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»Aus der Art geschlagen« (eBook)

Eine politische Biografie von Felix Weil (1898-1975)
eBook Download: EPUB
2022 | 1. Auflage
776 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45000-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

»Aus der Art geschlagen« -  Hans-Peter Gruber
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Das Frankfurter Institut für Sozialforschung kam mit der Kritischen Theorie zu weltweitem Ruhm. Noch kaum erforscht ist bislang das facettenreiche Leben von Felix Weil, der diese Plattform für wissenschaftlichen Marxismus maßgeblich konzipierte und mit seinem Millionenerbe ins Leben rief. Der gebürtige Argentinier entstammte einer deutsch-jüdischen Unternehmerfamilie, war Revolutionär, Delegierter der Komintern, Mitarbeiter der argentinischen Regierung, Steuerexperte in Kalifornien und Dozent der US-Armee in Ramstein; er förderte avantgardistische Kunst und schuf selbst ein kleineres wissenschaftliches Werk. Auf breiter Quellenbasis - mit der unveröffentlichten Autobiografie Felix Weils im Mittelpunkt - beleuchtet Hans-Peter Gruber dieses bewegte, kosmopolitische Leben. Den roten Faden bilden Weils undogmatischer Sozialismus sowie sein Glaube an die Macht der Erziehung und Bildung. Als wirkmächtiger Faktor wird zudem Weils jüdische Herkunft sichtbar, die den sozialen Aufstieg der Familie Weil und seinen eigenen Lebensweg im 20. Jahrhundert begleitet.

Hans-Peter Gruber ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg.

Hans-Peter Gruber ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg.

1.Die familiäre Herkunft Felix Weils


Felix Weil entstammt väterlicherseits einer alteingesessenen und weit verzweigten jüdischen Familie aus Steinsfurt, einem heutigen Ortsteil von Sinsheim, im nördlichen Teil des Kraichgaus. Diese in Nordbaden gelegene Region zählte im 19. Jahrhundert zu den Hochburgen des deutschen Landjudentums.75 Mütterlicherseits lassen sich ebenfalls weit zurückreichende Wurzeln der Familie Felix Weils rekonstruieren, die in Mannheim und zuvor längere Zeit in Mainz ansässig war. Zeitweilig ließ sich die Familie in Frankfurt am Main nieder, in der Stadt, die für Felix Weils Leben eine besondere Rolle einnehmen sollte, und verfügte dort über verwandtschaftliche Verzweigungen.

Felix Weils Eltern entstammten dadurch unterschiedlichen Lebenswelten, die väterlicherseits vom ländlichen, mütterlicherseits vom städtischen Judentum geprägt war. Felix Weils eigene Mitteilungen über seine Familie und deren Herkunft sind allerdings in seiner Autobiografie von sehr begrenztem Umfang. Diese auffällige Reserviertheit bezieht sich auch auf Personen, die ihm nahestanden oder die eine bedeutende Rolle – in positiver wie in negativer Hinsicht – in seinem Leben einnahmen.76 Ausführliche Informationen liefert Felix Weil lediglich über den Lebensweg seines Vaters – mit sehr detailreichen Passagen, die zu den wichtigsten Quellen zur Rekonstruktion der Biografie von Hermann Weil zählen.77

Diese Zurückhaltung – zum großen Teil auch Unwissenheit – Felix Weils gegenüber seiner Herkunft und Familie78 lässt sich aber durch Quellen anderer Provenienz sehr gut kompensieren. Auf diese Weise ist der familiäre Hintergrund Felix Weils – vor allem väterlicherseits und damit verbunden das Heraustreten aus der beruflichen und gesellschaftlichen Beengtheit des Landjudentums – sehr gut rekonstruierbar. Dadurch lässt sich gleichzeitig der soziale und ökonomische Aufstieg der Familie nachvollziehen, der sich für das Verständnis der Persönlichkeit von Felix Weil und dessen Biografie als grundlegend erweist.

1.1Hintergrund: Der Kraichgau – eine Hochburg des Landjudentums


Durch Quellen belegbar ist die Ansiedlung von Juden im Kraichgau79 seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts. Das früheste Zeugnis jüdischer Existenz bezieht sich auf einen Juden aus Bruchsal aus dem Jahr 1288.80 Für die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts lassen sich jüdische Einwohner in weiteren Orten – in Bretten, Sinsheim, Waibstadt, Wiesloch und Eppingen – nachweisen.81 Jüdische Gemeinden entstanden aber zu dieser Zeit noch nicht. Die Herkunft der ersten Juden, die sich in dieser Region niederließen, lässt sich nicht mit Gewissheit klären.82 Die Motive zur Aufnahme von Juden waren im Allgemeinen wirtschaftlicher Art. All diese Orte mit den in dieser Region frühesten Nachweisen jüdischer Einwohner erhielten zwischen Ende des 12. und Mitte des 13. Jahrhunderts das Stadtrecht.83 Insbesondere in entstehenden Städten waren Juden in ihrer Rolle als Geldleiher und Händler ein wichtiger Faktor, um die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern.84

