Einführung in die Umweltethik (eBook)
150 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961884-5 (ISBN)
Christoph Sebastian Widdau, geb. 1983, ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Bereich Philosophie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, mit den Schwerpunkten Normative Ethik, Angewandte Ethik, Politische Philosophie und Didaktik der Ethik.
Christoph Sebastian Widdau, geb. 1983, ist Lehrkraft für besondere Aufgaben am Bereich Philosophie der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, mit den Schwerpunkten Normative Ethik, Angewandte Ethik, Politische Philosophie und Didaktik der Ethik.
Einleitung
1 Was die Umweltethik ist
2 Der Gegenstand
3 Zur Geschichte
4 Die Grundströmungen
5 Zur Praxis
Literaturhinweise
Glossar
Danksagung
Zum Autor
[7]Einleitung
Die Frage nach dem angemessenen Umgang des Menschen mit seiner Umwelt und der Natur insgesamt steht seit einiger Zeit im Zentrum des öffentlichen Interesses. Sie wird inzwischen nicht nur von Spezialisten in Naturschutzverbänden und Umweltbehörden oder von Philosophinnen und Romanschriftstellern, sondern von sehr vielen Menschen gestellt. Schwere Umweltkatastrophen, mess- und spürbare Effekte der Umweltverschmutzung und eine wissenschaftlich belegte globale Umweltkrise zeigen die Dringlichkeit des Problems auf. Diese Krise wird mehrheitlich, wie es der Philosoph Lothar Schäfer (1934–2020) formuliert, nicht »als ein Ereignis der Naturgeschichte, sondern als ein Effekt der modernen Zivilisation«1 angesehen. Wir haben ein zum Teil menschengemachtes Umweltproblem, ein Problem, das politische Entscheidungen, technische Entwicklungen, ökonomische Prozesse und Lebensweisen infrage stellt. Es verunsichert. Seien wir aber optimistisch: Es ist ein Problem. Und wir tun gut daran, ein Problem erst einmal für etwas zu halten, das wir lösen können.
Das Umweltproblem ist nicht schicksalhaft über die Menschheit hereingebrochen. Es muss nicht tatenlos hingenommen werden. Wir wissen, dass wir die Umwelt beeinflussen können. Diese Einsicht führte unter anderem zur Entstehung der Umweltethik. Die Umweltkrise rief somit auch die Philosophie auf den Plan. Die Frage nach dem angemessenen Umgang des Menschen mit seiner Umwelt und der Natur ist nämlich eine philosophische Frage.
[8]Diese Feststellung könnte den einen oder die andere überraschen: Handelt es sich nicht um eine naturwissenschaftliche Frage? Warum sollte es sich um eine philosophische handeln? Weil es eine Frage ist, die nicht ausschließlich mit naturwissenschaftlichem Fachwissen beantwortet werden kann. Die Antwort auf die Frage nach dem angemessenen Umgang mit etwas erfordert die Berücksichtigung und Begründung von Normen, Zwecksetzungen und moralischen Werten. Wir versuchen, Antworten auf die Fragen zu finden, wie man mit Blick auf die Natur handeln soll und warum man so handeln soll. Jedes Mal, wenn man solche Fragen stellt, begibt man sich, ob beabsichtigt oder nicht, ob gewünscht oder nicht, auf philosophisches Terrain.
Ein Beispiel: Eine Ökologin kann aufgrund ihrer Fachkenntnis einschätzen, dass eine bestimmte Entscheidung E1 das Aussterben der Spezies S zur Folge haben wird und dass mit der entgegengesetzten Entscheidung E2 das Aussterben verhindert werden kann. Sind wir der Meinung, dass die Spezies S aussterben soll, dann sollten wir E1 wählen. Denken wir, dass sie erhalten werden soll, dann sollten wir E2 wählen. Die Frage, ob wir die Entscheidung E1 oder E2 treffen sollen, kann uns die Ökologin in ihrer Funktion als Naturwissenschaftlerin aber nicht beantworten. Sie muss hierfür die Ethik heranziehen.
Ohne Berücksichtigung normativer Annahmen und Urteilskriterien, die dem philosophischen Denken entspringen, kann keine reflektierte Antwort auf die Frage gegeben werden. Das Aussterben einer Spezies ist ein Prozess. Die Existenz oder Nichtexistenz von Angehörigen einer Spezies ist eine empirisch überprüfbare Tatsache. Ob wir uns so [9]entscheiden sollen, dass wir zum Aussterben der Spezies beitragen, ist nicht die Frage nach einem Prozess und nicht die nach einer empirisch überprüfbaren Tatsache. Hierbei handelt es sich um eine praktisch-philosophische Frage. Sie lautet: Was sollen wir tun?
