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Was wir einander schulden (eBook)

Ein Gesellschaftsvertrag für das 21. Jahrhundert
eBook Download: EPUB
2021 | 1. Auflage
200 Seiten
Ullstein (Verlag)
978-3-8437-2621-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Was wir einander schulden -  Minouche Shafik
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Wie wollen wir in Zukunft zusammenleben? In Deutschland genau wie in den USA oder in den sogenannten Entwicklungsländern ist das Gefühl der ungerechten Verteilung allgegenwärtig. Die Einkommensschwachen fühlen sich abgehängt, die Wohlhabenden meinen, die Arbeitsunwilligen finanzieren zu müssen, die Alten fühlen sich von den Jungen im Stich gelassen, die Jungen glauben, sie müssten die ältere Generation finanzieren, und sehen sich vom Abstieg bedroht. Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag. Einen, der sich unserer sich immer schneller verändernden Gesellschaft anpasst, der auf demografische, politische und wirtschaftliche Umwälzungen reagiert. Wie so ein neuer Gesellschaftsvertrag aussehen könnte, beschreibt Minouche Shafik in diesem Buch. 'In einer Zeit, in der die Regierungen versagen, liefert dieses exzellente Buch einen Rahmen für soziale, wirtschaftliche und politische Erneuerung.' Michael J. Sandel 'Minouche Shafik fordert eine gerechtere Welt, ihre gründliche und genaue Analyse zeigt, wie wir das erreichen können.' Melinda Gates 'Ein kluger Beitrag zu einer aktuellen, drängenden Debatte' Daron Acemoglu 'Minouche Shafik szizziert die großen Veränderungen unserer Zeit und macht Mut, sich ihnen zu stellen. Ein Must-read für jeden, der die Welt verändern möchte.' Ursula von der Leyen

Nemat (Minouche) Shafik ist seit 2017 die Direktorin der London School of Economics and Political Science. Sie wurde 1962 in Ägypten geboren und ist als Kind in die USA emigriert. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften an der LSE und in der Oxford University. Mit 36 wurde sie Vizepräsidentin der Weltbank.

Nemat (Minouche) Shafik ist seit 2017 die Direktorin der London School of Economics and Political Science. Sie wurde 1962 in Ägypten geboren und ist als Kind in die USA emigriert. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften an der LSE und in der Oxford University. Mit 36 wurde sie Vizepräsidentin der Weltbank.

VORWORT

»Alles zerfällt, die Mitte hält nicht mehr […] Gewiß, eine Offenbarung steht bevor.« Diese Worte schrieb W. B. Yeats in seinem Gedicht »Das zweite Kommen« (»The Second Coming«) unmittelbar nach den Schrecken des Ersten Weltkriegs, als seine schwangere Frau während der Grippeepidemie 1918/19 schwer krank darniederlag. Die Formulierung »alles zerfällt« wurde 2016 häufiger zitiert als je zuvor.1 Yeats’ Gedicht hält eine Stimmung düsterer Vorahnung fest, von bevorstehender unvermeidlicher Veränderung. In den letzten Jahren haben wir die wirtschaftlichen Folgen der Finanzkrise von 2008 erlebt, eine zunehmend spaltende politische Entwicklung, Umweltproteste und die Covid-19-Pandemie. Perioden großer Instabilität können zu einer radikalen Neuordnung unserer Gesellschaften führen. Welche Gestalt diese Neuordnung annimmt, hängt davon ab, welche Institutionen existieren, welche Führer oder Führerinnen an der Macht sind und welche Ideen Konjunktur haben.2

In den vergangenen Jahren habe ich viele der Annahmen, Institutionen und Normen, die meine Welt geprägt haben, mehr und mehr zerfallen sehen. Ich war 25 Jahre in der internationalen Entwicklungspolitik tätig und habe aus erster Hand erfahren, wie die Kampagne »Make Poverty History« (in Deutschland »Deine Stimme gegen Armut«) die Lebensbedingungen der Menschen enorm verbessert hat. Die Menschen hatten es in der Tat noch nie so gut wie heute; dennoch sind sie in vielen Teilen der Welt enttäuscht, was in der Politik, in den Medien und im öffentlichen Diskurs zum Ausdruck kommt. Die Zunahme von Wut und Angst hat damit zu tun, dass die Menschen mehr Unsicherheit und Machtlosigkeit in Bezug auf ihre eigene Zukunft verspüren. Auch lässt die Unterstützung für das System internationaler Zusammenarbeit, das seit der Nachkriegszeit existiert und in dem ich einen großen Teil meiner beruflichen Laufbahn verbracht habe, in dem Maße nach, in dem Nationalismus und Protektionismus stärker werden.

