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Der Ursprung der Soziologie aus dem Geist der Restauration (eBook)

Studien über L. G. A. de Bonald
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
219 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11639-7 (ISBN)

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Der Ursprung der Soziologie aus dem Geist der Restauration -  Robert Spaemann
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Philosoph der Restauration und Vater der Soziologie; gläubiger Christ und Ahnherr eines atheistischen Positivismus - diese Ambivalenz kennzeichnet die ebenso entscheidende wie wenig bekannte Rolle des Vicomte de Bonald in der Geschichte der Gesellschaftslehre. Zwar ging es dem Begründer des »Traditionalismus« vor allem um die Bewahrung der theologisch-metaphysischen Tradition; seine Sprachphilosophie, seine Theorie der Souveränität und der Legitimität zeugen davon. Im Ergebnis aber hob Bonald die alte Metaphysik radikaler auf, als die atheistischen Materialisten des achtzehnten Jahrhunderts es getan hatten; denn er machte Philosophie und Religion zu Funktionen der Gesellschaft. So weit klafften Absicht und Wirkung bei diesem oft als erzkonservativ angesehenen Denker auseinander. Deshalb konnten sich auch so verschieden gerichtete Geister wie Lamennais, mit dessen tragischem Geschick die Anfänge einer »christlichen Demokratie« verbunden sind, und Charles Maurras auf Bonald berufen, der, von Comte herkommend, aus einer Verquickung von Positivismus und Katholizismus ein totalitäres System abzuleiten suchte. Es war Charles Péguy, der dann als erster sah, daß der moderne intellektuelle Konservatismus einen radikaleren Bruch mit der abendländischen Tradition darstellte als die Französische Revolution und die Philosophie ihrer geistigen Wegbereiter. Ein Wortführer aus einer uns heute ferngerückten Zeit erweist sich durch all diese Tatsachen und Bezüge als überaus aktuell. Spaemanns glänzend geschriebenes Buch erschien 1959 zum erstenmal und wird hier, gerade auch im Hinblick auf den Stand der Soziologie nach rund vierzig Jahren, wieder vorgelegt.

Robert Spaemann, geboren am 5. Mai 1927 in Berlin, studierte Philosophie, Romanistik und Theologie in Münster, München und Fribourg. Von 1962 bis 1992 lehrte er Philosophie an den Universitäten in Stuttgart, Heidelberg und München, wo er 1992 emeritiert wurde. Robert Spaemann hatte zahlreiche Gastprofessuren inne, erhielt mehrere Ehrendoktorwürden und war 2001 der Träger des Karl-Jaspers-Preises der Stadt und der Universität Heidelberg. Robert Spaemann, einer der führenden konservativen Philosophen im deutschsprachigen Raum, starb am 10. Dezember 2018.

Robert Spaemann, geboren am 5. Mai 1927 in Berlin, studierte Philosophie, Romanistik und Theologie in Münster, München und Fribourg. Von 1962 bis 1992 lehrte er Philosophie an den Universitäten in Stuttgart, Heidelberg und München, wo er 1992 emeritiert wurde. Robert Spaemann hatte zahlreiche Gastprofessuren inne, erhielt mehrere Ehrendoktorwürden und war 2001 der Träger des Karl-Jaspers-Preises der Stadt und der Universität Heidelberg. Robert Spaemann, einer der führenden konservativen Philosophen im deutschsprachigen Raum, starb am 10. Dezember 2018.

Biographische Vorbemerkungen


De Bonald gilt als Begründer des sogenannten »Traditionalismus«. Als solchem scheint ihm nur noch ein antiquarisches Interesse zuzukommen. Der Traditionalismus, eine fast vergessene philosophisch-theologische Richtung, gilt als widerlegt oder auch als »überholt«. Solcher Beurteilung einer philosophischen Theorie könnte ein unangemessener Maßstab zugrunde liegen; vielleicht ist er weniger unangemessen gegenüber einer Philosophie, die die Autorität zur »höchsten Vernunft« erklärt und von ebendieser Autorität desavouiert wird. Das geschah durch die kirchliche Verurteilung des Traditionalismus im 19. Jahrhundert.