Versucht uns jemand dazu zu bringen, dieses und nicht jenes zu tun, dann fragen wir ihn, weswegen wir dies tun, seine Ansicht teilen und entsprechend handeln sollen. Wir fragen nach Gründen, die uns überzeugen könnten, eine bestimmte Entscheidung zu fällen und ihr entsprechend zu handeln. Für uns könnte es etwa erstrebenswert sein, eine möglichst große Artenvielfalt zu bewahren.
Doch warum sollten wir dies für erstrebenswert halten? Der Wert der Artenvielfalt lässt sich nicht in der Natur finden, nicht mit dem Mikroskop, nicht mit dem Fernglas. Er lässt sich auch nicht mit ökologischen Modellen ermitteln. Aus der Tatsache, dass es in der Natur Artenvielfalt gibt, ergibt sich nicht ohne zusätzliche Wertzuschreibung der Wert von Artenvielfalt. Man kann behaupten, dass Artenvielfalt allein für sich genommen wertlos ist. Oder man kann behaupten, dass genau die Artenvielfalt wertvoll ist, die benötigt wird, damit ein bestimmtes Ökosystem funktioniert. Oder man kann behaupten, dass jede Art an sich wertvoll ist und deswegen geschützt werden soll. Welcher Behauptung sollen wir zustimmen?
Dies gilt es, umweltethisch zu prüfen. Und das Ergebnis der Prüfung hat praktische Konsequenzen. Je nachdem, welcher dieser Behauptungen zum Wert der Artenvielfalt man zustimmt, wird die Praxis, also der konkrete Umgang mit der Artenvielfalt, eine bestimmte sein. Ist man der Meinung, dass die Artenvielfalt wertlos ist, ist der [10]Artenschutz obsolet. Kommt man zu dem Schluss, dass nur bestimmte Arten erhalten werden sollen, wird man sich für deren Erhalt einsetzen, während man andere aussterben lässt oder gar vernichtet. Argumentiert man dafür, dass jede Art an sich wertvoll ist, muss man einen umfänglichen Artenschutz anstreben. Die Umweltethik ist also praktisch relevant.
Das vorliegende Buch ist eine Einführung in die Umweltethik. Mit ihr verfolge ich dieses Hauptziel: Sie soll denen, die an der Frage nach dem angemessenen Umgang des Menschen mit seiner Umwelt und der Natur interessiert sind, sich aber noch nicht mit ihr auseinandergesetzt haben, eine erste Orientierung geben. Sie soll leicht verständlich sein. Sie soll zum Nachdenken anregen. Und hoffentlich hilft sie dabei, sich im Anschluss intensiver mit der Umweltethik beschäftigen zu können.
In den beiden ersten Kapiteln werde ich zeigen, was die Umweltethik ist und welchen Gegenstand sie hat. Worüber genau spricht jemand, der über die Umweltethik spricht? Um die Bedeutung des Kompositums ›Umweltethik‹ zu erfassen, müssen sowohl der Begriff ›Umwelt‹ als auch der Begriff ›Ethik‹ einzeln analysiert und definiert werden. Das Ziel der beiden ersten Kapitel ist es, die für uns wichtigen Grundbegriffe zu klären und den Gegenstandsbereich zu bestimmen. Denn täten wir dies nicht, würden wir uns schnell im Ungefähren verlieren. Wir sollten aber nicht unbestimmt und vage über die Umweltethik und ihren Gegenstand sprechen, sondern genau verstehen, worum es geht.
Das dritte Kapitel führt in die Geschichte der Umweltethik ein, identifiziert ihren Ursprung, weist auf [11]Meilensteine dieser speziellen Ethik hin und leitet dann zu einer Darstellung ihrer beiden Grundströmungen, nämlich des Anthropozentrismus und des Physiozentrismus, über, auf die im vierten Kapitel ausführlich eingegangen wird. Dabei wird schnell deutlich, dass in der Umweltethik kontrovers diskutiert wird, und zwar nicht nur über Details, sondern auch über Grundsätzliches. Es ist nicht so, dass sich Umweltethiker einig sind, wie die Frage nach dem angemessenen Umgang des Menschen mit seiner Umwelt und der Natur zu beantworten ist. Es bestehen grundsätzliche Differenzen und es gibt unterschiedliche Ansichten, und zwar je nachdem, welchen Ausgangspunkt man wählt, um über das Umweltproblem nachzudenken. Einige Umweltethikerinnen denken, dass die Umweltethik allein den Menschen, seine Ansprüche, Bedürfnisse und Interessen im Blick haben sollte. Nur der Mensch sei moralisch relevant. Andere Umweltethikerinnen gehen davon aus, dass nicht nur der Mensch, sondern auch andere Tiere2, vielleicht sogar Ökosysteme oder die gesamte Natur moralisch relevant sind. Warum gibt es diese unterschiedlichen Ausgangspunkte? Und was bedeutet es für die Praxis, die eine oder die andere Antwort auf die Frage nach dem angemessenen Umgang zu geben?
