie Gewalt gegenüber Kindern heute aussieht, und gehe auf die Ursachen von Gewalt in der Beziehung zum Kind ein. Danach schließt sich eine Beschreibung der sichtbaren und unsichtbaren Formen von Gewalt an, der akuten und langfristigen komplexen Folgen von Beziehungstraumatisierung, vor allem des klinischen Masochismus und der dominierenden Phänomene von Scham und Schuld.
In Kapitel 2 »Klinische Traumakonzeptionen« stelle ich zusammenfassend die Psychotraumatologie als Wissenschaft dar. Ich gehe auf das Verlaufsmodell psychischer Traumatisierung ebenso ein wie auf die prominenten psychoanalytisch fundierten Traumakonzepte der Selbstpsychologie und Säuglingsforschung sowie der Bindungsforschung und -theorie. Nicht zuletzt fasse ich den für uns wegweisenden psychoanalytisch-psychotraumatologischen Ansatz Léon Wurmsers zusammen, da er die massiven inneren und äußeren Konflikte, die aus Beziehungstraumatisierung entstehen, und deren Verschränktsein mit überwältigenden Affekten mit im Blick hat. Abschließend stelle ich einige mir besonders wichtige Aspekte aus der Traumaforschung der Neurowissenschaften dar, vor allem auch zu den dissoziativen Phänomenen, die als zentraler Bestandteil von Traumatisierung in allen hier vorgestellten Traumamodellen angesprochen sind.
Das Kapitel 3 umfasst ausführlich das behandlungspraktische Vorgehen der KIPT. Ich werde aufzeigen, wie wir mit unserem psychodynamischen Behandlungsansatz, neben steter Stabilisierung und dem Gewinn an mehr Sicherheit, immer auch sowohl indirekt als auch direkt Konflikte bearbeiten. Gleichzeitig lege ich dar,...
Erscheint lt. Verlag | 19.3.2022 |
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Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie ► Allgemeine Psychologie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Beziehungstrauma • beziehungstraumatisierungen • Bindung • Bindungsforschung • Bindungstraumatisierung • Dissoziation • Double-Bind • Gaslightning • hilfreiche Begleiter • Hypersensibilität • imaginieren • Inneres Kind • Introjekte • KIPT • Léon Wurmser Trauma • Missbrauch • Missbrauch Therapie • Misshandlung • Münchhausen Syndrom • Neurobiologie • Objektbeziehungstheorie • Parentifizierung • psychischer Tod • Psychoanalyse Trauma • Psychodynamik • Psychotraumatologie • Selbstpsychologie • Stabilisieren • Täterkonfrontation • transgenerationale Traumatisierung • Transgenerationale Weitergabe • Trauma • Traumadiagnostik • Traumakonfrontation • Traumakonzepte • Traumata • Verlauf psychischer Traumatisierung • Vernachlässigung |
ISBN-10 | 3-608-11884-5 / 3608118845 |
ISBN-13 | 978-3-608-11884-1 / 9783608118841 |
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