Wenn Höflichkeit reinhaut (eBook)
247 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45037-7 (ISBN)
Peter Modler betreibt seit 1998 in Freiburg i. Br. eine eigene Unternehmensberatung. Über 3000 Führungskräfte haben an seinen Workshops und Trainings teilgenommen. Bekannt geworden ist er als Erfinder des »Arroganz-Trainings® für führende Frauen«. In seiner Coaching-Ausbildung »Profit by Difference« bildet er Führungskräfte im gesamten deutschen Sprachraum aus. Zuletzt erschien von ihm das Buch »Wenn Höflichkeit reinhaut« (2022).
Peter Modler betreibt seit 1998 in Freiburg i. Br. eine eigene Unternehmensberatung. Über 3000 Führungskräfte haben an seinen Workshops und Trainings teilgenommen. Bekannt geworden ist er als Erfinder des »Arroganz-Trainings® für führende Frauen«. In seiner Coaching-Ausbildung »Profit by Difference« bildet er Führungskräfte im gesamten deutschen Sprachraum aus. Zuletzt erschien von ihm das Buch »Wenn Höflichkeit reinhaut« (2022).
Kapitel 1
Die kämpferische Höflichkeit
Wie demokratische Standards verteidigt werden
Ohnmacht und Strenge
Die Spielregeln wurden Ihnen vorher mehrfach erklärt: Sie bekommen zwei Minuten, um Ihren Standpunkt darzustellen. Das gilt nicht nur für Sie, sondern auch für Ihren Diskussionsgegner, es soll ja gerecht zugehen. Dreißig Sekunden vor Ablauf Ihrer Zeit erscheint ein gelbes Lichtsignal. Danach wechselt es auf Rot. Wenn Sie das übersehen haben, erinnert Sie die Moderatorin an die Zeitüberschreitung. Soweit die fromme Theorie.
In Wirklichkeit scheren Sie sich keinen Deut darum. Als das rote Licht erscheint, sehen Sie es zwar ganz genau, reden aber trotzdem ungebremst weiter. Die Moderatorin sagt nun höflich: »Danke, Herr Müller.« Das überhören Sie, weiter geht’s. Die Moderatorin wiederholt: »Danke, Herr Müller.« Das interessiert Sie nicht, Sie hören nicht auf zu sprechen. Die Moderatorin, nun schon mit leiser Resignation in der Stimme: »Danke, Ihre Zeit ist zu Ende.« Aufhören, wenn es gerade so gut läuft? Sie reden weiter. »Herr Müller, Sie sind über der Zeit«, die Moderatorin klingt ein bisschen passiv-aggressiv. Na und? Jetzt kommt erst recht noch was. »Danke, Herr Müller«, zum weiteren Mal. Jetzt hören Sie auf. Erst jetzt. Nachdem Sie sechs Mal (!) darum gebeten worden sind. Und weil Ihnen sowieso nichts mehr einfiel.
Finden Sie das peinlich? Haben Sie ein schlechtes Gewissen, weil Ihnen ja durchaus klar ist, dass ein ganz anderes Verhalten von Ihnen erwartet worden ist? Was für ein Typ sind Sie, dass Sie derart über alle Stoppsignale fahren?
Sie sind, zum Beispiel, ein Typ wie Mike Pence, seinerzeit Vizepräsident der USA.
Und die Moderatorin, die ihre unendliche Geduld in derart hilfloser Weise vorgeführt hat, war Susan Page, Anchorwoman bei USA Today. Sie war 2020 dafür zuständig, die Debatte zwischen dem amtierenden Vizepräsidenten und der Gegenkandidatin Kamala Harris zu, tja, moderieren.
Wen sie in diesem Fall am ehesten moderiert hat, war sich selbst. Von der Rolle eines Gatekeepers weit entfernt. Dass diese Debatte nicht komplett unterging, lag im Folgenden weniger an der Moderatorin als vielmehr an der Gegenspielerin von Pence, die sich von ihm wenig gefallen ließ – Kamala Harris.
