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Lust und Pflicht (eBook)

Wege zum geglückten Leben

(Autor)

eBook Download: EPUB
2021
120 Seiten
Passagen Verlag
978-3-7092-5029-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lust und Pflicht - Hellmut Flashar
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Lust und Pflicht sind menschliche Grundphänomene. Der Mensch entwickelt schon früh ein instinktives Luststreben und in der Regel auch ein deutliches Pflichtgefühl. Beide Begriffe - Lust und Pflicht - sind zuerst in der griechischen Philosophie reflektiert, bewertet und systematisch untersucht worden. Platon und Aristoteles diskutieren sie als Ziele im Sinne eines gelungenen Lebens, und die hellenistischen Philosophenschulen fassen Lust und Pflicht als polemischen und systematischen Gegensatz. Hellmut Flashar analysiert den Deutungsprozess, dem die Begriffe Lust und Pflicht seit ihrer Entstehung in der griechischen Antike unterliegen und zeichnet seine Entwicklung über das frühe Christentum, die Renaissance und die Interventionen Kants und Freuds bis in die Gegenwart nach.

Hellmut Flashar (1929-2022) war Professor für Klassische Philologie.

Hellmut Flashar, 1929 in Hamburg geboren, ist emeritierter Professor für Klassische Philologie.

Erfahrungen von Lust.
Erste Lust- und Pflichtkonzepte


Lust


Im alten Epos kommt das Substantiv ἡδονή („Lust“) noch nicht vor. Das hängt nicht nur damit zusammen, dass dieses Wort schwer in den epischen Hexameter passt, sondern findet darin seine Erklärung, dass Lust zunächst durch das im homerischen Epos mehrfach belegte Adjektiv (ἡδύ, „Lustvolles“) in der jeweils konkreten Erscheinungsform erfahren wird. Und da ist die ursprüngliche Bedeutung eine angenehme, süße Empfindung. So wird Wein als ἡδύζ, hier also „süß“ oder „lieblich“ empfunden (Odyssee 9, 253), ebenso eine Mahlzeit im Ganzen (Odyssee 21, 391) und ein „süßer Schlaf“ (Ilias 14, 242). Später ist ἥδυσμα ein Terminus für eine bestimmte Sauce, die einem Gericht als Würze beigegeben werden kann (Aristophanes, Ritter 678). Auch ein herzhaftes Lachen wird im homerischen Epos mit dem gleichen Adjektiv ausgedrückt (Ilias 2, 270), wie auch der alte Nestor beschrieben wird als einer der „süß redet“ (ἡδυεπήζ, Ilias 1, 245), „dem von der Zunge die Rede süßer als Honig fließt“ (Ilias 1, 249). Gemeint ist wohl eine Rede, die sich als etwas Angenehmes gleichsam bei ihrem Publikum einschmeichelt.

Mit dem Aufkommen des Substantivs „Lust“ (ἡδονή) wird die Einzelerfahrung gebündelt und zu einer festen Haltung geformt. Das griechische Wort Hedone (ἡδονή) ist etwas weiter gefasst als die deutsche Übersetzung „Lust“, indem es auch „Freude“ oder „angenehme Empfindung“ ausdrücken kann.2 Der erste Beleg dafür findet sich in einem kurzen Fragment (54, 117) eines Gedichtes von Simonides (556–456) und lautet:

Was für ein Leben der Sterblichen könnte ohne Lust erstrebenswert sein, oder (sogar) welche Tyrannis? Ohne sie (die Lust) ist selbst das Leben der Götter nicht beneidenswert.

Simonides wusste, wovon er sprach. Er hat in Athen die Herrschaft des letzten Tyrannen, des 514 v. Chr. ermordeten Hipparchos, erlebt und dann – ursprünglich auf der Insel Keos beheimatet – weiterhin den Aufstieg Athens nicht nur zu einer militärischen, sondern auch kulturellen Macht begleitet. So ist „Lust“ für ihn ein integraler Faktor des privaten wie des staatlichen Lebens.