Die globale Pandemie von 2020 brachte dies alles deutlich zum Vorschein. Die Risiken, denen die Armen sowie die in prekären Arbeitsverhältnissen und ohne medizinische Versorgung Lebenden ausgesetzt sind, traten offen zutage. Unsere Abhängigkeiten wurden sichtbar, da die »systemrelevanten Arbeitskräfte«, ohne die unsere Gesellschaften nicht funktionieren können, mit Abstand am schlechtesten bezahlt waren. Wir könnten ohne Banker und Rechtsanwältinnen überleben, aber Verkaufs- sowie Pflegepersonal und Sicherheitskräfte sind unverzichtbar. Die Pandemie zeigte, wie sehr wir für unser Überleben, aber auch für ein sozial verantwortliches Handeln aufeinander angewiesen sind.

Krisenmomente sind auch Chancen. Einige Krisen führen zu Entscheidungen, die die Gesellschaft zum Besseren verändern – so wie die Maßnahmen des New Deal, die zur Bekämpfung der Weltwirtschaftskrise eingeführt wurden, oder die regelbasierte internationale Ordnung, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstand. Andere Krisen legen den Keim zu neuen Problemen, etwa die unzureichenden Antworten auf den Ersten Weltkrieg oder die Finanzkrise von 2008 mit ihren populistischen Gegenreaktionen. Die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie werden sich erst noch zeigen. Ob sie zu Verbesserungen führen oder nicht, hängt davon ab, welche alternativen Ideen zur Verfügung stehen und für welche von ihnen sich die Politik entscheidet.3 Nach viel Lesen, Zuhören und Nachdenken und nach vielen Gesprächen scheint mir, dass das Konzept eines Gesellschaftsvertrags – die politischen Entscheidungen und Normen, die unser gesellschaftliches Zusammenleben regeln – ein nützliches Konstrukt ist, um alternative Lösungen für die Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen, greifbar zu machen und zu definieren.

Viele der Ideen, die das Nachdenken über Gesellschaftsverträge überall in der Welt geprägt haben, entstanden in den vergangenen Jahren an der London School of Economics and Political Science (LSE), deren Direktorin ich derzeit bin. Es gibt dort eine lange Tradition des Nachdenkens über das Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft, angefangen bei den Gründern der Fabian Society und der LSE, Beatrice und Sidney Webb. Beatrice verbrachte Jahre damit, die Zustände in den ärmsten Gegenden von London zu untersuchen und die Auswirkungen von Entbehrung mit eigenen Augen zu sehen. Als Mitglied einer vom Parlament eingesetzten Kommission zur Überprüfung des Armenrechts verantwortete sie 1909 einen abweichenden Minderheitsbericht, der das strenge System der Arbeitshäuser und Großbritanniens unsystematischen Ansatz zur Unterstützung von Menschen in Armut verurteilte. Darin argumentierte sie, ein neuer Gesellschaftsvertrag für das Vereinigte Königreich würde »landesweit ein Minimum an zivilisiertem Leben sichern, für alle gleichermaßen, für beide Geschlechter und alle Klassen, womit wir ausreichende Ernährung und Bildung für die Jungen, ein Existenzminimum für Gesunde, medizinische Behandlung für Kranke und ein bescheidenes, aber sicheres Auskommen für die Älteren oder Behinderten meinen«.4 Mehr als hundert Jahre später ist dies weiterhin ein in den meisten Ländern der Welt unerreichtes Ziel.

Ihre Argumente fanden Widerhall in dem überaus einflussreichen Bericht von William Beveridge (Direktor der LSE von 1919 bis 1937), der eine Blaupause des modernen Wohlfahrtsstaats im Vereinigten Königreich erstellte, einschließlich des National Health Service (NHS) und umfassender Vorschläge für Mindestlöhne, Arbeitslosenversicherung und Altersvorsorge. Der Beveridge-Bericht (1942) war bahnbrechend, und es wurden so viele Exemplare davon verkauft wie noch von keinem Regierungsdokument zuvor; die Bevölkerung stand Schlange, um ein Exemplar zu erwerben und Einblick zu erhalten in diese grundlegende Neuordnung der Rechte und Pflichten der Bürger und Bürgerinnen Großbritanniens. Ein großer Teil der Umsetzung erfolgte unter Premierminister Clement Attlee, der zuvor Dozent an der LSE gewesen war und die Wahlen 1945 nicht zuletzt aufgrund seiner Unterstützung des Beveridge-Berichts gewonnen hatte. Während der Fokus der Webbs und Beveridges auf Großbritannien lag, übten ihre Ideen überall in Europa und in weiten Teilen der postkolonialen Welt erheblichen Einfluss aus, vor allem in Indien, Pakistan, Ostasien, Afrika und im Nahen Osten.5

