Hagakure. Die Maximen der Samurai (eBook)
244 Seiten
Reclam Verlag
978-3-15-961880-7 (ISBN)
Hagakure
Lehrsätze Band 1
Plauderei in den Schatten des Abends
Notizen Nr. I
Lehrsätze Band 2
Notizen Nr. II
Nachwort
Lehrsätze Band 2
Notizen Nr. II
II-1. »Welche Verhaltensweisen sollten einem Mann im Lehnsdienst verpönt sein?« Als ich einmal diese Frage stellte, kam die folgende Antwort: »Das sind doch wohl Sauferei, Protzerei und Verschwendung. In schlechten Zeiten kann man sich das sowieso nicht leisten. Und hatte man einmal ein bisschen Glück, neigen diese drei Dinge dazu, einem zum Verhängnis zu werden. Man betrachte doch nur das Schicksal und die Lebensumstände anderer Männer. Sobald bei ihnen alles gutgeht, schlagen sie mehr und mehr über die Stränge und tendieren zu Protzerei und Verschwendung, was höchst unansehnlich und gemein ist. Darum entwickelt sich bei Menschen, die noch nie mühselige Erfahrungen machen mussten, kein fester Charakter, und deshalb ist es in jungen Jahren auf jeden Fall besser, viel Mühsal zu erfahren. Im Großen und Ganzen gilt, dass Männer, die zu Zeiten großer Mühsal und großen Unglücks den Mut verlieren, von keinerlei Nutzen sind.«
II-2. Ich fragte einmal: »Um was für ein Ding handelt es sich beim Kakuzō-Stil?« Da wurde mir gesagt: »Unter den Sandalenträgern des Schwertmeisters Nabeshima Kiun gab es einen Mann von überlegener Körperkraft namens Kakuzō, der die Schwertkunst erlernte und binnen Kurzem einen Stil des Ringens entwickelte, den er Kakuzō-Stil nannte und dann hier und dort lehrte. Seine Techniken übermittelt er noch heute. Dabei handelt es sich um einen Stil, der solchen feinen Kampfkünsten wie dem Ringen, die natürlich und plausibel sind, völlig entgegensteht. Mein eigener ›Stil‹, also meine eigene Lebensweise, ist genau so beschaffen und hat mit vornehmen Attitüden nichts zu tun. Meine Lebensweise ist von sich aus einfach und schlicht und ist daher genau wie der Kampfstil des Sandalenträgers Kakuzō von echtem, praktischen Nutzen. Darum habe ich mich in letzter Zeit darauf verlegt, meine eigene Lebensweise Kakuzō-Stil zu nennen.«
Auch wurde mir gesagt: »Letztens begriff ich auf einer geselligen Zusammenkunft, dass das tiefste Mysterium wahrer Liebe eine geheimgehaltene Liebe ist. Sobald man seine Liebe offenbart, verliert sie an Reinheit. Gerade so zu sterben, während man ein Leben lang seine Liebe geheim hielt, bedeutet wahre Liebe. In einem Gedicht heißt es:
Erkenne meine Liebe
Nach meinem Tod im Rauch,
Wenn schließlich ich meine innersten Gefühle
Nicht mehr zu unterdrücken vermag.
Genau dies ist Liebe von höchster Reinheit. Als ich das sagte, zeigten sich vier, fünf andere Männer davon beeindruckt, und wir nennen uns seitdem den »Kreis der Rauchfreunde«.
II-3. Im hohen Alter behandelte Herr Taku Mimasaka seine Gefolgsleute oft unbillig und ungerecht. Da erlaubte sich ein bestimmter Mann, ihn zu tadeln. Daraufhin soll Herr Taku geantwortet haben: »Das mache ich alles für meinen Erben und Stammhalter Nagato. Nachdem ich gestorben bin, soll er mit ruhigem Gewissen schlafen können.«
Überlassen Lehnsherren, die ihre Umgebung oft ungerecht behandeln, den Klan ihren Nachfolgern, so sind diese Vasallen ihrem neuen Lehnsherrn dann schneller geneigt.
Diese Geschichte von Herrn Taku Mimasaka erzählte mir jemand unter dem Siegel der Verschwiegenheit.