Die ökonomische, soziale und rechtliche Situation der Juden war gewöhnlich sehr prekär. Durch weltliche und kirchliche Gesetzgebungen und Verordnungen waren Juden aus vielen Erwerbszweigen ausgeschlossen und weitgehend auf den Geld- und Warenhandel beschränkt.85 Ihre Aufenthaltsgenehmigungen in Form von Schutzbriefen waren gewöhnlich zeitlich befristet und an die Entrichtung von Abgaben gebunden.86 Da Juden gewöhnlich zu weiteren regelmäßigen und einmalig zu leistenden Zahlungen verpflichtet wurden, entrichteten sie deutlich höhere Abgaben als Nichtjuden, so dass die finanzielle Belastung oft drückend war und mitunter existenzbedrohende Ausmaße einnahm.87 Als Kammerknechte unterstanden sie direkt der Krone, welche sie zusammen mit ihrem Eigentum als ihren Besitz betrachtete.88 Damit erfolgte die Gleichsetzung der Juden mit einer Sache, die sich wie jeder andere Besitz nutzen ließ. Die Krone konnte ihre Rechte an den Juden – vornehmlich diejenigen, Abgaben und Steuern zu erheben – an niedrigere Gewalten verkaufen, verpachten oder verpfänden, welche dieses so genannte »Judenregal« ihrerseits weitergeben konnten.89

Die Frühgeschichte jüdischer Existenz im Kraichgau war sehr wechselhaft und von Verfolgungen, Vertreibungen und zwischenzeitlichen Wiederansiedlungen geprägt. Während der gewaltigen Pestepidemie, die in Asien ihren Ursprung hatte und in den Jahren 1348/49 in Europa kulminierte, ereigneten sich die schrecklichsten Verfolgungen, welchen das Judentum bis zu diesem Zeitpunkt ausgesetzt gewesen war.90 Die meisten Juden wurden ermordet oder vertrieben, so dass es Mitte des 14. Jahrhunderts in Deutschland keine größere jüdische Gemeinde mehr gab.91 Auch die Juden des Kraichgaus blieben nicht verschont. Sie wurden ermordet oder flohen, so dass nach diesen Verfolgungen vermutlich keine Juden mehr in dieser Region lebten.92 Erst seit 1373 finden sich wieder vereinzelte Zeugnisse jüdischen Lebens im Kraichgau.93 Schon im Jahr 1390 erfolgte allerdings der nächste schwere Rückschlag, als Pfalzgraf Ruprecht II. (1390–1398) die Vertreibung aller Juden aus seinem Herrschaftsgebiet und damit auch aus Teilen des Kraichgaus anordnete.94 Trotz dieser Vertreibung und von nachfolgenden Regenten bestätigten oder neu erlassenen Ansiedlungsverboten95 lassen sich für das 15. und 16. Jahrhundert jüdische Bewohner in einigen zur Kurpfalz gehörenden Orten des Kraichgaus lokalisieren.96 Von der Vertreibung nicht betroffen waren die Juden in denjenigen Teilen des Kraichgaus, die nicht zur Kurpfalz gehörten. Aber auch dort – beispielsweise in den Reichsstädten oder reichsritterschaftlichen Orten – lebten nur vereinzelt Juden bzw. jüdische Familien.97 So war in allen Orten des Kraichgaus, die Juden die Ansiedlung gestatteten, deren Zahl sehr klein und meistens auf ein bis drei Familien beschränkt.98 Daher konnte sich zu dieser Zeit nirgendwo ein jüdisches Gemeindeleben etablieren.99 Verstärkt wurde diese Entwicklung durch eine zunehmende – vor allem für das 15. und 16. Jahrhundert zu konstatierende – Abwanderung der mittel- und westeuropäischen Juden nach Osteuropa und dort vor allem nach Polen und in die Ukraine, wo auf Grund weitaus besserer Lebensbedingungen neue Siedlungsschwerpunkte und Zentren des aschkenasischen Judentums entstanden.100

Eine dauerhafte und numerisch bedeutsame Ansiedlung von Juden im Kraichgau begann erst in der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618–1648). Die Region litt sehr stark unter den katastrophalen demografischen und ökonomischen Folgen des Krieges.101 Für den Wiederaufbau wurden vor allem Arbeitskräfte und Kapital dringend benötigt. Daher wurden – neben anderen Gruppen an Zuwanderern – auch Juden bereitwillig aufgenommen, um verödete Gegenden zu besiedeln und die Wirtschaft wiederzubeleben.102

Dies galt für die calvinistische Kurpfalz,103 die kleinen lutherischen Reichsritterschaften104 und die zum Hochstift Speyer gehörenden katholischen Orte.105 Das dem Wiederaufbau zu Grunde liegende ökonomische System – die Wirtschaftsform des Absolutismus – war der Merkantilismus. Zu seinen Grundpfeilern zählten »[…] die Steigerung der Staatseinkünfte, die Vermehrung der Bevölkerung und speziell in Deutschland die […] Einwanderung von Fremden, deren wirtschaftliche Betätigung das Land durch neue Methoden und Fertigkeiten stärkte.«106 Vor allem diese veränderten ökonomischen und demografischen Rahmenbedingungen bildeten die Voraussetzung, dass Juden sich wieder an zahlreichen Orten des Kraichgaus niederließen bzw. diese neu besiedelten.107 Hinzu kam, dass seit den Vertreibungen im Spätmittelalter aus zahlreichen Städten der ländliche Raum generell zu einem bevorzugten Siedlungsgebiet der Juden geworden war.108 Als allgemeiner Trend lässt sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine stetige Zunahme der jüdischen Bevölkerung im...

Erscheint lt. Verlag 14.9.2022
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Geschichte Allgemeine Geschichte 1918 bis 1945
Schlagworte 20. Jahrhundert • Antisemitismus • Argentinien • Autobiografie • Biografie • Biographie • Emigration • Exil • Felix Weil • Frankfurt am Main • Geschichte • Institut für Sozialforschung • Juden • Judentum • Jüdische Geschichte • Kapitalismuskritik • Kraichgau • Kritische Theorie • Marxismus • Nationalsozialismus • Ramstein • Sozialismus
ISBN-10 3-593-45000-3 / 3593450003
ISBN-13 978-3-593-45000-1 / 9783593450001
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