Die LSE stand auch im Mittelpunkt der nächsten Neuordnung der Gesellschaften, als Friedrich August von Hayek, Emigrant aus Wien, LSE-Professor und Nobelpreisträger, 1944 sein Werk Der Weg zur Knechtschaft veröffentlichte. Hayek war der Auffassung, dass das Modell des interventionistischen Staates, das Beveridge vertrat, die Gesellschaft auf den Pfad des Totalitarismus führen würde. Mit seinem Fokus auf individueller Freiheit und der Effizienz der Märkte schuf er die Grundlage für den klassischen Wirtschaftsliberalismus. Er verließ die LSE 1950 und ging an die Universität von Chicago, wo seine Ideen Milton Friedman beeinflussten und das Fundament legten für das, was später als Chicagoer Schule bekannt wurde, die sich dem Liberalismus und einer Laissez-faire-Wirtschaft verschrieb. Sowohl Margaret Thatcher als auch Ronald Reagan beriefen sich mit ihren politischen Programmen und ihrer Betonung von Individualismus und freien Märkten auf Hayek.6 Er war auch in Mittel- und Osteuropa höchst einflussreich, wo seine Bücher von vielen Dissidenten und Dissidentinnen gelesen wurden, die schließlich zum Zerfall der Sowjetunion beitrugen.

Der sogenannte Dritte Weg war dann der Versuch, eine Alternative zum interventionistischen Staat der Fabianer und dem Laissez-faire-Marktliberalismus Hayeks zu entwerfen. Viele Ideen darüber, wie man Märkte nutzt, um egalitärere Ziele zu erreichen, entstanden an der LSE, etwa von Anthony Giddens (einem weiteren Direktor der Schule in den Jahren 1997 bis 2003), der 1998 das Buch Der dritte Weg veröffentlichte.7 Diese Ansichten machten sich sozialdemokratische Politiker überall auf der Welt zu eigen, darunter Bill Clinton in den USA, Tony Blair in Großbritannien, Luiz Inácio Lula da Silva in Brasilien, Gerhard Schröder in Deutschland, Thabo Mbeki in Südafrika und viele weitere. Mit der Großen Rezession von 2008 brach der Rückhalt für den Dritten Weg zusammen, der seine Glaubwürdigkeit infolge der Finanzkrise verlor, als Führer und Führerinnen der politischen Mitte auf der ganzen Welt zunehmend durch Populisten und Populistinnen ersetzt wurden.

Und so sind wir wieder an einem Punkt angelangt, an dem ein neues Paradigma benötigt wird. Grundlegende Veränderungen in Technologie und Demografie fordern die alten Strukturen heraus. Die Klimakrise und die globale Pandemie mit ihren unvermeidlichen wirtschaftlichen Folgen haben gezeigt, wie wenig unser derzeitiger Gesellschaftsvertrag noch funktioniert. Dieses Buch ist ein Versuch, die diesen Herausforderungen zugrunde liegenden Ursachen zu verstehen und, noch wichtiger, eine neue Sicht auf die Frage zu bieten, wie ein dem 21. Jahrhundert angemessener Gesellschaftsvertrag aussehen könnte. Es handelt sich nicht um eine Blaupause, aber ich hoffe, damit einen bescheidenen Beitrag zu leisten, um die Debatte voranzubringen und eine...

Erscheint lt. Verlag 1.11.2021
Übersetzer Karen Genschow
Verlagsort Berlin
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Politik / Gesellschaft
Geschichte Allgemeine Geschichte Zeitgeschichte
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Politische Systeme
Sozialwissenschaften Politik / Verwaltung Staat / Verwaltung
Schlagworte Adam Smith • Corona • Demokratie • Klimawandel • Krise • Rousseau • Thomas Hobbes
ISBN-10 3-8437-2621-3 / 3843726213
ISBN-13 978-3-8437-2621-4 / 9783843726214
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