Der erste, der das Phänomen „Lust“ näher bestimmt hat, war Aristipp von Kyrene (circa 430–355) Aristipp war Schüler und Anhänger von Sokrates. Platon vermerkt ausdrücklich (Phaidon 59 C), dass Aristipp zu den engsten Gefährten des Sokrates gehört, auch wenn er (wie Platon selber) in der Sterbestunde des Sokrates nicht zugegen war, obschon er in Athen gelebt hat. Aristipp hat dann auch in seiner Heimatstadt Kyrene eine philosophische Schule begründet und dort gelehrt.3 In den antiken Zeugnissen über seine Lehre wird nicht immer zwischen ihm und seinem gleichnamigen Enkel differenziert. Doch dürften die wesentlichen Äußerungen über die Lust die Auffassung des Aristipp (des älteren) selber widerspiegeln. Danach sind Lust und Schmerz „Bewegungen“, und zwar ist die Lust eine „sanfte“, also angenehme, der Schmerz hingegen eine „raue“ Bewegung.

Mit der Bestimmung der Lust als Bewegung, die auf den Menschen zukommt und ihn auch wieder verlässt, ist angedeutet, dass die Lust nichts Permanentes ist, sondern den Menschen temporär ergreift. Diesen Vorgang hat Aristipp mit Wellenbewegungen illustriert. Danach wird die Lust mit einer sanften Woge und günstigem Fahrtwind, der Schmerz als raue Bewegung mit einem Sturm auf dem Meer verglichen. Aristipp (der jüngere) hat dann noch einen neutralen Zustand der „Meeresstille“ als eine ruhige, ja geradezu apathische Verfassung des Menschen hinzugefügt. Eine „stürmische Liebe“ hat Aristipp jedenfalls nicht als eine erstrebenswerte Lust angesehen, sondern ausdrücklich betont, dass man über die Lust gebieten, und nicht ihr unterlegen sein solle. In diesem Sinne solle man die Lust genießen, die der Augenblick bietet, nicht aber nach Genüssen jagen, die in der Ferne liegen. Bei alledem ist zu bedenken, dass Leib und Seele (noch) als eine ungeschiedene Einheit angesehen werden. Eine nur seelische oder eine rein körperliche Lust kennt Aristipp nicht.

Die nähere Bestimmung der Lust durch Aristipp muss in Athen und darüber hinaus Beachtung gefunden haben. So erklärt sich auch, dass Xenophon (431–354) – ebenfalls Anhänger des Sokrates – in seiner Schrift Memorabilien zwei lange (fiktive) Gespräche zwischen Sokrates und Aristipp wiedergegeben hat (II 1; VIII 18). Darin wird deutlich, dass Aristipp zwar einer möglichst angenehmen und unbeschwerten Lebensweise das Wort redet, aber zugleich in Selbstdisziplin über Art und Ausmaß der Lustempfindungen gebietet. Gerade dieses Verhältnis von Lust und Selbstbeherrschung ist dann wohl auch Gegenstand der wirklichen Gespräche zwischen Sokrates und Aristipp gewesen. Spätere Anekdoten haben daraus einseitig und unrichtig Aristipp als einen ausschweifenden und hemmungslos vergnügungssüchtigen Menschen gemacht.

Natürlich wird das Phänomen Lust auch in der mit Sokrates gleichzeitigen Sophistik diskutiert. Im Grunde liegt es nahe, der Lust in einer emanzipatorischen Bewegung wie der Sophistik mit der Betonung des Einzelnen, herausgelöst aus politischen Bindungen, einen hohen Stellenwert zuzuschreiben. Aber schon an den Fragmenten der im Ganzen verlorenen Schriften der Sophisten wird eine subtile Differenzierung erkennbar So wird wiederholt die Nähe von Lust und Schmerz betont. Schon der Politiker Solon hatte ein halbes Jahrhundert vor dem Aufkommen der Sophistik formuliert: „Meide die Lust, die Schmerz hervorbringt“, und einige der Sophisten haben dann ähnlich geurteilt. Gorgias kann für sich in Anspruch nehmen, er habe „nichts aus bloßer Lust getan“ (Frgm. 11, Diels–Kranz). Denn – so heißt es an anderer Stelle bei ihm – „wer Reichtum verschwendet, ist ein Sklave der Lust“ (B 11 e). Und Antiphon versichert: „Wo das Lustvolle ist, da ist in der Nähe auch das Schmerzhafte“ (B 49). Zugleich hebt er hervor, dass man sich manchmal nur eine scheinbare Lust verschafft, in Wirklichkeit aber Schmerzen.