II-4. Begegnet man jemandem, muss man den Charakter und das Temperament des Gegenübers schnell auffassen und ihn je nachdem entsprechend behandeln. Spitzfindigen und dickköpfigen Leuten gegenüber muss man von sich aus unterwürfig auftreten, damit kein Streit aufkommt. Dann überzeugt man sie mit besseren Argumenten und sorgt hinterher dafür, dass auch nicht ein bisschen Groll oder Missgunst zurückbleibt. Dies ist die richtige Einstellung, was nur ein Problem einer raschen Auffassungsgabe und der eigenen Schlagfertigkeit ist.
Diese Mitteilung überhörte ich, als ein bestimmter Abt einen gewissen Mann ermahnte.
II-5. Als Abt Ryōi, der als Hauptpriester des Tempels Daijōji in der Domäne Kaga in den Ruhestand getreten war, in seine Heimat Saga zurückkehrte, kümmerte sich der Hauptpriester des Tempels Kōdenji Abt Gyōjaku persönlich um die Ausbesserung und die Reinigung seiner Unterkunft, der Einsiedelei Sōjuan in Hokuzan.
Oder als Abt Unmon vom Tempel Tenyūji seinem Vorgänger Abt Kaion eine Sommerkutte schickte, ließ dieser sie mit der Bemerkung zurückgehen, dass sie zu luxuriös sei und ihm deshalb nicht stehe, und wünschte sich stattdessen eine alte, ausrangierte Kutte von Unmon selbst.
Auch ließ man für Abt Suigan freundlicherweise eine neue Mönchsklause errichten, als er die Einsiedelei Sōjuan besuchte, und um ihn willkommen zu heißen, geruhte Abt Ryōi, selbst die Wand zu bemalen. Das ist wirklich eine große Ehre und Gnade.
Abt Ryōis Klause im Ruhestand in Hokuzan Kurozuchibaru hieß Chōyōken, aber am 19. Tag des 4. Monats des 2. Jahres Shōtoku wurde der Klause der Name einer Einsiedelei zuerkannt und Sōjuan genannt.
II-6. In Träumen kommt die Wahrheit hoch. Ich träume oft, im Kampf erschlagen zu werden oder seppuku zu begehen, denn wenn man in seiner Brust am Mut festhält, verändert sich die eigene Herzenshaltung und Entschlossenheit auch allmählich bis in die eigenen Träume hinein. Dies betrifft den Traum am Abend des 27. Tages des fünften Schaltmonats.
II-7. Um von dem essentiellen Geheimnis eines wahren Kriegers zu sprechen, ist es das Wichtigste, sich mit Leib und Seele seinem Lehnsherrn zu verschreiben.
Und um davon zu sprechen, was man darüber hinaus machen könne, so gilt es, in seinem Herzen chi, jin und yū, also »Wissen«, »Edelmut« und »Tapferkeit«, zu kultivieren. In allen drei Tugenden gleichermaßen bewandert zu sein mag für einen Durchschnittsmenschen unerreichbar zu sein scheinen, aber in Wirklichkeit ist das einfach.
chi, »Wissen«, bedeutet, den Worten anderer Menschen zuzuhören. Dadurch wird man unermessliche Weisheit geschenkt bekommen.
jin, »Edelmut«, bedeutet, zum Wohle anderer Menschen zu handeln. Das bedeutet nicht mehr, als für andere Leute das zu tun, was sie sich erhoffen.
yū, »Tapferkeit«, bedeutet, die Zähne zusammenzubeißen. Hier gilt es, ohne zu schwanken und zu zögern einfach nur die Zähne zusammenzubeißen und vorwärtszustürmen.
Darüber hinaus braucht man keine weitere Vernunft oder Weisheit.
Dann sollte man noch, was die äußere Erscheinung angeht, auf sein Aussehen, sein Benehmen, seine Sprechweise und seine Handschrift achtgeben. Bei all diesen Dingen handelt es sich allerdings um alltägliche Angelegenheiten, darum sollte man das eigentlich beherrschen können, solange man es nur unablässig übt. Und man sollte dabei einen warmen, freundlichen Gesichtsausdruck anstreben, der auch innere Stärke ausstrahlt.
Hat man diese Dinge verinnerlicht, so studiere man die Geschichte und Traditionen des Nabeshima-Klans, und danach möge man noch, aber nur zur Zerstreuung, auch andere Kunstfertigkeiten erlernen.