Es ist aber die Frage, ob man Bonald dadurch gerecht wird, dass man ihn als »Begründer des Traditionalismus« zum Haupt einer erkenntnistheoretischen Schulmeinung und damit zu einer Episode der Philosophiegeschichte macht. Näher bei seinem eigenen Selbstverständnis liegt es, ihn als »maître de la contrerévolution« zu charakterisieren und seine Philosophie der französischen Restauration von 1814 bis 1838 zuzuordnen. Als Theoretiker der Restauration steht er allerdings – weniger für die Zeitgenossen als für die Nachwelt – im Schatten jenes Joseph de Maistre, der an Bonald schrieb: »Ich habe nichts gedacht, was Sie nicht geschrieben, und nichts geschrieben, was Sie nicht gedacht hätten«, und der doch genau das war, was Bonald nicht war und nicht sein wollte, ein bel esprit.

Bonald gilt als »Scholastiker« und als trocken. Er selbst hat diese Trockenheit bewusst gepflegt: »Ich überlasse das Kolorit dem Verfasser des Emile; seine Paradoxe haben es nötig« (I 743). Bonald ist Philosoph und Schriftsteller wider Willen. »Herrschaft der Philosophie« ist für ihn gleichbedeutend mit Revolution, diese aber bedeutet das Ende jener Herrschaft der Vernunft, die im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts zu ihrer vollendeten Gestalt gekommen war. Erst diese Situation macht es notwendig, der geschichtlich inkarnierten Vernunft auch jenen theoretisch angemessenen Ausdruck zu verschaffen, der sie instand setzt, es mit der revolutionären Philosophie aufzunehmen. Die tiefgreifende Wandlung, die der traditionelle Philosophiebegriff bei diesem Versuch, die Tradition zu bewahren, erfahren hat, ist einer der Gegenstände, die im Folgenden zu behandeln sein werden. Es handelt sich um den Übergang von der Metaphysik zur Theorie der Gesellschaft, zur Soziologie, als deren Vorläufer, ja Begründer der Vicomte de Bonald angesehen werden kann. Das gegenrevolutionäre Denken wird zur Vollendung des revolutionären, der traditionalistische Katholizismus führt über Comte zum atheistischen eines Charles Maurras.

Der gleiche Bonald aber, auf den sich die royalistischen Kampftrupps des 20. Jahrhunderts beriefen, war auch der Lehrer des Abbé Lamennais, mit dessen tragischem Geschick die Anfänge einer »christlichen Demokratie« auf dem europäischen Kontinent im 19. Jahrhundert verknüpft sind. Diese Zusammenhänge werden in einigen kleinen Kapiteln mehr angedeutet, als dass sie im Einzelnen verfolgt werden. Zunächst und vor allem ist es darum zu tun, das, was bei Bonald selbst philosophisch geschieht, möglichst genau zu vergegenwärtigen und in seiner Bedeutung wie in seiner unaufhebbaren Ambivalenz sichtbar zu machen.

Louis-Gabriel-Ambroise Vicomte de Bonald wurde am 2. Oktober 1754 zu Millau im Rouergue als Sohn einer alten Adelsfamilie geboren. Im Alter von vier Jahren verlor er seinen Vater. Bis zu seinem elften Lebensjahr wurde er zu Hause unterrichtet und von seiner Mutter in einer mehr als nur traditionellen Frömmigkeit erzogen.

Von 1765 an absolvierte er die üblichen Studien der alten Sprachen, der Rhetorik und Philosophie, erst in Paris, später in dem berühmten Oratorianerkolleg in Juilly. Dorther stammt wohl vor allem seine Vertrautheit mit der Philosophie Malebranches, der ja selbst den Oratorianern angehörte.

Nach Abschluss der Studien und des Militärdienstes kehrte er 1776 in seine Heimatstadt zurück. 1785 wurde er zum Bürgermeister gewählt; 1790, also schon unter der Herrschaft der Nationalversammlung, wählten ihn die Bürger seiner Stadt in das Direktorium des Departements Aveyron, welches ihn wiederum zum Präsidenten der Departementverwaltung machte.