Die von den Sophisten geführten Diskussionen über die Lust und ihre Relevanz für das Leben sind dann auch der Hintergrund, auf dem Platon in seinen frühen und mittleren Dialogen das Phänomen der Lust untersucht.4 Dabei geht es keineswegs allein um eine pauschale Zurückweisung eines hedonistischen Lebensideals im Namen der Philosophie, sondern um eine höchst differenzierte Argumentationskette, wie sie uns bereits in dem relativ frühen Dialog Protagoras entgegentritt (351 B–260 E). Auf die Frage des Sokrates, ob ein angenehmes (das heißt lustvolles) Leben ein gutes Leben ist, lässt Platon Protagoras antworten: „Lust ist nur gut, wenn es Lust am Schönen ist“ (351 C), was ja auch der Auffassung des historischen Protagoras entspricht, soweit sie aus den Fragmenten erkennbar ist. Sokrates führt dann aber ein übergeordnetes Wissen an, das als Maßstab Lust und Unlust gegeneinander abwägen kann. Wenn bloß gefühlte Lust und Unlust die letzten Instanzen sind, wie es einem landläufigen Hedonismus entspricht, dann würde niemand mehr Gefahren auf sich nehmen, die nicht mit Lust verbunden sind. Es bedarf also einer auf Wissen beruhenden Abwägung von dem, was Lust und Unlust ist, zur „Rettung des Lebens“ (375 A). Protagoras stimmt diesem Gedankengang zu, ohne jedoch dessen Konsequenzen ermessen zu können. Platon will also die Sophisten nicht blamieren, sondern deren Lustkonzeption hinterfragen, indem er als entscheidende Kategorie die Instanz des Wissens von Lust und Unlust hinzufügt. Worin dieses Wissen besteht, bleibt vorläufig noch unklar.

In dem etwas späteren Dialog Gorgias, in dem es hauptsächlich um Rang und Stellung der Rhetorik geht, tritt Sokrates in Kallikles einem reinen Machtmenschen entgegen (von dem Nietzsche fasziniert war), der zugleich ein radikaler Vertreter eines groben Hedonismus ist. Ziel des Lebens sei ein unbeschränktes Zufließen von Lust und deren Befriedigung. Selbstbeherrschung sei nur eine Ausrede. Lust, Macht und Freiheit von Bindungen brächten Glück. Lust ist Glück. Sie sei nicht weiter differenzierbar, denn eine Stufung der Lust würde ein mit Unlust verbundenes übergeordnetes Prinzip voraussetzen, das Kallikles strikt ablehnt. Lust ist das Gute, nicht irgendein theoretisches Wissen. Lust und Macht bedingen einander. Je mehr Macht, desto mehr Lust. Wer beides besitzt, kann den Vorteil des Stärkeren für sich in Anspruch nehmen. Natürlich widerlegt auch hier (der platonische) Sokrates diese Position mit dem Hinweis auf ein Wissen vom Guten, bezogen auf die Ordnung der Seele,...

Erscheint lt. Verlag 23.8.2021
Reihe/Serie Passagen Philosophie
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Ethik
Geisteswissenschaften Philosophie Geschichte der Philosophie
Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie Altertum / Antike
Schlagworte Antike Philosophie • Epikur • Hellenismus • Hellenistische Philosophie • Ideengeschichte • Philosophie • Skeptizismus • Stoa
ISBN-10 3-7092-5029-3 / 3709250293
ISBN-13 978-3-7092-5029-7 / 9783709250297
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