Susan Page erzählte direkt im Anschluss an diese Moderationserfahrung, dass sie genau so etwas befürchtet hatte. Und eben deshalb hatte sie auch kurz vor dem Auftritt den beiden Kontrahenten noch einmal die Regeln erklärt, in der Hoffnung, dass allein die Darstellung der vereinbarten Regeln das dann folgende Klima prägen würde. Bei dieser Gelegenheit hatte sie auch ausdrücklich angekündigt, dass sie selbst nicht vorhatte, jemanden in dieser Debatte zu unterbrechen. Daran hatte sie sich selbst ja offensichtlich auch gehalten. Nur ein Kontrahent halt nicht. Dem hatte sie dann leider nichts entgegenzusetzen als die freundliche Devotheit einer Stimme, bei der man unwillkürlich an Amazons Digitalsklavin »Alexa« oder »Siri« von Apple denken musste.
Sie hatte sich vorher, darüber hatte sie auch berichtet, sogar mit dem gewohnten Sprachverhalten von Pence auseinandergesetzt. Es war für sie nicht einmal überraschend gewesen, wie er sie ignoriert hatte! Trotzdem war sie in dieses untertänige Verhalten verfallen. Womöglich hatte sie es sogar für höflich gehalten? Wie kommt so etwas?
Wie es auch ganz anders laufen könnte, zeigt eine ganz andere Szene aus dem Großbritannien vor dem Brexit. Die aufgewühlten Debatten zu diesem Thema wurden im englischen Unterhaus bekanntlich mit harten Manschetten geführt. Dass aber immerhin eine demokratische Form dabei gewahrt wurde, lag weniger an den debattierenden Parteien als an der profilierten Figur des parlamentarischen Moderators.
Als Premierministerin Teresa May im Februar 2019 eine Regierungserklärung abgibt, entsteht Unruhe im Parlament. Es ist der »Speaker« (d. i. der Parlamentspräsident), der im Stimmengewirr der Anwesenden für Ordnung sorgt. Die Premierministerin fährt fort in ihrem Vortrag, als ihr ein Parlamentarier mit dem Ruf »Das ist nicht wahr!« ins Wort fällt. May hört auf zu reden und schaut zum Speaker John Bercow, der auch schon reagiert, von seinem mit grünem Leder bezogenen Hochsitz aus.
May setzt sich, der Speaker breitet die Arme aus und ruft das Wort, mit dem er in Großbritannien legendär geworden ist, weil er es stimmlich ebenso unüberhörbar wie virtuos modifiziert: »Order!«, so viel wie »Zur Ordnung! Ruhe!«, und das dreimal, bis tatsächlich Ruhe einkehrt.
Dann steht er auf, breitet lächelnd die Arme aus und stellt laut fest: »Es gibt hier genug Raum für die Klärung dessen, was stimmt und was nicht stimmt. Aber, in aller Fairness, und diesen Punkt wiederhole ich ausdrücklich, muss die Person, die das Wort hat, gehört werden.« Bei seinem letzten Halbsatz »muss die Person, die das Wort hat« unterstreicht er jedes einzelne Wort mit einer expressiven Bewegung des vorgereckten linken Arms. Dann erteilt er May wieder das Wort.