Im fünften Kapitel werde ich darauf eingehen, ob einzelne Individuen oder Kollektivsubjekte wie politische Gemeinschaften in die umweltethische Pflicht zu nehmen sind und ob einzelne Individuen oder Gemeinschaften gut [12]daran tun, zu reflektieren und Verhaltensweisen, die einen Umwelteinfluss haben, beizubehalten oder zu ändern. Soll die Einzelne, wenn sie der Meinung ist, dass dies an sich richtig ist, auf Inlandsflüge verzichten, auch wenn das allein wenig zur Eindämmung des Klimawandels beiträgt? Soll der Einzelne, der die Umwelt schonen möchte, nicht mehr mit dem eigenen Auto zur Arbeit fahren, auch wenn ihm dies gesetzlich nicht verboten ist? Soll der einzelne Mensch aufhören, gekochtes, gebratenes oder gegrilltes Fleisch zu verzehren, das aus der Massentierhaltung stammt? Oder ist es eine gemeinschaftliche Aufgabe, Inlandsflüge, die Nutzung privater Autos und die Massentierhaltung zu verbieten? Ist es, solange es kein gesetzliches Verbot gibt, kein moralischer Fehler der Einzelnen, wenn sie Inlandsflüge buchen, das eigene Auto steuern und das Fleisch verzehren? Kurz: Wer oder was ist der Adressat umweltethischer Forderungen?
Mit dieser Einführung werden also mehrere Ziele verfolgt:
Die Leserinnen und Leser des Buches werden nach seiner Lektüre erstens wissen, was die Umweltethik ist und wovon sie zu unterscheiden ist.
Sie werden zweitens besser verstehen, was der Begriff ›Umwelt‹ bedeutet und von welchen anderen Begriffen er abgegrenzt werden sollte.
Sie werden drittens näher kennenlernen, welche Geschichte die Umweltethik hat und warum es sie gibt.
Sie werden viertens erfahren, welche Grundströmungen und unterschiedlichen Positionen in der Umweltethik vertreten und warum sie...
Erscheint lt. Verlag | 16.7.2021 |
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Reihe/Serie | Reclams Universal-Bibliothek | Reclams Universal-Bibliothek |
Verlagsort | Ditzingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Allgemeines / Lexika |
Schlagworte | Artenschutz • Basiswissen • Christoph Sebastian Widdau Gegenstand der Umweltethik • Christoph Sebastian Widdau Geschichte der Umweltethik • Christoph Sebastian Widdau Grundströmungen der Umweltethik • Christoph Sebastian Widdau Naturethik • Christoph Sebastian Widdau Philosophie • Christoph Sebastian Widdau Praxis der Umweltethik • Christoph Sebastian Widdau Umgang mit Umwelt • Christoph Sebastian Widdau Umwelt • Christoph Sebastian Widdau Umweltethik • Christoph Sebastian Widdau Umweltschutz • Einführung • Erläuterungen • Ethik • gelb • gelbe bücher • Gesellschaft • Grundlagen • Grundlagen Naturethik • Lektüre • Naturschutz • Ökologie • Ökologische Ethik • Philosophie • Philosophie Gegenstand der Umweltethik • Philosophie Geschichte der Umweltethik • Philosophie Grundströmungen der Umweltethik • Philosophie Naturethik • Philosophie Naturschutz • Philosophie Ökologie • Philosophie Philosophie • Philosophie Praxis der Umweltethik • Philosophie Umgang mit Umwelt • Philosophie Umwelt • Philosophie Umweltethik • Philosophie Umweltschutz • Reclam Hefte • Reclams Universal Bibliothek • Ressourcen • Studenten • Studentinnen • Studierende • Umwelt • Umweltbewusstsein • Umweltschutz • universalbibliothek • Universität • Vorlesungen • Widdau Philosophie • Widdau Umwelt • Widdau Umweltschutz • Wissen • Wissenschaft • Wissenschaftliche Abhandlung |
ISBN-10 | 3-15-961884-6 / 3159618846 |
ISBN-13 | 978-3-15-961884-5 / 9783159618845 |
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Größe: 679 KB
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