Denkt man tief darüber nach, dann ist der Lehnsdienst ausgesprochen einfach. Aber Männer, die heutzutage auch nur ein bisschen von Nutzen sind, haben nicht mehr als die oberflächlichen drei Prinzipien, äußeres Aussehen, Sprechweise und Handschrift, verinnerlicht.
II-8. Ein bestimmter Laienmönch sagte: »Versucht man unvorsichtig, einen Fluss zu überqueren, ohne sich überhaupt zu vergewissern, ob er tief oder seicht sei, kann es auch vorkommen, dass man das gegenüberliegende Ufer nicht erreicht und ertrinkt, ohne an sein Ziel gekommen zu sein. Jemand, der sich nur aufs Geratewohl im Lehnsdienst anstrengt, ohne an die Strömungen der Zeit oder die Gesinnung Seiner Hoheit zu denken, wird im Gegenteil von keinerlei Nutzen sein und sich letztlich zugrunde richten.
Ausschließlich zu versuchen, Seiner Hoheit zu Gefallen zu sein, ist schändlich. Ich glaube eher, dass es gilt, erst einmal einen Schritt zurückzunehmen, ein bisschen über Untiefen und Abgründe nachzudenken, und nichts zu tun, was das Missfallen Seiner Hoheit erregen könnte.«
II-9. Mein Vater Jin’emon war äußerst geschickt im Anfertigen von Strohsandalen. Und wann immer er einen neuen Gefolgsmann in seiner Mannschaft anstellte, sagte er: »Kannst du Strohsandalen anfertigen? Wenn man das nicht kann, ist das das Gleiche, als ob man keine Beine hätte!«
Und auch dann, wann immer einer seiner Männer sich mehr als eine Meile entfernen musste, gab er ihm in einem Beutel eine Ration Reis als Proviant mit, für den Fall, dass es plötzlich zu einem Feldzug kommen möge. Der Plan war, dann sofort von dort, wo man hingegangen war, aufzubrechen, ohne noch einmal nach Hause gehen zu müssen. Mit einer solchen Ration Reis kann man zuerst einmal jede Notfallsituation überstehen und über alles Weitere im Lauf der Ereignisse nachdenken. Darum ließ er auch viele hellgelbe Baumwolltaschen vorbereiten.
Seine Hoheit der Taikō machte auch, als er auf seinem Korea-Feldzug in Nagoya in Saga haltmachte, an seiner zinnoberroten Schwertscheide kurze Strohsandalen fest und überquerte damit den Takagi-Pass. Oder auch als Fürst Ieyasu seine berittenen Truppen Seiner Hoheit dem Taikō präsentierte, hatte Naruse Hayato Masanari rote Sandalen an seiner Schwertscheide befestigt, heißt es.
Bei einem Feldzug sind Strohsandalen das Erste, was man bereitstellen muss. Auch...
Erscheint lt. Verlag | 7.5.2021 |
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Reihe/Serie | Reclams Universal-Bibliothek | Reclams Universal-Bibliothek |
Illustrationen | Utagawa Kuniyoshi |
Mitarbeit |
Kommentare: Max Seinsch |
Übersetzer | Max Seinsch |
Verlagsort | Ditzingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Allgemeines / Lexika |
Schlagworte | Asiatische Literatur • Basiswissen • Buch Ehrenkodex Samurai • Buch Hinter den Blättern • Buch Verhaltenskodex Samurai • Buch Verhaltensregeln Samurai • Bushido • Einführung • Erläuterungen • gelb • gelbe bücher • Gerechtigkeit • Gesellschaft • Grundlagen • Hagakure Übersetzung • Indische Philosophie • Japanistik • Japankunde • Japanologie • Krieg • Krieger • Kriegsführung • Kriegskunst • Kriegsrecht • Lektüre • Militär • Ostasiatische Philosophie • Philosophie • Reclam Hefte • Reclams Universal Bibliothek • Samurai • Studenten • Studentinnen • Studierende • universalbibliothek • Universität • Vorlesungen • Weg des Kämpfers • Wissen • Wissenschaft • Wissenschaftliche Abhandlung |
ISBN-10 | 3-15-961880-3 / 3159618803 |
ISBN-13 | 978-3-15-961880-7 / 9783159618807 |
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