Die kann kaum weitermachen, als auch schon eine Beschimpfung fällt, die May sofort wieder verstummen lässt und Proteststürme der Abgeordneten provoziert. Der Speaker Bercow braucht eine Weile, bis er den Begriff verstanden hat, der da im Raum steht (weil es so laut wurde), aber dann wird er streng: »Ich hoffe, dass das Wort ›Lügnerin‹ nicht gebraucht wurde … Order! … Order!« (weil es wieder laut wurde). Noch lauter: »Ooordeeer!«, mit beiden ausgestreckten Händen und gespreizten Fingern. Und dann: »Ich bin kompetent genug, um diese Angelegenheit unverzüglich zu regeln. Wenn … Order! … wenn dieses Wort eindeutig verwendet wurde […], muss dieses Wort … zurückgenommen werden … und zwar auf der Stelle. Auf der Stelle!«
Dann erst beugt sich Bercow zu den Protokollanten, um zu erfahren, wer das überhaupt gesagt hatte. Wieder hoher Lautstärkepegel. Bercow steht nun auf. »Mir wurde mitgeteilt …, dass das Wort mit hoher Wahrscheinlichkeit vom Fraktionsführer der Schottischen Nationalpartei benutzt wurde. Wenn das stimmt, lasse ich die Debatte nicht weitergehen. Wenn das stimmt, dann fordere ich den ehrenwerten Gentleman auf, dieses Wort zurückzunehmen … Er kann nicht ein anderes Mitglied dieses Hauses der Unehrlichkeit beschuldigen.« Der Speaker deutet mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den betreffenden Abgeordneten: »Nehmen Sie das zurück!«
Daraufhin erhebt sich der besagte Fraktionsvorsitzende, nestelt etwas verlegen an seiner Armbanduhr – damit er Bercow nicht direkt in die Augen sehen muss – und sagt: »Ich nehm’s zurück!«, und setzt sich hin. Ende der Szene.
Da hat man nun einen echten Moderator bei der Arbeit gesehen, der wusste, wie Höflichkeit reinhaut. Hoch professionell, mit vollem Energieeinsatz, mit Beherrschung aller nötiger Tools.
Zugegeben, es sind unterschiedliche Ausgangslagen, die der Journalistin im Drei-Personen-Setting und die des Speakers im Parlamentssaal. Aber in beiden Fällen geht es um die Durchsetzung einer angemessenen Qualität von Auseinandersetzung. Und das funktioniert offensichtlich, hier wie dort, nicht mit demütigen Appellen.
Um dem Missverständnis gleich entgegenzutreten, dass Männer die Moderationsrolle leichter hinbekommen als Frauen, ein anderes Beispiel, noch einmal aus den USA. Es hat auch den Vorteil, dass an ihm ein weiteres wirksames Tool demonstriert wird.
Pause für den 20-Tonner
Wieder ist der Moderator jemand mit ganz besonders hoher Sachkompetenz, wieder jemand, der sehr höflich auftritt. Immer im Anzug, immer Manschettenknöpfe und Krawatte, immer mit seiner gescheitelten Frisur. Chris Wallace ist TV-Anchorman, vergleichbar mit Susan Page, allerdings macht er das bei Fox News, mit einem für diesen Sender erstaunlich hohen inhaltlichen Niveau. Er kann sehr charmant sein, aber seine Nachfragen sind gefürchtet. Und er moderiert nun also das erste direkte Aufeinandertreffen des amtierenden Präsidenten der USA mit seinem Herausforderer im Herbst 2020.
Die neunzig Minuten dieses Duells gerieten dem Moderator Wallace zum puren Desaster. Nach eigener Aussage war es Wallace’s Idee von Moderation gewesen, die Debatte zwischen den beiden thematisch anzuregen, aber ansonsten »so unsichtbar wie möglich« zu bleiben. Dass diese Vorstellung etwas naiv erscheint, wenn einer der beiden für seine respektlosen Übergriffe bekannt war, hätte ihm eigentlich klar sein müssen. Was dieser Kontrahent dann auch prompt lieferte, waren kaum inhaltliche Beiträge, sondern, nach einer Statistik der New York Times,...
Erscheint lt. Verlag | 9.2.2022 |
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Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | Debatte • Dialog • Durchsetzungskraft • Führung • Kommunikation • Konferenz • Meeting • Politik • Rhetorik • Schlagfertigkeit • Störer |
ISBN-10 | 3-593-45037-2 / 3593450372 |
ISBN-13 | 978-3-593-45037-7 / 9783593450377 |
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