Diese wenigen Daten sind gerade in ihrer Kargheit aufschlussreich; sie zeigen uns einen Mann, der im Rahmen einer festgefügten oder doch anscheinend festgefügten Ordnung für einen begrenzten Bereich Verantwortung trägt, und dies offenbar in einer Weise, die durch Umsicht, Sachkenntnis und Gewissenhaftigkeit hervorsticht. Weiter nichts. Der Name des Bürgermeisters Bonald wurde nur einmal – in einem Ausnahmezustand sozusagen – bekannt und in der Pariser Nationalversammlung genannt; das war im Sommer 1789, als das Gerücht von umherziehenden Banden zahlreiche Städte und Landstriche beunruhigte. Damals ergriff Bonald, noch als Bürgermeister, die Initiative zur Organisation einer gemeinsamen Selbstverteidigung der Städte des Departements, was ihm ein Lob der Nationalversammlung eintrug.

Bonald ist kein Romantiker. 35 Jahre hat er das Dasein, das er später mit der Feder verteidigte und dann mit Gewalt wiederherzustellen versuchte, einfach gelebt, und zwar an einer Stelle, wo es am ehesten noch als ein substantielles Dasein zu erleben war. Wenn er später die Privilegien des Adels rechtfertigte, indem er sie streng aus der gesellschaftlichen Funktion des Adels ableitete, so war es nicht das Bild des Pariser Hofadels, das ihm vor Augen stand, sondern sein Bürgermeisteramt in Millau und seine Departementsverwaltung in Aveyron.

Es ist für den Charakter der ganzen nun folgenden literarischen Tätigkeit Bonalds tief bezeichnend, dass das erste Schriftstück, das er veröffentlichte, der Brief an das Direktorium des Departements war, in dem er diesem die Niederlegung seines Mandates mitteilte. Anlass war die neue, von der Nationalversammlung beschlossene und vom König unterzeichnete Zivilkonstitution der Kirche und vor allem die dem Klerus abgeforderten Eide auf die neue Regelung des Verhältnisses von Kirche und Staat, die im Grunde eine Krönung der alten gallikanischen »Freiheiten« war. Als Angehöriger der Departementregierung wäre Bonald für die Durchführung dieser Dekrete mitverantwortlich gewesen. Wenn auch sein Amt als Verwaltungspräsident ihm erlaubt hätte, persönlich den betreffenden Sitzungen fernzubleiben, so hielt er es doch für seine Pflicht, aus einer »zweideutigen Abwesenheit oder einem furchtsamen Schweigen« herauszutreten. Das Schweigen des Papstes, die Ablehnung der Dekrete durch die Mehrzahl der Bischöfe sind für ihn ein hinreichendes Argument. »Ich vermag die Achtung, die ich meiner Religion schulde, nicht von der Achtung zu trennen, die sie mir für ihre Diener vorschreibt« – ein Satz, den er später wiederum theoretisch gerechtfertigt hat. »Ich würde meine Religion entehren, wenn ich ihre Priester in den Konflikt zwischen dem Gewissen einerseits und dem Interesse, dem Meineid und der Würdelosigkeit andererseits brächte . . . Nein, nein, meine Herren, nein; die Humanität ebenso wie die Religion erheben sich gegen diese Gedanken.« Dieser Brief, der im eigentlichen Sinne des Wortes die Einleitung seiner neuen Existenz als Emigrant und Schriftsteller darstellt, zeigt uns nicht einen theoretisierenden Politiker oder einen persönlich geschädigten Aristokraten, sondern er zeigt einen Menschen, der sich unmittelbar in seiner religiösen Substanz getroffen findet. Aus diesem Getroffensein entsprang für ihn die Notwendigkeit einer systematischen und umfassenden Auseinandersetzung mit den Prinzipien der Philosophie des 18. Jahrhunderts.

Bonald zog sich zunächst auf seinen Landsitz zurück, um jedoch bald darauf zu emigrieren und in die Fürstenarmee einzutreten. Nach seiner Beurlaubung ließ er sich in Heidelberg nieder und widmete sich dort ganz der Erziehung seiner beiden Söhne. Bonald war kein Weltbürger; er blieb auch in der Emigration leidenschaftlicher Franzose und hätte wohl nie, wie de Maistre, seine Dienste einem...

Erscheint lt. Verlag 15.5.2021
Verlagsort Stuttgart
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie Geschichte der Philosophie
Geisteswissenschaften Philosophie Philosophie der Neuzeit
Schlagworte Konservatismus • Religion • Soziologie • Sprachphilosophie
ISBN-10 3-608-11639-7 / 3608116397
ISBN-13 978-3-608-11639-7 / 9783608116397
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